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Full text of "Sitzungsberichte"

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Boston 
Medical  Library 


8  THE  FENWAT 


Sitzungsberiolite 


der 


Physikalisch-medizinischen  Sozietät 


m 


Erlangen 

Redigiert  von  Oskar  Scholz 

39.  Band 

1907 

-*4&*— 


ERLANGEN 
Kommissionsverlag  von  Max  Mencke 
1908 


D2C29  1"19 


U»' 


Inhaltsyerzeichnls. 


Geschäftliche  Mitteilangen: 

Stand  der  Mitglieder V 

A.  Ordentliche  Mitglieder      V 

B.  Ehrenmitglieder VII 

C.  Korrespondierende  Mitglieder IX 

Vorstand XI 

Tanschverkehr XII 

Eingelaufene  Druckschriften 

A.  Im  Tausch  verkehr XII 

B.  Als  Geschenk XXI 

Verzeichnis  der  in  den  Sitzungen  vom   1.  Januar  1907  bis 

31.  Dezember  1907  gehaltenen  Vorträge XXIII 

Wissenschaftliche  Mitteilungen  aus  den  Sitzungen 

und  Abhandlungen 1 

Inhaltsverzeichnis     des     wissenschaftlichen     Teiles    des 

.     39.  Bandes 561 


stand  der  Mitglieder 

am  31.  Desember  1907. 

51  ordentliche,   54  Ehren-  und  78  korrespondierende 

Mitglieder. 

In  der  folgenden  Liste  stehün  die  Abkürzungen:  O.M.  für  ordent- 
liches Mitglied,  EJf.  für  Ehrenmitgliedy  K.M.  für  korrespondierendes 
Mitglied.    Die  Jahreszahlen  beziehen  sich  anf  die  Zeit  der  Ernennung. 

A.  Ordentliche  Mitglieder* 

Apitzsch,  Dr.  H.,  Assistent  am  pharmazeut.-chem.  Institut,  1896. 

Bever,  Dr.  G.,  Assistent  an  der  Ohrenklinik,  1907. 

Bischoff,  Dr.  0.,  kgl.  Bezirksarzt,  1893. 

Busch,  Dr.  M.,  Prof.  der  Chemie,  1890. 

Cuno,  Dr.  E.,  Assistent  am  physikalischen  Institut,  1907. 

Denker,  Dr.  A.,  Prof.  der  Ohren-,  Nasen-  und  Kehlkopfheil- 
kunde, 1903. 

Fischer,  Dr.  0.,  Prof.  der  Chemie,  1885. 

Fleischmann,  Dr.  A.,  Prof.  der  Zoologie,  1886. 

Friedheim,  Dr.  C,  Prof.  der  Chemie  in  Bern,  1907. 

Fritsch,  Dr.  0.,  prakt.  Arzt,  1888. 

Fuchs,  Dr.  R.  F.,  Privatdozent  für  Physiologie,  1901. 

Gerlach,  Dr.  L.,  Prof.  der  Anatomie,  1874. 

Gordan,  Dr.  P.,  Prof.  der  Mathematik,  1874. 

Graser,  Dr.  E.,  Prof.  der  Chirurgie,  1884. 

Gutbier,  Dr.  A.,  Prof.  ftir  Chemie,  1899. 

Haffner,  Dr.  G.,  Gymnasiallehrer,  1906. 

Hauck,  Dr.  L.,  Privatdozent  für  Haut-  und  Geschlechtskrank- 
heiten, 1901. 

Hauser,  Dr.  G.,  Prof.  der  patholog.  Anatomie,  1881. 

Heim,  Dr.  L.,  Prof.  der  Hygiene  und  Bakteriologie,  1897. 

Heinz,  Dr.  R.,  Prof.  ftir  Pharmakologie,  1899. 

Henrich,  Dr.  F.,  Prof.  für  Chemie,  1901. 

Hermann,  Dr.  F.,  Prof.  der  Anatomie,  1884. 

Hetzel,  Dr.  K.,  prakt.  Arzt,  1898. 


—    VI    — 

Jamin,  Dr.  F.,  Prof.  der  inneren  Medizin,    der  Kinderheilkunde 

und  der  Pharmakologie,  1903. 
Jordis,  Dr.  E.,  Prof.  für  Chemie,  1902. 
Koeb erlin,  Dr.  H.,  Oberarzt  an  der  Kreisirrenanstalt,  1885. 
Königer,  Dr.  H.,  Privatdozent  für  innere  Medizin,  1904. 
Kreuter,  Dr.  E.,  Privatdozent  für  Chirurgie,  1905. 
Kryger,  Dr.  M.  v.,  Prof.  der  Chirurgie,  1898. 
Lenk,  Dr.  H.,  Prof.  der  Geologie  und  Mineralogie,  1906. 
Limpach,  Dr.  L.,  Hofapotheker,  1893. 

Menge,  Dr.  K.,  Prof.  der  Geburtshttlfe  und  Gynäkologie,   1905. 
Merkel,  Dr.  H.,  Privatdozent  für  patholog.  Anatomie,  1903. 
Nagel,  Dr.  M.,  Assistent  an  der  Kinderklinik,  1907. 
Noether,  Dr.  M.,  Prof  der  Mathematik,  1875. 
Paal,  Dr.  K.,  Prof.  der  Chemie,  1887- 
Penzoldt,  Dr.  F.,  Prof.  der  inneren  Medizin,  1874. 
Beiger,  Dr.  L.,  Prof.  der  Physik,  1902. 
Römer,  Dr.  F.,  Assistent  am  ehemischen  Laboratorium,  1907. 
Rosenthal,  Dr.  I.,  Prof.  der  Physiologie,  1872. 
Schleich,  H.  v.,  Hauptmann  und  k.  Kämmerer,  1906. 
Schulz,  Dr.  F.  G.,  Geologe  in  Berlin,  l907. 
Schulz,  Dr.  0.,  Prof.  für  Physiologie,  1888. 
Solereder,  Dr.  H.,  Prof.  der  Botanik,  1900. 
Specht,  Dr.  G.,  Prof.  der  Psychiatrie,  1891. 
Spul  er,  Dr.  A.,  Prof.  für  Anatomie,  1894. 
Wehnelt,  Dr.  A.,  Prof.  der  Physik  in  Berlin,  1900. 
Weichardt,  Dr,  W.,  Privatdozent  f.  experimentelle  Therapie,  1905. 
Wiedemann,  Dr.  E.,  Prof.  der  Physik,  1886. 
Wttrschmidt,  Dr.  A.,  Direktor  der  Kreisirrenanstalt,  1898. 
Zander,  Dr.  E.,  Privatdozent  für  Zoologie,  1904. 


Eingetreten    sind    in    der    Zeit    vom    1.  Januar    1907    bis    zum 
31.  Dezember  1907  die  Herren 

G.  Bever,  0.  de  la  Camp,   E.  Cuno,   C.  Friedheim, 
B.  Funccius,  M.  Nagel,  F.  Römer,  F.  C.  Schulz. 


Ausgetreten  sind  in  derselben  Zeit  die  Herren 

F.  Bartel,  L.  Birckenbach,  0.  de  la  Camp,  B.  Funccius, 
H.  Schulze. 


—  vn  — 

B.  Ehrenmitglieder. 

Ihre  Königliche  Hoheit  Dr.  Therese  Prinzessin  von  Bayern,  1903. 
Seine    Königliche    Hoheit     Dr.    Karl    Theodor    Herzog    in 

Bayern,  1888. 
Arrhenius,  Dr.  Swante,  Prof.   der  Physik,   Stockholm,    KM. 

1895,  E.M.  1904 
Baeyer,  Dr.  A.  v.,  Prof.  der  Chemie,  München,  1883. 
Branca,  Dr.  W.  v.,  Prof.  der  Geologie,  Berlin,  1903. 
Bütschli,  Dr.  0.,   Prof.   der  Zoologie,    Heidelberg,  K.M.  1897, 

E.M.  1899. 
Ehlers,  Dr.  E.,  Prof.  der  Zoologie,  Göttingen,  O.M.  1869,  E.M.  1874. 
Engelmann,  Dr.  Th.  W.,  Prof.  der  Physiologie,  Berlin,  K.M.  1899, 

E.M.  1903. 
Eversbnsch,    Dr.   0.,    Prof.    der   Augenheilkunde,    München, 

O.M.  1886,  EM.  1901. 
Exner,  Dr.  S.,  Prof.  der  Physiologie,  Wien,  K.M.  1901,  E.M.  1903. 
Fischer,  Dr.  E.,  Prof.  der  Chemie,  Berlin,  O.M.  1882,  K.M.  1886, 

E.M.  1895. 
Goebel,  Dr.  K.,  Prof.  der  Botanik,  München,  K.M.  1901,  EM.  1903. 
Golgi,  Dr.  C,  Prof.  der  allgemeinen  Pathologie,  Pavia,  K.M.  1895, 

E,M.  1903. 
Groth,  Dr.  P.,    Prof.    der   Mineralogie,    München,    K.M.    1888, 

E.M.  1903. 
Haeckel,  Dr.  E.,  Exzellenz,  Prof.  der  Zoologie,  Jena,  1903. 
Hensen,  Dr.  V.,  Prof.  der  Physiologie,  Kiel,  1901. 
Hering,    Dr.  E.,  Prof.    der    Physiologie,    Leipzig,    K.M.    1897, 

E.M.  1903. 
Hertwig,  Dr.  0.,  Prof.  der  Anatomie,  Berlin,  K.M.  1889,  E.M.  1899. 
Hoff,  Dr.  J.  H.  van't,  Prof.  der  Chemie,  Berlin,  1902. 
Jordan,  Dr.  Camille,  Prof.  der  Mathematik,  Paris,  1897. 
Kohlrausch,  Dr.  F.,  Prof.  der  Physik,  Präsident  der  physikalisch - 

technischen  Reichsanstalt  a.  D.,  Marburg  i/H.,  K.M.  1883, 

E.M.  1896. 
Klein,    Dr.  F.,    Prof.   der   Mathematik,   Göttingen,   O.M.    1872, 

E.M.  1875. 
]^och,  Dr.  R.,  Exzellenz,  Prof.  der  Hygiene,  Berlin,  K.M.  1883, 

E.M.   1895. 
Königsberger,  Dr.  L.,  Prof.  der  Mathematik,  Heidelberg,  1904. 
Leber,  Dr.  Th.,  Prof.  der  Augenheilkunde,  Heidelberg,  1899. 
Lenbe,  Dr.  W.  v.,   Prof.    der    Medizin,   Würzburg,   O.M.   18G8, 
E.M.  1886. 


—    VIII    - 

Leyden,  Dr.  E.  v.,  Exzellenz,   Prof.  der  Medizin,    Berlin,    1902. 
Lißter,  Dr.  Lord  J.,  Prof.  der  Chirurgie,  London,  1883. 
Michel,  Dr.  J.  v.,  Prof.  der  Augenheilkunde,  Berlin,  O.M.  1873, 

K.M.  1878,  E.M.  1895. 
Neumayer,  Dr.  G.  v.,  Exzellenz,  Neustadt  i.  Pf.,  1906. 
Ostwald,  Dr.  W.,  Prof.  der  physikal.  Chemie,  Leipzig,  K.M.  1895, 

E.M.  1897. 
Pfeffer,  Dr.  W.,  Prof.  der  Botanik,  Leipzig,  1901. 
Picard,  Dr.  E.,  M.  de  Tlustitut,  Paris,  1904. 
Ramsay,  Dr.  W.,  Prof.  der  Chemie,  London,  1903 
Recklinghausen,  Dr.  F.   v.,  Prof.  der  path.  Anatomie,  Straß- 
burg i.  E.,  1896. 
Retzius,  Dr.  6.,   Prof.   der   Anatomie,   Stockholm,   K.M.  1895, 

E.M.  1901. 
Rindfleisch,  Dr.  6.E.  v.,  Prof.  der  path,  Anatomie,  Würzburg, 

K.M.  1883,  E.M.  1899. 
Röntgen,  Dr.  C.  v.,   Prof.  der  Phygik,    München,   K.M.    1889, 

E.M.  1897. 
Sattler,  Dr.  H.,  Prof.  der  Augenheilkunde,  Leipzig,  O.M.  1879, 

KM.  1886,  E.M.  1895. 
Sämisch,   Dr.  0.,  Prof.  der  Augenheilkunde,  Bonn,  K.M.  1887, 

E.M.  1899. 
Schuster,  Dr.  A.,  Prof.  der  Physik,  Manchester,  1903. 
Schwendener,  Dr.  S.,  Prof.  der  Botanik,  Berlin,  1901. 
Strasburger,   Dr.    E,   Prof.  der  Botanik,    Bonn,   K.M.   1883, 

E.M.  1903. 
Strümpell,   Dr.  A.  v.,  Prof.  der  Medizin,   Breslau,   O.M.  1886, 

E.M.  1904. 
Thomson,  Dr.  J.  J.,  Prof.  der  Physik,  Cambridge,  1903. 
Voit,   Dr.   C.  V.,   Prof.   der   Physiologie,   München,   K.M.    1863, 

E.M.  1883. 
Volhard,  Dr.  J.,  Prof.  der  Chemie,  Halle  a.S.,  O.M.  1879,  K.M. 

1882,  E.M.  1904. 
Waldcyer,  Dr.  W.,  Prof.  der  Anatomie,  Berlin,  1897. 
Weber,  Dr.  IT.,  Prof.  der  Physik,  Braunschweig,  1899. 
Weber,   Dr.  II.,  Prof.   der  Mathematik,    Straßburg  i.  E.,  1900. 
Weismann,  Dr,  A.,  Exzellenz,  Prof.  der  Zoologie,  Freiburg  i.  Br., 

1897. 
Zehender,  Dr.  W.  v.,  Prof.  der  Augenheilkunde*  Eutin,  1899. 
Zeuthen,    Dr.    H.    G.,    Prof.    der    Mathematik,     Kopenhagen, 

1901. 


—    IX    — 

Zweifel,   Dr.  P.,   Prof.   der  Gynäkologie,  Leipzig,    O.M.  1876, 
E.M.  1887. 

Die  Gesellschaft  verlor  durch  Tod  ihre  Ehrenmitglieder 

M.  Berthelot,    H.    Moissan,    A.    v.    Rothmund,     Sir  W. 
Thomson  Lord  Kelvin. 

C.  Korrespondierende  Mitglieder. 

A  r  n  0 1  d ,  Dr.  J.,  Exzellenz,  Prof.  de"  path.  Anatomie,  Heidelberg,  1896. 
Au  wer  8,  Dr.  K.,  Prof.  der  Chemie,  Greifswald,  1897. 
Bäumler,  Dr.  Ch.,  Prof.  der  Medizin,  Freiburg  i.  Br.,  O.M.  1872, 

K.M.  1874. 
Bertoni,  Dr.  G.,  Prof,  der  Chemie,  Livomo,  1895. 
Blanckenhorn,  Dr.  M.,  Halensee-Berlin,  O.M.  1890,  K.  M.  1903. 
Bokorny, Dr.  Th.,  Gymnasial-Prof., München, O.M.  1888,  K.M.  1896. 
Boström,  Dr.  E.,  Prof.  der  path.  Anatomie,  Gießen,  O.M.  1879, 

K.M.  1881. 
Brill,  Dr.  A.  v.,  Prof  der  Mathematik,  Tübingen,  1894. 
Buchner,  Dr.  Ed.,  Prof.  der  Chemie,  Berlin,  1897. 
Chiari,  Dr  H.,  Prof  der  path.  Anatomie,  Straliburg  i.  E.,  1897. 
Curtius,    Dr   Th.,   Prof    der   Chemie,    Heidelberg,   O.M.  1886, 

K.M.  1896. 
D6j6rine,  Dr  J.,  Prof ,  M^decin  de  l'hospice  deBicetre,  Paris,  1895. 
Delpino,  Dr.  F.,  Prof.  der  Botanik,  Neapel,  1875. 
Duncan,  Dr  M.,  Prof  der  Gynäkologie,  London,  1883. 
Ebert,  Dr.  H.,  Prof.  der  Physik,  München,  O.M.  1887,  K.M.  1894. 
Eberth,  Dr   C,  Prof   der  path.  Anatomie,  Halle  a.  S.,  1895. 
Ebner,  Dr.  V.  v.,  Prof  der  Histologie,  Wien,  1901. 
Elster,  Dr.  H.,  Prof  der  Physik,  Wolfenbüttel,  1903. 
Eiterlein,   Dr.   A.    v.,  Exzellenz,    kais.    ottoman.   Unterstaats- 
sekretär, Konstantinopel,  O.M.  1895,  K.M.  1900. 
Engler,  Cr.  A.,  Prof.  der  Botanik,  Berlin,  1902. 
Filehne,  Dr  W.,  Prof  der  Pharmakologie,  Breslau,  O.M.  1874, 

K.M.  1886. 
Fittig,  Dr.  K.,  Prof.  der  Chemie,  StraUburg  i.  E.,  1888. 
Fester,  Dr   B.,  Prof.  der  Medizin,  Birmingham,  1866. 
Frommel,  Dr.   ß.,  Prof.  der  Gynäkologie,  München,  O.M.  1887, 

K.M.  1901. 
Geitel,  Dr.  0.,  Prof  der  Physik,  Wolfenbüttel,  1903. 
Günther,   Dr,  S.,   Prof.  der  Geographie,   München,   O.M.  1873, 
K.M,  1874, 


—    X    — 

Hadamard;  Dr.  J.,  Prof  der  Mathematik,  Paris,  1899. 
Hansen,  Dr.  A.,  Prof  der  Botanik,  Gießen,  O.M.  1879,  K.M.  1882. 
Hantzßch,  Dr.  A.,  Prof  der  Chemie,  Leipzig  1901. 
Heller,   Dr.  A.,    Prof.    der  path.    Anatomie,   Kiel,   O.M.   1869, 

K.M.  1872. 
Hertwig,  Dr.  B.,  Prof  der  Zoologie,  München,  1889. 
Hubert,  Dr.  D.,  Prof.  der  Mathematik,  Göttingen,  1899. 
Horsley,  Dr.  V.,  Prof.  der  Chirurgie,  F.  R.  S.,  London,  1901. 
Hubrecht,    Dr    A.,    Prof    der  Zoologie,    Utrecht,    O.M.    1874, 

K.M.  1875. 
Karrer,  Dr.  F.,  Direktor  der  Irrenanstalt  Klingenmünster,   O.M. 

1872,  K.M.  1883. 
Knoblauch,   Dr.  0.,    Prof    der  Physik,   München,    O.M.   1889, 

K.M.  1896. 
Knorr,    Dr.  L.,    Prof.  der  Chemie,  Jena,  O.M.  1883,  K.M.  1886. 
Kollmann,  Dr  J.,  Prof.  der  Anatomie,  Basel,  1897. 
Kossei,  Dr.  A.,  Prof.  der  Physiologie,  Heidelberg,  1903. 
Krause,  Dr.  W.,  Prof.  der  Anatomie,  Berlin,  1861. 
Kries,  Dr.  J.  v.,  Prof.  der  Physiologie,  Freiburg  i.  Br.,  1889. 
Lupine,  Dr.  Prof.  der  Medizin,  Lyon,  1888. 
Lieben,  Dr.  A.,  Prof  der  Chemie,  Wien,  1870. 
Limpricht,  Dr  H.,  Prof.  der  Chemie,  Greifswald,  1856. 
Luciani,  Dr.  L.,  Prof.  der  Physiologie,  Rom,  1895. 
Lttroth,  Dr.  J.,  Prof.  der  Mathematik,  Freiburg  i.  Br.,  1883. 
Marchand,  Dr.  F.,  Prof.  der  path.  Anatomie,  Leipzig,  1896. 
Meyer,  Dr.  E.  v.,  Prof  der  Chemie,  Dresden,  1897. 
Mosso,  Dr  A  ,  Prof.  der  Physiologie,  Turin,  1895. 
Munk,  Dr.  Herm.,  Prof  der  Physiologie,  Berlin,  1897. 
Müller,  Dr.  W.,Prof  d.path.  Anatomie,  Jena,  O.M.  1856,  K.M.  1861. 
Nernst,  Dr.  W.,  Prof.  der  physikal.  Chemie,  Berlin,  1897. 
Öbbeke,    Dr.  K,   Prof.    der  Mineralogie,    München,   O.M.  1887, 

K.M.  1896. 
Orth,  Dr.  J.,  Prof.  der  path.  Anatomie,  Berlin  1897. 
Ost,  Dr.  H.,  Prof.  der  Chemie,  Hannover,  1889. 
Ou  de  maus,  Dr.  C.  A.  J.  A.,  Prof.  der  Botanik,  Amsterdam,  1861. 
Planck,  Dr.  M.,  Prof.  der  Physik,  Berlin,  1897. 
Prym,  Dr.  F.,  Prof.  der  Mathematik,  WUrzburg,  1883. 
Radlkofer,  Dr.  L.,  Prof  der  Botanik,  München,  1901. 
Raymond,  Dr.  F.,  Prof,  Medecin  de  la  Salpetrifere,  Piiris,  1895. 
Röhrlng,  Oberstabsarzt  a.  D.,  Nürnberg,  O.M.  1886,  K.M.  1896. 
Sarasin,  Dr.  Ed.,  Grand  Sacounet,  Genf,  1896. 


—    XI    - 

Schmidt,  Dr  G.  C,  Prof.  der  Physik,  Münster  i.  W.,  O.M.  1893, 

K.M.  1900. 
Schwalbe,   Dr.  G.,  Prof   der  Anatomie,  Straßburg  i.  E.,  1886. 
Scbweinfurth,  Dr.  6.,  Kairo,  1865. 
Segre,  Dr,  C,  Prof.  der  Mathematik,  Turin,  1901. 
Simon,  Dr.  H.Th.,  Prof  derPhysik,  Göttingen,  O.M.1894,K.M,  1899. 
Steiner,  Dr.  J.,  Prof.,  prakt.  Arzt,  Cöln,  O.M.  1876,  K.M.  1879. 
Stintzing,  Dr   E.,  Prof.  der  Medizin,  Jena,  1899. 
Tafel,  Dr.  J.,  Prof.  der  Chemie,  Würzburg.  O.M.  1884,  K.M.  1902. 
Thiele,  Dr.  J.,  Prof  der  Chemie,  Straßburg  i.  E.,  1897. 
Uhthoff,  Dr.  W.,  Prof.  der  Augenheilkunde,  Breslau,  1899. 
Vongerichten,   Dr.    E.,    Prof    der  Chemie,   Jena,   O.M.   1873, 

K.M.  1883. 
Wegsc heider,  Dr.  R.,  Prof.  der  Chemie,  Wien,  1902. 
Weyl,  Dr.  Th.,  Privatdozent,  Berlin-Charlottenburg,  O.M.  1879, 

K.M.  1883. 
Wiedersheim,  Dr.  R.,  Prof  der  Anatomie,  Freiburg  i.  Br.,  1899. 
Wislicenus,  Dr.  W.,  Prof.  der  Chemie,  Tübingen,  1897. 
Zunlz,  Dr.  N.,  Prof  der  Physiologie,  Berlin,  1897. 

Die  Gesellschaft  verlor  durch  den  Tod  ihre  korrespondierenden 
Mitglieder  H.  Hoyer,  H.  Ullrich. 


Vorstand. 

Vom  13.  Mai  1907  an  bestand  der  Vorstand  aus  den  Herren 

Rosenthal,  I.,  I.  Vorsitzender, 
Wiedemann,  E.,  IL  Vorsitzender, 
Schulz,  0.,  Redakteur  der  Berichte, 
Gutbier,  A,  I.  Schriftführer, 
Ja  min,  F.,  II.  Schriftführer, 
Limpach,  L,  Rechnungsführer. 


-    XII    — 

TauschTerkehr. 

Za  den  GesellscbafteD,  mit  denen  die  Sozietät  in  Taaschyer- 
kehr  steht,  sind  im  Laufe  des  Jahres  1907  hinzugetreten: 

St.  Petersburg:  Russische  Phjsiko-chemische  Gesell- 
schaft; Physikalische  Sektion. 
Galcutta:  Asiatie  Society  of  Bengal. 

Zusendungen  von  Bächern  etc.  für  die  Gesell- 
schaft wolle  man  direkt  an  die  Physikalisch-medi- 
zinische Sozietät  in  Erlangen  richten,  die,  sofern 
nicht  besondere  Empfangsanzeige  verlangt  wird,  für  ein- 
gegangene Schriften  nur  in  dem  folgenden  Verzeich- 
nisse  dankt. 


Verzeichnis 

der  vom  1.  Januar  bis  81.  Desember  1907  eingelaufenen 
Druckschriften. 

A.  Im  TauschTerkehr. 

Amsterdam,  Koninklijke  Akademie  vanWetenschappen:  Jaarboek  1906. 

—   Verslag   van    de   gewone  Vergaderingen  der  wis-   en 

natuurk.    Afd.   Letterkunde   8,  1907.  —  Rufius  Grispinus. 

Carmen  1907. 
ArcachoD,  Soci^tä  scientifique  et  Station  zoologique:  Travaux  9,  1906. 
Augsburg,  Naturhistorischer  Verein  für  Schwaben  u.  Neuburg:  Bericht  37. 
Aussig,  Naturwissenschaftlicher  Verein:  Bericht. 
Baltimore,  American  Chemical  Journal  36  (1906),  Nr.  1—6.  87  (1907), 

Nr.  1-6.  38  (1907),  Nr.  1-5. 

—  John  Hopkins  University,  Biological  Laboratory :  Memoirs.  — 
Circular. 

Bambergs  Naturforschende  Gesellschaft:  Beiicht  19.  20. 
Basel,   Naturforschende  Gesellschaft :  Verhandlungen  19(1907),  Nr.  1.2. 
Bat a via,  Natuurkundig  Vereeniging  in  Nederl.-Ind'ie :  T^dschrift  66. 
Bautzen,  Naturwissenschaftliche  Gesellschaft  Isis:  Sitzungsberichte  und 

Abhandlungen. 
Bergen,  Bergens  Museum:  Aarbog  1906,  8.  1907,  1.  2.  —  Aarsberetning 

for  1906.  —  Sars,  G.  0.:  An  Account  of  the  Crustacea  of 

Norway  V,  17—20.  —  Meeresfauna  von  Bergen. 
Berkeley,   University  of  California:  Announcement  of  Publications.  — 

Publications.    Pathology  1  (1907),  Nr.  8.  9.  —  Physiology 

3  (1907),  Nr.  8.  9. 
Berlin,  Akademie  der  Wissenschaften :  Sitzungsberichte  1907,  Nr.  1—63. 

—  Botanischer  Verein  der  Provi^iz  Brandenburg:  Verhandlungen 

48  (1906). 


-  xni  — 

Berlin,  Deutsche  ehem.  Gesellschaft:  Berichte  40  (1907),  Nr.  1—18. 

—  Geol.  Landesanstalt  und  Bergakademie:  Jahrbuch  24,  1903. 

—  Verein  ftir  innere  Medisin:  Verhandlungen. 

—  Medizinische  Gesellschaft:  Verhandlungen  37.  38. 

—  Gesellschaft  naturforschender  Freunde:  Sitzungsberichte. 

—  Deutsche  Physikalische    Gesellschaft:     Berichte    5    (1907), 

Nr.  1—24;  enthaltend:  Verhandlungen  9,  1907,  Nr.  1—24 
und  Literaturverzeichnis  6,  1907,  Nr.  1—24. 

Bern,  Naturforschende  Gesellschaft:  Mitteilungen  1609—1628. 

Bonn,  Naturhistorischer  Verein  für  die  preußischen  Rheinlande  und  West- 
falen: Verhandlungen  63,  2.  64,  1.  —  Sitzungsberichte  1906, 
Nr.  2. 

Bordeaux,  Soci^tö  des  Sciences  physiques  et  naturelles:  M^moires.  — 
Observations  plumomötriques  et  thermomötriques  190.5/06.  — 
Procös-Verbaux  1905/06. 

Boston,  American  Academy  of  Arts  and  Sciences:  Proceedings  43, 
Nr.  1-11. 

—  Society  of  Natural  History:  Proceedings  38  (1906),  Nr.  3—9. 

—  Naturalist  vde:  Salem. 

Brannschweig,  Verein  für  Naturwissenschaften:  Jahresbericht 

Bremen,  Naturwissenschaftlicher  Verein:  Abhandlungen  XIX,  1. 

Breslau,  Schlesische  Gesellschaft  fßr  vaterlftudische  Kultur:  Jahres- 
bericht 84,  1906  u.  Erg.-Heft. 

Brooklyn,  The  Museum  of  the  Brooklyn  Institute  of  Arts  and  Sciences. 
Science  Bulletin  I,  9.  10.  —  Memoirs  of  natural  scienoes. 

Brunn,  Naturforschender  Verein:  Verhandlungen  44  (1905).  —  Bericht 
der  meteorologischen  Kommission  24  (1904). 

Brfissel,  Acadämio  Royale  de  Mödecine  de  Belgique:  Bulletin  S6r.  IV, 

20  (1906),  Nr.  11.  21  (1907),  Nr.  1-11. 

—  Aoad^mie  Royale  des  Sciences,  des  Lettres  et  des  Beanx- 

Arts  de  Belgique :  Annuaire  1907.  —  Mömoires  de  la  Glasse  des 
Sciences  in  8«:  2  (1907),  Nr.  1.  2;  in  4»:  l,Nr.  8. 4.  —  Bulletin 
1906,  Nr.  11.  12  (1907),  Nr.  1—8. 

—  Sooiötö  Entomologique  de  Belgique:  Annales  50  (1906). 
Sociät^  Royale  de  Botanique  de  Belgique :  Bulletin  43  (1906/07), 

Nr.  1—3. 

—  Soci^tö  Beige  de  Geologie,  de  Paläontologie  et  d'Hydrologie: 

Procös-Verbaux  20  (1906),  Nr.  3—6.  —  Bulletin:  M6moires 

21  (1907),  Nr.  1.  2.  -  Proc6s-Verbaux  21  (1907),  Nr.  1—7. 
Budapest,    Ungarische  Akademie  der  Wissenschaften:   Mathematische 

und  Naturwissenschaftliche  Berichte  aus  Ungarn  23  (1905).  — 
Ertekez^sek  a  termöszettudom&nyok  kdreböl.  —  l^rtekezösek 
a  mathematikai  tudominyok  köreböl.  —  Mathematikai  68 
termöszettudomänyi  l^rtesitö  24  (1906),  Nr.  3—5.  25  (1907), 
Nr.  1.  —  Rapport  1906. 
BuenosAires,  Museo  Nacional :  Anales  Ser.  III,  t.  6. 7.  —  Comunicaciones. 


-    XIV    - 

Baenos  Aires,  Ministerio de agricultura.  Secciön  de  zootecnia,  bacterio- 
logla,  veterinaria  y  zoologfa:  Anales. 

—  Deutscher  Wissenschaf tlicber  Verein:  Veröffentlichungen.  — 

Stöpel,  K.  Th.:  Eine  Reise  in  das  Innere  der  Insel  Forroosa 

und  die  erste  Besteigung  des  Niitakayama  '(Monnt  Morrison)'. 

Weihnachten  1898.    Buenos  Aires  1905. 
Bukarest,  Societatii  de  Sciinte  Fizice:  Buletinul   15  (1906),  Nr.  5.  6. 

16  (1907).  Nr.  1—4. 
Calcutta,  Asiatic  Society  of  Bengali  Journal  &  Proceedings  1906:    If, 

1—10.   1907:   III,  1.   —   Memoirs  V,    1,    1906:   Nr.    1-19. 

Sppl.  1906. 
Cambridge  (Engl),    Philosophical   Society:  Proceedings   14,  1—3.  — 

List  of  Fellows  1907. 

—  (Mass.),  Museum  of  Comparative  Zoology   at  Harvard  Col- 

lege:   Bulletin  50  (1906),  Nr.  6—9.  51  (1907),   Nr.  1—6.  8. 

Report  1906/07. 
Chemnitz,  Naturwissenschaftliche  Gesellschaft:  Bericht. 
Cherbourg,  Society  Nationale  des  Sciences  Naturelles  et  Mathömatiques: 

Mömoires  Ser.  IV,  5  (1905/06). 
C h  r  i  s  t  i  a  n  i  a ,  Kgl.  Universität :  Norges  officielle  Statistik. 
Chur,  Naturforsch.  Gesellschaft  Graubündens:  Jahresbericht  49. 
Cördoba,  Academia  Nacional  de  Ciencias  de  la  Repüblica  Argentina: 

Boletin. 
Dan  zig,  Naturforschende  Gesellschaft:  Schriften  12  (1907),  Nr.  1. 
Dorpat  siehe  Jurjew. 
Dresden,  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde :  Jahresbericht  1905/06. 

—  Naturwissenschaftl.  Gesellschaft  Isis:  Sitzungsberichte  1906: 

Juli— Dez.  1907:  Jan.— Juni. 
Dublin,  Royal  Dublin  Society:   The  economic  Proceedings  I,  9—11.  — 
The  8cientificProoeed{ng8XI,13— 20.  —  Tran8aotionsIX,4— 6. 

—  Royal  Irish  Academy :  Proceedings  Sect.  A.  vol.  26, 2. 27, 1—7. 

Sect.  B  vol.  26,  7—10.  —  Transactions.  Sect.  B  33.  Tit.  u.  Inh. 
D  ti  r  k  h  e  i  m ,  Pollichia :  Mitteilungen  22.  —  Zwick,  Hermann :  Gnmdlagen 

einer  Stabilitätstheorie  fttrpassiv6Flngapparate'(Gleitflieger)* 

und  für  Drachenflieger ;  die  Hauptbedingnngen  der  Stabilität 

DUrkheim  1907. 
Edinburgh,    Royal  College   of  Physicians:    Reports  from   the   labo- 

ratory. 

—  Botanical  Society:  Transactions. 

—  Physioal  Society:   Proceedings. 

—  Royal  Society :  Proceedings  26,  6.  27,  1—5.  —  Transactions 

45,  1.  2. 
E 1  b  er  f  e  1  d ,  Naturwissenschaftlicher  Verein  :  Jahresbericht. 
Emden,   Naturforsch.  Gesellschaft:    Jahresbericht  90.  91.  —  Schriften. 
Florenz,  Biblioteca  Nazionale  Centrale:    BoUettino  delle  pubblicazioni 

italiane  Nr.  75—84. 


-    XV    - 

Florenz,  Istituto  di  Studi  Saperiori:  PabbHcazioni.  —  Sezione  di  med.  e 
Chirurg.  —  Sex.  di  scienze  fia.  e  natnrali. 

—  SocietA   Botanica  Itallana:  Ballettino. 

Frankfurt  a.  M.,  Ärztlicher  Verein:  Jahresbericht  über  die  Verwaltung 
des  Medizinalwesens,  die  Krankenanstalten  und  die  öffent- 
lichen Gesundheits Verhältnisse  der  Stadt  Frankfurt  a.  M 
48,  1904.  —  Tabellarische  Übersiebten  betreffend  den  Zivil- 
stand  der  Stadt  Frankfurt  a.  M. 

—  Senckenbergische   Natnrforsch.    Gei^ellschaft:    Bericht    1907. 

—  Abhandlangen.  29,  2.  —  Benutznngs-Ordnung  für  die 
Senckenbergische  Bibliothek  1907.  —  Festschrift  zur  Er- 
innernng  an  die  Eröffnung  des  neuerbanten  Museums  der 
Senckenbergischen  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Frank- 
furt a.  M.  am  13.  Okt.  1907. 

—  Physikalischer  Verein:  Jahresbericht  1905/06. 
Frankfurt   a.  0.,    Naturwissenschaftlicher    Verein:    Helios.    Abhand- 
lungen   und   Mitteilungen    aus     dem    Gesamtgebiete    der 
Naturwissenschaften.  —  Societatum  Litterae. 

Frauenfeld,  Thurgauische  Naturforschende  Gesellschaft:  Mitteilungen. 

Fr  ei  bürg  i.  B.,  Naturforschende  Gesellschaft:  Berichte. 

Fulda,  Verein  f.  Naturkunde:  Bericht. 

St  Gallen,  Naturwissenschaftliche  Gesellschaft:   Jahrbuch:  190C. 

Genf,  Soci^tö  dePhysique  et  d'Histoire  Naturelle :  Compte  rendu  28  (1906). 

Gent,  Kruidkundig  Genootschap  Dodonaea:  Jaarboek. 

Genua,  Accademia  Medica:  Bollettino. 

—  Museo  Civico  di  Storia  Naturale:  Annali  S.  III,  2. 
Gießen,  Oberhessische  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde:  Bericht 

Medizin.  Abt.  1,  1906.  2,  1907.  Naturwiss.  Abt  1,  1904/06. 
Görlitz,  Naturforschende  Gesellschaft:  Abhandlungen  25  (1906),  2. 
Göteborg,  Kgl.  Vetenskaps-  och  Yitterhets  Sambälles:  Handlingar. 
Gottingen,  Gesellsch.  der  Wissenschaften :  Nachrichten,  Math.-pbys.  Kl. 

1907,  Nr.  1—4.  —  Geschäftliche  Mitteilungen  1906,  Nr.  2. 

1907,  Nr.  1. 
Graz,  Verein  der  Ärzte  in  Steiermark:  Mitteilungen  44  (1907),  Nr.l— 12. 

—  Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Steiermark :  Mitteilungen. 
Greifswald,    Naturwissenschaft].  Verein     für    Neu- Vorpommern    und 

Rügen:  Mitteilungen  37.  38. 
Haarlem,  Mus^e  Teyler:  ArchivesS^r.  II,  Vol.  10,  Nr.  4.  vol.  11,  Nr.  1. 
Halifax,  New  Seotian  Institute of  Science:  Proceedings  andTransactions 

XI,  2. 
Halle  a.  S.,   Raiserl.   Leopoldino-Carolinische  Deutsche  Akademie   der 

Naturforscher:  Leopoldina  43  (1907),  Nr.  1-12. 

—  Naturforschende  Gesellschaft:  Bericht 

^  Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Sachsen  und  Thüringen: 

Zeitschrift  fUr  Naturwissenschaften  78,  Nr.  6.  79,  Nr.  1—6. 

Hamburg,  Naturwissenschaftlicher    Verein    in    Harn  bürg- Altena:   Ver- 


~    XVI    - 

handlungen  III.  Folge,  14.  —  Abhandlungen  XIX,  1.  2. 
Hamburg,  Verein  fttr  naturwissenschaftl.  Unterhaltang:   Verhandlungen 

13  (1905-07). 
Hanau,  Wetterauische  Gesellschaft  für  die  gesamte  Naturkunde:  Bericht. 
Hannover,  Naturhistorische  Gesellschaft:    Jahresbericht. 
Heidelberg,  Natnrhistorisch-Medizinischer  Verein:    Verhandlungen  N. 

F.  VIII,  8.  4. 
Helsingfors,  Societas  pro   Fauna   et  Flora  Fennica:    Acta  27.  28.  — 

Meddelanden.  —  Herbarium  Mnsei    Fennici   Meddelanden. 

—  Societas Scientiamm  Fennica:  Acta.  —  Bidrag  tili  kännedom 

of  Finlands  Natur  och  Folk.    —   Öfversigt.    —    Obseryat. 

publikes  par  Tlnstitut  mötöorlogiqne  central.  —  Observations 

mötöorol.  p.  p.  rinstitut  mötöorol.  central.   —   Exploration 

Internat,  des  rögions  polaires  1882/84.   —  Expedition  pol. 

finlandaise  III.  —  l^tat  des  glaces  et  des  neiges  1895/96. 
Helsingfors,  Sociötö  Finlandaise  de  g^ographie:  Meddelanden. 
Jekaterinb  urg,  Soci^tö  Ouralienne  de  Mödecine:  M^moires  15. 
Innsbruck,  Naturwissenschaftlich-Medizin.  Verein:  Berichte 30 (1905/07). 
Jurjew,  Naturforschende  Gesellschaft:  Archiv  fttr  die  Naturkunde  Liv., 

Esth-  u.  Kurlands.  —  Sitzungsberichte  XV,  2-4.  XVI,  1. 

Schriften. 
Karlsruhe,  Naturwissenschaftlicher  Verein:  Verhandlungen. 
Kasan,  Sociöt^  Physico-Mathömatique :  Bulletin  Ser.  II,  T.  15,  3. 
Kassel,  Verein  für  Naturkunde:  Abhandlungen  und  Berichte  51. 
Kiel,  Naturwissenschaftlicher  Verein  in   Schleswig- Holstein:     Schriften 

xm,  2. 

Kiew,  Soci^tö  des  Naturalistes :  M^moires  20,  2. 

Klausen  bürg  (KolozsvÄr),  Siebenbilrgischer  Museumsverein:  Sitzungs- 
berichte. 

Königsberg  i.  Pr.,  Physikalisch- Ökonomische  Gesellschaft:  Schriften 
47  (1906). 

Kopenhagen,  K.  Danske  VidenscabemesSelskab:  Oversigt  1906,  Nr.  6. 
1907,  Nr.  1—4. 

—  Naturhistorisk  Forening:  Meddelelser. 

—  Medicinske  Selskab:  Forhandlinger  1906/07. 

La  Haye,   Soci^tö    Hollandaise    des  Sciences:  Archives  Nöerlandaises 

des  Sciences  exactes  et  naturelles  Ser.  II.  12,  Nr.  1—5.  m. 

Progr.  1907. 
Lancaster&Ne w- Y o r k, American Mathematical  Society :  Bulletin S£r. 2 

vol.  XIII,  5—10.  XIV,  1—5.  Register  1007. 
Landshut,  Botanischer  Verein:  Bericht. 
La  PI  ata,  Facultad  de  Agronomia  y  Veterinaria:  Revista  Epoca  II,  2, 

Tomo  II,  Nr.  4—6. 
Lausanne,  Soci6t6  Vaudoisedes  Sciences  Naturelles:  Bulletin  157—160. 

—  Procfes-Verb.  zu  vol.  43.  pag.  I— LVIIL  —  Observations 


-    XVII    - 

m^t^orologiqnes  faites  k  1a  Station  m^töorologiqne  du 
Champ  de-FAir.  Institute  agricole  de  Lausanne  1906. 

Lawrence,  Kansas  University:  Science  Bulletin  IV,  1—6.  —  Bulletin, 
Annual,  on  the  Mineral  Resources  of  Kansas  1902/08.  — 
Survey,  The  University  Geological,  of  Kansas:  VIII,  1904. 

Leipzig,  Jablonowskische  Gesellschaft:  Jahresbericht  1907. 

—  Natnrforschende  Geaellschaft:    Sitzungsberichte  83. 

—  Sächsische  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  Mathematisch- 

Physikal.  Klasse:    Berichte  1906,  Nr.  6-8.  1907,  Nr.  1—8. 

—  Medizinische  Gesellschaft:  Berichte.  —  Verhandlungen  1906. 
Linz,    Museum    Francisco -Garolinnm:     Jahresbericht    6ö,    1907    nebst 

den  Beiträgen  zur  Landeskunde  von  Österreich  o.  d.  Enns. 
Liefrg.  59. 
London,  Nature  Nr.  1946—1999. 

—  Hathematical  Society :  Proceedings  Ser.  II.  vol.  IV,  7.  vol.  V, 

1—7,  vol.  VI,  1.  —  List  of  Members  1907/08. 

—  Royal  Society:     Proceedings    Series    A:    527— 584.    Series 

B:  528—535.  —  Transactions  Ser.  A,  vol.  207,  p.  1—544. 
Ser.  B,  vol.  199,  p.  31—392.  —  List  of  Members.  —  Year- 
Book.  —    Record.  —  Reports   to    the  Malaria  Committee. 

—  Reports  to  the  Evolution  Committee.  —  Obituary  notices 
of  fellows  of  the  Royal  Soc.  —  Reports  of  the  Sleeping 
Sickness  Gommission.  —  Reports  of  the  Commission  for 
investigation  of  mediterranean  fever  5—7. 

Lüneburg,  Naturwissenschaftlicher  Verein  für  das  Fürstentum  Lüneburg : 

Jahreshefte  7  (1905-07). 
Lttttich,  Soci6t6  Royale  des  Sciences  de  Li6ge:  Mömoires  7. 
Luxemburg,  Institut  Grand  Ducal,  Section  des  Sciences  natur.,  phys.  et 

mathöm.:  Publications.  —  Archives  trimestrielles  1906,  3.  4. 

—  Soci^tö  Botanique  du  Grand-Duchö  de  Luxembourg:  Kecueil. 
Luzern,  Naturforsehende  Gesellschaft:  Mitteilungen  5,  1907. 
Madison  (Wisc),    Wisconsin  Academy  of  Sciences,  Arts  and  Letters: 

Transactions  15  (1904),  Nr.  1. 

—  Wisconsin  Geological  and  Natural  History  Survey:  Bulletin. 
Magdeburg,   Naturwissenschaftlicher  Verein:    Jahresbericht  und  Ab- 
handlungen. 

Mailand,  Reale  Istitnto  Lombardo  di  Scienze  e  Lettere:  Rendiconti  39 
(1906),  Nr.  17-20.  40  (1907),  Nr.  1-16. 

—  Societ4  Italiana  di  Scienze  Naturali:  Atti  45,  8.  4.  46,  1.  2. 

—  Memorie.  —  Elenco  dei  soci  Istituti  scientifici  corre- 
spondenti.    Indice  generale.  1906. 

Manchester,  The  Manchester  Literary  &  Philosophical  Society:  Me- 
moire and  proceedings  51  (1906/07),  Nr.  2.  3.  52(1907/08),  Nr.l, 

Marburg,  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  gesamten  Naturwissen- 
schaften: Sitzungsberichte  1906.  1907. 

Marseille,  Facult^  des  Sciences:  Annales. 


—    XVIII    - 

Melbourne,  Royal  Geographical  Society  of  Australasta:  Transactions. 
Meriden,  Scientific  Association:  Transactions. 

Mexico,  Instituto  geolögico  de  M6xico:    Boletin  22.  24.  —  Parergoues. 
Milwaukee  (Wisc),  Public  Museum  of  the  City:  Report  25  (1906/07). 

—  Natural  History  Society:  Bulletin  5  (1907),  Nr.  1—3. 
Minneapolis,  Geological  and  Natural  Survey  of  Minnesota:  Bulletin. — 

Report. 
Missoula  (Montana):  Bulletin  of  the  University  of  Montana.    Biological 

Ser.  13.  —  Geological  Ser.  2.  —  Annual  Report  1905/06.  — 

AnnouDcement  for  1907.  —  Register  1905/06.  1906/07. 
Montevideo,   Museo  Nacional:    Anales.  —  Seccion   histörico  filosöfica. 
Moskau,  Sociöt^  Imperiale  des  Naturalistes:  Bulletin  1905,  Nr.  4.  1906, 

Nr.  1-4. 
München,    Gesellschaft    für  Morphologie    und  Physiologie:    Sitzungs> 

berichte  22.  23,  1. 

—  Ärztlicher  Verein:  Sitzungsberichte  16  (1906). 

—  Wochenschrift  für  Tierheilkunde  und  Viehzucht. 

—  Deutsche  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Ur- 

geschichte: Korrespondenzblatt  38  (1907),  Nr.  1—12. 

—  Ornithologischer    Verein:    Verhandlungen    der    Ornitholog. 

Gesellschaft   in   Bayern  6.  7. 
Münster  i.  W.,  Westfäl.  Provinzial- Verein  für  Wissenschaft  und  Kunst: 

Jahresbericht. 
Neapel,  Accademia  dclle  Bcienze  Fisiche  e  Matematiche  (Sezione  della 

Societä  Reale  di  Napoli):  Rendiconto  45  (Ser.  III»  vol.  12), 

Nr.  9—12.    46  (Ser.  III»  vol.  13),  Nr.  1—7. 

—  Annali  di  Nevrologia  24  (1906),  Nr.  5. 6.  25  (1907),  Nr.  1—3. 

—  Zoologische  Station:  Mitteilungen  18,  Nr.  2 — 4. 

—  II  Tommasi.  Giornale  di  Biologia  e  di  Medicina  2  (1907),  Nr.  8. 
Neuchätcl:  Sociöt6  des  Sciences  Naturelles:  Bulletin. 

New  York,   Academy  of  Sciences:  Annais. —  Memoirs. —  Transactions. 

—  siehe  Lancaster. 

N  ürnb  erg,  Medizinische  Gesellschaft  u, Poliklinik:  Jahresbericht  1906.  — 
Sitzungsberichte  1906. 

—  Naturhistorische  Gesellschaft:    Abhandlungen  XVI,  XVil. 

—  Ärztlicher  Lokalverein:  Sitzungsberichte  1906. 

—  Germanisches  Nationalmuseum:   Anzeiger  1906,  Nr.  1—4.  — 

Mitteilungen. 
Odessa,    Sociät6    des  Naturalistes    de   la   Nouvelle  Russie:    Mömoires. 
Offenbach,  Verein  für  Naturkunde:  Bericht. 
Osnabrück,  Naturwissenschaftlicher  Verein:  Jahresbericht. 
Palermo,  Circolo  Matematico:    Annuario  1907.  —  Rendiconti  23,  1—3. 
Paris,  Soci6t6  de  Biologie:  Comptes  rendus  et  M^moires  1907,  Nr.  1—39. 

—  Soci^tö  Linn^enne:  Bulletin. 

—  Soci6t6  Zoologique  de  France:   Bulletin  32,  2. 

—  Soci^tö  Fran^aise  de  Physique:   Ordre  du  jour  Nr.  255 — 272, 


—    XIX    — 

—  Bulletin  1906:  3.  4. 1907:  1—3.  —  Collection  de  mimoireB 

relat.  k  la  physiqae. 
Pas 8 au,  Naturhistorisoher  Verein:  Bericht. 
Perugia,  Universitä,  Facoltd  di  medicina :   Annali. 
Petersburg,   Acadömie  des   Sciences:  Bulletin  Ser.  VI,  1907:  1 — 18. 

—  Hortns  Petropolitanus :  Acta. 

—  Hort  US  Universitatis:  Scripta.  Fase.  24.  25. 

—  Sociöt^  des  Naturalistes :  Section  de  Botanique,  Bulletin.  — 

Comptes  rendus  1906,  Nr.  7.  8.  1907,  Nr.  1—6.  Travaux  35 
(1906),  5.  6. 36  (1907).  3.  —  Section  de  Geologie  et  de  Minera- 
logie, Travaux.  —  Section  de  Zoologie  et  de  Physiologie, 
Travaux. 

—  Soci^te    physico-chimique   russe;    Chem.    Sektion:    Journal 

38  (1906),  Nr.  2—6.  8.  9.  39  (1907),  Nr.  1—8.  —  Protokoly. 
Philadelphia,    Academy    of    Natural    Sciences:     Proceedings    1906, 
Nr.  3.  1907,  Nr.  1.  2. 

—  College  of  Physicians :  Transactions.  Ser.  3,  vol.  28.  —  Summary 

of  the  Annual  Report  of  the  library   committee  for  1906. 

—  Wagner  Free  Institute  of  Science :  Transactions. 

—  American  Philosophical  Society :  Proceedings  184—186.  —  The 

Record  of  the  celebration  of  the  two  hundredth  anniversary 
of  the  birth  of  Benjamin  Franklin  1906.  I. 

Pisa,  Scuola  Normale  Superiore  (Scienze  Fisiche  e  Matematiche) :  Annali. 

Prag,  Königlich  Böhmische  Gesellschaft  der  Wissenschaften:  Jahres- 
bericht 1906.  —  Sitzungsberichte  (Mathematisch-Natur- 
wissenschaftliche Klasse)  1906. 

—  Lese-    und  ^Redehalle    der    deutschen    Studenten:  Bericht. 

—  Deutscher    naturwissenschaftlich -medizinischer    Verein     für 

Böhmen  „Lotos" :  Sitzungsberichte.  N.  F.  26  (1906).  27  (1907), 

Nr.  1-3. 
Regensbnrg,   Naturwissenschaftlicher  Verein:   Berichte. 
Riga,  Naturforscher-Verein :  Korrespondenzblatt  49.  50.  —  Arbeiten. 
Rio  de  Janeiro,    Museu  Nacional:    Archivos. 
Rochester,  Academy  of  Sciences:  Proceedings. 
Rom,    Accademia    dei  Lincei:      Kondiconti  (Classe    di   Scienze  fisiche 

etc.)     XVI,     Sem.  I,  Nr.    1—12.    Sem.   II,    Nr.   1—12.   - 

Rendiconto   deir  adunanza  solenne  1907. 

—  Accademia  Medica:  Bullettino. 

—  Gazzetta  Chimica  Italiana  37  (1907),  I,  Nr.  1—6.  11,  Nr.  1—6. 
St.  Louis,  Missouri  Botanical  Garden:  Keports. 

Salem,  Essex  Institute:  Naturalist  331.  361.  415.  484.  —  Bulletin. 
San   Francisco,  California  Academy  of  Sciences:  Proceedings. 
Santiago    (Chile),    Soci6tö     Scientiiique    du    Chile:    Actes    15  (1905), 
Nr.  3-5. 
—  Deutscher  Wissenschaftlicher  Verein:  Verhandlungen. 

Stockholm,  SvenskaVetenskaps  Akademie:  Handlingar  41  (1906),  Nr. 4* 


—    XX    - 

42  (1906),  Nr.  2—9.  —  Entomologiska  Förening:  Tidskrift  28. 

—  Arkiv  för  Botanik  6,  3.  4.  —  Arkiv  für  Matematik,  Astro- 
nomi  och  Fysik.  3,  2—4.  —  Arkiv  för  Komi,  Mineralogi 
och  Geologi  2,  4—6.  —  Arkiv  för  Zoologi  3.  3.  4.  — 
Arsbok  1907.  —  Meddelanden  frSn  E.  Vetenskapsaka- 
demiens  Nobelinstitut  Bd.  I,  7. 

Strasburg,  Kais.  Universitäts-  u.  Landes  Bibliothek:  Monatsberichte  der 
Gesellschaft  der  Wissenschaften,  des  Ackerbaues  und  der 
Künste  im  ünterelsaß  39,  1—9.  40,  1-9.  41,  1-4. 

Stuttgart,  Verein  für  vaterländische  Naturkunde  in  Württemberg :  Jahres- 
heft 63  mit  Beilage. 

Thorn,  Coppemicus-Verein  für  Wissenschaft  a.  Kunst:  Mitteilungen 
XIV.  XV.  —  Jahresbericht. 

Tokio,  Medizinische  Fakultät  der  Kaiserl.  Japanischen  Universität: 
Mitteilungen  VII,  1—3. 

Toulouse,  Acadömie  des  Sciences,  Inscriptions  et  Beiles  Lettres: 
Mömoires  X,  6.  —  Bulletin. 

Tri  est,  Museo  Civioo  di  Storia  Naturale:  Atti. 

—  Societä  Adriatica  di  Scienze  Naturali:  BoUettino. 
Tufts  College  (Mass.):  Studios. 

Turin,  R.  Accademia  delle  Scienze  (Scienze  Fisiche,  Matematiche  e  Natu- 
rali):   Atti    42,    Nr.  1-15.  —  Memorie   Ser.   II,  Vol.  57. 

—  Osservazioni  Meteorologiche  1906—07. 

Ulm,  Verein  für  Mathematik  und  Naturwissenschaften:    Jahreshefte. 

Upsala,  Läkareförening:  FörhandlingarN.  F.  XII,  Nr.  1—6. 

Utrecht,  Provincial  Utrechtsch  Genootschap:  Aanteekeningen  1907.  — 

Verslag  1907. 
Washington,  National  Academy  of  Sciences:  Memoirs. 

—  Smithsonian  Institution :  Miscellancous  Oollections.  —  licport 

1670.  1671.  1673.  1674.  1683.  -  Bulletin  of  the  Philosoph. 
Society  XV,  p.  1—56. 

—  Library  of  the   Surgeon   Generals   Office:   Index-Cataloguc 

XII,  1907. 

—  United  States  Geological  Survey:  Monographp.  —  Mineral  Re- 

sources of  the  U.  S.  Calendar  Year.  —  Water-Supply  and  Irri- 
gation Papers.  —  Bulletin.  —  Professional  Paper.  —  Report, 
Wien,  Akademie  der  Wissenscliaften  (Mathematisch-Natui-wissenschaft- 
liche  Klasse):  Sitzungsberichte.  Abt.  1: 114  (1905), Nr.  1—10. 
115  (1906),  1-10.  Abt.  II»:  115(1906),  Nr.  1—10.  Abt.  IIb: 
115  (1906),  Nr.  1—10.   —  Abt.  III:  115  (1906),  Nr.  1—10. 

—  Anzeiger  1907.  —  Mitteilungen  d.  prähistor.  Komm.  d. 
kais.  Akad.d.  Wiss.  —  Mitteilungen  der  Erdbeben  Kommission 
d.  Kais.  Akad.  d.  Wiss.  31. 

—  Zoolog.-Botanische  Gesellschaft:  Verhandlungen  56.  57. 

—  Naturhistorisches    Hofmuseum:     Annalen    20   (1905),    Nr.   4. 

21  (1906),  Nr.  1.  2. 


-    XXI    - 

Wien,  Geologische  ReichBanstJtlt :    Jahrbuch  bl,  Nr.  1—4.  —  Verhand- 
lungen 1906,  Nr.  14—18.  1907,  Nr.  1—14. 

—  Naturwiasensehaftl.  Verein  an  der  Universität:    Mitteilungen 

1906,  Nr.  7-10. 1907,  Nr.  1-11  &  Reg.  zu  1908—6.  —  Fest- 
schrift zur  Feier  des  25jShr.  Bestandes  1907. 

—  Verein  zur  Verbreit  naturwiesenschaftl.  Kenntn. :  Schriften  47. 
Wiesbaden,  Nassauischer  Verein  für  Naturkunde :  Jahrbücher  60  (1907). 
Winterthur,  Naturwissenschaftliche   Gesellschaft:   Hitteilungen. 
WtirBburg,Physika].-Mediz.  Gesellsehaft:  Sitzungsberichte  1906,Nr.  1—7. 

—  Verhandlungen. 

Zürich,  Naturforschende    Gesellschaft:    Neujahrsblatt.    —    Vierteljahr- 
schrift 61  (1906),  Nr.  2-4.  52  (1906),  Nr.  1.  2. 

Zwickau,  Verein  für  Naturkunde:  Jahresbericht  1904—05. 


B.  Als  Gesehenk. 

Armstrong,  S.  T.:  The  hospitals  of  Puerto  Principe,  Cuba.  (S.-A.  1900.) 
Sarasin,  Ed.  u.  Tommasina,  Th.:    Sur    quelques   modifications   qui 

prodnisent  le  dödoublement  de  la  courbe  de  dösactivation 

de  la  radioactivitä  induite.    (S.-A.) 

—  — :  De  reifet  des  Zorans  en  toile  m^tallique  sur  le  rayonnement 

secondaire  de  radioactiTit6  induite.    (S.-A.) 
Elster,  J.  n.  Geitel,  H.:  Ober  die  Radioaktivität  der  Erdsubstanz  und 
ihre  mögliche  Beziehung   zur  Erdwärme.  (Beil.  z.  Jahresb. 
d.  Gymn.  z.  Wolfenbüttel  1907.) 

—  — :    Über   die   Abscheidung    radioaktiver    Substanzen    aus 

gewöhnl.  Blei.    (S.-A.  1906.) 

—  — :  Über  die  Radioaktivität  des  Bleies.    (S.-A.) 
Kollmann,  J.:  Varianten  am  Os  occipitale,  besonders  in  der  Umgebung 

des  Foramen  occipitale  magnum.    (S.-A.) 
Comptes-rendus  des  travanx   du  Laboratoire   de  Carlsberg   7.  1.    Copen- 

hague  1907. 
Jttdson,  Adoniram  B.  (New  York):   The  prevention  of  deformity  after 

infantile  paralysis  by  recumbency  during  the  stage  of  recession 

(S..A.) 
Poe  Verl  ein,  Hermann:  Beiträge  z.  Kenntnis  der  deutschen  Melampyrum- 

Arten.  II.  (S.-A.) 

—  — :  Beiträge  z.  Kenntnis  d.  bayer.  Veronica-Arten  II.     (S.-A.) 

—  — :  Beiträge  z.  Flora  der  bayer.  Pfalz  III.  (S.-A.) 

—  — :  Die  Literatur  über  Bayerns  floristische,  pflanzengeograph. 

u.  phänologisehe  Verhältnisse.    (S.-A.) 
Jahresbericht  d.  König].  Bibliothek  zu  Berlin  für  1905/06. 
Archives    des  sciences  biologiques  p.   p.   l'Institut   imp^r.  de  mödecine 

expiriment  a  St.  Pötersbourg  12  (1906)  Nr.  4.  5.  13  (1907), 

Nr.  1.  2. 


-  xxn  - 

Feuille  de  renBeignements  pour  biologistes.    Auskunftsblatt  fttr  Biologen. 

1907,  Nr.  2—7.     [Dorpat.] 
Noble,  Charles  P.:  Fibroid  Tumors  of  the  Uterus  (S.-A.  1906.) 
Les  Prix  Nobel  1903-1905. 

Proceedings-of  the  Physical  Society  of  London  20,  4—6. 
Report  of  the  Rensington  Hospital  for  Women  23,  1906. 
Report,  Annual  of  the  Henry  Phipps  Institute  for  the  Study,  Treatment 

and  Prevcntion  of  Tuberculosis.    2,  1904/05.  3,  1905/06. 
Report,  Annual.  (Bellcvue  and  Allied  Hospitals,  City  of  New  York)  5, 1906. 
Rundschau,  Gynäkologische.  1  (1907),  Nr.  4.  7.  14. 
Spisuv  poctenych  jnbilejni  ceuou  kril.  Spolecnosti  Niuk  v  Praze.  18. 
C6lebration   du  deuxi^me  D6cennaire  de  la  Sociötö  beige   de  Geologie, 

de    Paläontologie    et    d'Hydrologie    et    Manifestation    en 

Phonneur  de  M.  Ernest  van  den  Broeck  1907. 


-    XXIII    - 
Sitznngen. 

Die  physikaliscbinedizinische  Sozietät  hielt  vom  1.  Januar  bis  31.  De- 
zember 1907  neun  Sitzungen  ab,  deren  wissenschaftliches  M<'iter]al  in  dem 
nachstehenden  Verzeichnis  aufgeführt  und  größtenteils  in  den  Abhand- 
lungen und  kurzen  Mitteilungen  dieses  Bnndes  niedergelegt  ist 

Verzeichnis  der  in  den  Sitzungen  gehaltenen  Vorträge. 

Sitzung  am  17.  Januar  1907 

im  Hörsaale  des  hygienisch-bakteriologischen  Instituts. 
W.  Weichardt:  Ober  serologische  Studien. 

Diskussion:  Spuler,  Heim,  Schulz,  Paal,  Gutbier,  Weichardt. 

Sitzung  am  18.  Februar  1907 

im  Hörsaale  des  zoologischen  Instituts. 
A.  Fleischmann:  Die  Resultate   meiner  Phallusstndien   und   ihr  Ver- 
hSltnis  zur  Deszendenztheorie. 

Diskussion:  Gerlach,  Spaler,  Fuchs,  Fleischmann. 

Sitzung  am  6.  März  1907 

im  Hörsaale  des  anatomischen  Instituts. 
A.  Denker:  Was  befähigt  die  Papageien  zu  sprechen? 

Diskussion:  Hermann,  Rosenthal,  Spuler,  Heim,  Specht,  Denker. 
L.  Gerlach:  Demonstration  eines  Mttskeltorsos. 

Diskussion:  Hermann,  Jamin,  Gerlach. 

Sitzung  am  18.  Mai  1907 

Im  Hörsaale  des  physiologischen  Instituts. 
A.  Spuler:  Zur  Lehre  von  den  Blutlymphdrttsen. 

Sitzung  am  17.  Juni  1907 

im  Hörsaale  des  pathologischen  Instituts. 
G.  Hauser:  Über  extremen  Hochstand  des  Zwerchfells  bei  einem  Falle 

von  Ileus. 
0.  Schulz:  Die  Zusammensetzung  der  Darmgase  bei  dem  gleichen  Falle. 
Diskussion:  Rosenihal,  Jordis,  Menge,  Fuchs,  de  laCamp,  Graser, 
Hauser,  Schulz. 

Sitzung  am  8.  Juli  1907 

im  Hörsaale  des  poliklinisch-pharmakologischen  Instituts. 
0.  de  la  Camp:  Über  Wirbelsäulenperkussion  mit  Demonstrationen. 

Diskussion:  Hauser,  Spuler,  Jamin,  de  la  Camp. 
R.  F.  Fuchs:  Über  den  Einfluss  des  Lichts  auf  den  Organismus. 

Diskussion:  Weichardt. 
A.  Spul  er:  Über  die  Entwicklung  der  Neurogiia. 


—    XXIV    - 

Stiftungnisitsung  am  20.  Jali  1907 

auf  Birkners  Keller. 
E.  Gräser:  Lord  Lister  and  Ernst  von  Bergmann. 

Sitaung  am  19.  November  1907 

im  Hörsaale  des  chemischen  Laboratoriums. 
A.  Gutbier:  Henri  Moissau. 
E.  Jordis:  Berthelot. 
A.  Spnler:  Über  die  Entwicklang  der  Scheide  ans  dem  Sinus  arogenitalis. 

Sitaiing  am  10.  Deaember  1907 

im  Hörsaale  des  physiologischen  Instituts. 
I.  Rosenthal:  Zar  Theorie  der  Enzyme. 

Diskussion:  Paal,  Busch,  Roseuthal. 
0.  Schulz:  Die  Lebenswichtigkeit  der  Schilddrüse. 

Diskussion:  Weichardt,  Hauser,  Heim,  Denker,  Spuler,  Rosenthal, 
Fuchs,  Schulz. 


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Studien  über  das  Rhodium. 
Das  Atomgewicht  des  Rhodiums. 

Von  Alfred  Hfittlinger. 
Aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  Universität  Erlangen. 

Einleitung. 

Die  Platinmetalle,  zu  denen  bekanntlich  das  ßhodinm  ge- 
zählt wird,  sind  seit  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderti^  bekannt. 
1750  wnrde  das  Platin  zum  ersten  Male  von  Watson  beschrieben, 
nachdem  die  erste  Nachricht  über  dieses  Metall  durch  den 
spanischen  Mathematiker  Antonio  de  Ulloa  nach  Europa 
gebracht  worden  war.  Seiner  silberähnlichen  Farbe  wegen 
wurde  dem  im  goldhaltigen  Sande  südamerikanischer  Flüsse 
aufgefundenem  Erze  der  Name  Piatina  gegeben,  das  Deminu- 
tivum  des  spanischen  Wortes  plata,  zu  deutsch:  Silber.  Bald 
wurde  eine  genauere  Untei*suchung  des  Platinerzes  durch  den 
Direktor  der  Stockholmer  Münze,  Scheffer,  veröfientlicht,  und  im 
Anfange  des  19.  Jahrhundert,  1803,  entdeckte  Wollaston  neben 
Platin  in  dessen  Erz  noch  zwei  neue  Elemente,  das  Rhodium  und 
das  Palladium.  In  rascher  Aufeinanderfolge  fand  Tennant  im 
Jahre  1804  das  Iridium  und  Osmium,  während  Claus  im  Jahre 
1845  das  Ruthenium  in  den  Platinerzen  entdeckte.  In  der 
Folgezeit  fanden  bedeutende  Forscher,  wie  Berzelius,  Davy, 
Vauquelin,  Döbereiner  durch  Untersuchung  der  neuauf- 
gefundenen Elemente  Gelegenheit,  hervorragende  Arbeiten  auf 
diesem  Gebiete  zu  liefern. 

Das  Vorkommen  der  Platinerze  blieb  nicht  allein  auf  den 
goldhaltigen  Sand  amerikanischer  Flüsse  beschränkt;  vielmehr 
wurden  bald  bedeutende  Lager  von  Platinerz  in  verschiedenen 
Distrikten  des  Uralgebirges  entdeckt,  die  heute  noch  die  größte 
Ausbeute  liefern.  Von  weiteren  Fundorten  sind  hauptsächlich 
zu  nennen:  Brasilien,  Kalifornien,  Borneound  die  Insel  Sumatra. 
An  diesen  Stellen  findet  sich  das  Platin  zwar  stets  gediegen, 

SitKongsbcrichte  der  pbya.-meü.  Soe.  39  (1907).  1 


—     2     — 

aber  nie  im  reinen  Zustande  sondern  stets  legiert  mit  wechseln- 
den Mengen   von   Palladium,  Rhodium,  Iridium,   Osmium   und 

Ruthenium. 

Hauptsächlich  dem  letzteren  Umstände  ist  es  zuzuschreiben, 
daß  die  Darstellung  von  chemisch  reinem  Platin  solch'  große 
Anforderungen  an  die  Technik  stellte  und  es  langjähriger  Er- 
fahrung bedurfte,  bis  Verfahren  ausgearbeitet  wurden,  die  be- 
friedigende Resultate  der  Reindarstellung  des  Platins  wie 
seiner  Begleiter  ergaben.  Es  würde  zu  weit  führen,  die  Ge- 
winnung und  Trennung  sämtlicher  Platinmetalle  an  dieser  Stelle 
zu  schildern;  ich  will  mich  aus  diesem  Grunde  darauf  be- 
schränken, die  Gewinnung  und  Trennung  des  Rhodiums,  dem 
diese  Arbeit  gewidmet  ist,  aus  den  Platinerzeu  zu  beschreiben. 

Wie  oben  erwähnt,  wurde  das  Rhodium  von  Wollaston  im 
Jahre  1803  entdeckt  und  verdankt  seinen  Namen  der  rosen- 
roten Farbe  mancher  seiner  Salzlösungen.  In  den  Platinerzen 
findet  sich  das  Rhodium  bis  zu  ca.  4,6®/q,  während  der  Prozent- 
gehalt an  Rhodium  im  Osmiumiridium  noch  steigt,  ja  im 
Rhodiumgold  von  Mexiko  eine  Höhe  von  34  bis  43  Prozent 
erreicht. 

Das  eigentliche  Material  zur  Herstellung  von  Rhodium 
bilden  vor  allen  Dingen  neben  Osmiumiridium  die  durch  Fällen 
der  Mutterlauge  von  der  Platingewinnung  mit  Eisen  oder  Zink 
erhaltenen  Rückstände :  ^) 

1.  Die  Rückstände  werden  mit  verdünnter  Salpetersäure 
erwärmt,  in  einem  eisernen  Kessel  mit  0,5  kg  Kalilauge  und 
5  kg  Wasser  auf  1  kg  Rückstand  gekocht,  mit  einem  Teil  Chlor- 
natrium nach  dem  Trocknen  vermischt  und  im  Porzellanrohr 
bei  schwacher  Rotglut  mit  Chlor  behandelt.  Man  löst  hierauf 
in  Wasser,  dampft  zur  Entfernung  des  größeren  Teils  Chlor- 
natrium ein.  erhitzt  zur  Überführung  des  vorhandenen  Iridium 
in  Chlorid  mit  Salpetersäure  und  behandelt  mit  konz.  Lösung 
von  Ammoniumchlorid,  hiedurch  wird  Ammoniumiridiumchlorid 
gefällt,  während  Ammoniumhexachlororhodiat  mit  rosenroter 
Farbe  in  Lösung  bleibt.  Durch  wiederholte  fraktionierte  Fällung 
läßt  sich  schließlich  alles  Rhodiumsalz  abscheiden^). 


*)  Da  mm  er,  Anorg.  Chem.  3,  861. 

*)  Claus.  Gmelin-Krautß  Hdb.,  6.  Aufl.,  3,  1257/1258. 


—     3     - 

2.  Man  schmilzt  die  erwähnten  Rückstände  mit  einem  Teil 
Blei  nnd  einem  Teil  Bleioxyd  bei  Botglat;  der  Regulas  enthält 
alle  Metalle,  die  schwerer  als  Blei  oxydierbar  sind,  während 
die  Verunreinigungen  der  Rückstände  sich  in  der  Bleischlacke 
finden.  Behandelt  man  weiter  mit  verdünnter  Salpetersäure,  so 
gehen  Blei  nnd  die  anderen  Beimengnngen  in  Lösung,  die  zu- 
rückbleibende, pulverige,  metallische  Masse  wird,  wie  in  1. 
beschrieben,  mit  Chlornatrium  gemengt  und  im  Ghlorstrom  anf- 
geschlossen.  Man  behandelt  nach  dem  Erkalten  mit  Wasser, 
wodurch  alles  Rhodium  als  Natriumhexachlororhodiat  in  Lösung 
geht,  erwärmt  mit  Salpetersäure  und  entfernt  durch  fraktionierte 
Fällnng  mit  Ammoniumchloridlösung  alles  Iridium;  die  jetzt 
erhaltene  Lösung  verdampft  man  zur  Entfernung  von  Ammonium- 
chlorid zur  Trockene,  mengt  den  Rückstand  mit  3  bis  4  Teilen 
Schwefel  und  erhitzt  im  Porzellantiegel,  der  von  Kohlenpulver 
umgeben  in  einem  Schmelztiegel  steht,  zur  starken  Rotglut. 
Der  Tiegelinhalt  wird  nach  dem  Erkalten  mit  Königswasser, 
dann  mit  konz.  Schwefelsäure  ausgekocht  und  so  im  Rückstande 
noch  unreines,  fein  verteiltes  Rhodium  erhalten.  Unter  Um- 
rühren schmilzt  man  letzteres  mit  3  bis  4  Teilen  Zink  zusammen 
nnd  löst  die  erkaltete  Masse  in  Königswasser;  beim  Eindampfen 
dieser  Lösung  kristallisiert  gelbes  Chloropentamminrhodichlorid 
ans,  welches  durch  Umkristallisieren  zu  reinigen  ist^). 

3.  Bei  der  Darstellung  von  Palladium  erhält  man  einen 
in  Salpetersäure  unlöslichen  Rückstand  von  Iridium,  Ruthenium 
nnd  Rhodium.  Etwa  0,4  kg  dieses  mit  Aramoniumchlorid  schwach 
geglühten  Rückstandes  schmilzt  man  mit  ca.  3  kg  Zink  unter 
Zusatz  von  Ammoniumchlorid  und  erhält  die  Temperatur  2  bis 
3  Stunden  wenig  über  dem  Siedepunkt  der  Lösung.  Den 
untersten  Teil  des  Tiegelinhaltes,  meist  ein  gut  kristallisierter 
Regulus,  schmilzt  man  nochmals  mit  0,5  kg  Zink  unter  Zusatz 
von  Ammoniumchlorid,  granuliert  in  Wasser  und  behandelt  mit 
rauchender  Salzsäure.  Die  hiebei  als  schwarzes  Pulver  zurück- 
bleibenden Platinmetalle  werden,  mit  Bariumchlorid  gemischt, 
längere  Zeit  im  Chlorstrom  auf  schwache  Glühhitze  erhitzt 
und  in  Wasser  gelöst.    Durch  Schwefelsäure  entfernt  man  das 


»)  Claus.  N. Petereb. akad.  BuU.  2,  158;  4,  453 ;.J.  1856,  444;  Beitrag 
zur  Chemie  der  PlatinmetaUe  1854 ;  J.  pr.  85, 229 ;  G  i  b  b  s.  J.  pr.  84,  65 ;  94, 1 0. 


—     4     — 

Bariumchlorid  und  leitet  in  die  auf  100®  erwärmte  Lösung 
mehrere  Tage  Wasserstoff.  Aus  dem  erhaltenen  Metallgemenge 
entfernt  man  durch  Königswasser,  Keduzieren  mit  Wasserstoff 
und  nochmaliges  Aufschließen  im  Ghlorstrome  bei  Gegenwart 
von  Bariumchlorid  alles  Platin  und  Palladium  und  trennt  das 
Rhodium  vom  Iridium  durch  Eindampfen  mit  Salzsäure  und  Be- 
handeln in  der  Kälte  mit  viel  überschüssigem  NaHSOj;  man 
erhält  das  Rhodium  *  als  amorphes,  zitronengelbes  Natrium- 
doppelsalz^). 

Zur  Reinigung  des  so  erhaltenen  Rhodiums  geht  Jörge  nsen*) 
folgendermaßen  vor:  Er  schließt  dasselbe  durch  Schmelzen  mit 
Zink  auf  und  versetzte  die  auf  oben  beschriebene  Weise  er- 
haltene, nach  geschehener  Oxydation  des  Iridiumchlor ürs  mit 
Salpetersäure  und  Ammoniumchlorid  von  Iridium  befreite  Lösung 
mit  Ammoniak  im  Überschuß.  Gelbes  Chloropentamminrhodi- 
chlorid  kristallisiert  aus.  Man  verdampft  auf  dem  Wasserbade 
zur  Trockene  und  behandelt  solange  mit  warmer  verdünnter 
Salzsäure,  bis  die  Waschfltissigkeit  nicht  mehr  gefärbt  wird. 
Es  löst  sich  nur  wenig  des  Rhodiumsalzes  hiebei  auf;  das  in 
siedendem  Wasser  gelöste  Salz  filtriert  man  heifi  in  verdünnte 
Salzsäure  ein.  Sofort  beginnt  die  Abscheidung  kleiner,  gelber 
Kristalle  des  Chlorochlorids,  welches  man  durch  nochmaliges 
Umkristallisieren  aus  heißem,  verdünntem  Ammoniak  chemisch 
rein  erhält.  Durch  Glühen  dieses  Salzes  im  Kohlentiegel  und 
darauffolgendes  Schmelzen  im  Kalktiegel  mittelst  des  Knall- 
gasgebläses, wobei  die  letzten  Spuren  von  Osmium  und  Sili- 
cium  entfernt  werden,  erhält  man  das  geschmolzene,  reine 
Metall. 

Das  uns  zu  vorliegender  Untersuchung  zur  Verfügung  stehende 
Rhodium  zeichnete  sich  durch  hervorragende  Reinheit  aus,  und 
ich  möchte  nicht  versäumen,  der  Firma  W.  C.  Heraeus  in 
Hanau,  die  uns  100  g  des  reinen  Präparates  zur  Verfügung 
stellte,  an  dieser  Stelle  den  besten  Dank  auszusprechen.  Leider 
ist  es  nicht  möglich,  die  Reindarstellung  des  Materials  zu 
schildern,  da  uns  obengenannte  Firma  schon  in  einem  früheren 
Schreiben  bedeutet  hat,  daß  sie  bedauere,  keine  Ausführungen 


»)  Bunsen.  A.  146,  265;  J.  1868,  280. 

«)  Jorgensen.  J.  pr.  Chem.  [2]  27,  433,  489. 


—     6     — 

iiber  die  HerstelluDg;  des  reinen  Präparates  geben  zu  können, 
da  sie  die  ßeindarstellnng  der  Platinmetalle  mehr  oder  minder 
als  ihr  Fabrikgeheimnis  betrachte. 

I.  Oxyde  des  Rhodiums. 

Theoretischer  Teil. 

Nach  Wilm^)  erhält  man  durch  Glühen  von  fein  gepulvertem 
Rhodium  im  Luftstrome  das  Rhodiumoxydul  RhO,  während 
Claus  die  Behauptung  aufstellte,  daß  nur  rutheninmhaltiges 
Rhodium  die  Eigenschaft,  sich  an  der  Luft  in  höherer  Tempe- 
ratur zu  oxydieren,  in  hohem  Grade  besitze.  Wir  fanden  durch 
unsere  Versuche,  die  im  nachfolgenden  experimentellen  Teil 
Erwähnung  finden,  die  Auf  Stellungen  von  Wilm  insofern  be- 
stätigt, als  chemisch  reines  Rhodium  in  hervorragendem  Maße 
die  Eigenschaft  besaß,  sich  an  der  Luft  bei  erhöhter  Tempe- 
ratur zu  oxydieren.  Wilm  stellte  mit  reinem  Rhodium  zwei 
übereinstimmende  Versuche  an,  die  eine  Gewichtszunahme  von 
12,96®/^,  Sauerstoff  ergaben,  während  der  Formel  des  Rhodium- 
oxydul 13,29  ^/o  Sauerstoff  entspricht.  Bei  unseren  Versuchen 
konnten  wir  dagegen  eine  so  gut  definierte  Verbindung  als 
Wilm  nicht  erhalten,  da  eine  Gewichtszunahme  von  10,32% 
Sauerstoff  beim  1.  Versuche,  von  16,94%  bei  Zuhilfenahme 
einer  stärkeren  Wärmequelle  erzielt  wurde.  Wir  setzten  als- 
dann die  Versuche  fort,  indem  wir  die  Bedingungen  derart 
änderten,  daß  chemisch  reines  Rhodium  nicht  mehr  in  der  Luft, 
sondern  im  Sauei-stoffstrome  erhitzt  wurde  und  erreichten  hier- 
bei eine  Gewichtszunahme  von  21,66  ^/^  Sauerstoff.  Die  Resultate 
dieser  Versuche  können  also  dahin  zusammengefaßt  werden,  daß, 
wie  schon  A.  Gutbier  und  P.  Ransohoff^)  bei  ihren  Studien 
über  die  Verbindungen  des  Ruthenium  mit  Sauerstoff  gefunden 
haben,  auch  beim  Erhitzen  von  pulverförmigem,  chemisch  reinem 
Rhodium  an  der  Luft  keine  wohldefinierte  Sauerstoffverbindung 
erhalten  wird.  Vielmehr  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  das 
Glühprodukt  ein  inniges  Gemenge  von  Rhodiumdioxyd  und 
Rhodium  ist,  was  auch  Gutbier  und  Ransohoff  im  gleichen 
Falle  beim  Ruthenium  angenommen  haben. 

»)  Wilm,  Ber.  1882,  2225. 

')  A.  Gutbier  und  F.  Ransohoff.  Z.  Anorg.  Chemie  Bd.  45, 
243.  (1905). 


—    6     — 

Die  im  experimentellen  Teil  folgenden  KuiTen  geben  ein 
anschanliches  Bild  von  der  Oxydation  des  Bhodiums  an  der 
Luft  bezw.  im  Sauerstoffstrome.  Das  gebildete  Produkt  ist 
schwarz,  wird  nicht  sogleich  durch  Wasserstoff  reduziert,  wohl 
aber  beim  gelinden  Erwärmen. 

Das  wasserhaltige  Hydrat  des  ßhodiumsesquioxydes  Rh(0H)3 
-f-  H3O  wurde  durch  Fällung  von  ßhodiumsalzlösungen  mittels 
Kalilauge  als  zitronengelbes  Pulver  von  wechselnder  Zusammen- 
setzung, je  nach  der  Konzentration  der  Kalilauge,  erhalten. 
Es  bildete  das  Ausgangsprodukt  ,zur  Darstellung  der  später  er- 
wähnten, in  Wasser  löslichen  Halogenverbindungen  des  Rhodiums. 
Frisch  gefällt  ist  es  in  konzentrierter  Kalilauge  mit  orange- 
gelber Farbe  löslich,  wird  aber  aus  dieser  Lösung  beim  Ver- 
dünnen wieder  abgeschieden.  Nach  Descotils^)  befindet  es 
sich  in  der  Lösung  als  „Rhodiumoxydkali". 

Das  iiach  Glaus^)  durch  anhaltendes  Einteilen  von  Chlor 
in  eine  Lösung  des  Rhodiumsesquihydrats  in  konzentrierter  Kali- 
lauge dargestellte  Rhodiumdioxydhydrat  konnten  wir  auf  gleiche 
Weise  erhalten  und  demselben  auch  auf  Grund  mehrfacher  Be- 
stimmungen des  Rhodiums,  wie  des  aktiven  Sauei^toffs,  die  von 
Claus  aufgestellte  Formel  RhaOj •  RhOg  +  6  H3O  zu  erkennen. 
Den  ebenfalls  nach  Claus,  durch  weiteres  Einleiten  von  Chlor  in 
obige  Lösung  hervorgerufenen  flockigen,  blauen  Niederschlag, 
der  rhodiumsaures  Kalium  enthalten  soll,  konnten  wir  nicht 
isolieren,  obwohl  wir  mehrere  Male  eine  prachtvoll  tiefblau 
gefärbte  Lösung  über  dem  grünen  Rhodiumdioxydhydrat  erhalten 
hatten.  Diese  tiefblaue  Färbung  der  Lösung  hatte  sich  erst 
nach  längerem  Stehen  gebildet,  verschwand  aber  nach  mehreren 
Tagen  wieder,  um  einer  vollständig  farblosen  Flüssigkeitsschicht 
Platz  zu  machen. 

Zum  Schlüsse  unserer  Studien  über  die  Oxyde  des  Rhodiums 
stellten  wir  noch  verschiedene  Versuche  über  die  Einwirkung 
des  Hydrazins  auf  Rhodiumsalzlösungen  an.  Dieselben  hatten 
das  Ergebnis,  daß  in  Rhodiumsalzlösungen  durch  Hydrazin  wohl 
ein  flockiger,  schwarzer  Niederschlag  entsteht,  der  zum  größten 
Teile  aus  Rhodium  besteht,  allein  zur  quantitativen  Abscheidung 


0  Gmelin-Kraut,  Bd.  3,  8.  1261. 

»)  Claus.  N.  Pctersb.  akad.  Biül.  2,  177. 


läßt  sich  obiger  Niederschlag  erst  dann  verwerten,  wenn  er 
nochmals  im  Bosetiegel  im  Wasserstoffstrom  reduziert  wird. 
Mit  einem  Worte,  Hydrazin  vermag  Rhodiumsalzlösnngen  nicht 
vollständig  za  metallischem  Rhodinm  zu  reduzieren. 

Experimenteller  Teil. 

Um  das  nach  Wilm  durch  Erhitzen  von  chemisch  reinem 
Rhodium  an  der  Luft  dargestellte  Rhodiumoxydul,  RhO,  zu  er- 
halten, verfuhren  wir,  wie  folgt: 

In  einem  Porzellantiegel,  der  zum  Schutze  vor  den  redu- 
zierenden Flammengasen  in  einen  größeren  gestellt  wurde^ 
wurde  ca.  0,5  g  chemisch  reines  Rhodium  abgewogen  und  über 
freier  Flamme  an  der  Luft  erhitzt.  Nach  je  V2  ständigem  Er- 
hitzen wurde  der  Tiegel  in  den  Exsikkator  gebracht  und  nach 
einer  weiteren  V2  Stunde  gewogen.  Dies  wurde  solange  wieder- 
holt, bis  der  Tiegel  konstantes  Gewicht  zeigte  und  bei  noch 
so  starkem  Erhitzen  keine  Gewichuszunahme  mehr  erfuhr.  Das 
Resultat,  das  durch  den  auf  solche  Weise  geleiteten  Versuch 
erzielt  wurde,  mag  außer  .durch  die  unten  folgenden  Zahlen, 
durch  das  beiliegende  Bild  der  Kurve  I  veranschaulicht 
werden. 

Es  mag  hier  allgemein  bemerkt  sein,  daß  bei  sämtlichen 
der  Arbeit  beiliegenden  Kurven  die  Angaben  der  Zeit  auf  der 
Abscisse  eingetragen  wurden,  während  die  Zahlen  der  prozen- 
tualen Gewichtszunahme  an  Sauerstoff  auf  der  Ordinate  ihren 
Platz  fanden. 

Kurve  I  zeigt  uns  somit  ein  langsames,  stetiges  Ansteigen 
des  Sauerstoffgehaltes  des  Rhodiums  beim  Eihitzen  mit  ein-  und 
dei-selben  Flamme  eines  Teklubrenner,  was  auch  aus  den  er- 
haltenen Zahlen  folgt: 


—     8 


11 

10 
9 
8 
7 
6 
5 

5 
2 

1 

-« 

-^ 



^ 

/ 

^ 

/ 

r 

V 

/ 

/ 

/ 

/ 

/ 

/ 

/ 

Stunden   )^)^^1       Vh     %      Th    ^      itz    h      ^yz    h      hJz     % 

Kurve  I. 

Versuch  I.    Angewandtes  Rhodium:  0,5488  g. 


2^.^        Gewichtszunahme 

Prozentgehalt 

an  Sauerstoff 

*/,>^ 

0,0108 

1,968 

»» 

0,0292 

5,32 

» 

0,0356 

6,487 

1 

0,0434 

7,908 

• 

0,0470 

8,565 

» 

0,0506 

9,22 

n 

0,0510 

9,29 

» 

0,0519 

9,457 

►1 

0,0539 

9,82 

» 

0,0560 

10,22 

0,0566 

10,32 

)i 

0,0566 

10,32 

Eioe  Probe  des  so  erhaltenen  Produktes  wurde  aoalysiert 
und  der  obiger  Tabelle  entsprechende  Prozentgehalt  an  Rhodium 
gefunden. 

0,1124  g  Subst.  0,1018  g  Rh. 
Ber.  Rh  =  89,68^0-    Gef.:  Rh  =  90,57^0- 


—     9     — 

Bei  Versuch  n  warden  nun  die  Bedingungen  insofern  ge- 
ändert, als  der  die  abgewogene  Menge  Rhodium  enthaltende 
Porzellantiegel  zunächst  im  Trockenschranke  von  50®  G.  ab 
viertelstundenweise  um  je  10®  höher  erhitzt  wurde,  wobei  nach 
V4  stundigem  Erkalten  lassen  im  Exsikkator  jedesmal  eine  Wägung 
vorgenommen  wurde.  Hierbei  zeigte  sich,  daß,  abgesehen  von 
einer  ganz  minimalen  Gewichtszunahme  bei  100®  C,  das  Gewicht 
bis  170®  C.  konstant  blieb.  Höher  konnte  die  Temperatur  im 
Trockenschranke  nicht  mehr  gebracht  werden;  daher  wurde  der 
Tiegel,  nachdem  er  zum  Schutze  vor  den  reduzierenden  Flammen- 
gasen in  einen  größeren  gestellt  worden  war,  nunmehr  über 
der  freien  Flamme  eines  Mikrobrenner  in  viertelstündigen 
Zwischenräumen  mit  jedesmaliger  Wägung  nach  dem  Erkalten 
bis  zu  konstantem  Gewicht  erhitzt.  Dem  Mikrobrenner  folgte 
ein  gewöhnlicher  Bunsenbrenner,  der  bereits  eine  Temperatur 
von  über  360®  C.  erreichte,  während  beim  Mikrobrenner  noch 
eine  Temperatur  von  ca.  290®  C.  im  Innern  des  Tiegel  nach- 
gewiesen werden  konnte.  Der  Bunsenbrenner  wurde  alsdann 
durch  einen  Teklubrenner,  ja  später  durch  zwei  solcher  Brenner 
abgelöst,  um  zum  Schlüsse,  als  auch  hier  konstantes  Gewicht 
erreicht  war,  durch  das  Gebläse  ersetzt  zu  werden.  Die  Zeit, 
während  welcher  das  Rhodium  vor  jedesmaliger  Wägung  an 
der  Luft  geglüht  wurde,  war  inzwischen  von  einer  Viertelstunde 
auf  eine  halbe  Stunde  beim  Bunsenbrenner,  auf  eine  ganze 
Stunde  beim  Teklubrenner  erhöht  worden,  während  beim  Er- 
hitzen vor  dem  Gebläse  je  10  Minuten  für  genügend  befunden 
worden  waren.  Die  Zeit  des  Erkaltenlassens  im  Exsikkator 
wurde  dagegen  mit  einer  halben  Stunde  stets  beibehalten. 

Kurve  Ha  veranschaulicht  uns  denn  auch  sehr  deutlich  die 
Oxydation  des  Rhodiums  an  der  Luft  und  zeigt  insbesondere  sehr 
schön  durch  jedesmaliges,  stärkeres  Anwachsen  den  Beginn  des 
Erhitzens  mit  einer  neuen,  stärkeren  Wärmequelle. 

Figur  üb  zeigt  nur  die  abgekürzte  Kurve  Ha,  um  den 
zuletzt  besprochenen  Umstand  noch  deutlicher  hervortreten  zu 
lassen. 

Die  zahlenmäßigen  Belege  für  den  Versuch  II  sind  die 
folgenden : 


10     — 


c 

3 

a 

3 


-^      ^9      ch 


$      ^  j 


et)     _^ 


00 


1 

^ 

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—    11    — 


Angewandtes  Bhodium:  0,6618  g. 


Zdt 

Tempeimtar, 

zunähme 

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1   Zeit 

Temperatur 

Gewichte- 
aunahme 

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0.0348 

5,34 

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0,0348 

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10,13 

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10,25 

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11,12 

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0,0742 

11,39 

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11,46 

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11,63 

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0,0100 

1,53 

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13,07 

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„    290« 

0,0117 

1,79 

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1  Hit  2  kleinen 
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i    brennern     ) 
'       erhitzt. 

0.0854 

13,07 

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„    290« 

0,0134 

2,05 

»» 

0,0854 

13,07 

» 

„    290« 

0.0145 

2,22 

10' 

0,0933 

14,32 

»> 

„   290« 

0,0166 

2,54  1 

»» 

0,0984 

15,10 

t» 

„    290« 

0,0188 

2,88  ; 

f» 

1 

0,1048 

16,08 

»» 

„    290« 

0,0210 

3.22  1 

»» 

0,1064 

16,32 

»> 

„    290« 

0,0221 

3,39  , 

»^ 

0.1085 

16,65 

» 

„    290« 

0,0232 

3,56 

„ 

^t 

0,1093 

16,76 

>» 

„    290« 

0,0232 

3,56 

«I 

a:a 

0,1100 

16,87 

V," 

über  360« 

0,0282 

4,32 

„ 

0.1104 

16,94 

w 

„    360« 

0,0290 

4,45 

*» 

^ 

0,1104 

16,94 

J» 

^    360« 

0,0304 

4,66 

fl 

o 

> 

0.1104 

16,94 

Das  Endprodukt  wurde  der  Analyse  unterworfen: 
0,2300  g  Subst;  0,1918  g  Rh. 
Ber.:  83,06  V^  Rh.  Gef.:  83,39%  Rb. 

Um  nun  ein  Bild  zu  erhalten,  wie  viel  Sauerstoff  Rhodium 
in  einer  Sauerstoffatmosphäre  unter  Erhitzen  aufnehmen  kann, 
änderten  wir  die  Versuchsbedingungen  derart  um,  daß  wir  chemisch 
reines  Rhodium  in  ein  Porzellanschiffchen  einwogen,  letzteres 
in  eine  schwer  schmelzbare  Glasröhre  brachten  und  durch  diese 
einen  scharf  getrockneten  Sauerstoffstrom  schickten.  Die  weitere 
Behandlung  erfolgte  analog  Versuch  IL  Mit  der  kleinen  Flamme 
eines  Teklubrenners,  der  mit  einem  Schwalbenschwanzaufsatze 
von  der  Größe  des  Schiffchens  versehen  war,  wurde  das  in  der 


—     12     — 


% 
17 

16 

15 

14 

13 

12 

11 

10 

9 

8 

7 

G 

5 

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3 

1 

0 
Stunden 


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Kurve  IIb. 


Glasröhre  befindliche  Schiffchen  viertelstundenweise  erhitzt  und 
nach  halbstündigem  Erkalten  im  Exsikkator  gewogen.  Die  kleine 
Flamme  des  Teklubrenners  wurde  später  durch  die  große 
rauschende  Flamme  desselben  ersetzt.  Hierdurch  brachten  wir 
es  soweit,  daß  der  Prozentgehalt  des  Endproduktes  die  Höhe 
von  21,66  erreichte. 

Kurve  III  zeigt  wiederum  das  stete  Ansteigen  des  Prozent- 
gehaltes an  Sauerstoff.  Angewandte  Menge  Rh  =  0,5715  g. 


—     13 


21 

20 

19 

18 

17 

16 

15 

l^i 

13 

12 

11 

10 

9 

8 

7 

6 

5 

h 

2 

1 

Stunden 


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m    2    2h 


3       3>i     ^ 
Kurve  III. 


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Zeit 

Temperatur 

Gewichts- 
zuDahme 

^0 

Zeit 

Temperatur 

Gewichts- 
zuuahme 

^0 

V." 

0,0415 

7,26 

V*^ 

0,1172 

20,51 

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0,0508 

8,89 

»» 

|. 

0,1184 

20,71 

„ 

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0,0670 

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»» 

0,1192 

20,86 

»» 

S  £ 

0,0785 

13,74 

»» 

0,1206 

21,10 

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el 

0,0841 

14,72 

»» 

0)  d 

0,1212 

21,21 

»» 

^3 

0,0893 

15,63 

»» 

0,1219 

21,33 

»» 

sS 

0,0945 

16,54 

»» 

0,1224 

21,42 

»» 

0,0985 

17,24 

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'1 

0,1226 

21,45 

1» 

0,1008 

17,64 

1» 

0,1232 

21,56 

»» 

0,1008 

17,64 

»» 

gH 

0,1235 

21,61 

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Oro8«e       [ 

0,1071 

18,74 

S  S 

0,1238 

21,66 

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raufcfaende    1 

0,1108 

19,17 

J^ 

0,1238 

21,66 

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Flamme  des  { 
Tekla-       1 

0,1136 

19,87 

„ 

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0,1238 

21,66 

»♦ 

brennen.     ( 

0,1148 

20,09 

11 

0,1238 

21,66 

Analyse  des  Endproduktes: 

0,2121g  Subst.  0,1666  g  Kh. 
Ber.:  78,34^0  Rh.  Gef.:  78,50  7o  ßt- 
Zur  Darstellung  des  Rhodiumdioxydhydrates,   das   in   der 
Besprechung  nun  folgen  soll,  schlugen  wir  den  folgenden  Weg  ein: 


—     14     — 

In  Wasser  lösliches  Rhodiumchlorid,  das  durch  Auflösen 
von  sorgfältigst  ausgewaschenen  Rhodiumsesquioxydhydrat  in 
Salzsäure  erhalten  worden  war,  wurde  mit  starker  Kalilauge  im 
Überschuß  versetzt,  so  daß  der  sich  bildende  gelbe  Niederschlag 
von  Rhodiumhydroxyd  sofort  wieder  gelöst  wurde.  In  die  so 
entstandene  klare,  gelbrote  Flüssigkeit  wurde  nun  Chlor  unter 
den  verschiedensten  Versuchsbedingungen  eingeleitet.  Bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  fiel  nach  einiger  Zeit  ein  schwarzbrauner 
Niederschlag  aus,  der  sich  bei  längerem  Einleiten  von  Chlor 
unter  Abscheidung  von  Chlorkalium,  bei  gleichzeitig  starker  Er- 
wärmung der  ganzen  Flfissigkeitsmenge  und  rapider  Sauerstoff- 
entwickelung, allmählich  in  einen  grünen,  kristallinischen  Körper 
umwandelte.  Die  Sauerstoffentwickelung  war  derartig  heftig, 
daß  Sauerstoff  in  dem  Kolben  leicht  durch  Entzünden  eines 
glimmenden  Spahn  nachgewiesen  werden  konnte.  Die  Entwicke- 
lung  dauerte  so  lange  fort  als  Chlor  eingeleitet  wurde.  Schließlich 
resultierte  neben  dem  mit  Chlorkalium  gemischtem,  grünem 
Rhodiumdioxydhydrat  eine  klare,  farblose  Flüssigkeit. 

Wurde  dagegen  das  Chlor  in  der  Wärme  in  obige  Lösung 
eingeleitet,  so  fiel  der  zuerst  erwähnte  schwarzbraune  Nieder- 
schlag momentan  aus  und  verwandelte  sich  unter  den  gleichen 
Erscheinungen,  wie  oben,  in  das  gewünschte  Rhodiumdioxyd- 
hydrat. Die  Farbe,  der  über  dem  letztgenannten  Körper  stehenden 
Flüssigkeit,  war  diesmal  eine  schwach  grüne,  nicht  wie  oben, 
farblos,  und  verwandelte  sich  nach  längerem  Stehen  in  eine 
prachtvolle,  tiefblaue,  um  jedoch  nach  einigen  Tagen  wieder 
vollständig  farblos  zu  werden.  Jene  tiefblaue  Färbung  soll  nach 
Claus  „rhodiumsaures  Kali'*  enthalten,  allein  es  gelang  uns  nicht 
dasselbe  zu  isolieren. 

Zum  Schlüsse  wurde  Chlor  in  der  Kälte  eingeleitet  und  die 
Beobachtung  gemacht,  daß  der  zuerst  entstehende  schwarzbraune 
Niederschlag  erst  nach  geraumer  Zeit  ausfiel,  die  Sauers toff- 
entwickelung,  wenn  auch  unverkennbar,  doch  sehr  langsam 
war  und  trotz  stundenlangem  Einleiten  von  Chlor  nur  eine 
sehr  geringe  Ausbeute  von  grünem  Rhodiumdioxydhydrat  neben 
vielem  Chlorkalium  erzielt  wurde,  während  die  überstehende 
Lösung  eine  blaugrüne  Färbung  behielt,  die  sich  nach  einigen 
Tagen  in  jenes  auch  beim  2.  Versuche  erhaltene  prachtvolle 
tiefe  Blau  verwandelte,  um  bald  darauf  zu  verschwinden. 


—     15     — 

Das  so  anter  den  verschiedensten  Bedingungen  gewonnene 
grüne  Bhodiamdioxydbydrat  wurde  von  der  überstehenden  Lösung 
getrennt,  bis  zum  Verschwinden  der  Phenolphtalein-  und  Ghlor- 
reaktion  mit  reinem  Wasser  ausgewaschen,  an  der  Luft  getrocknet 
und  das  Rhodium  quantitativ  bestimmt. 

0,1122g  Subst,  0,0695g  Rh;  0,1040g  Subst,  0,0627g  Rh; 
0,1047  g  Subst,  0,0625  g  Rh. 

RhaOj.RhOj  +  eHjO  Ber.:  60,26«/oRh.  Gef.:  61,94 «/o  Rh; 
60,29^0  Rh.  59,707o  Rh. 

Die  Tatsache  femer,  daß  das  Rhodiumdioxydhydrat  mit 
Salzsäure,  wie  ein  Peroxyd,  Chlor  entwickelt,  wurde  dazu  be- 
nützt, mit  der  Substanz  einige  Analysen  zur  Bestimmung  des 
Gehaltes  an  aktivem  Sauerstoff  ansznflihren.  Unter  Zuhilfenahme 
des  Bun  senschen  Apparates  warder  Gang  der  Analysen  derart, 
daß  das  aus  der  Salzsäure  durch  Rh^Oj  -RhO,  +  6H,0  entwickelte 
Chlor  in  Jodkaliumlösnng  eingeleitet  und  die  hierbei  aus- 
geschiedene äquivalente  Menge  Jod  mit  ^^  Natriumthiosulfat- 
lösung  zurücktitriert  wurde. 

0,2634  g  Subst.  8,2  ccm  ^  NaÄO,. 

0,2582  g  Subst.  8,65  ccm  ^  Na^SjO,. 

0,0922  g  Subst.  2,8  ccm  ^  Na^S^Oj. 

Berechnet:  4,67%;  Gef.:  4,97«;  5,3%;  iß^j,. 
Um  die  Einwirkung  des  Hydrazins  auf  Rhodiumsalzlösungen 
zn  studieren,  wurde  eine  solche  Lösung  mit  Hydrazin  und 
alsdann  mit  Natronlauge  bis  zur  alkalischen  Reaktion  ver- 
setzt. Der  sich  intermediär  bildende  gelbe  Niederschlag  wurde 
durch  Hydrazin  sofort  reduziert  und  als  schwarze  amorphe 
Flocken,  die  sich  beim  Erwärmen  leicht  zusammenballen,  das 
Rhodium  gefällt.  Auch  die  umgekehrte  Anordnung  des  Ver- 
suches, zuerst  Natronlauge  und  dann  Hydrazin,  zeigte  das  näm- 
liche Resultat  bei  Überschuß  der  ersteren.  Der  so  erhaltene 
Niederschlag  wurde  auf  das  sorgfältigste  mit  reinem  Wasser 
gewaschen,  erwies  sich  jedoch  bei  der  Analyse  nicht  als  reines 
Rhodium,  sondern  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  als  ein  Gemenge 
verschiedener  Oxyde. 


—     16     — 

Das  gleiche  Resultat  ergab  sich  bei  der  Redaktion  von 
Rhodinmsalzlösungen  mit  ameisensanrem  Natrinm.  Der  eben- 
falls in  schwarzen  Flocken  ausgefallene  Niederschlag  konnte, 
nachdem  er  vollständig  lufttrocken  war,  bereits  beim  Erhitzen 
im  Kohlensäurestrom  unter  Gewichtsverlust  zu  reinem  Bhodinm 
umgewandelt  werden. 

Reihe  I  der  folgenden  Werte  sind  die  Analysen  durch 
Hydrazin  gefällten  Produkte,  Reihe  II  dagegen  des  durch 
ameisensaures  Natrium  gefällten  Rhodiummohrs: 

L  0,1667 gSubst.  0,1551g  Rh;  0,4234 g  Subst.  0,3946g  Rh. 
Gef.:  93,04^0  Rh-  93,20  ^/o  Rh. 

0,1016  g  Subst.  0,0948  g  Rh  Gef.  93,31  <»/o  Rh. 

IL  0,1005  g  Subst.  0,0926  g  Rh.    Gef.:  92,14 ^^  Rh- 
0,1035  g  Subst.  0,0941g  Rh.    Gef:  90;927o  Rh. 

Nur  im  CO^strome  erhitzt,  im  H-Strome  konstant. 
0,0507g  Subst.  0,0499g  Rh.     Gef.:  98,42^0  Rh- 
0,0885  g  Subst.  0,0855  g  Rh.    Gef.:  %,61%  Rh. 
0,1013  g  Subst.  0,0979  g  Rh.    Gef.:  96,64«/^  Rh. 
0,0861g  Subst.  0,0848g  Rh.    Gef.:  98,49%  Rh. 


II.  Chloride  des  Rhodiums  und  Chlorosalze. 
Theoretischer  TeiK 

Von  den  bisher  bekannten  Chloriden  des  Rhodiums  erregte 
zunächst  das  von  Claus*)  durch  Glühen  von  fein  verteiltem 
Rhodium  im  Chlorstrome  erhaltene  RhClj  unsere  Aufmerksam- 
keit. Dasselbe  konnten  wir  in  den  beiden  bisher  bekannten 
Modifikationen  darstellen.  Das  wasserfreie,  gegen  Säuren  be- 
ständige Rhodiumchlorid  erhielten  wir  auf  oben  angegebene 
Weise,  während  das  wasserhaltige,  in  Wasser  und  Säuren  leicht 
lösliche  Salz  durch  Auflösen  von  alkalifreiem  Rhodiumhydroxyd 
in  Salzsäure  erhalten  wurde.  Im  ersteren  Falle  war  es  von 
Interesse,  die  Aufnahme  von  Chlor  durch  Rhodium  genauer  zu 
verfolgen;  wir  erreichten  dies  dadui'ch,  daß  wir,  wie  bei  der 
Aufnahme  von  Sauerstoff  durch  Rhodium,  die  Gewichtszunahme 
an  Chlor  beim  Erhitzen  von  chemisch  reinem,  fein  verteiltem 
Rhodium  im  Chlorstrome  in  gleichmäßigen  Intervallen  feststellten. 


—     17     — 

Auf  diese  Weise  gelangten  wir  tatsächlich  za  dem  von  Clans 
beschriebeneD  Produkte,  das  sich  bei  endgültiger  Gewichts- 
koustanz  als  rosenrotes  Palver  dem  Blicke  zeigte.  Die  Analyse 
des  Endproduktes  entsprach  der  Formel  EhClj.  Diese  Be- 
obachtung war  von  um  so  größerem  Interesse  als  A.  Outbier 
und  C.  Trenkner  beim  Erhitzen  von  Ruthenium  im  Chlor- 
strome die  Beobachtung  gemacht  hatten,  daß  eine  chemische 
Verbindung  von  der  Formel  RuCIa  nicht  erhalten  werden  kann, 
vielmehr,  wenn  überhaupt  die  Bildung  von  Rutheniumchlorfir 
erfolgt,  ein  umkehrbarer  Prozeß 

Ru  +  Clj;!:RuCl2 

stattfindet.  Im  Gegensatze  hierzu  konnte  beim  Rhodium  in  zwei 
übereinstimmenden  Versuchen  durch  die  Analyse  des  Endproduktes 
festgestellt  werden,  daß  die  wohldefinierte  Verbindung  RhClj 
durch  Erhitzen  von  Rhodium  im  Chlorstrome  erhalten  werden  kann. 
Anschließend  an  die  Untersuchungen  über  vorstehende 
Chloride  beschäftigten  wir  uns  mit  dem  Studium  der  Chloro- 
salze  und  konnten  außer  der  Bestätigung  der  schon  bekannten 
Salze  des  Kaliums,  Natriums  und  Ammoniums  neu  die  Dar- 
stellung der  Salze  des  Rubidiums  und  Cäsiums  hinzufügen. 
Während  die  Lösungen  sämtlicher  bisher  bekannter  Salze 
des  Rhodiumchlorids,  wie  die  Salze  selbst,  prachtvolle  rote  Färbung 
zeigten,  erhielten  wir  die  Salze  des  Rubidiums  und  Cäsiums 
zu  unserem  größten  Erstaunen  als  prächtig  rosa  gefärbte, 
in  Wasser  schwer  lösliche  Körper,  deren  Lösungen  gleich  wohl 
die  sonst  bekannte  rote  Farbe  der  Rhodiumsalzlösungen  zeigten. 
Auch  die  Darstellungsweise  wich  von  der  bisherigen  dadurch 
ab,  daß  wir  die  beiden  Salze  nicht  durch  Mischen  der  Alkali- 
chloride mit  Rhodium  unter  Überleiten  von  Chlor  erhielten, 
sondern  durch  Fällung  von  Natriumhexachlororhodiat  mit  Rubi- 
dium- bezw.  Cäsiumchlorid  darstellen  mußten.  Bei  der  Dar- 
stellung des  löslichen  Rhodiumchlorids  trat  der  Gedanke  nahe, 
die  Salze  nicht  wie  bisher  durch  Mischen  des  Alkalicblorids 
mit  fein  gepulvertem  Rhodium  unter  Erhitzen  im  Chlor- 
strom darzustellen,  sondern  einfach  die  beiden  Komponenten, 
Rhodiumchlorid  und  Alkalichlorid,  in  wässeriger  Lösung  zu- 
sammenzukuppeln.  Einige  Vorversuche  dieser  Art  im  Reagens- 
glase mißlangen  zwar,  als  wir  jedoch  von  molekularen  Mengen 

Sitznngaberichte  der  med.-phys.  Soz.  39  (1907).  2 


—     18     — 

beider  Körper  ausgingen,  zeigte  es  sich,  daß  diese  neue  Dar- 
stellungsweise der  Chloride  von  Erfolg  begleitet  war.  So  war 
es  uns  denn  geglückt,  beim  Studium  der  Chloride  außer  dem 
Nachweis  des  Bestehens  der  unlöslichen  Modifikation  des  Rhodium- 
chlorids und  der  obengenannten  Chlorosalze  zwei  neue  Salze 
aufzufinden  und  eine  neue  Darstellungsweise  der  ganzen  Reihe 
anzugeben.  Die  Erfahrungen,  die  wir  bei  den  einzelnen  Ver- 
suchen machten,  mögen  im  folgenden  experimentellen  Teil  Er- 
wähnung finden. 


Experimenteller  Teil. 

Da  wir  zur  Darstellung  des  unlöslichen  Rhodiumchlorids 
den  gleichen  Apparat  benutzten,  den  wir  stets  zum  Aufschließen 
des  Rhodiums  durch  Mengen  mit  Natriumchlorid  und  Überleiten 
von  Chlor  unter  starkem  Erhitzen  wie  auch  zur  Darstellung  der 
Salze  nötig  hatten,  so  mag  an  dieser  Stelle  die  Beschrei- 
bung des  nebenstehend  abgebildeten  Apparates  (Fig.  1)  Platz 
finden  und  in  späteren  Stellen  der  Arbeit  hieher  verwiesen 
werden. 


S3  /^ 


Im  Kipp  sehen  Apparate  K  wurde  Chlor  aus  Chlorkalk  und 
Salzsäure  entwickelt  und  durch  eine  Waschfiasche,  die  mit 
konzentrierter  Schwefelsäure  beschickt  war,  geleitet.    Weiter- 


—     19    — 

hin  passierte  das  Oas  das  EClbchen  k,  das  dnrch  einen  vor- 
znglich  schließenden  Glasschliff  g^  mit  dem  Apparate  verbanden 
war.  In  demselben  befand  sich,  falls  Chlor  darchgeleitet  warde, 
nochmals  konzentrierte  Schwefelsäure;  sollte  dagegen  in  einer 
Atmosphäre  von  gasförmigem  Brom  gearbeitet  werden,  so 
wurde  das  Eölbcben  mit  Brom  beschickt,  das  von  der  in 
diesem  Falle  aus  Marmor  und  Salzsäure  im  Kipp  sehen  Appa- 
rate entwickelten  Kohlensäure,  die  durch  die  in  der  Wasch- 
flasche w  befindliche  konzentrierte  Schwefelsäure  getrocknet 
wurde,  in  gasförmigem  Zustande  mitgerissen  wurde.  An  das 
Eölbchen  k  schloß  sich  schließlich  ein  schwer  schmelzbares 
Bohr  an,  das  an  seinen  beiden  Enden  ebenfalls  mit  Glasschliff 
ga  und  gg  versehen  war  und  auf  diese  Weise  luftdicht  mit  dem 
Apparate  verbunden  werden  konnte.  Das  Rohr  endete  schließ- 
lich in  einer  Waschflasche,  deren  seitliche  Öffnung  durch  einen 
Gummischlauch  mit  dem  Freien  in  Verbindung  gebracht  werden 
konnte,  um  die  Verbreitung  des  unangenehmen  Geruchs  der 
Halogene  im  Arbeitsraume  möglichst  zu  vermeiden.  Durch 
die  Röhre  R,  in  der  sich  das  Schiffchen  mit  der  Substanz  be- 
fand, konnte  nun  nach  Belieben  Chlor  oder  Brom  geleitet  werden 
und  auf  diese  Weise  die  im  Schiffchen  befindliche  Substanz  im 
Chlor-  oder  Bromstrome  auf  das  heftigste  erhitzt  werden. 

Zur  Darstellung  des  in  Wasser  unlöslichen  Chlorids  wurde 
nun  derart'  vorgegangen,  daß  die  Röhre  R,  in  der  sich  das 
Schiffchen  mit  der  abgewogenen  Menge  chemisch^reinem  Rhodium 
befand,  in  einem  Sandbade  von  50^  ab  unter  Überleiten  von 
Chlor  erhitzt  wurde.  Die  Dauer  des  Versuches  wurde  auf  eine 
Stunde  festgesetzt  und  dann  das  in  der  Röhre  befindliche  Chlor 
durch  getrocknete  Kohlensäure  vertrieben,  das  Schiffchen  mit 
der  Substanz  aus  der  Röhre  genommen,  im  Exsikkator  erkalten 
gelassen  und  nach  einer  halben  Stunde  zur  Wägung  gebracht. 
Diese  Operation  wurde  alsdann  bei  einer  um  10^  C.  erhöhten 
Temperatur  wiederholt.  Ein  Versuch  reihte  sich  an  den  anderen, 
doch  konnte  keine  Gewichtzunahme  am  Schiffchen  d.  h.  keine 
Chloraufnahme  durch  Rhodium  konstatiert  werden  bis  zu  einer 
Temperaturhöhe  von  240—250®.  Auf  eine  höhere  Temperatur 
konnte  das  Sandbad  nicht  mehr  gebracht  werden ;  das  Schiffchen 
wurde  in  der  Röhre  nunmehr  über  der  freien  Flamme  eines  mit 
Schwalbenschwanzaufsatze  versehenen  Teklubrenners  erhitzt.  Bei 

2* 


—    20     — 

der  erhöhten  Temperatur  fand  schon  nach  dem  ersten  Versuch  eine 
Aufnahme  von  Chlor  durch  Rhodium  statt  und  wurde  die  Ope- 
ration nun  halbstündig  in  gleicher  Weise,  wie  oben  beschrieben, 
fortgesetzt,  bis  dreimal  aufeinanderfolgend  konstantes  Gewicht 
erreicht  war. 

Kurve  IV   zeigt,   in   gleicher  Weise  wie  beim  Oxyd,   die 
stetig  steigende  Aufnahme  von  Chlor  durch  Rhodiom  in  deutlichem 


c 

3 

a 

3 


gSääSßgSS%SS£±££i:  £S 


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1 

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1 

V 

\ 

\ 

\ 

1 

1 

—     21     — 


Bilde,    während   die  folgenden  Zahlenwerte  dasselbe  erkennen 

lassen. 

Angewandte  Menge:  0,1768  g.  Bh. 


Zeit 

Gewichts- 
zunahme 

^CJ. 

1  Zeit 

Qe  Wichts- 
zunähme 

•/oCl. 

Zeit 

Gewichts- 
zunahme 

^Cl. 

'/," 

0,0740 

29,69 

'1," 

,    0,1502 

46,14 

V,»» 

0,1663 

48,68 

» 

0,0859 

32,89 

?> 

0,1512 

46,31 

ii 

0,1678 

48,91 

if 

0,0990 

36,09 

»1 

0,1522 

46,47 

yy 

0,1691 

49,10 

97 

0,1104 

38,64 

fi 

0,1530 

46,60 

Ii 

0,1704 

49,29 

ij 

0,1148 

39,57 

M 

0,1540 

46,77 

ii 

0,1719 

49,51 

n 

0,1178 

40,19 

t) 

0,1556 

47,02 

0,1733  . 

49,71 

»» 

0,1217 

40,98 

fi 

0,1575 

47,33 

ii 

0,1744 

49,87 

»» 

0,1302 

42,62 

» 

0,1601 

47,73 

tf 

0,1755 

50,03 

n 

0,1351 

43,53 

ii 

0,1614 

47,94 

t> 

0,1760 

50,10 

t> 

0,1412 

44,61 

>i 

0,1632 

4^21 

»> 

0,1760 

50,10 

9f 

0,1432 

44,96 

ii 

0.1637 

48,29  J 

f» 

0,1760 

50,10 

>J 

0,1481 

45,79 

ii 

0,1649 

48,46 

»1 

Die  Analyse  des  Endproduktes  ergab: 

0,0852  g  Sbst.  0,0423  g  Rh;  0,1729  g  AgCl. 

RhCla  ber.:  49,2%  Rh  50,8«/o  Cl;  nach  Tabelle:  49,9%  Rh 
50,1%  Gl. 

Gef.:  49,65%  Rh;  50,187o  d- 

Wir  ließen  diesem  Versuche  einen  zweiten  folgen  und  konnten 
dasselbe  Resultat  verzeichnen.  Da  im  Sandbade  wieder  keine 
Aufnahme  von  Chlor  durch  Rhodium  erreicht  werden  konnte, 
wurde  das  in  der  Röhre  befindliche  Schiffchen  über  der  freien 
Flamme  des  Teklubrenners  erhitzt.  Bei  diesem  Versuche  konnte 
eine  raschere  Aufnahme  des  Chlors  vom  Rhodium  konstatiert 
werden.  Dies  gab  sich  einerseits  an  der  kürzeren  Dauer  des 
Versuchs,  andererseits  auch  an  den  rasch  höher  wachsenden 
Prozentzahlen  zu  erkennen.  Kurve  V  wie  die  folgenden  Zahlen 
werte  legen  auch  hiervon  Zeugnis  ab. 


Angewandte  Menge:  0,6096  g 

Bhodiura. 

Zeit 

Gewichte- 
zunähme 

•/o  Cl. 

Zeit 

Gewichts- 
zanahme 

^/o  Cl. 

„  ..     Gewichts- 
^^'^     zunähme 

'/o  CL 

n 
1» 

0,3076 
0,4544 
0,4760 
0,4825 
0,4874 

37,64 
47,14 
48,29 
48,64 
48,89 
1 

0,4916 
0,4956 
0,4978 
0,5045 
0,5090 

49,11 
49,30 
49,42 
49,75 
49,97 

11 

0,5099 
0,5099 
0.5099 
0,5099 

50,02 
50,02 
50,02 
50,02 

—     22 


<¥o 

I 

1 

50 

„..-^ 

19 

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43 

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41 

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39 

38 
37 

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l 

Stunden 

Ä 

1 

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2 

2>ö 

3 

3^ 

<^ 

'^h 

5 

5Ä 

6 

6>2 

7 

Kurve  V. 

Das  Produkt,  analysiert,  zeigte  folgende  Werte: 
0,1078  g  Sbst.  0,0535  g  Rh  0,2196  g  AgCl. 
RhClg  ber.:  4:9,2^1,  Rh  50,8«/o  Cl;  nach  Tabelle  49,987o  Rh; 
50,02«/o  Cl. 

Gef.:  49,63^0  Rh;  50,37%  Cl. 


Chlorosalze  des  Rhodiums. 
I.  Darstellungsweise. 

1.  [RhClJK^  +  H^O 
entsteht  durch  Erhitzen  eines  Gemenges  von  chemisch  reinem 
Rhodium  und  fein  pulverisiertem  Chlorkalium  unter  Überleiten 
von  Chlor  in  dem  eingangs  beschriebenen  Apparat  (Fig.  1). 
Nach  einiger  Zeit  beginnt  die  Masse  dunkler  zu  werden,  bis 
sie  schließlich  zu  einer  dunklen,  schweren  Flüssigkeit  zusammen- 


—     23     — 

schmilzt.  Beim  Erkalten  wurde  die  Masse  dankelrot  nnd  zeigte, 
im  Achatmörser  zerrieben  und  fein  pulverisiert,  eine  prächtige, 
hellrote  Farbe.  Ein  Überschuß  von  Chlorkalium  sowie  starke 
Hitze  sind  Faktoren,  die  den  Vorgang  beschleunigen.  Ist  nach 
der  ersten  halben  Stunde  das  Gemenge  noch  nicht  wasserlös- 
lich, was  zumeist  der  Fall  ist,  so  ist  es  von  Vorteil,  dasselbe 
aus  dem  Schiffchen  zu  nehmen,  im  Achatmörser  fein  zu  zer- 
reiben, allenfalls  nochmals  Chlorkalium  zuzugeben  und  die  oben 
geschilderte  Prozedur  des  Überleitens  von  Chlor  unter  starkem 
Erhitzen  zu  wiederholen.  Dies  Verfahren  wird  nun  so  lange 
fortgesetzt,  bis  bei  dem  Auflösungsprozesse  im  Wasser  nur  ge- 
ringe Spuren  ungelöst  zurückbleiben.  Die  durch  Filtration  von 
ungelöstem  Rhodium  befreite  dunkelrote  Lösung  wird  auf  dem 
Wasserbade  bis  fast  zur  Trockene  eingeengt  und  der  entstehende 
Körper  mehrere  Male  aus  reinem  Wasser  und  einigen  Tropfen 
Salzsäure  umkristallisiert.  Der  Körper  wurde  in  stark  glänzenden, 
dunkelroten  Blättchen  erhalten. 

1.  0,3735  g  Sbst.  0,0976  g  Rh  0,6832  g  AgCl. 

2.  0,1257  g  Sbst.  0,0285  g  Rh  (Best,  mittels  Ameisensäure). 

3.  0,2288  g  Sbst.  0,0595  g  Rh  0,4137  g  AgCl. 

4.  0,2358  g  Sbst.  0,0634  g  Rh  0,4445  g  AgCl. 

Ber.:  27,350/0  Rh;  47,07 ^^/^Cl;  Gef.:  1.  26,13o/o  Rh;45,23«/o 
Cl;  2.  22,670/0  Rb;  3.  26,01  Vo  Rh;  44,71  «/^  Cl;  4.  26,89 «/^  Rh; 
46,6P/o  Cl. 

Der  Körper  wurde  von  neuem  auf  die  gleiche  Art,  wie  oben 
beschrieben,  dargestellt  und  hiebei  die  Beobachtung  gemacht, 
daß  erst  nach  mehrmaliger  Umkristallisation  ein  einheitliches 
Produkt  erzielt  wurde.  Ich  hatte  aus  den  Mutterlaugen  drei  Pro- 
dukte erhalten,  die  alle  erst  nach  nochmaliger  Umkristallisation 
die  nötige  Reinheit  zeigten. 

1.  Produkt: 

1. 0,1558  g  Sbst.  0,0424  g  Rh  0,2613  g  AgCl.  Gef. :  27,28  «/o  Rh ; 
41,*7^/o  Gl. 

2.  0,1023g  Sbst. 0,0279g  Rh 0,1902g  AgCl. Gef.:  27,27«/oRh; 

45,970/0  Cl. 

3. 0,1191g  Sbst.  0,0315g Rh 0,2189g  AgCl. Gef.:  26,65o/oRh; 
46,45«/o  Cl. 


—     24     — 

Umkristallisiert.: 

4. 0,1116  g  Sbst. 0,0299g  Kh0,2107g  AgCl.  Gef. :  26,80 Voßh ; 
46,68»/o  CI. 

n.  Produkt: 

1.  0,1087g  Sbst.  0,0290g  Eh 0,2005 gAgCl. Gef.:  26,67«/, Rh; 
45,61  »/„Cl. 

Umkristallisiert.: 

2.  0,1083  g  Sbst.  0,2065  g  AgCl.  Gef.:  47,21  •/,  Cl. 

3.  0,1055gSb8t. 0,0285g  Rh 0,2000g AgCl.  Gef.:  27,02">/oRh; 
46,88«/o  Cl. 

in.  Produkt: 

1.  0,1057  g  Sbst.  0,0288  Rh  0,1760  g  Ag  CI.  Gef. :  27,25«/o  Rh 

41,17  7o  Cl. 

2. 0,1035g  Sbst.  0,0279g  Rh  0,1915  g  Ag  Cl.  Gef.:  26,96%Rh 
45,75-/o  Cl. 

umkristallisiert: 

4.  0,0701  g  Sbst.  0,0183  g  Rh  0,1324  g  Ag  Cl.  Gef.: 
26,96«/o  Rh  46,70«/o  Cl.  Ber.:  27,35«/,  Rh;  47,07«/,  Cl. 

Eine  Wasserbestimmung,  die  ausgeführt  wurde,  sprach  der 
Formel: 

[RhClj]  Kj  +  HjO  das  Wort: 

0,1962  g  Sbst.  0,0092  g  Verlust  HjO.  Gef.:    4,69«/,  HjO. 

Ber.:    4,78«/,  H,0. 

2.  [RhCl,lNa,  +  12H,0. 

Die  Darstellung  erfolgte  auf  gleichem  Wege  wie  bei  1. 
Beim  Überleiten  von  Chlor  über  ein  Gemenge  von  innig  zer- 
riebenem Rhodium  und  Chlornatrium  unter  gleichzeitigem, 
starkem  Erhitzen  schmilzt  die  Masse  allmählich  und  erstarrt 
beim  Erkalten  zu  einem  Kuchen.  Im  Achatmörser  zerrieben, 
erhielten  wir  ein  rosa  gefärbtes  Pulver,  das  sich  mit  prachtvoll 
himbeerroter  Farbe  in  Wasser  löste.  Die  filtrierte  Lösung  wurde 
auf  dem  Wasserbade  eingedampft  und  aus  möglichst  wenig  Wasser 
und  einigen  Tropfen  HCl  durch  Alkohol  gefällt.  Das  erhaltene 
Salz  wurde  alsdann  lufttrocken  analysiert.  Hiebei  ergaben  sich 
Werte,  die  unbedingt  einem  Kristallwassergehalt  von  12HjO 
das  Wort  sprechen.    Diese  Anzahl  MolekQle  H^O  hatte  schon 


—     25    — 

Clans^)  dem  Salze  zngesprocben,  während  Berzelias')  und 
Leidi6^)  nur  9  Moleküle  Kristall wasser  gefanden  hatten. 
Wir  müssen  uns  in  diesem  Falle  an  den  von  Claus  gefundenen 
Wert  halten. 

1.  0,1071  g  Sbst  0,0180  g  Rh  0,1680  g  AgCl. 

2.  0,0756  g  Sbst.  0,0134  g  Rh  0,1116  g  AgCl. 

3.  0,0510  g  Sbst.  0,0084  g  Rh  0,0741  g  AgCl. 
Ber.:17,147oRh;  35,39<>/oCL  Gef.:  1. 16,8Vo  Rh  38,79TC1 

2.  17,72^0  ßh;  36,83o/o  Cl  3.  16,47«/o  Rh  35,937<>  Cl. 

3.  [RhCy(NH,),  +  l,5H,0. 

In  eine  Lösung  von  [RhClj]  K^  -j-  HjO  wurde  gasförmige 
Salzsäure,  die  durch  Eintropfen  von  konzentrierter  Schwefel- 
säure in  konzentrierte  Chlorwasserstoflfsäure  dargestellt  wurde, 
so  lange  eingeleitet,  bis  der  größte  Teil  des  Chlorkaliums  ausge- 
fällt war.  Die  Lösung  wurde  durch  Glaswolle  filtriert  und  nun 
mit  einer  konzentrierten  Lösung  von  Ammoniumchlorid  versetzt. 
Nach  längerem  Stehen  fiel  das  Ammoniumhexachlororhodiat  in 
dunkelroten  Kristallen  aus.  Dasselbe  wurde  abfiltriert,  mit 
reinem  Wasser  gewaschen  und  der  Analyse  unterworfen. 

0,0955  g  Sbst.  0,0242  g  Rh  9,2080  g  AgCl. 
0,1163  g  Sbst.  0,0277  g  Rh  0,2526  g  AgCl. 
Ber.:  25,9«/oRh;  53,62^0  Cl ;  Gef. :  25,37o/oRh;  53,85«/oCl; 
23,82«/o  Rh;  53,71«/o  Cl. 

4.  [RhCyCSa  +  H^O. 

Die  konzentrierte  Lösung  des  Kaliumpentachlororhodiats 
wurde  mit  einer  konzentrierten  Lösung  von  Cäsiumchlorid  ver- 
setzt. Das  Caesiumpentachlororhodiat  fiel  als  prächtig  rosa  ge- 
färbter, schleimiger  Niederschlag  aus.  Derselbe  ließ  sich  ziem- 
lich gut  filtrieren  und  wurde  mit  kaltem  Wasser  gründlichst 
ausgewaschen,  obwohl  hiebei  ein  großer  Teil  des  Niederschlags 
durch  das  Filter  ging.  Der  Rest  wurde  an  der  Luft  getrocknet 
und  der  Analyse  unterworfen: 

0,0938g  Sbst.  0,0172  g  Rh;  0,1175g  AgCl. 

0,0749  g  Sbst.  0,0137  g  Rh;  0,0936  g  AgCl. 


'j  Fehling,  Bd.  5,  1241. 
«)  Ann.  Phys.,  Bd.  13,  437. 
>)  Fehling,  Bd.  5,  1241. 


—     26    — 

0,0930g  Sbst.  0,0170  g  Rh;  01167  g  AgCl. 
Ber.:  18,55«/o  Rh;  31,43o/o  Cl;  Gef.:  l8,34«/o  Rh;  SO,WU  Cl 
18,29«/o  Rh;  30,91^  Cl;  18,25Vo  Rh;  31,02<>/o  Cl. 

Kristallwassergehalt : 

0,1168g  Sbst.  0,0037  g  Verlust  H^O.  Ber.:    3,197o.  Gef: 
3470/0  H,0. 

5.  [RhCyRba  +  H^O 
wurde  analog  dem  Caesiumpentachlororhodiat  erhalteu.  Der  beim 
Versetzen  des  Kaliumpentachlororhodiats  mit  Rubidiumchlorid 
ausfallende  krapprote  Niederschlag  des  obigen  Körpers  ließ  sich 
nur  schwer  filtrieren,  da  er  stark  durch  das  Filter  ging.  Trotz- 
dem wurde  derselbe  mit  H^O  gründlichst  nachgewaschen,  an 
der  Luft  getrocknet  und  der  Analyse  unterworfen. 

0,0934  g  Sbst.  0,0207  g  Rh  0,1420  g  AgCl. 

0,0881  g  Sbst.  0,0196  g  Rh. 

0,0913  g  Sbst.  0,0200  g  Rh  0,1403  g  AgCl. 

Ber.:  21,95«/oRh;  37,71o/o  Cl.  Gef:  22,160/^  Rh;  37,59%  Cl; 
22,24«/,  Rh;  21,91XRb  37,99<>/o  Cl. 

Kristall  Wasserbestimmung : 

0,1026  g  Sbst.   0,0036  g  Verlust  H^O.  Ber.:    3,84^^/,  H^O 
Gef.:  3,510/, 


0* 


II.  Darstellungsweise. 

Wie  im  theoretischen  Teil  schon  erwähnt,  konnten  wir 
sämtliche  Salze  der  eben  geschilderten  Reihe  noch  dadurch 
darstellen,  daß  wir  die  Lösungen  der  Komponenten,  Rhodium- 
chlorid und  Alkalichlorid,  in  molekularen  Mengen  zusammen- 
brachten. Die  einzelnen  Glieder  dieser  Reihe  mögen,  nun  hier 
ihre  Besprechung  finden. 

1.  [RhCyK,  +  H,0. 

2  g  Rhodiumchlorid  wurden  genau  abgewogen,  in  Wasser 
und  einigen  Tropfen  Salzsäure  gelöst,  und  mit  der  für  4  Moleküle 
berechneten  Menge  Kaliumclilorid  zusammengebracht.  Als  nach 
längerem  Stehen  keine  Ausscheidung  erfolgte,  wurde  die  Lösung 
auf  dem  Wasserbade  bis  zur  beginnenden  Kristallisation  ein- 
geengt. Der  so  erhaltene  Körper  zeigte  gleiche  Farbe  und 
gleiches  Aussehen  wie  der  nach  I.  dargestellte.  Die  Analyseresul- 
tate waren  folgende: 


—    27    — 

0,1069  g  Sbst.  0,0388  g  Rh;  0,2051g  AgCl. 
0,1149  g  Sbst.  0,0315  g  Rh'  0,2178  g  AgCl. 
Ber. :  27,35V„  Rh;  47,07'>/o  Cl.  Get.:  26,94Vo  Rh;  47,44«/, Cl 
27,42»/o  Rh;  46,87»/,  Cl. 

2.  [RhCyNa,  +  12HjO. 

2,00  g  Rhodiumchlorid,  in  Wasser  gelöst,  wurden  mit  1,12  g 
gelöstem  Natrinmchlorid  gemengt,  nach  längerem  Stehen  auf 
dem  Wasserbade  bis  fast  znr  Trockene  eingeengt  und  aus  der 
konzentrierten  Lösang  der  Körper  mit  Alkohol  gefällt.  Farbe 
und  Aussehen  stimmten  mit  dem  frtlheren  über  ein. 

0,1224  g  Sbst.  0,0207  g  Rh;  0,1749  g  AgCl. 

0,1408  g  Sbst.  0,0244  g  Rh;  0,2020  g  AgCl. 

Ber.:  17,14Vo  Rh;  35,39«/o  Cl. Gef. :  17,31»/„Rh  35,33''/o  Cl 
17,337o  Rh;  35,41»/,  Cl. 

3.  [RhCy(NHJ,  +  H,0. 

2,00  g  Rhodiumchlorid  wurden  mit  1,02  g  Ammoniumchlorid 
gemengt,  längere  Zeit  sich  selbst  überlassen,  auf  dem  Wasser- 
bade  bis  zur  beginnenden  Kristallisation  eingeengt,  der  ausge- 
schiedene Körper  abfiltriert,  gewaschen  und  analysiert.  Bei  dieser 
Darstellungsweise  erhielten  wir  jedoch  nicht,  wie  unter  I.,  [RhCl,] 
(NHJa  +  ljSHjO  sondern  ein  ebenfalls  schon  bekanntes  Ammo- 
niumpentachlororhodiat  von  der  Formel  [RhCl5](NH^)2-}-H20^). 

0,1531g  Sbst.  0,0463  g  Rh;  0,3263  g  AgCl. 

0,1658  g  Sbst.  0,0495  g  Rh;  0,3521  g  AgCl. 

Ber.:  30,80«/,  Rh;  53,01«/,  Cl.Gef.:  30,24«/,  Rh;  52,70«/,  Cl 
29,86«/,  Rh;  52,51«/,  Cl. 

4.  [RhCyCs^  +  H^O. 

Beim  Zusammengießen  der  2,00  g  Rhodiumchlorid  ent- 
haltenden Lösung  mit  einer  Lösung  von  3,22  g  Cäsiumchlorid, 
fiel  sofort  der  prächtig  rosa  gefärbte  Niedei'schlag  des  Cäsium- 
pentachlororhodiats  aus.  Derselbe  ließ  sich  gut  filtrieren, 
wurde  mit  kaltem,  reinem  Wasser  gründlich  gewaschen  und  der 
Analyse  unterworfen. 

0,1039  g  Sbst.  0,0196  g  Rh  0,1347  g  AgCl. 

0,1006  g  Sbst.  0,0192  g  Rh  0,1300  g  AgCl. 

Ber.:  18,55«/, Rh;  31,43«/,  Cl.  Gef.:  18,86«/,  Rh; 32,06«/,  Cl. 
19,09«/,  Rh;  31,95«/,  Cl. 

•)  Fehling,  Bd.  5,  1241, 


—     28     — 

5.  [RhCl^lRbj  +  H^O. 

Der  etwas  dunkler  rot  gefärbte  Körper  fiel  beim  Mengen 
von  2,00  g  Rhodiumchloridlösuug  mit  2,31  g  Rubidinmchlorid- 
lösung  sofort   aus,   wurde   filtriert,  gewaschen  und  analysiert: 

0,1155  g  Sbst.  0,0260  g  Rh. 

0,1123  g  Sbst.  0,0260  g  Rh;  0,1698  g  AgCl. 

Ber.: 21,95<>/o Rh;  37,71  «/o  Gl.  Gef. :  22,51  «/o Rh;  22,62<^/o Rh; 
37,39  Vo  Cl. 

Es  hat  sich  somit  gezeigt,  daß  die  auf  diese  Weise  er- 
haltenen Körper  der  Reihe  der  Chlorosalze  des  Rhodiums  durch 
größere  Reinheit  ausgezeichnet  waren. 

III.  Bromide  des  Rhodiums  und  Bromosalze. 
Theoretischer  Teil. 

Anschließend  an  unsere  Versuche  über  die  Verbindungen 
des  Rhodium  mit  Chlor,  studierten  wir  das  Verhalten  des 
Rhodium  gegen  Brom.  Über  die  Verbindungen  des  Rhodiums 
mit  Brom  liegen  bisher  noch  keine  Mitteilungen  vor.  Wir 
stellten  daher  zunächst  Beobachtungen  in  genau  derselben 
Weise  wie  beim  Chlorid  an,  indem  wir  die  prozentuale  Auf- 
nahme von  Brom  durch  Rhodium  festlegten.  Die  im  experimen- 
tellen Teile  näher  geschilderten  Versuche  führten  zu  dem 
interessanten  Resultate,  daß  wir  bei  dem  durch  Überleiten  von 
Bromdampf  über  chemisch  reines  Rhodium  unter  Erhitzen,  dar- 
gestellten Produkte  es  mit  den  nämlichen  Verhältnissen  zu  tun 
haben,  die  A.  Gutbier  und  C.  Trenkner^)  beim  Ruthenium- 
chlorür  bezw.  bromür  angetroffen  haben,  während  wir  bei  dem 
auf  gleiche  Weise  dargestelltem  Rhodiumchlorid  zu  einer  wohl- 
definierten Verbindung  gelangt  sind.  Wir  konnten  in  zwei  Ver- 
suchen nachweisen,  daß  das  Rhodium  bis  zu  einem  stets  schwan- 
kenden Prozentgehalte  Brom  aufnimmt,  dann  wieder  abgibt  und 
erst  nach  langer  Zeit,  während  welcher  der  Prozentgehalt  an  Brom 
stets  schwankt,  ein  konstantes  Gewicht  erreicht  wird.  Diese 
Verhältnisse  zwangen  uns  zu  der  Annahme,  daß,  wenn  über- 
haupt die  Bildung  von  Rhodiumbromid  erfolgt,  ein  umkehr- 
barer Prozeß 


*)  Gut  hier  imd  Trenkner.    Zeitschr.  f.  anorg.  Chemie  46,  166. 


—    29     — 

2Kh  +  3Br2  :^  2ßhBr3 
stattfinden  maß.    Das  Produkt  erwies  sich  als   ein  in  Säuren 
wie  in  Wasser  vollständig  unlöslicher  Körper. 

Bei  der  Darstellung  des  in  Wasser  löslichen  Bhodiumbromids 
durch  Auflösen  von  alkalifreiem  Bhodiumhydroxyd  in  Bromwasser- 
stofFsäure  erhielten  wir  zwar  einen  Körper  von  schönem, 
kristallinischem  Aussehen  und  prachtvoll  schwarzroter  Farbe, 
allein  die  Analysen  dieser  Verbindung  gaben  keine  wünschens- 
wert genauen  Werte. 

Weiterhin  gelang  es  uns,  sämtliche  Bromosalze  des  Rhodiums 
neu  darzustellen.  Wie  beim  Chlorid  konnten  wir  die  Salze 
des  Kaliums  und  Ammoniums  durch  Erhitzen  eines  innigen  Ge- 
menges von  Bhodium  und  Kaliumbromid,  bezw.  Fällung  mit 
Ammoniumbromid  darstellen  und  als  prächtig  schwarzrot  ge- 
färbte, kristallisierende  Verbindungen  erhalten,  während  zu 
unserem  größten  Erstaunen  die  Doppelsalze  des  Cäsiums  und 
Rubidiums  als  grone  Niederschläge  aas  einer  mit  dem  ent- 
sprechenden Alkalibromid  versetzten  Kaliumbromorhodiatlösung 
ausfielen.  Das  Natriumpentabromorhodiat  konnten  wir  nur 
nach  der  zweiten  Darstellungsweise  durch  Zusammenkuppelang 
molekularer  Mengen  beider  Komponenten  erhalten,  da  beim 
Überleiten  von  Brom  unter  starkem  Erhitzen  über  ein  Ge- 
menge von  feinverteiltem  Rhodium  und  Natriumbromid  kein 
wasserlösliches  Gemenge  erhalten  werden  konnte.  Die  Ana- 
lysen der  nach  der  zweiten  Darstellungsweise  erhaltenen  Pro- 
dukte ergaben  leider  keine  so  guten  analytischen  Resultate, 
allein  dieselben  sind  doch  angeführt,  um  zu  zeigen,  daß  die 
Körper  auch  auf  diese  Weise,  wenn  auch  nicht  in  analysen- 
reinem Zustande  erhalten  werden  konnten. 

Experimenteller  Teil. 

Der  Versuch,  die  prozentuale  Aufnahme  des  Broms  von 
Rhodium  festzulegen,  wurde  vollständig  analog  den  Versuchen 
beim  Chlorid  und  Oxyd  durchgeführt;  ich  will  hier  nur  die 
kurze  Beschreibung  der  beiden  Versuche  geben,  im  übrigen 
jedoch  auf  die  dort  gemachten  Angaben  verweisen. 

Wie  beim  Chlor  zeigte  sich  auch  hier  die  Tatsache,  daß 
in   der  Wärme   des   Sandbades,   in   welchem  sich   die  Röhre 


—     30     — 

befand  und  das  eine  Temperatur  von  250^  C.  erreichte,  kein 
Brom  von  Rhodium  aufgenommen  wurde.  Erst  beim  Erhitzen 
über  freier  Flamme  wurde  das  Brom  an  Rhodium  gebunden 
und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aufgenommen.  Dann  nahm 
der  Bromgehalt  wieder  ab  und  konnte  auch  bei  geringerer 
Temperatur  nicht  mehr  zum  Steigen  gebracht  werden. 

Kurve  VI  veranschaulicht  die  geschilderten  Verhältnisse, 
die  auch  aus  den  folgenden  Zahlenwerten  entnommen  werden 
können: 


c 

3 

So 


cg      ^     c^ 


04 


S 
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—    31 


Angewandte  Menge  Bhodium :  0,2220  g. 

Zeit 

Temperatur 

Gewichts- 
zunahme 

^Br 

Zeit 

Temperatur 

Gewichts- 
zunahme 

^'oBr 

ij 

im  Sandbad 
200—250« 

im  Sandbad 
250-300« 

0,3415 
0.3462 
0,3502 
0,3482 
0,3420 
0,3283 

0,3283 

34,99 
35,88 
36,61 
36,27 
35,09 
32,38 

32,38 

»1 
f» 
»» 

Ih 
11» 

Grosser     i 
>     Teklu-      < 
)     brenner     ( 

IKlelnerTek-r 
/   lubrenner  \ 

im  Sandbad 
300-400« 

0,3408 
0,3334 
0,3308 
0,3308 
0,3283 

0,3283 

34,86 
33,72 
32,89 
32,89 
32,38 

32,38 

Die  Analyse  des  Produktes  ergab  die  zuletzt  erhaltenen 
Zahlen  der  Versuchsreihe: 

0,0907  g  Sbst.  0,0611  g  Rh  0,0686  g  AgBr. 

Ber.:  67,62«/o  Rh  32,38%  Br.  Gef.  67,36 %  Rh;  32,19«/oBr. 

Die  zweite  Versuchsreihe  ergab  insofern  eine  Änderung,  als 
nach  einem  gewissen  Punkte  zuerst  ein  öfteres  Schwanken  des 
Bromgehaltes  und  dann  erst  ein  Sinken  eintrat  bis  zu  dem 
Momente,  an  dem  konstantes  Gewicht  erreicht  wurde.  Selbst- 
verständlich wurde  bei  beiden  Versuchsreihen  stets  durch 
Kohlensäure  das  Brom  vertrieben,  bevor  das  Schiffchen  aus  der 
Röhre  genommen  wurde. 

Kurve  VII  läßt  oben  erwähnte  Tatsachen  gut  erkennen, 
die  den  folgenden  Zahlenwerten  entsprechen. 


Angewandte  Menge: 

0,6305  g  Bh. 

Gewichts- 

Ü 

Qewichts- 

Gewichts- 

Zeit 

zu-  resp. 

»/oBri   Zeit 

zu-  resp. 

^Br 

Zeit 

zu-  resp. 

^Br 

abnähme 

abnähme 

abnähme 

V," 

0,8841 

2^69 

V,»» 

1,1929 

47,15 

V,  J»       1,1208 

43,75 

*» 

0,9069 

30,48 

1» 

1,2027 

47,58 

>i 

1,1199 

43,70 

ti 

0,9855 

36,02 

It 

1,1894 

46,99 

1,1199 

43,70 

»» 

1,0015 

37,04 

»» 

1,2019 

47,54 

1,1211 

43,76 

1,0387 

39,30 

♦» 

1,2043 

47,82 

1,1203 

43,72 

ft 

1,0180 

38,07 

f» 

1,2236 

48,47 

1,1211 

43,76 

>t 

1,0702 

41,07 

11 

1,2436 

40,30 

1,1211 

43,76 

»» 

1,1132 

43,36 

n 

1,2615 

50,02 

„      '     1,1211 

43,76 

»t 

1,1667 

45.96 

»» 

1,1682 

46,03 

1,1177 

43,59 

»? 

1,1679 

46,01 

»» 

1,1643 

45,85 

1,1153 

43,47 

1» 

1,2115 

47,96 

»f 

1,1673 

45,88 

1,1149 

43,45 

f» 

1,1933 

47,16 

» 

1,1191 

43,66 

1,1149 

43,45 

>» 

1,2236 

48,47 

» 

1,1254 

43,97 

1,1149 

43,45 

»» 

1,1616 

45.72 

t» 

1,1208 

43,75 

1,1149 

43,45 

»» 

1,1853 

46,8 

» 

1,1243 

43,92 

1,1149 

43,45 

—     32 


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—     H3     - 

Die  Analyse  des  Produktes  ergab  jedoch  ein  voll- 
ständig anderes  Resultat,  als  nach  den  letzten  Zahlenwerten 
obiger  Tabelle  erwai-tet  werden  sollte.  Dies  kann  vielleicht 
dem  Umstände  zugeschrieben  werden,  daß  das  Endprodukt 
Wasser  angezogen  hatte,  da  bei  der  Analyse  eine  reichliche 
Menge  von  H^O  im  Rohre  auftrat. 

0,1345  g  Sbst.  0,0862  g  Rh  0,0804  g  AgBr. 

Ber.:  56,55<^/o  Rh;  43,45^0  Br.   Gef.  64,09«/o  Rh  25,43^1,  Br. 

Das  lösliche  Rhodinmbromid  stellten  wir  dar  durch  Auf- 
lösen von  alkalifreiem  Rhodiumhydroxyd  in  Bromwasaerstoff- 
sänre.  Das  Hydroxyd  löste  sich  mit  schön  roter  Farbe  in 
der  BromwasserstoflFsäure  und  wurde  auf  dem  Wasserbade  bis 
zur  vollständigen  Trockene  eingedampft.  Der  erhaltene  Rück- 
stand löste  sich  leicht  in  Wasser  mit  roter  Farbe,  zeigte  ein 
kristallinisches  Aussehen  und  war  von  schwarzer  Farbe  in 
trockenem  Zustande. 

Derselbe  ergab  folgende  Analyse: 

0,1188  g  Sbst.  0,1805  g  AgBr. 

0,1426  g  Sbst.  0,0322  g  Rh;  0,2120  g  AgBr. 

Ber. :  24,827o  ßh  57,81  <^/o  Br.  Gef. :  64,66 «/o  Br ;  22,58  «/^  Rh, 
63,27  <>/o  Br. 

Bromosalze  des  Rhodiums. 

I.  Darstellangsweise. 

1.  [RhBr^JKj. 

Brom  wurde  in  dem  eingangs  geschilderten  Apparate  mittels 
eines  getrockneten  Kohlensäurestroms  über  ein  Gemenge  von 
Rhodium  und  Bromkalium  bei  gleichzeitigem  Erhitzen  geleitet. 
Das  Gemenge  nimmt  rasch  dunkle  Farbe  an,  schmilzt  jedoch 
nicht  zusammen  und  behält  bei  jedesmaligem  Erkalten  die 
gleiche  schwarze  Farbe.  Wie  bei  den  analogen  Chlorosalzen 
beschleunigten  Überschuß  an  Bromkalium  und  die  Stärke  der 
Wärmequelle  die  Reaktion.  Nach  halbstündigem  Glühen  wurde 
das  Gemenge  jedes  Mal  fein  im  Achatmöi-ser  zerrieben  und 
dann  von  neuem  unter  Überleiten  von  Brom  erhitzt.  War  der 
größte  Teil  des  Rhodiums  aufgeschlossen,  mit  anderen  Worten 
die  Substanz  wasserlöslich,  so  wurde  das  Produkt  in  Wasser 
gelöst,  zur  Befreiung  von  unaufgeschlossenem  Rhodium  filtriert 

Sitsangabericbte  der  phys.-med.  Sos.  39  (1907).  3 


—    34     — 

und  anf  dem  Wasserbade  eingedampft.  Der  erhaltene  RQck- 
stand  wurde  dann  aas  möglichst  wenig  heißem  Wasser  und 
einigen  Tropfen  Bromwasserstoffsäure  nmkristallisiert  und  der 
Körper  in  kleinen  schwarzen,  unregelmäßigen  Blätteben  er- 
halten. Einmal  wurde  die  Konzentration  gerade  so  geti-offen, 
daß  fiber  Nacht  prächtige  schwarze  Kristalle,  in  Form  kleiner, 
rechteckiger  Täfelchen,  ausfielen.  Trotz  aller  Mähe  konnte 
dies  jedoch  ein  zweites  Mal  nicht  erreicht  werden.  Die  Analyse 
dieser  Kristalle  stimmte  leider  nur  in  bezug  auf  Rhodium  auf 
die  Formel  [RhBrj]Kj  +  12HjO,  während  die  Brombestim- 
mnng  stes  wechselnde  Werte  zeigte.  Der  in  unregelmäßigen 
Blättchen  erhaltene  Körper  gab  erst  nach  mehrmaligem  Um- 
kristallisieren richtige  Werte: 

1.  0,2114  g  Sbst.  0,0401  g  Rh;  0,3352  g  AgBr. 

2.  0,0753  g  Sbst.  0,0137  g  Rh. 

3.  0,0610  g  Sbst.  0,0109  g  Rh;  0,0987  g  AgBr. 

4.  0,1163  g  Sbst.  0,0211  g  Rh;  0,1879  g  AgBr. 

5.  0,1038  g  Sbst.  0,0192  g  Rh;  0,1669  g  AgBr. 

Ber.:  17,7«/j Rh, 68,8»/oßr.  Gef.:  1. 18,97%  Rh,  67,48«/o  Br; 
2.  18,l9»/o  Rh;  3.  17,87«/„  Rh,  68,85»/,  Br;  4.  18,14 »/o  Rh; 
68,76 «/o  Br;  5.  18,49»/o  Rh,  68,43 »/o  Br. 

Neudarstellnng  des  Körpers: 

0,0757  g  0,0140  g  Rh;  0,1078  g  AgBr;  0,0633  g  Sbst. 
0,0124  g  Rh  0,0976  g  AgBr  0,0664  g  Sbst.  0,0114  g  Rh; 
0,0500  g  Sbst.  0,0092  g  Rh;  0,0688  g  AgBr. 

Ber.:  17,7»/o  Rh,  68,85 »/oBr;  Gef.:  18,50«/o  Rh,  60,60''/oBr; 
19,59«/,  Rh.  65,62«/,  Br;  17,17«/,  Rh;   18,4«/,  Rh  58,56«/,  Br. 

Nach  zweimaligem  Umkristallisieren  ergaben  sich  die  Werte: 

0,1117  g  Sbst.  0,0201  g  Rh;  0,1801  g  AgBr;  0,1126  g  Sbst. 
0,0197  g  Rh. 

Ber.:  17,7«/,  Rh;  68,8»/,  Br;  Gef.:  17,99»/, Rh;  68,61»/,  Br; 
17,91«/,  Rh. 

Für  den  in  rechteckigen  Tafeln  auskristallisierten  Köi'per 
ergab  die  Analyse: 

0,0967  g  Sbst.  0,0127  g  Rh;  0,1339  g  AgBr. 

0,0900  g  Sbst.  0,0117  g  Rh;  0,1284  g  AgBr. 

0,0874  g  Sbst.  0,0117  g  Rh;  0,1331  g  AgBr. 

Ber.:    [RliBr,]  Kj  +  12  HaO:     12,92«/,  Rh,    50,14«/,  Br. 


-    S5     -< 

Gef.:  13,U<>/o  Rh,  58,93o/o  Br;  13,03<>/,  Eh,  60,85^/o  Br; 
13,39^0  Rh;  64,81  Vo  Br. 

2.  [RhBrj]  Na^. 

Trotz  den  unter  den  verschiedensten  Versuchsbedingnngen 
aasgeführten  Arbeiten  gelang  es  nicht,  das  Gemenge  von  Rhodium 
und  Natriumbromid  unter  Überleiten  von  Brom  und  gleich- 
zeitigem Erhitzen  in  eine  wasserlösliche  Form  zu  bringen. 
Wohl  zeigte  das  Gemenge  eine  deutliche  Veränderung,  allein 
weder  Überschuß  an  Bromnatrium,  noch  stärkeres  Erhitzen, 
weder  ein  feuchter,  noch  ein  trockener  Bromstrom  vermochte 
zum  Ziele  zu  fuhren.  Ebenso  scheiterten  Versuche  das  Salz 
ans  Lösungen  des  Kaliumpentabromorhodiats  durch  Fällen  mit 
konzentrierter  Bromnatriumlösung  herzustellen.  Nach  längeren, 
mühevollen  Experimenten  wurde  es  daher  aufgegeben,  den 
Körper  auf  obige  Weise  darzustellen. 

3.  [RhBr,](NH,V 

wurde  analog  dem  entsprechenden  Chlorosalze  dargestellt  In 
die  Lösung  des  Kaliumpentabromorhodiats  wurde  gasförmiger 
Bromwasserstofif^)  eingeleitet,  bis  der  größte  Teil  des  Brom- 
kaliums ausgefällt  war.  Nach  Filtration  der  Lösung  zur  Be- 
freiung des  ausgefällten  Bromkaliums  wurde  dieselbe  mit 
Ammoniumbromidlösung  versetzt.  Es  zeigte  sich  nun,  daß  mit 
verdünnteren  Lösungen  gearbeitet  werden  mußte,  da  das  beim 
Versetzen  mit  konzentrierter  Ammoniumbromidlösung  nach 
längerer  Zeit  auskristallisierte  Produkt  trotz  seiner  prächtigen, 
dunkelroten  Farbe  nur  1—2®/^  Rhodium  enthielt.  Wurde  aber 
jene  Lösung  mit  verdünnter  Ammoniumbromidlösung  versetzt 


')  Zur  Darstellung  des  Bromwasserstoffgases  gab  mau  in  einen  Kolben  100  g 
trockenes  Benzol  und  einige  Gramm  wasserfreies  Eisenbromür  und  ließ  durch 
einen  zu  feiner  Spitze  ausgezogenen  Hahntrichter  allmählich  135  ccm  Brom  ein- 
tropfen. Die  Mischung  erwärmt  sich  sofort  und  muss  daher,  damit  kein  Benzol 
oder  Brom  überdestilliert,  in  kaltes  Wasser  eingestellt  werden;  ist  erst  die  Hälfte 
des  Broms  zugetropft  (Bildung  von  Monobrombenzol),  so  verläuft  die  Eeaktion 
so  ruhig,  daß  diese  Vorsicht  nicht  mehr  notwendig  ist.  Um  das  in  sehr 
gleichmäßigem  Strome  entwickelte  Gas  von  mitgerissenen  Benzoldämpfen  und 
Bromdämpfen  voUständig  zu  befreien,  dient  ein  an  den  Kolben  angeschlossenes 
U-Bohr.  Die  erste  Hälfte  dieses  Eohrs  wird  mit  EisenbromidFeBr,  iingefüllt, 
die  zweite  mit  Anthracen.  Das  Eisenbromid  bindet  sofort  etwa  ülxjrgehendes 
Benzol,  das  Anthracen  dagegen  jede  Spur  von  Bromdampf,  welche  das  Gas 
gelblich  färbt.    Siehe  Erdmann,  I^hrbuch  d.  anorg.  Chem.,  3.  Aufl.,  S.305. 

3* 


-     36     — 

und  einige  Tage  stehen  gelassen,  so  erhielt  man  ein  Produkt, 
das  obige  Formel  rechtfertigte.  Der  Körper  kristallisierte  in 
kleinen  unregelmäßigen  Blättchen  und  zeigte  schwarze,  etwas 
ins  Grttnliche  gehende  Färbung. 

0,1102  g  Sbst.  0,0228  g  Rh  0,1923  g  AgBr. 

0,1011  g  Sbst.  0,0200  g  Rh  0,1747  g  AgBr. 

0,1244  g  Sbst.  0,0254  g  Rh.. 

0,0767  g  Sbst.  0,0152  g  Rh  0,1325  g  AgBr. 

Ber.:  19,12«/oRh  74,19«/o  Br.  Gef.:  20,69«/o  Rh;  74,25^0  Br; 
19,78«/o  Rh  73,54«/oBr;  20,42<^/o  Rh;  19,82^0  ^^'  73,51'/o  Br- 

4.  [RhBr^lCsj. 

wurde  erhalten  als  prächtig  grüner  Niederschlag  bei  Versetzen 
einer  Lösung  des  Kaliumpentabromorhodiats  mit  einer  kon- 
zentrierten Lösung  von  Cäsiumbromid.  Der  Niederschlag  wurde 
abfiltriert  und  auf  das  sorgfältigste  mehrere  Male  mit  reinem 
Wasser  gewaschen,  da  die  Analysen  erst  dann  richtige  Re- 
sultate zeigten,  wenn  das  Auswaschen  mit  Wasser  auf  das 
gründlichste  durchgeführt  war. 

0,0902  g  Sbst.  0,0122  g  Rh  0,1100  g  AgBr. 
0,1038  g  Sbst.  0,0141  g  Rh  0,1251  g  AgBr. 

Ber.:  13,40Vo  Rh;  52,02«/o  Br.  Gef.:  13,52«/o  Rh;  51,90«/o  Br. 
13,58%  Rh;  51,70%  Br. 

5.  [RhBr^lRbjj. 

wurde  auf  analoge  Weise  wie  das  Cäsiumsalz  dui'ch  Fällung 
des  löslichen  Kaliumsalzes  mit  Rubidiumbromid  erhalten. 
Der  Körper  war  um  eine  Nuance  dunkler  grün  gefärbt  als 
das  Cäsiumsalz  und  zeigte  die  gleiche  Eigenschaft,  erst  analy- 
senrein zu  werden  nach  sorgfältigst  durchgeführtem  gründ- 
lichem Auswaschen.  Zum  Unterschiede  seien  hier  die  zuerst 
erhaltenen  Resultate  und  dann  die  nach  nochmaligen  gründ- 
lichstem Auswaschen  erhaltenen  wiedergegeben. 

0,0933  g  Sbst.  0,0144  g  Rh  0,1288  g  AgBr. 
0,1189  g  Sbst.  0,0186  g  Rh  0,1378  AgBr. 

Ber. :15,29ö/, Rh 59,37^0  Br.  Gef.:  l5,44«/oRh;  58,74«/«Br; 
15,64«/o  Rh  49,32«/o  Br. 

Das  lufttrockene  Präparat,  nochmals  gewaschen,  ergab 
folgende  Werte: 


—     37     — 

0,1060  g  Sbst.  0,0163  g  Rh,  0,1480  g  AgBr. 
0,1024  g  Sbst.  0,0159  g  Rh,  0,1429  g  AgBr. 
Ber.:  15,29<>/o  Rh,  bdßVj^Br.  Gef.:  15,37«/o  Rh,  59,42<>/o  Br; 
15,53«/o  Rh;  59,397o  Br. 

IL  Darstelliing8weise. 

Wie  schon  im  theoretischen  Teil  erwähnt,  glflckte  es  nns 
nicht  auf  die  zweite  Darstellnngsweise,  d.  h.  durch  Kuppelung 
molekularer  Mengen  beider  Komponenten,  des  Rhodiumbromids 
und  Alkalisalzes,  reine  Produkte  zu  erhalten.  Wir  haben  die 
Darstellung  drei  verschiedene  Male  versucht;  im  folgenden 
seien  zuerst  die  allgemeinen  unterschiede  der  drei  Darstellungen 
unter  sich  gegeben,  während  bei  den  einzelnen  Körpern  noch 
besonderer  Verschiedenheiten  der  Darstellung  des  Produktes  I, 
n  und  ni  Erwähnung  getan  werden  soll. 

Bei  Darstellung  I  wurde  das  Rhodiumbromid  in  Wasser 
und  einigen  Tropfen  HBr  gelöst,  die  molekulare  Menge  des 
Alkalisalzes  hinzugefßgt,  schließlich  auf  dem  Wasserbade  ein- 
geengt und  der  Köri^er  zur  Auskristallisation  sicJi  selbst  über- 
lassen. Bei  den  Produkten  II  und  III  wurde  nur  mit  dem 
Unterschiede  verfahren,  daß  das  Rhodiumbromid  in  reinem 
Wasser  ohne  Zusatz  von  HBr  gelöst  und  die  gekuppelten  Salz- 
lösungen auf  dem  Wasserbade  zur  Trockene  eingedampft  wurden, 
um  den  Rückstand  alsdann  aus  heißem  Wasser  nmzukristallisieren. 

I.  [RhBrJKj. 

L  2  g  Rhodiumbromid,  in  Wasser  und  einigen  Tropfen 
Bromwasserstoffsäure  gelöst,  wurden  mit  einer  Bromkaliumlösung 
versetzt,  die  die  für  4  Moleküle  Bromkalium  berechnete  Menge 
enthielt.  Nach  längerem  Stehen  wurde  diese  Lösung  auf  dem 
Wasserbade  bis  zur  beginnenden  Kristallisation  eingeengt,  der 
in  schwarzgrünen  Blättchen  ausgeschiedene  Körper  abfiltriert, 
mit  kaltem  Wasser  gewaschen  und  analysiert. 

0,1010  g  Sbst.  0,0199  g  Rh  0,1608  g  AgBr. 

Ber.:  17,707o  Rh;  68,80«/oBr.  Gef.:  19,70«/oRh,  67,75^0 Br. 

II.  Darstellung  wie  bei  I  mit  den  oben  erwähnten  allge- 
meinen Unterschieden. 

0,8700  g  Sbst.  0,0171  g  Rh  0,1394  g  AgBr. 

Ber.:  17,707«  K^)  68,807o  Br.  Gef.:  19,657o  Rh  68,197o  Br. 


—     38     — 

m.  wie  n. 

0,1006  g:  0,0189  g  Rh;  0,1668g  AgBr. 

Ber.i  17,70<»/o  Rh,  68,80»/oBr.  Gef.:  18,78VoRh;  70,56«/,  Br. 

2.  [RhBr,]Naj  +  9HjO., 

I.  Diesen  nach  der  I.  Darstellungsweise  nicht  erhaltenen 
Körper  gelang  es  folgendermaßen  darzustellen:  2,00  g  Rhodinm- 
bromid  wurden  mit  der  molekularen  Menge  Natriumbromidlösung 
versetzt,  nach  längerem  resultatlosem  Stehen  auf  dem  Wasser- 
bade  bis  zur  Trockene  eingedampft,  mit  einigen  Tropfen  H^O 
aufgenommen  und  aus  dieser  hochkonzentrierten  Lösung  der 
Körper  in  dunkelroten  Kristallen  erhalten. 

0,2011  g  Sbst.  0,0283  g  Rh;  0,2733  g  AgBr 

0,1052  g  Sbst.  0,0145  g  Rh;  0,1441g  AgBr 

Ber.:  [RhBrJ  Na, +  9HjO -12,6670  Rh;  58,93 

Gef.:  14,070/0  Rh,  57,84 »/o  Br;  13,78»/o  Rh,  58,37 »/o  Br. 

II.  Darstellung  wie  unter  I. 

0,0913  g  Sbst.  0,0110  g  Rh  0,1253  g  AgBr 

Ber.:  [RhBr,]Na3  +  9HaO-12,66«/o  Rh,  58,93 »/o  Br. 

Gef.:  12,05 »/o  ßh,  58,40»/o  Br. 

m.  Siehe  I. 

0,0792  g  Sbst.  0,0118  g  Rh  0,1162  g  AgBr 

Gef.:  14,90»/o  Rh;  62,49 o/,  Br. 

Ber.:  [RhBr,] Na,  +  9 HjO •  1 2,66 »/o  Rh,  58,93 »/o.Br. 

3.  [RhBr,](NHA. 

Wiederum  wurden  2,00  g  Rhodiumbromid  in  AVasser  und 
einigen  Tropfen  Brom  Wasserstoff  gelöst,  mit  einer  Ammoniom- 
bromidlösung,  die  die  fttr  4  Moleküle  berechnete  Menge  enthielt, 
versetzt,  nach  längerem  Stehen  aut  dem  Wasserbade  bis  zur  be- 
ginnenden Kristallisation  eingeengt  und  der  ausfallende  schwarze, 
etwas  ins  Grünliche  gefärbte  Körper  gewaschen  und  der  Analyse 
unterworfen. 

0,1117  g  Subst.  0,0235  g  Rh;  0,1829  g  AgBr 

Ber.:  19,12<»/o  Rh;  74,19»/o  Br;  21,04«/o  Rh;  69,68''/o  Br. 

n.  Darstellung  wie  unter  I,  nur  mit  den  im  allgemeinen 
gemachten  Änderungen. 

0,1022  g  Sbst.  0,0209  g  Rh  0,1731  g  AgBr. 
0,1066  g  Sbst.  0,0217  g  Rh  0,1817  g  AgBr. 


-     39     — 

Ber.:  19,12«/, Rh;  74,19 »/oBr;  Gef.:  20,45 «/„Rh,  72,0870  Br; 
20,36«/,  Rh;  72,53»/,  Br. 

m.  Siehe  ü. 

0,1089  g  Sbst.  0,0223  g  Rh;  0,1826  g  AgBr. 

Ber.:  19,12«/oRh;  74,19«/, Br;  Gef.:  20,47«/,Rh  71,36«/,  Br. 

4.  [RhBrj]CSj. 

L  Beim  Versetzen  der  Lösung  von  2  g  Rhodinmbromid  in 
Wasser  and  Bromwasserstoffsäore  mit  Gaesinmbromid  fiel  sofort 
ein  schmutzig  gelbbraun  gefärbter  Niederschlag  aus.  Derselbe 
ließ  sich  schlecht  filtrieren,  da  er  stark  durch  das  Filter  ging,  wurde 
trotzdem  gründlichst  gewaschen  und  der  Analyse  unterworfen: 

0,1359  g  Sbst.  0,0220  g  Rh;  0,1718  g  AgBr. 

0,1218  g  Sbst  0,0195  g  Rh;  0,1521  g  AgBr. 

Der  Körper  wurde  nochmals  mit  verdünnter  Bromwasser- 
stofbäure  gewaschen. 

0,1134  g  Sbst  0,0179  g  Rh;  0,1458  g  AgBr. 

Ber.:  13,40«/,  Rh,  52,02«/, Br.  Gef.:  16,19»/, Rh,  53,80«/, Br; 
16,01«/,  Rh,  53,14»/,  Br;  15,78»/,  Rh,  54,72«/,  Br. 

II.  Das  wiederum  sofort  ausfallende  schmutzig  gelbbraune 
Salz  wurde  in  überschüssigem  Wasser  auf  dem  Wasserbade  durch 
längeres  Digerieren  gelöst  Durch  langsames  Einengen  auf  dem 
Wasserbade  gelang  es,  zu  einem  prächtig  flimmernden,  wie  bei 
der  I.  Darstellungsweise  grün  gefärbten  Produkt  zu  kommen.  Es 
ließ  sich  leicht  filtrieren,  wurde  gründlich  gewaschen  und  analysiert : 

0,1141g  Sbst  0,0180  g  Rh;  0,1444  g  AgBr. 

0,1377g  Sbst  0,0216g  Rh;  0,1755g  AgBr. 

Ber.:  13,40»/,Rh;  52,02«/, Br;  Gef.:  15,77«/, Rh;  53,86»/,  Br; 
15,68«/,  Rh;  54,23»/,  Br. 

m.  wie  n. 

0,1038  g  Sbst  0,0165  g  Rh,  0,1361g  AgBr. 

0,1052  g  Sbst  0,0163  g  Rh,  0,1321g  AgBr. 

Ber.:  13,40«/,  Rh;  52,02«/, Br.  Gef.:  15,90«/,  Rh,  55,80«/,  Br; 
15,50«/,  Rh;  53,44«/,  Br. 

5.  [RhBrJRbj. 

I.  Erst  nach  längerem  Stehen  der  molekularen  Mischung 
beider  Komponenten  schied  sich  das  gewünschte  Salz  als  schmutzig 


—     40     — 

braaner  Niederschlag  aas.  Nach  dem  Abfilirieren,  das  wiederum 
mit  Schwierigkeiten  verknüpft  war,  wurde  der  Körper  grand- 
lichst gewaschen  und  analysiert: 

0,U16g  Sbst.  0,0250  g  Rh  0,1876  g  AgBr. 

Ber.:  15,29^/oRh;  59,377oBr.  Gef.:  17,65«/oRh,  56,38«/oBr. 

II.  Genau  wie  beim  Cäsiumsalz  wurde  der  Körper  in  über- 
schüssigem Wasser  gelöst  und  ebenfalls  als  prächtig  flimmernder, 
voluminöser,  grüner  Niederschlag  beimEinengen  auf  dem  Wasser- 
bade erhalten,  der  sich  leicht  filtrieren  und  waschen  ließ: 

0,1025  g  Sbst.  0,0180  g  Rh,  0,1433  g  AgBr 
0,1045  g  Sbst.  0,0176  g  Rh,  0,1416  g  AgBr. 
Ber.:  15,29«/oRh;  59,3T«/oBr.  Gef.:  17,58«/o Rh, 59,50 «/oBr, 
16,84  «/o  Rh,  60,26%  Br. 

III.  wie  n. 

0,1025  g  Sbst.  0,0183  g  Rh.  0,1443  g  AgBr. 

Ber.:  l5,29«/o  Rh,  59,37 VoBr.  Gef.:  17,85^0 Rh,  59,9P/oBr. 


Das  Atomgewicht  des  Rhodiums. 

Schon  1814  hatte  Berzelius^)  versucht  mittels  einer  kleinen, 
vonWüllaston  übersandten  Menge  Rhodiums  das  Atomgewicht 
dieses  Metalles  zu  bestimmen.  Im  Jahre  1828  wiederholte  er 
die  Bestimmung  des  Atomgewichtes,  nachdem  er  selbst')  seine 
früheren  Versuche,  als  auf  unrichtigen  Voraussetzungen  fußend, 
als  mißlungen  bezeichnet  hatte.  1825  versuchte  Th.  Thomson') 
durch  Analyse  des  von  Wollast on  bereiteten  Natriumsalzes  das 
Atomgewicht  des  Rhodiums  festzustellen.  Er  fand  die  Zahl  110,9, 
die  sich  im  weiteren  Verlauf  der  Untersuchungen  als  falsch  er- 
wies. Berzelius  wählte  zu  seinen  späteren  Versuchen  das 
Kaliumpentachlororhodiat  und  bestimmte  durch  Reduktion  des 
entwässerten  Salzes  im  Wasserstoffstrome,  Ermittlung  des  Ge- 
wichtsverlustes, Ausziehen  des  Chlorkaliums  aus  der  reduzierten 

^)  Thomsons  Ann.  of  philos.  3,  352;  Schw.  22,  317. 
«)  K.  Vetensk.  Akad.  Handl.  Bd.  36,  ö.  21—22.     1828. 
*)  An   attcrapt    to   etablish    the   first  principles    of    cheroistry,  Bd.  1, 
S.  460.    London.    1825. 


—     41     — 

Masse  and  Wägung  des  zarückbleibenden  Metallschwammes  die 
Menge  des  Rhodiums  und  des  an  dieses  gebundenen  Cbloi^  und 
damit  auch  jene  des  Chlorkaliums  in  dem  Doppelsalze.  Aus 
mehreren  Bestimmungen  dieser  Art  berechnete  Berzelius  das 
Atomgewicht  des  Rhodiums  zu  104,1.  Claus^)  nahm  bei  seinen 
Analysen  zahlreicher  Verbindungen  des  Rhodiums  Rh  =  104,14 
an,  ohne  jedoch  eine  eigentliche  Atomgewichtsbestimmung  dieses 
Elementes  vorgenommen  zu  haben. 

Clarke*)  berechnete  das  Atomgewicht  zu  104,05. 

In  späterer  Zeit  hat  S.  M.  Jörgen sen  gelegentlich  einer 
umfangreichen  Untersuchung  über  Ammoniakbasen  ^)  des  Rhodiums 
auch  eine  vorläufige  Bestimmung,  wie  er  sich  selbst  ausdrückt, 
dieses  Elementes  ausgeführt.  Er  ging  nicht,  wie  die  meisten 
seiner  Vorgänger,  von  einem  Chlorosalze  aus,  sondern  wählte 
das  von  ihm  selbst  untersuchte  Chloropentamminrhodiumchlorid 
zu  seinen  Bestimmungen.  Die  Gründe,  die  ihn  zu  dieser 
Wahl  bestimmten,  setzt  er  selbst,  wie  folgt,  auseinander*): 
„Schon  in  meinen  Untersuchungen  über  die  Ammoniakbasen 
des  Rhodiums  habe  ich  hervorgehoben,  daß  das  Chloro- 
pnrpureorhodiumchlorid  und  die  entsprechende  Bromverbindnng 
durch  ihre  ungemeine  Beständigkeit  gegen  Reagentien  sich  mit 
großer  Garantie  für  Reinheit  darstellen  lassen,  weil  ihr  Rhodium- 
gehalt nun  anch  mit  großer  Schärfe  durch  einfaches  Glühen 
zuerst  an  der  Luft,  dann  in  Wasserstoff  und  Kohlensäure  ge- 
funden werden  kann,  und  weil  sie  außer  Rhodium  nur  Elemente 
halten,  deren  Atomgewichte  zu  den  am  sichersten  festgestellten 
gehören,  so  habe  ich  versucht  durch  Analyse  jener  Salze  vor- 
läufig das  Rhodiumatom  zu  bestimmen,  um  so  mehr  als  Bunsen^) 
Zweifel  ausgesprochen  hat,  ob  das  bisher  für  chemisch  reines 
Rhodium  gehaltene  Metall  nicht  noch  erhebliche  Mengen  Iridium 
enthalten  hat."  Aus  den  übereinstimmenden  Werten  mehrerer 
Analysen  des  Chloropentamminrhodiumchlorides  und  des  ent- 
sprechenden Broraids  glaubt  Jörgensen  nun  sicher  annehmen 


')  N.  Petereb.  akad.  Bull.,  Bd.  2,  S.  158. 

»)  Clarke.    Phü.  M.  [5]  12,  101. 

•)  Journ.  prakt.  Chemie  (X.  F.)  Bd.  27,  S.  433—489. 

♦)  daadbst  S.  486. 

»)  Ann.  Chem.  Pharm.  Bd.  146,  S.  266. 


—     42     — 

zu  dürfen,  daß  die  Zahl  103  für  das  Rhodium  der  Wahrheit 
sehr  nahe  kommt. 

Diesen  im  Jahre  1883  veröffentlichten  Bestimmungen 
schließt  sich  1890  eine  von  Karl  Seubert  und  K.  Kobb6') 
verfaßte  Arbeit  enge  an.  Dieselben  wählten  ebenfalls  das 
Chlorbpentamminrhodiumchlorid,  folgten  im  allgemeinen  den  An- 
ordnungen von  Jürgens en  und  bekamen  als  Resultat  ihrer 
Arbeit  die  Zahl  102,92,  bezogen  auf  Sauerstoff  =  16. 

Bei  den  folgenden  Atomgewichtsbestimmungen,  die,  wie 
ausdrücklich  hervorgehoben  werden  möge,  nur  einen  vor- 
läufigen Charakter  haben,  machten  wir  uns  die  Erfahrungen 
von  Jörgensen  wie  von  Seubert  und  Kobbfe  zu  nutze  und 
wählten  aus  den  gleichen  Gründen  wie  jene  das  Chloro- 
pentamminrhodiumchlorid  als  Ausgangsmaterial  zur  Atomgewichts- 
bestimmung. 

Analysenmaterial. 

Das  zu  vorstehender  Untersuchung  ausschließlich  verwendete 
Wasser  war  auf  folgende  Weise  gereinigt  worden.  Das  destil- 
lierte Wasser  des  Laboratoriums  wurde  in  einer  großen  Flasche 
etwa  eine  Woche  über  reinstem  Kalk  stehen  gelassen  und  dann 
in  kleinen  Portionen  aus  einer  sorgfältigst  gereinigten  Platin- 
retorte destilliert.  Daß  hiebet,  wie  bei  allen  in  dieser  Arbeit 
vorkommenden  Destillationen,  nur  die  mittlere  Fraktion  auf- 
gefangen wurde,  braucht  wohl  kaum  erwähnt  zu  werden. 
Dieses  schon  ziemlich  reine  Material  wurde  dann  mit  etwas 
Alkalipermanganat  in  der  Platinretorte,  die  mit  einem  eigens  zu 
diesem  Zwecke  hergestellten  und  nur  zur  Destillation  von  reinstem 
Wasser  benutztem  Ktihlrohre  aus  reinem  Quarz  verbunden 
war,  zum  zweiten  Male  in  kleinen  Portionen  destilliert.  Un- 
mittelbar vor  dem  Gebrauche  wurde  dann  dieses  Wasser  noch 
einer  erneuten  Destillation  unterworfen.  Das  Kühlrohr  aus 
Quarz  wie  überhaupt  alle  zur  Atomgewichtsbestimmung  be- 
nutzten Geräte  aus  Glas  und  aus  Porzellan  wurden  vor  jedes- 
maliger Benutzung  mit  Wasser  mehrere  Tage  ausgedämpft; 
außerdem  sind  die  benützten  Porzellan-  und  Glasgeräte  schon 
jahrelang  zu  demselben  Zwecke  in  Gebrauch.  Das  auf  die  ge- 
schilderte Weise   gewonnene  Wasser  ergab  mit  den  verschie- 

')  Ann.  Bd.  260,  S.  314—325. 


—     43     — 

densten  Beagentien  nicht  die  mindesten  Reaktionen  und  hinter- 
ließ, in  größerer  Menge  verdampft,  nicht  den  geringsten  wäg- 
baren Rückstand. 

Die  zur  Verwendung  gelangte  Salzsäure  war  —  nach  ver-; 
schiedenen  anderen  Versuchen  —  in  der  Weise  gewonnen  worden, 
daß  wir  die  reinste,  konzentrierte,  arsenfreie  Salzsäure  aus  einer 
mit  Salzsäure  stundenlang  ausgekochten  Retorte  aus  Jenaer 
Glas  destillierten.  Das  mittlere,  bei  110^  übergehende  Destillat 
wurde  aufgefangen  und;  da  es  weder  eine  Reaktion  auf  Arsen 
noch  auf  Eisen  gab,  zum  Arbeiten  verwendet.  Natürlich  war 
diese  Säure  vor  dem  Gebrauche  nochmals  durch  Destillation 
gereinigt  worden. 

Das  schließlich  zur  Verwendung  gelangte  Ammoniak  wurde 
nach  verschiedenen  Vorversuchen  aus  reinem,  konzentriertem 
Ammoniak  durch  Destillation  gewonnen.  Das  in  einer  mit 
Wasser  gründlich  ausgedämpften  Flasche  entwickelte  Gas  wurde 
durch  mehrere  Trockenapparate,  die  Natronkalk  enthielten,  ge- 
leitet und  in  einer  vorgelegten  Flasche,  die  reinstes  Wasser 
enthielt,  aufgefangen. 

Darstellung  des  Chloropentamminrhodinmehlorids. 

Um  das  uns  von  der  Firma  W.  C.  Heraeus  in  Hanau 
gelieferte  chemisch  reine  Rhodium  aufzuschließen,  wandten  wir 
die  Wo  hier  sehe  Methode  der  AufschließuBg  mit  Chlomatrium 
im  Chlorstrom  an.  Wir  benützten  hiebei  den  eingangs  der 
Arbeit  in  Figur  1  beschriebenen  Apparat  und  machten  hiebei 
die  Beobachtung,  daß  von  den  angewandten  32,5  g  chemisch 
reinem  Rhodium  zirka  8  g  ungelöst  blieben,  wir  somit  mit  einem 
Verluste  von  zirka  25 ^/^  arbeiteten.  Bei  einer  weiteren  Portion 
Rhodium  von  10  g,  der  wir  die  bei  der  ersten  Aufschließung 
restierenden  8  g  hinzufügten,  belief  sich  der  Betrag  des  unge- 
löst zurückbleibenden  Rhodiums  nur  auf  20^ j^.  Wir  schrieben 
dies  dem  Umstände  zu,  daß  wir  bei  der  zweiten  Aufschließung  Chlor- 
natrium angewandt  hatten,  das  aus  der  vorhergehenden  Rhodium- 
salzlösung durch  Chlorwasserstoff  ausgefällt  war  und  somit 
schon  aufgeschlossenes  Rhodium  enthielt,  was  auch  aus  seiner 
prächtigen  rosa  Farbe  ersichtlich  war.  Von  den  insgesamt 
angewandten  42,5  g  Rhodium  blieben  somit  im  ganzen  zirka 
4  g  ungelöst,   so  daß  der  Verlust   nur  die  Höhe    von   10®/o 


—     44     — 

erreichte.  Das  mit  der  doppelten  Menge  reinen  Ghlornatriams 
innig  gemengte  Rhodium  warde  in  ein  Schiffchen  ans  Meißner 
Porzellan  gegeben  and  dieses  im  schwer  schmelzbarem  Glas- 
rohre im  Chlorstrom  erhitzt,  wobei  die  Temperatur  bis  zur 
dunkeln  Rotglut  gesteigert  wurde,  bis  der  Inhalt  des  Schiff- 
chens geschmolzen  erschien.  Beim  Erkalten  des  Schiffchens 
erstarrte  die  Schmelze  zu  einem  harten  Kuchen,  der  sich 
leicht  aus  dem  Schiffchen  entfernen  ließ.  Nach  ungefähr 
halbstündigem  Erhitzen  und  Überleiten  von  Chlor  wurde 
der  nach  dem  Erkalten  erstarrte  Inhalt  des  Schiffchens  im 
Achatmörser  auf  das  Feinste  zerrieben,  wieder  eingefallt  und 
von  Neuem  der  Einwirkung  des  Chlorstromes  und  der  Hitze 
ausgesetzt.  Dies  Verfahren  mußte  im  Durchschnitte  4— ömal 
wiederholt  werden,  bis  die  fast  schwarze  Schmelze  beim  Zerreiben 
ein  prächtiges,  rosafarbenes  Pulver  bildete,  das  sich  mit  himbeer- 
roter Farbe  im  Wasser  löste.  Durch  Filtration  mittels  ge- 
härteter ITilter^)  wurde  die  Lösung  von  dem  ungelöstem  Rho- 
dium befreit  und  alsdann  nach  dem  von  Jörgensen  ausge- 
arbeitetem Verfahren  weiter  bearbeitet.  Mittels  gasförmigem 
Chlorwasserstoff  wurde  das  meiste  Chlornatrium  aus  der  Lösung 
gefällt.  Hiebei  benützten  wir  den  in  Figur  2  ersichtlichen 
Apparat,  dessen  Hauptvorteil  dann  bestand,  daß  die  zusammen- 
setzbaren Teile  desselben  aus  vorzüglich  schließenden  Glas- 
schliffen bestanden*  und  somit  keine  Verbindungen  aus  Gummi 
nötig  waren.  In  einem  Erlen meyerkolben  E,  der  durch  einen 
vorzüglich  schließenden  Glasschliff  g  mit  einem  Tropttrichter  T 
versehen  war,  wurde  durch  Eintropfen  von  konzentrierter 
Schwefelsäure  in  konzentrierte  Salzsäure  gasförmiger  Chlor- 
wasserstoff dargestellt.  Mittels  einer  Glasröhre  wurde  der  sich 
entwickelnde  Chlorwasserstoff  durch  den  Glasschliff  g^,  der  zur 
leichteren  Handhabung  des  Apparates  beim  Auseinandernehmen 
angebracht  war,  in  die  Waschflasche  W  geleitet,  die  mit  kon- 
zentrierter Schwefelsäure  beschickt  war  und  ebenfalls  durch 
Glasschliff  gg  verschlossen  werden  konnte.  Von  hier  gelangte 
der  Chlorwasserstoff  schließlich  in  den  die  Rhodiumsalz- 
lösnng  enthaltenden  Erlenmeyerkolben,  Eg,  um  hier  in  einer 
trichterförmigen  F^rweiterung,  die  ein  Verstopfen  durch  ausfal- 


^)  Diese  waren  vorher  mit  öalzBäure  erschöpfend  behandelt  worden. 


—     45     — 

lendes  Cblornatrium  verhindern  soll,  zu  enden.  Nachdem  die 
Lösung  unter  Abkühlung  durch  Einstellen  in  Eiswasser  mit 
gasförmiger  Salzsäure  gesättigt  war,  wurde  das  abgeschiedene 
durch  Khodium  noch  rosa  gefärbte  Chlornatrium  abfiltiert.  Hiezu 
benützten  wir  durch  Kochen  mit  Salzsäure  und  Ausdämpfen 
mit  Wasser  gereinigte  Glaswolle,  nachdem  wir  den  größeren  Teil 
der  Lösung  zuvor  dekantiert  hatten.  Die  rhodiumhaltige  Lösung 
wurde  sodann  in  einer  Porzellanschale  zur  Trockene  eingedampft, 
der  Rückstand  mit  wenig  Wasser  aufgenommen  und  mit  Am- 
moniak im  Überschuß  versetzt.    Nachdem  noch  einige  Male  mit 


Figur  2. 

Ammoniak  bis  fast  zur  Trockene  eingedampft  worden  war, 
wurde  die  zuletzt  erhaltene  Salzmasse  mit  konzentrierter  Salz- 
säure versetzt,  und  mehrere  Stunden  auf  dem  Wasserbade  er- 
hitzt. Hiebei  schied  sich  das  Chloropentamminrhodiumchlorid  aus. 
Dasselbe  wurde  auf  einem  Filter  gesammelt,  mit  kaltem,  reinstem 
Wasser  gewaschen  und  durch  Lösen  in  heißem  Wasser  und  Ein- 
filtrieren in  konzentriei'te  Salzsäure  wiederholt  gereinigt.  Hie- 
bei entstanden  bedeutende  Verluste  an  der  Ausbeute,   da  ein 


—     46       - 

großer  Teil  des  Salzes  beim  Einfiltrieren  in  Salzsäure  in  Lösung 
blieb  und  f6r  das  reinste  Endprodukt  somit  verloren  ging.  Je 
reiner  jedoch  das  Analysenmaterial  wurde,  desto  leichter  löste 
es  sich  in  siedendem  Wasser  und  desto  quantitativer  fiel  es  beim 
Einfiltrieren  in  konzentrierte  Salzsäure  aus.  Infolge  der  eben- 
genannten Umstände  benötigten  wir  große  Quantitäten  des  so 
kostbaren  und  auf  so  mühselige  Weise  dargestellten  reinsten 
Wassers.  In  der  Folge  zeigte  sich  jedoch,  daß  eine  mindestens 
dreimalige  Reinigung  des  Produktes  auf  vorbeschriebene  Weise 
vollkommen  genägte,  tadellos  reinstes  Änalysenmaterial  zur  Atom- 
gewichtsbestimmung  zu  bekommen,  und  schließlich  resultierte 
denn  auch  das  reine  Chlorochlorid  von  dem  von  Jörgensen  be- 
schriebenem Aussehen  als  blaßgelbes,  einen  schwachen  Stich 
ins  Grünliche  zeigendes,  kristallinisches  Pulver. 

BestimmDng  des  Atomgewichtes. 

Das  auf  die  eben  beschriebene  Art  erhaltene  reinste  Präparat 
wurde  in  eine  Platinschale  übergeführt,  wobei  natürlich  die  am 
Filter  haftengebliebenen  Teile  nicht  berücksichtigt  wurden.  Die 
Schale  wurde  dann  in  einen  mit  Phosphorpentoxyd  beschickten 
Exsikkator  gebracht,  wo  sie  im  Vakuum  mehrere  Tage  belassen 
wurde.  Darauf  wurde  sie  im  Trockenschranke  auf  105®  er- 
hitzt, wobei  natürlich  peinlich  darauf  geachtet  wurde,  daß  die 
Temperatur  nie  höher  steige. 

Das  auf  die  geschilderte  Weise  vorbereitete  Präparat  wurde 
nun  zur  Analyse  verwendet. 

Nun  sollte  hier  eine  Beschreibung  der  Wagen  und  Gewichte 
Platz  finden,  die  uns  zur  Verfügung  standen;  allein  die  Wagen, 
die  auch  wir  zu  dieser  Atomgewichtsbestimmung  benützten, 
sind  erst  kürzlich  in  den  aus  dem  gleichen  Laboratorium  er- 
schienenen Abhandlungen  so  ausführlich  beschrieben  worden,  daß 
ich  füglich  nicht  wieder  darauf  einzugehen  brauche. 

Bei  der  eigentlichen  Analyse  des  Chlorochlorids  konnten 
wir  sowohl  die  in  diesem  Laboratorium  gemachten  Erfah- 
rungen bei  den  mehrfachen  Bestimmungen  des  Palladiums 
mit  Nutzen  anwenden,  wie  auch  die  Beobachtungen  zu  Rate 
ziehen,  die  Seubert  und  Kobbe  in  ihrer  Abhandlung  über 
das  Atomgewicht  des  Khodiums  niedergelegt  haben.  Wie  beim 
Palladium,  so  bildete  auch   bei   der    Atomgewichtsbestimmung 


—     47     — 

des  Ehodiams  die  größten  Schwierigkeiten  der  Umstand,  daß 
Rhodinm  die  Eigenschaft  besitzt,  Wasserstoff  zu  absorbieren. 
Mithin  lag  der  Gedanke  nahe,  die  Bestimmung  genau  in  der- 
selben Weise,  ja  mit  dem  nämlichen  Apparate  wie  die  Atom- 
gewichtsbestimmung des  Palladiums  auszuführen.  Wir  ver- 
wandten den  durch  beiliegende  Figur  3  veranschaulichten  Apparat, 
dessen  Beschreibung  der  Zweck  der  folgenden  Zeilen  sei: 

Das  im  Kipp 'sehen  Apparate  entwickelte  Gas  passiert 
die  drei  Waschflaschen  a,  b,  c  und  tritt  von  hier  in  einen  kleinen 
Verbrennungsofen  d.  Die  darin  befindliche  Verbreunungsröhre 
ist  mit  ausgeglühten  Kupferspiralen  gefüllt,  e  stellt  eine  Kugel- 
röhre dar,  die  mit  Palladiumasbest  gefüllt  ist,  f  ein  Ghlorcalcium- 
rohr,  das  mit  dem  folgenden  Röhrenstück  durch  einen  Schliff 
verbunden  ist,  wie  überhaupt  von  hier  ab  alle  Verbindungen 
durch  tadellose  Glasschliffe  hergestellt  sind.  Bei  g  verzweigt 
sich  der  Apparat:  hier  mündet  der  Kohlensäurestrom  ein,  der 
die  gleichen  Beinigungsapparaturen  zu  passieren  hat  wie  der 
Wasserstoffstrom,  was  in  der  Figur  nicht  ausgeführt  ist.  Durch 
entsprechende  Stellung  der  Glashähne  m^,  m^,  m,  kann  je  nach 
Bedarf  ein  Wasserstoff  bezw.  Kohlensäurestrom  durch  den 
Apparat  geleitet  werden,  g  stellt  eine  mit  Phosphorpentoxyd 
gefüllte  Röhre  dar,  die  mittels  eines  Schliffes  mit  h,  dem  Er- 
hitzungsrohre, verbunden  ist.  Das  Chlorcalciumrohr  sowie  die 
mit  konzentrierter  Schwefelsäure  beschickten  Waschflaschen 
schließen  den  Apparat  nach  hinten  ab. 

Wasserstoff  wurde  entwickelt  aus  chemisch  reinem  arsen- 
treiem  Zink  und  mehrfach  destillierter  und  dann  mit  Wasser 
verdünnter  Schwefelsäure.  Das  Zink  war  vorher  platiniert  worden. 

Die  Kohlensäure  entwickelten  wir  aus  Marmor,  den  wir 
durch  Auskochen  mit  Wasser  von  Luft  befreit  hatten,  und  mit 
reinster,  verdünnter  Salzsäure. 

Diese  Gase  traten  nacheinander  durch  konzentrierte  Kali- 
lauge, —  beim  Kohlensäureapparate  war  natürlich  statt  dieser 
eine  Lösung  von  Natriumbikarbonat  vorgelegt  worden,  ~ 
Kaliampermanganatlösung  und  chemisch,  reine,  konzentrierte 
Schwefelsäure.  In  der  Verbrennungsröhre  sowie  durch  deji 
Palladiumasbest  wurden  die  letzten  Reste  von  Sauerstoff  ent- 
fernt, und  das  so  gereinigte  Gas  wurde  nochmals  durch  Chlor- 
calcinm  und  Phosphorpentoxyd  scharf  getrocknet. 


—     48     — 

Nach  dieser  Schilderung  des  Apparates  im  allgemeinen 
mag  nun  die  Beschreibung  einer  Atomgewichtsbestimmung  selbst 
erfolgen. 

Große  und  breite  Porzellanschiifcben  aus  Meißner  Porzellan 
wurden  in  Königswasser  mehrere  Stunden  ausgekocht,  dann 
mit  Wasser  gereinigt  und  schließlich  in  reinem  Wasser  selbst 
nochmals  längere  Zeit  ausgekocht.  Nachdem  sie  sorgfältigst  mit 
einem  seidenem  Tuche  getrocknet  waren,  wurden  sie  je  10  Minuten 
vor  dem  Gebläse  geglüht,  dann  nach  kurzem  Erkalten  in  die 
bekannten  zu  diesem  Zwecke  dienenden  Wägeröhrchen,  die 
mit  zwei  vorzüglich  eingeschliffenen  und  absolut  luftdichten 
Glasstopfen  versehen  waren,  eingeschoben,  2  Stunden  an  der 
Wage  stehen  gelassen  und  dann  zur  Wägung  gebracht.  Dies 
wurde  so  oft  wiederholt,  bis  dreimal  hintereinander  konstantes 
Gewicht  erreicht  wurde.  In  das  so  vorbereitete  Schiffchen 
wurden  nun  circa  1^2  S  des  reinsten  Chlorochlorids  eingetragen 
und  im  Trockenschranke  bei  105®  2  Stunden  lang  erhitzt. 
Nach  abermaligem,  zweistündigem  Stehen  im  Wägezimmer 
wurde  das  Schiffchen,  diesmal  mit  Substanz,  gewogen  und 
diese  Operation  so  lange  fortgesetzt,  bis  konstantes  Gewicht 
erreicht  wurde.  Das  Schiffchenwurde  nun  vorsichtig  in  das 
Glasrohr  h  übergeführt,  die  Apparate  luftdicht  verbunden 
und,  nachdem  zuvor  durch  Kohlensäure  zur  Vermeidung  von 
Knallgas  alle  Luft  verdrängt  worden  war,  ein  langsamer  Wasser- 
stoffstrom hindurchgeleitet. 

Jörgensen  hat  bei  seinen  Versuchen  die  Erfahrung  ge- 
macht, daß  die  Reduktion  des  Salzes  nicht  ohne  Stäuben  vor 
sich  geht,  und  hat,  um  Verlusten  vorzubeugen,  das  Salz  in 
Filtrierpapier  eingewickelt  abgewogen,  erst  in  Luft,  dann  in 
Wasserstoff  geglüht  und  nach  beendetem  Versuche  die  ent- 
sprechende Menge  Filterasche  von  dem  Gewichte  des  Metalls 
in  Abzug  gebracht.  Seubert  und  Kobbe  haben  aber  gezeigt, 
daß  das  Stäuben  vollständig  vermieden  werden  kann,  wenn 
man  die  betreffenden  Verbindungen,  seien  sie  durch  langsame 
Kristallisation  abgeschieden  oder  aus  Lösungen  gefällt,  vorher 
im  Achatmörser  möglichst  fein  zerreibt.  In  der  Tat  konnten 
auch  wir  durch  Befolgung  dieses  Ratschlages  Verlusten  vor- 
beugen, doch  können  wir  noch  die  Erfahrung  hinzufugen,  daß 
man  sich   am   sichersten  vor  Verlusten  schützt,  wenn  man  die 


—     49     — 

Reduktion  nur  in  einem  ganz  langsamen  Wassersloffstrome  oder 
gar  nur  in  einer  Wasserstoflfatmosphäre  vor  sich  gehen  läßt 
obwohl  im  letzteren  Fall  der  weitere  Übelstand  eintritt,  daß 
das  sich  bildende  Chlorammonium  fortwährend  zurücksublimiert. 
Wir  wählten  also  den  Mittelweg  und  gingen  so  vor,  daß 
wir  in  einem  ganz  schwachen  Wasserstoflfstrome  das  Rohr  un- 
gefähr 2  Finger  breit  von  der  Stelle,  an  der  sich  das  Schilf- 
chen befand,  mit  einem  Mikrobrenner  schwach  zu  erwärmen 
begannen  und  durch  fächelndes  Erhitzen  die  Zersetzung  des 
Chlorochlorids  allmählich  herbeiführten.  Die  Zersetzung  geht 
äußerst  ruhig  vor  sich,  doch  muß  man  darauf  achten,  mit  dem 
Brenner  stets  einen  Zentimeter  von  der  Stelle  entfernt  zu 
bleiben,  an  der  eben  die  Reduktion  vor  sich  geht.  Das  Chlor- 
ammonium verflüchtigt  sich  langsam,  indem  es  sich  teils  auf 
dem  zersetzten  Salze  niederschlägt,  teils  an  der  Röhre  haften 
bleibt.  Der  Prozeß  geht  so  langsam  vor  sich,  daß  wir  zur 
erstmaligen  Reduktion  des  Schiffchens  stets  volle  3—4  Stunden 
benötigten.  Eine  weitere  Schwierigkeit  bestand  nun  darin  die 
letzten  Reste  des  Chlorammonium  aus  dem  Rhodiumschwamm 
zu  vertreiben  und  ein  Zurücksublimieren  zu  vermeiden.  Wir 
erreichten  dies  dadurch,  daß  wir,  nachdem  das  Salz  voll- 
ständig zersetzt  war,  einen  stärkeren  Wasserstoffstrom  durch 
die  Röhre  streichen  ließen  und  durch  Erhöhung  der  Tempe- 
ratur mittels  eines  Teklubrenners  mit  Schwalbenschwanzauf- 
satze, beginnend  am  Ende  des  mit  Phosporpentoxyd  beschickten 
Rohrs,  dafür  Sorge  trugen,  daß  ein  Zurücksublimieren  des 
Chlorammoniums  zur  Unmöglichkeit  wurde.  Auf  diese  Weise 
trieben  wir  zugleich  das  Chlorammonium  ein  gutes  Stück 
über  das  Schiffchen  hinaus,  so  daß  beim  späteren  Heraus- 
nehmen des  Schiffchens  kein  Chlorammonium  mehr  an  demselben 
haften  bleiben  konnte.  War  dies  erreicht,  so  ließen  wir  die 
Temperatur  der  Röhre  auf  ungefähr  200®  abkühlen,  schalteten 
den  Wasserstoffstrom  aus  und  leiteten  Kohlensäure  durch  die 
Röhre  durch  Schließen  von  m^  und  Öffnen  von  mg.  Dies  hatte 
den  Zweck,  einerseits  die  Absorption  von  Wasserstoff  durch 
Rhodium  zu  verhindern,  andrerseits  der  beim  unmittelbaren 
Verbringen  des  feinverteilten  Rhodiums  aus  der  Wasserstoff- 
atmosphäre in  die  Luft  infolge  seiner  kalalytischen  Eigen- 
schaften   erfolgenden    Bildung    eines    Besclilaofs    von    Wasser 

Sitxungaberiebte  der  phys.-med.  Soz.  89  (1907).  ^ 


—     50     — 


^^-^cr; 


vorzubeugen.  Wie  das  mit  Wasserstoff  beladene  Palladium, 
im  'JC^tei^äiiifestrom  schwach  über  150®  erwärmt,  die  ge- 
samte -Menge  des  Wasserstoffs,  ohne  von  der  Kohlensäure 
irgendwie  angegriffen  zu  werden,  abgibt,  so  konnte  auch 
im  vorliegenden  Falle  durch  die  gleiche  Behandlung  bewirkt 
werden,  daß  das  nach  der  Reduktion  ini  Schiffchen  als  zusammen- 
hängendes lockeres  Stäbchen  von  hellgrauer  Farbe  zurfick- 
bleibende  Metall  nach  dem  Erkalten  im  Eohlensäurestrom  und 
Vertreiben  der  Kohlensäure  durch  reine,  trockene  Luft  absolut 
rein  und  frei  von  irgend  welchen  Grasen  war.  Nachdem  so  das 
Schiffchen  im  Kohlensäurestrome  nochmals  erhitzt  worden 
war,  wurde  zum  Erkalten  eine  Stunde  lang  Kohlensäure  durch 
die  Röhre  geleitet;  dann  die  Kohlensäure  dui*ch  reine,  trockene 
Luft  vertrieben,  das  Schiffchen  aus  der  Röhre  in  das  luft- 
dicht verschlossene  Wägeröhrchen  übergefiihrt,  zwei  Stunden  im 
Wägezimmer  belassen  und  schließlich  gewogen.  Dieser  Prozeß 
des  Erhitzens  im  Wasserstoff-  bezw.  Kohlensäurestrom  wurde 
so  oft  wiederholt,  bis  Gewichtskonstanz  eingetreten  war,  was 
zumeist  schon  mit  der  3.  und  4.  Wägung  erreicht  wurde. 

Schließlich  wurde  das  Schiffchen  mit  der  reduzierten  Sub- 
stanz im  Sprehgelschen  Vakuum  erhitzt,  ohne  daß  das  Ge- 
wicht sich  verändert  hätte. 

Nachdem  nun  alles,  was  zur  Beurteilung  der  von  uns  ge- 
wählten analytischen  Methode  von  Wichtigkeit  ist,  in  kurzen  Zügen 
mitgeteilt  worden  ist,  folgen  die  gefundenen  Werte,  auf  deren 
Diskussion  wir  uns  jedoch  nicht  eher  einlassen 
möchten,  bis  weitere  Untersuchungen,  die  im  hiesigen 
Laboratorium  im  Gange  sind,  die  Frage  endgültig 
entscheiden. 


Nr. 

Angewandte 

Substanz 

in  g 

Gefunden 

Rhodium 

in  g 

Verlust 

=  (NH,),Cl3 

in  g 

Gefunden 
•/o  Rh. 

• 

Atom- 
gewicht 

1 
2 
3 

1,60574 
1,67310 
1,30182 
4,58066 

0,56124 
0,58492 
0,45507 
1,60123 

1,04450 
1,08818 
0,84675 

34,951 
34,960 
34,956 
Mittel 
34,956 

102,906 
102,943 
102,925 

2,97943 

Mittel 
102,92 

=o=c 


«-  <=' 


über  Wirbelsäulenperkussion. 

Von  Oskar  de  la  Camp. 

Aus  dem  pharmakologisch-polikliniscfaen  Institut  der  Universität  Erlangen. 

Vorgetragen  in  der  Sitzang  vom  8.  Juli  1907. 

Während  die  Perkussionsmethodik  am  Thorax  selbst  allseitig 
ausgebildet  ist,  während  man  auch  hinter  dem  Stemum,  als 
solidem  Knochen,  lufthaltige  Organe  von  luftleeren  perkussorisch 
abzugrenzen  gelernt  hat,  ist  von  der  Perkussion  des  Strebe- 
pfeilers des  Brustkorbes,  der  Wirbelsäule  selbst,  bisher  wenig 
die  Rede  gewesen. 

In  neuerer  Zeit  haben  einige  Autoren  allerdings  dem  Wert 
der  Wirbelsäulenperkussion  das  Wort  geredet.  Hier  sind  zu 
nennen  vor  allem  Ewart,  Bauchfuß,  Hamburger  und  be- 
sonders V.  Koranyi.  —  Doch  liegen  auch  recht  alte  Beob- 
achtungen vor: 

Skoda  übersetzt  Auenbruggers  „Idem  sonus  per 
tractum  Spinae  dorsi  observatur^  mit:  „Derselbe  Ton 
ergibt  sich  längs  der  Wirbelsäule." 

Diese  Übersetzung  erscheint  nicht  gerechtfertigt;  Auen- 
brugger  meint  offenbar,  nachdem  er  den  Schall  an  den  Seiten 
des  Brustkorbes  besprochen  und  den  dumpf  schallenden  Bezirk 
der  Herzdämpfung  hinter  dem  Sternum  erwähnt  hat,  mit  dem 
letzten  Satz  die  Perkussion  der  Wirbelsäule  selbst.  —  Ferner 
äußert  sich  Piorry  ausführlicher  über  die  direkte  Perkussion 
der  Wirbelsäule. 

Den  Wert  der  Wirbelsäulenperkussion  möchte  ich  an  zwei 
Beispielen  demonstrieren:  1.  an  der  perkussorischen  Darstellung 
vergrößerter  mediastinaler  Drüsen;  2.  an  den  Dämpfungsverhält- 
nissen pleuritischer  Ergüsse,  welche  der  Wirbelsäule  sich  an- 
lagern. 

4* 


—    52     ~ 

1.  Korabination  der  vielfachen  anderweitigen  Symptome 
einer  Anschwellung  der  Drüsen  im  Thoraxinjiem  (Abmagerung, 
Temperaturbewegungen,  skrophulöser  Habitus,  sonstige  Drusen- 
schwellungen, positive  Tuberkulinreaktion,  Druckschmerz,  Vagus- 
husten, Spinalgie,  Neissers  Sondierungsmethode,  Röntgenunter- 
suchung) gestattet  intra  vitam  nicht  selten  eine  sichere  Diagnose. 
Solche  Fälle  wurden  in  erster  Linie  zur  Bewertung  der  Wirbel- 
säulenperkussion herangezogen.  —  Die  Wirbelsäulennähe  der 
im  Bifurkationsknie  liegenden  Drüsen  kann  ich  Ihnen  unter  Be- 
zugnahme auf  die  Thoraxquerschnitte  im  Toldtschen  Atlas  und 
auf  eigene  Röntgenuntersuchungen  an  Frontalserienschnittea 
durch  Gefrierleichen  demonstrieren. 

Bezüglich  der  Perkussionstechnik  und  -befunde  an  der 
normalen  Brustwirbelsäule  schließe  ich  mich  den  v.  Koranyischen 
Befunden  fast  ausschließlich  an.  Daß  die  einzelnen  auf  ihren 
Dornfortsatz  perkutierten  Wirbel  als  Plessimeter  wirken,  un- 
beschadet der  schrägen  Perkussionsrichtung,  kann  ich  Ihnen 
durch  Darstellung  der  absoluten  und  relativen  Herzdämpfung 
bei  einem  erwachsenen  Jungen  zeigen.  (Demonstration.)  —  Im 
Öefüge  der  Wirbelsäule  behält  jeder  Wirbel  seine  perkussorische 
Selbständigkeit,  so  daß  in  der  Tat  die  vor  der  in  kaudal  zu- 
nehmender Weise  zwischen  die  hinteren  Lungenränder  einge- 
falzten Brustwirbelsäule  liegenden  Organe  maßgeblich  werden. 

Beweis:  1.  Der  Wintrichsche  Schallwechsel  (Trachea)  bei 
starker  Perkussion  der  oberen  Brustwirbelsäule,  einmal  bei  ge- 
öffnetem, das  andere  Mal  bei  geschlossenem  Mund  (und  Nase). 

2.  Die  Dämpfung  auf  dem  8.  und  9.  Brustwirbel  (1.  Vor- 
hofsdämpfung) bei  Mitralfehlern. 

3.  Vorführung  von  Kindern  aus  der  Kinderklinik  und  Poli- 
klinik mit  geschwellten  Mediastinaldrüsen. 

Die  Schwingungsverhältnisse  der  Wirbelsäule  kommen 
nun  auch  für  die  Entstehung  des  sogenannten  paravertebralen 
Dreiecks  bei  einem  nicht  zu  geringfügigen  Pleuraerguß  in  Frage. 

Es  gibt  nur  einen  wagerecht  stehenden,  bei  Lage  Wechsel 
unmittelbar  beweglichen  Ergußspiegel  im  Pleuraraum,  nämlich 
denjenigen  bei  gleichzeitiger  Gegenwart  von  Luft.  —  Die 
größeren  entzündlichen  Ergüsse  zeigen  häufig  eine  vielfach 
schon  beschriebene  Form  ihres  Oberflächenspiegels  in  dem  Sinne, 
daß  d:i:  Exsudat  neben  der  Wirbelsäule  tiefer  steht  als  in  der 


—     53     — 

Skapularlinie,  dann  nach  seitlich,  resp.  vorn  steil  abfällt  (E llis- 
Damoiseausche  Kurve).  So  entsteht  auf  der  Ergußseite  ein 
minder  dumpf  (tympanitisch)  schallender^  manchmal  geradezu 
dreieckiger  Bezirk  (Oarland,  Bauchfuß,  Kraus,  Krönig 
u.  a.).  Auch  auf  der  anderen  Seite  resultiert  ein  noch  weniger 
dumpf  schallender  paravertebraler  Streiifen  durch  Verdrängung 
des  Mediastinums  (v.  Koranyi,  Grocco,  Rauch  fuß)  unter 
gleichzeitiger  Anteilnahme  der  Wirbelsäule  im  Sinne  eines  auf 
die  Ergußseite  und  die  gesunde  Seite  übergreifenden  Plessimeters 
(Hamburger). 

Die  einschlägigen  Verhältnisse  möchte  ich  Ihnen  an  Eöntgen- 
bildern  und  den  Frontalserienschnitten  durch  eine  Gefrierleiche 
mit  Pleuraexsudat  unter  Bezugnahme  auf  poliklinische  Beob- 
achtungen an  Lebenden  demonstrieren. 


über  die  Koagulationsgeschwindigkeit  wässriger 
Gelatinelösungen, 

Von  Paul  Lampe. 
Aus  dem  physikalischen  Institut  der  Universität  Erlangen. 
Eingegangen  am  27.  Juli  1907. 
Die  Lösungen  von  kolloidalen  Körpern  kann  man  in  zwei 
Gruppen  einteilen.  Bei  den  einen  tritt  ein  Gerinnen  ein,  bei 
den  anderen  nicht.  Zu  den  ersteren  gehören  die  Gelatine- 
lösungen. Über  den  Verlauf  des  Erstarrungsprozesses  liegt 
schon  eine  Reihe  von  Untersuchungen  vor.  Speziell  wurde  der 
Einfluß,  den  bestimmte  Zusätze  hervorrufen,  untersucht  Die 
früher  verwendeten  Methoden  zur  Bestimmung  des  Erstarrungs- 
verlaufes sind  folgende:  es  wird  z.  B.  der  Zeitpunkt  bestimmt, 
bei  dem  ein  Thermometer  oder  ein  Glasstab  von  der  gerinnen- 
den Substanz  festgehalten  wird  oder  Quecksilbertropfen  nicht 
mehr  durch  die  betreffende  Substanz  durchfallen.  Da  der 
Schmelzpunkt  bei  den  Kolloiden  nicht  wohl  definiert  ist, 
so  sind  diese  Messungen  ungenau.  Einer  anderen  Methode,  die 
auch  nicht  genaue  Resultate  liefern  kann  (es  wird  nämlich  der 
Zeitpunkt  bestimmt,  bei  dem  kein  Ausfließen  der  koagulierenden 
Substanz  beim  Stürzen  eines  Gefäßes  eintritt)  bedienen  sich 
Moerner^)  und  nach  ihm  S.  Levites  *)  zu  eingehenden  Unter- 
suchungen. Auch  diese  Methode  benützt  keinen  scharf  defi- 
nierten Zustand  der  Gelatinelösung.  Ausführliche  Messungen 
über  Erstarrungserscheinungen  von  Gelatinelösungen  sind  weiter 
von  P.  von  Sehr oe der  *)  angestellt  worden.  P.  von  Schroeder 

*)  Mo  einer.  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie.     1899. 

«)  S.  Levites.  Journ.  d.  russ.  phys.  ehem.  Ges.  34,  110—119.  1902. 
35,  253-263.  1903.  86,  401-417.  1904.  Vergl.  Beibl.  z.  d.  Ann.  d. 
Phys.  28,  1121.    1904 

»)  P.  von  Schroeder.  Zeitschr.  f.  phys.  Chemie  46,  75.    1903, 


—     55     — 

hat  eine  wohl  definierte  physikalische  Eigenschaft  wässriger 
Gelatinelösungen  verwendet,  nämlich  die  innere  Reibung.  Zur 
Beobachtung  des  zeitlichen  Verlaufs  des  Koagulationsprozesses 
bei  konstanter  Temperatur  ist  seine  Methode  nur  in  sehr  be- 
schränktem Maße  verwendbar,  da  von  dem  Moment  des  Er- 
starrens  ab  seine  Methode  versagt,  während  der  Eoagulations- 
prozeß  mit  dem  Erstarren  keineswegs  beendet  ist.  Weiterhin 
ist  seine  Methode  nur  für  sehr  verdünnte  Lösungen  brauchbar. 

R.  Reiger*)  hat  auf  die  Verwendbarkeit  des  Scherungs- 
moduls  zui*  Bestimmung  der  Koagulationsgeschwindigkeit  hin- 
gewiesen. Zur  Bestimmung  des  letzteren  eignet  sich  eine 
statische  Methode  von  Th.  Schwedoff*)  und  eine  von 
R.  Reiger  angegebene  „dynamische"  Methode.  Letztere  ist 
vor  allem  im  Änfangsstadium  brauchbar. 

In  der  nachfolgenden  Arbeit  soll  der  Einfluß  der  Konzen- 
tration der  Gelatinelösung  und  der  Einfluß  von  Zusätzen  ver- 
schiedener Salze,  Säuren,  Basen  zu  derselben  auf  die  Koagu- 
lationsgeschwindigkeit bestimmt  werden.  Da  zunächst  von  einer 
eingehenden  Untersuchung  des  Anfangsstadiums  der  Koagulation 
abgesehen  wurde,  so  wurde  zu  den  im  folgenden  mitgeteilten 
Beobachtungen  die  statische  Methode  von  Schwedoff  gewählt  3). 

Da  Vorversuche,  die  mit  Gelatinelösungen  von  demselben 
Prozentgehalt  an  Gelatine  bei  verschiedenen  Temperaturen  an- 
gestellt wurden,  zeigten,  daß  der  Scherungsmodul  in  hohem 
Maße  von  der  Temperatur  abhängt,  so  wurden  die  Versuche 
in  einem  Raum  von  konstanter  Temperatur  durchgeführt.  Die 
mittlere  Temperatur  desselben  bei  den  verschiedenen  Versuchen 
gibt  die  auf  S.  56  folgende  Tabelle  wieder. 

Bei  der  Herstellung  der  Lösungen  wurde  Rücksicht  darauf 
genommen,  daß  sie  sämtlich  möglichst  dieselbe  (thermische) 
Vorgeschichte  erhielten,  deren  Einfluß  auf  die  elastischen  Eigen- 
schaften koagulierter  wässriger  Gelatinelösungen  von  E.  Fraas  *) 
und  P.  von  Schroeder^)  untersucht  worden  ist. 


')  R. Reiger.  Sitzungsberichte  der  phys.-med.  Soz.  in  Erlangen  38, 
252.    1906. 

*)  Th.  Schwedoff.    Journ.  d.  Phys.,  8,  341.    1889  u.  9,  34.    1890. 
•)  Vergl.  hierzu  R.  Reiger  a.  a.  0.  S.  253. 
*)  E.  Fraas.   Wied.  Ann.  53,  1074.    1894. 
•)  P.  von  Schroeder  a.  a.  0. 


56 


Vereuchß- 

mittlere 

reilie 

Temperatur 

I. 

6,0» 

II. 

6,0« 

III. 

7,1° 

IV. 

6,6<' 

V. 

6,8" 

VI. 

7,0" 

VII. 

7,2« 

Die  von  mir  verwendeten  A^ufliängungsdrähte  besaßen 
eine  Direktionskraft,  welche  innerhalb  der  Grenzen  3,206 
•  10«— 1,887-105  Erg  lag.  Zunächst  seien  im  folgenden  die 
zeitlichen  Änderungen  des  Scherungsmoduls  mitgeteilt. 


Beobachtungen  des  Einflusses  der  Konzentration  und 

Beimengungen  auf  die  zeitliehe  Änderung  des 

Scherungsmoduls. 

1.  Einflufs  der  Konzentration. 

Um  den  Einfluß  der  Konzentration  auf  die  zeitliche  Ände- 
rung des  Scherungsmoduls  zu  bestimmen,  wurden  1^/^,  2^/o 
und  i^JQ  Gelatinelösungen  untersucht.  Am  Ende  des  Versuches 
wurde  eine  genaue  Bestimmung  der  Konzentration  durch  Ana- 
lyse vorgenommen.  Dazu  wurden  kleine,  dünne  Scheibchen 
aus  der  koagulierten  Lösung  herausgeschnitten,  auf  ein  Uhr- 
glas gebracht  und  möglichst  rasch  gewogen.  Hierauf  wurden 
die  Scheibchen  im  Exsikkator  getrocknet,  bis  sich  das  Gewicht 
nicht  änderte.  Die  Abhängigkeit  des  Scherungsmoduls  von 
der  Zeit  geben  die  folgenden  Tabellen,  in  denen  die  1.  Ko- 
lumne die  nach  dem  Gießen  der  Lösung  verstrichene  Zeit  t  in 
Stunden  und  die  2.  Kolumne  den  Scherungsmodul  n  in 
kg/mm*  gibt. 


-    57 


L  Versuchsreihe. 

Figur  1. 


0    StiudeD 


Konzentration  1,128 

Konzentration  2,189 

Konzentration  4,434 

t 

n.lO» 

t 

n  .  10* 

t 

n  .  10* 

1^ 

0,007 

Ih 

0,010 

Ih 

0,161 

2h 

0,046 

2h  2' 

0,073 

2h  2' 

0,760 

3t 

0,145 

3h 

0,199 

3h 

1,325 

4h 

0,283 

4h 

0,303 

4h 

1,707 

r)h 

0,402 

5h 

0,382 

4h  58' 

2,022 

6h 

0,491 

6h 

0,440 

6h 

2,229 

7h  1' 

0,575 

7h 

0,483 

7h 

2,386 

811 

0,636 

8h 

0,517 

8h 

2,505 

9h 

0,685 

9h 

0,542 

9h 

2,599 

10h 

0,728 

10h 

0,561 

10h  1' 

2,675 

11h 

0,767 

11h  2' 

0,579 

Uh  1' 

2,733 

17h  2' 

0,911 

12h 

0.596 

12h   1' 

2,780 

23h  1' 

0.982 

13h  1' 

0,610 

20h 

3,070 

2r)h  1' 

0,994 

19h 

0,663 

25h 

3,148 

29h  1' 

1,022 

25h  3- 

0,693 

28h 

3,181 

31h 

1,035 

3lh  10' 

.0,713 

45h  54' 

3,376 

35h 

1,062 

37h 

0,728 

70h  38' 

3,537 

47h 

1,130 

49h 

0,753 

59h 

1,225 

73h 

0,792 

61h  1' 

1,226 

—    58    - 

2.  Einflufs  von  yerBOhiedenen  Beimengungen. 
In  den  folgenden  Untersuchungen  wurden  zunächst  die 
Zusätze  so  gewählt,  daß  sich  Vio  ^^^^^^^^^^^^  ^^  einem  Liter 
der  öelatinelösung  (4®/o)  befand  ^).  Je  3  Lösungen  wurden 
gleichzeitig  hergestellt,  um  dieselbe  thermische  Vorgeschichte 
zu  erzielen.  Ein  Versuch  mit  einer  4prozentigen  Gelatinelösuug 
wurde  stets  gleichzeitig  mit  durchgeführt.  Den  Einfluß  der  ein- 
zelnen Salze,  Basen  und  Säuren  geben  die  folgenden  Tabellen. 
Die  Anordnung  der  Tabellen  ist  in  der  Weise  getroffen,  daß 
stets  die  Versuche  der  Reihe  nach  aufgeführt  sind,  wie  sie 
zeitlich  aufeinander  folgten. 


II.  Versuchsreihe. 
Figur  2. 


3 

^— -" 

Ji-o- 



■ 

— ^ 

/ 

— ^ 

-— 

4%BitlitQ 
4%  mit  KOI 

== 

3 

¥ 

r 

i 

(k  mit  NaCI 

1 

f 

d 

0'  S4aodeD 


60 


^)  Versuche  über  deu  Einfluß  der  Konzentration  der  Zusätze  sollen 
später  mitgeteilt  werden. 


—    59 


4»/o  Gelatine 

KCl 

NaCl 

t 

n.lO* 

t 

n.lO* 

t 

n.lO* 

Ib 

0,161 

Ih 

0,234 

lh2' 

0,167 

2h  2' 

0,760 

2h 

0,796 

2h  2' 

0,652 

3h 

1,325 

31»  3' 

1,292 

3h  2' 

1,133 

4h 

1,707 

4^  1' 

1,626 

4h  2' 

1,490 

4h  58' 

2,022 

5h  4' 

1,847 

5h  2' 

1,739 

6h 

2,229 

6h  8' 

2,029 

6h  2'    1,922 

7h 

2,386 

7h  3'    1  2,142  1 

7h  2'   2,060 

8h 

2,505 

8h  3' 

2,243 

8h  2' 

2,180 

9h 

2,599 

9h  4' 

2,321 

9h  2' 

2,268 

10h  V 

2,675 

10h  4' 

2,380 

10h  2' 

2,343 

11h  1' 

2,733 

11h  6' 

2,434 

11h  2'   2,401 

12hl' 

2,780 

12h  4' 

2,470 

12h  2' 

2,448 

25h 

3,148 

13h  7' 

2,512 

21h  2' 

2,740 

28h 

3,181 

21h  6' 

2,726 

25h 

2,799 

45h  54' 

3,376 

25h  5' 

2,783 

47h  2' 

3,034 

70h  38' 

3,537 

29h  5' 
4Sh 

2,821 
2,986 

71h  41'    3,133 

III.  Versuchsreihe. 

Figur 

3. 

~    60    — 


4*'/o  Gelatine 

Na,  SO, 

K,SO, 

t 

11.10* 

t 

n.lO' 

t 

n.lO* 

Ih  r 

0,381 

Ih 

0,361 

Ih 

0,303 

2h  1' 

0,959 

2h 

1,031 

2h 

0,970 

3hl' 

1,742 

3h 

1,561 

3h 

1,478 

4h  V 

2,129 

4h 

1,921 

4h 

1,832 

6h  3' 

2,562 

5h  1' 

2,168 

5h 

2,068 

7h  V 

2,692 

6h 

2,340 

6h 

2,238 

8h  V 

2,795 

7h 

2,471 

7h 

2,359 

9h  1' 

2,874 

8h 

2,576 

8h 

2,457 

10h  2' 

2,941 

9h 

2,654 

9h 

2,533 

11h  V 

2,992 

10h 

2,711 

10h 

2,599 

12h  1' 

3,039 

18h 

3,027 

18h 

2,901 

20h  3' 

3,330 

20h  2' 

3,048 

20h  2' 

2,938 

45h  54' 

3,665 

42h  11' 

3,318 

43h  47' 

3,204 

IV.  Versuchsreihe. 

Figur  4. 


a 

r 

O-   ,ft-„ 

^ 

o 

c 

•» 

*-2=^ 

^5**^ 

^T^^^'^'o^w 

1 

X 

V, 

s 

\ 

\ 

Sf" 

k      \ 

1 

Vi  n 

\ 

VT 

\ 

^ 

\ 

t 

Dlatine 

KNO, 

NaNOa 

11 .  10* 

t 

11 .  10* 

t 

n.lO* 

lh4'     0,079 

Ih 

0,040 

Ih 

0,088 

2h         0,455 

2h 

0.256 

2h  2' 

0,460 

3h  1'     1,187 

3h 

0,856 

3h 

1,057 

4h  1'  ,  1,720 

4h 

1,364 

4h 

1,519 

5h  2' 

2,104 

5h 

1,733 

5h  1' 

1,832 

6h  1' 

2,359 

6h 

1,989 

6h  1' 

2,044 

7h  2'' 

2,548 

7h  2' 

2,172 

7h   1' 

2.206 

8h  2' 

2,687 

8h   1' 

2,301 

8hl' 

2,316 

9h  3' 

2,783 

9h   1' 

2,387 

9h  1' 

2,403 

10h  6' 

2,859 

10h 

2,475 

lOh  1' 

2,473 

11h  6'  !  2,932 

20h  15' 

2,882 

11h 

2,526 

12h  2'    2,987 

12h 

2,567 

21h  2' 

3,367 

22h 

2,893 

-    61     - 

V.  Versuchsreihe. 

Figur  5. 


4°/o  Gelatine 

4»;oG( 

Blatine 
n.lO* 

HCl ») 

HCl 

t 

ri.lO* 

t 

t        11.10* 

t 

n.lO* 

Ih 

0,076 

8h  1'     2,603 

lh3' 

0,015 

8h 

1,830 

Ih  35' 

0,208 

fth  y     2,721 

2h  5' 

0,130 

9h 

1,940 

2^37' 

0,824 

101»  1'     2,807 

3h  1' 

0,468 

10h 

2,020 

3h 

1,084 

lU» 

2,868 

4h  l' 

0,916 

11h  1' 

2,083 

4h  1' 

1,600 

12h  1' 

2,915 

oh  1' 

1,257 

12h 

2,142 

b^ 

2,011 

22h  2' 

3,296 

6hl' 

1,510 

22h 

2,473 

61*2' 

2,280 

47h  32' 

3,599  , 

7h  1' 

1,694 

46h  53' 

2,735 

7h  i' 

2,464 

i 

*)  Die  Lösung  war  nicht  genau  ^^o  norm.,  sondern  0,1022  norui. 


-    62    - 

VI.  Versuchsreihe. 

Figur  6. 


4^/0  Gelatine 

KOH 

HNO, 

t 

n.lO* 

t 

n.lO» 

t 

n.lO* 

Ih 

0,072 

Ih 

0,080 

Ih 

0,026 

2h 

0,478 

2h  2' 

0,340 

2h  11' 

0,223 

3h  6' 

1,240 

3h 

0,820 

3h 

0,566 

4h 

1,710 

4h  3' 

1,862 

4h 

0,945 

5h 

2,073 

5h 

2,807 

5h 

1,219 

6h 

2,317 

6h 

3,565 

6h 

1,419 

7h 

2,496 

7h 

4,115 

7h 

1,562 

8h 

2,621 

8h 

4,502 

8h  12' 

1,677 

9h 

2,718 

9h 

4,753 

8h  58' 

1,759 

10h 

2,800 

10h 

4,937 

10h 

1,818 

11h  1' 

2,862 

11h 

5,054 

11h 

1,886 

12h  1' 

2,899 

12h 

5,123 

12h 

1,912 

13h 

2,951 

13h 

5,159 

22h 

2,195 

23h 

3,270 

14h 

5,164 

23h  1' 

2.208 

27h  1' 

3,312 

23h 

5,082 

27h 

2,255 

31h 

3,360 

26h  57' 

4,846 

31h 

2,281 

35h 

3,390 

30h  58' 

4,591 

35h 

2,314 

47h 

3.539 

35h  5' 

47h 

95h 

4,321 
3,687 
1,814 

59h 

2,411 

—    63     — 

VII.  Versuchsreihe. 

Rgur  7. 


4»/o  Gelatine 

NaOH 

HjfiO* 

t 

n.lO* 

t 

n.lO* 

t 

n.lO* 

Ih 

0,066 

Ih 

0  007 

Ih 

0,057 

2h 

0,418 

2h 

0,037 

2h  8' 

0,424 

3h 

1,099 

3h 

0,093 

3h 

0,790 

4h 

1,617 

4h 

0,196 

4h 

1.181 

5h 

1,980 

5h 

0,302 

5h  1' 

1,460 

6h 

2,233 

6h 

0,388 

6h 

1,658 

7h 

2,412 

7h 

0,447 

7h 

1,803 

8h 

2,538 

8h 

0,492 

8h  1' 

1,907 

9h 

2,635 

9h 

0,523 

9h 

1,988 

10h 

2,716 

10h 

0,544 

10h 

2,052 

11h 

2,781 

11h 

0,558 

11h 

2,104 

12h 

2,837 

12h 

0,572 

12h 

2,152 

24h 

3,236 

13h 

0,576 

24h 

2,474 

30h 

3,304 

24h 

0,591 

30h 

2,541 

36h 

3,370 

30h 

0,558 

36h 

2,584 

48h 

3,490 

36h 

0,523 

48h 

2,677 

2,5  Tage 

3,568 

48h 

0,454 

2,5  Tage 

2,700 

3,0  Tage 

3,627 

2,5  Tage 
3,0  Tage 

0,391 
0,335 

3,0  Tage 

2,778 

^     64     - 

Yerlfluf  des  Koagniationsprozesses. 

Welche  Vorstellung  man  sich  anch  von  dem  Koagulations- 
prozeß machen  mag,  so  haben  wir  es  jedenfalls  hier  mit  einem 
Vorgang  zu  tun,  bei  dem  eine  Umwandlung  der  gegebenen 
Lösung  in  einen  anderen  Zustand  stattfindet  ^).  Nach  R.Reiger^) 
ist  der  Untersuchung  des  hier  stattfindenden  Reaktionsverlaufes 
die  zeitliche  Änderung  des  Scherungsmoduls  zugrunde  gelegt. 
In  welcher  Weise  jedoch  der  Scherungmodul  von  der  bei  dem 
Prozeß  umgewandelten  Menge  abhängt,  ist  nicht  bekannt.  Zu- 
nächst kann  man  wohl  die  Annahme  machen,  daß  die  um- 
gesetzte Menge  proportional  dem  Scherungsmodul  d.  h.  pro- 
portional n  ist.  A.  Leick^)  findet  bei  Untersuchungen  über 
die  Elastizität  koagulierter  wässriger  Gelatinelösungen  für  die 
Konzentrationen  zwischen  IO^Iq  und  40^/^,  daß  E/c*  angenähert 
eine  Konstante  ist,  speziell  für  seine  niedrigeren  Konzentrationen, 
wobei  E  den  Modul  der  Dehnung  und  c  die  Konzentration  be- 
deutet. Für  die  Werte  der  Scherungsmoduln  nach  ca.  47  Stunden 
ist  bei  der  2*/^^  und  4^/^  Oelatinelösung  die  vonLeick  gegebene 
Beziehung  gültig.  Dagegen  finde  ich  bei  der  Konzentration 
l®/o  eine  Abweichung.  Ebenfalls  ergibt  die  Rechnung,  daß 
auch  für  noch  niedrigere  Konzentrationen,  die  von  C.  Rohlof  f  und 
Shinjo  *)  untersucht  worden  sind,  die  Formel  E/c*  nicht  gültig  ist. 
Welche  Beziehungen  für  diese  niedrigeren  Konzentrationen  gelten, 
müssen  erst  weitere  Untersuchungen  zeigen.  Jedenfalls  gilt  für 
ca.  4®/o  Gelatinelösungen  noch  die  Leick'sche  Beziehung,  und 
wir  können  deshalb  noch  die  Annahme,  daß  die  umgesetzte 
Menge  proportional  der  Wurzel  aus  dem  Scherungsmodul,  d.  h. 
proportinal  Vn  ist,  den  Berechnungen  zugrunde  legen.  Die  ge- 
ringe Größe  des  Geschwindigkeitskoeffizienten  einerseits  und 
die  Unkenntnis  des  Zeitpunktes  des  Beginnes  der  Koagulation 
andrerseits  bedingen  für  eine  Berechnung  weitere  Schwierig- 
keiten. Der  erste  Umstand  macht  sich  darin  geltend,  daß 
auch  nach   sehr   langer  Zeit   der  beobachtete  Wert   des  Sche- 

>)  Vergl.  W.  Pfeffer.  Beibl.  z.  Wied.  Ann.  2,  185.  1878;  ferner 
G.  Quincke.  Autorreferat  in  d.  Fortschr.  d.  Phye.  im  Jahre  1903,  Bd.  59, 
I,  210. 

»)  R.  Reiger  a.  a.  0.  S.  256. 

»)  A.  Leick.  Ann.  d.  Phys.  14,  139.     1904. 

*)  C.  Kohloff  und  Shinjo.    Phys.  Zeitscbr.  8,  442.     1907. 


-     65    — 

rungsraoduls  von  dem  theoretisch  ffir  t  =  oo  berechneten  End- 
wert erheblich  abweicht.  Überdies  treten  dann  Fäulniserschei- 
nangen  auf,  wenn  man  die  Beobachtungen  auf  sehr  lange  Zeit 
ausdehnt^). 

Unter  den  oben  erwähnten  Annahmen  wurde  untersucht, 
ob  eine  nnimolekulare,  bimolekulare  etc.  Reaktion  dem  Eoagu- 
lationsprozeß    zu  Grunde    liegt,    d.   b.    ob    die    Oleichungen 

VT-  =  k(a — x)  oder  jt  =  k  (a— x)*  erfüllt  sind.    Im  folgenden 

sind  als  Beispiel  einige  Werte  des  aus  den  Formeln 


und 


•2x,-(x,+X3) 


(unimolekulare  Reaktion) 


_x^(Xt  +  X3)~- 2x^X3 


(bimolekulare  Reaktion) 


2x,-(x,+X3) 

berechneten  End wertes  a  gegeben,    wobei  tj— ti  =  t3— t2=T 
und  die   x^,  Xj,  x,    die  zu  den  Zeiten  t^,   tj,   tj  umgesetzten 

Mengen  sind,  resp.  die  diesen  proportionalen  —  oder 


(O 


V- 


nach  der  Annahme,  die  wir  zu  Grunde  legen. 


je 


L    X  =  — . 

a> 

a)  Beobachtete  Werte. 


Hl 


beobachteter  Endwert 
[nach  6  Tagen] 
1,511  3,532  4,205  4,566  4,794  4,965  6,304 


b)  Berec 

hnete  End' 

werte  a. 

Endwert 
berechnet  aus 

a 

uni  molekulare 
Reaktion 

a 

bimolekulare 
Reaktion 

X,   X,   X, 
X,   X,   X, 
X,   X,   X, 
^  X,  x„ 

4,54 
4,99 
5,19 
5,43 

5,55 
5,76 
5,80 
6,05 

^)  Vergleiche  hierzu  wie  zu  dem  folgenden  R.  Reiger  a.  a.  0.  S.  258. 

Sitxnngaberichte  der  rocd.-phya.  Sox.  89  (1907).  g 


—    66    — 


IL    x  = 


a)  Beobachtete  Werte. 
Diese  Werte  sind  dieselben  wie  unter  I,  so  daß  also 


^9  ^11 


beobachteter  Endwert    t 

4»» 


1,229  1,879  2,051  2,137  2,190  2,228  2,610 

b)  Berechnete  Endwerte  a 


Endwert, 
berechnet  aus 

a 

Ullimolekulare 
Reaktion 

a 

bimolekulare 
Eeaktion 

X,    X,   X, 
X,   X,   X, 
X,   X,   X, 
Xt  X.  x„ 

2,115 
2,198 
2,303 
2,336 

2,349 
2,366 
2,497 
2,447») 

Aus  diesen  Tabellen  ergibt  sich,  daß  weder  die  Formel 
einer  unimolekalaren  noch  einer  bimolekularen  Reaktion  den 
Vorgang  wiederzugeben  vermag.  Der  Wert  a  wächst  mit 
der  Zeit,  der  aus  den  Anfangswerten  berechnete  Wert  ist 
kleiner  als  die  später  beobachteten  Werte. 

Dies  tritt  noch  deutlicher  hervor,  wenn  man  eine  direkte 
Berechnung  des  Oeschwindigkeitskoeffizienten  k  ausfährt.    Es 


Beobachtet«  Werte 

nach  3  Stunden: 

1,0999 

2,233 

2,635 

nach  6  Stunden: 
'„     18      „ 

2,233 
2,837 
3,086 

nach  18  Stunden 
„    27      „ 
„    36      „ 

3,086 
3,278 
3,370 

k  m 


0,180 


0,070 


0,037 


^)  Aus  dieser  Zahl  kann  nichts  geschlossen  werden,  da  die  Differenzen 
zu  klein  sind  and  infolgedessen  die  Versuchsfehler  zu  sehr  in  Betracht 
kommen. 


Beobachtete  Werte 

k  m 

nach  2  Tagen: 

3,490 

„    5      „ 

3,761 

0,0048 

»    8      „ 

3,887 

nach  5  Tagen: 

3,761 

»>    8      „ 

3,887 

0,00223 

„  11       „ 

3,975 

-    67 


seien  z.  B.  für  einen  Versuch  (siehe  die  vorstehende  Tabelle) 
die  Änderung  des  Geschwindigkeitskoeffizienten  unter  der  An- 
nahme einer  unimolekularen  Reaktion  und,  daß  die  umgesetzte 
Menge  proportional  der  Wurzel  aus  dem  Scherungsmodul  ist, 
mitgeteilt,  wobei  m  den  Modul  der  Briggischen  Logarithmen 
bedeutet  und  die  Einheit  der  Zeit  die  Stunde  ist. 

Diese  Abnahme  des  Geschwindigkeitskoeffizienten  mit  der 
Zeit  läßt  vermuten,  daß  wir  es  eventuell  mit  einer  verzögerten 
Beaktion  zu  tun  haben.  Legen  wir  diese  Annahme  zugrunde, 
so  läßt  sich  der  Einfluß  verschiedener  Zusätze  auf  den  Ge- 
schwindigkeitskoeflizienten  bestimmen.  Dabei  soll  von  vorn- 
herein auf  die  Behandlung  des  Reaktionsverlaufs  bei  den  Zu- 
sätzen von  Na  OH  und  EOH  verzichtet  werden,  da  hier  die 
Versuche,  zeigen,  daß  außer  der  Koagulation  noch  eine  Zersetzung 
stattfindet,  infolge  der  die  Koagulation  im  Laufe  der  Zeit  voll- 
ständig vernichtet  wird. 

Die  folgenden  Tabellen  geben  die  berechneten  Werte  für 
die  verschiedenen  Versuchsreihen  unter  der  Annahme  einer  uni- 


Vereucha- 
reihe 

Prozentgehalt 
an  Gelatine 

Zusatz 

Berechnete  W 
X  prop.  n. 
a)          b) 

erte  von  k  m 

X  prop.  \/n. 

a)          b) 

1,128 
2,189 
4,434 

— 

0.084 
0,124 
0,129 

0,071 
0,068 
0,067 

0,133 
0,158 
0,153 

0,082 
0,075 
0,072 

II 
II 
II 

4 
4 
4 

n7ci 

KCl 

0,129 
0,116 
0,124 

0,067 
0,064 
0,065 

0,153 
0,140 
0,145 

0,072 
0,072 
0,070 

III 
III 
III 

4 
4 
4 

Na,SO, 
K,SO, 

0,140 
0,132 
0,137 

0,063 
0,062 
0,063 

0,157 
0,150 
0,155 

0,066 
0,067 
0,068 

IV 
IV 
IV 

4 
4 

4 

KNO, 
NaNO, 

0,147 
0,151 
0446 

0,062 
0,069 
0,065 

0,175 
0,186 
0,174 

0,068 
0,075 
0,071 

V 
V 

4 
4 

HCl 

0,144 
0,128 

0,063 
0,075 

0,178 
0,177 

0,069 
0,083 

VI 
VI 

4 
4 

HNO, 

0,143 
0,133 

0,075 
0,072 

0,170 
0,171 

0,080 
0,079 

VII 
VII 

4 
4 

H,SO, 

0,150 
0,140 

0,069 
0,069 

0,180 
0,171 

0,070 
0,075 

-    68    — 

molekularen  Reaktion,  wobei  unter  a)  die  Werte  berechnet  sind 
aus  den  nach  3,  6,  9  Stunden  und  unter  b)  aus  den  nach  6, 
12,  18  Stunden  beobachteten  Werten.  Dabei  ist  „m"  der  Modul 
der  Briggischen  Logarithmen. 

Vergleichen  wir  die  in  der  Tabelle  gefundenen  Werte  für 
k  m,  so  zeigt  sich,  daß  die  Werte,  die  jeweils  denselben  Zeit- 
in tervallen  und  daher  demselben  Eoagulationszustand  entsprechen, 
für  alle  Zusätze  und  Konzentrationen  konstant  sind,  speziell 
für  die  Annahme,  daß  die  umgesetzte  Menge  proportional  \/n 
ist^).  Allgemein  zeigen  die  Versuchsreihen  I,  II,  III  etwas 
niedrigere  Werte  als  die  Versuchsreihen  IV,  V,  VI,  VII.  Dies 
dürfte  darauf  zurückzufuhren  sein,  daß  zu  den  letzteren  Ver- 
suchsreihen eine  andere  Gelatinesendung  von  den  deutschen 
Oelatinewerken  in  Höchst  am  Main  benützt  wurde  und  diese 
eine  etwas  andere  Zusammensetzung  hatte. 

Wir  kommen  somit  zu  dem  einfachen  Resultat: 

Konzentration  und  Zusätze  beeinflussen  den 
Schernngsmodul,  dagegen  ist  der  Geschwindigkeits- 
koeffizient des  Koagulationsprozesses  innerhalb 
weiter  Grenzen  von  der  Konzentration  und  von  Zu- 
sätzen von  Säuren  und  Salzen  unabhängig. 

Der  Versuch,  welcher,  wie  bereits  erwähnt,  mit  Gelatine- 
lösuugen  von  demselben  Prozentgehalt  bei  verschiedenen  Tem- 
peraturen angestellt  worden  ist,  zeigt  ebenfalls  eine  Unab- 
hängigkeit des  Geschwindigkeitskoeffizienten  von  der  Temperatur, 
dagegen  eine  Abhängigkeit  des  Scherungsmoduls  von  derselben. 
Doch  soll  auf  diese  Versuche  zunächst  nicht  näher  eingegangen 
werden,  da  sie  nur  Vorversuche  sind  und  es  mir  mit  meinen 
bis  jetzt  verwendeten  Hülfsmitteln  nicht  gelungen  ist,  die 
höhere  Temperatur  mehrere  Tage  lang  konstant  zu  halten. 

S.  Levites^)  findet  bei  seinen  Untersuchungen  eine  Ab- 
hängigkeit der  Koagulation  von  Konzentration  und  Zusätzen. 
Wie  bereits  erwähnt,  legt  er  seinen  Messungen  denjenigen  Zeit- 
punkt zugrunde,   bei  dem   kein  Ausfließen  der  koagulierenden 


>)  Eine  Aasnahme   zeigt  nur  die  1.  Reihe.    Dies  rührt  wohl  daher, 

dafi  der  Endwert  nicht  mehr  der  Beziehung  -^  =  const.  genUgt,  und  daß 

man  daher  diese  Annahme  über  die  umgesetzte  Menge  nicht  machen  darf. 
•)  8.  Levites,  a.  a.  0. 


-    69    — 

Substanz  beim  Stürzen  eines  Gefäßes  eintritt,  und  nennt  die 
Eoagnlation  einer  Gelatinelösung  mit  Zusatz  beschleunigt  resp« 
verzögert,  je  nachdem  die  koagulierende  Substanz  den  eben 
erwähnten  Zeitpunkt  früher  oder  später  erreicht  als  eine  reine 
Gelatinelösung  von  derselben  Konzentration.  Dieser  Zeitpunkt 
hängt  aber  wesentlich  von  den  elastischen  Eigenschaften  der 
Gelatinelösung  [Scherungsmodul  und  speziell  Elastizitätsgrenze] 
ab  und  muß  daher  wie  diese  eine  Abhängigkeit  von  Zu- 
sätzen wie  auch  von  Konzentration  und  Temperatur  zeigen. 
Ebenso  fuhrt  P.  von  Schroeder  keine  Bestimmung  des  6e- 
schwindig&eitskoefflzienten  durch  ^),  sondern  er  bestimmt  das  Er- 
starrungsvermögen, für  welches  er  als  Maß  ARjAt  einführt,  wobei 
JR  die  Difierenz  der  Reibungskoeffizienten  zu  verschiedenen  Zeiten 
und  At  die  betreffende  Zeitdifferenz  ist.  Da  aber  der  Reibungs- 
koeffizient der  Gelatinelösungen  eine  Funktion  von  Konzen- 
tration, Temperatur  und  Zusätzen  ist,  so  ist  AUjAt  wiederum  ein 
Ausdruck,  der  von  diesen  drei  Größen  abhängt;  v.  Schroeder 
muß  also  eine  Abhängigkeit  der  Koagulation  von  diesen  drei 
Größen  finden. 

Mit  weiteren  Versuchen  über  die  Frage  der  Koagulations- 
geschwindigkeit bin  ich  beschäftigt. 

Erlangen,  Physikalisches  Institut,  Juli  1907. 


^)  Wenigstens  nicht  für  den  Prozeß  der  eigentlichen  Koagulation. 
Seine  Bestimmung  des  Geschwindigkeitskoefßzienten  beziehen  sich  auf  den 
von  ihm  als  „Yerseifung**  bezeichneten  Prozeß,  der  speziell  unter  Ein- 
wirkung von  langem  Kochen  eintritt.    S.  a.  a.  0. 


Ober  die  Emissionsspektra  der  Metalidämpfe  von 
Kadmium  und  Zink  in  Entladungsrohren^). 

Von  E.  Wiedemann  und  A.  Pospielow. 
AuB  dem  physikalischen  Institut  der  Universität  Erlangen. 
Im  Anschluß  an  eine  frühere  Arbeit  von  E.  Wiedemann 
und  G.  C.  Schmidt*)  wurden  von  dem  einen  von  uns 
spektroskopische  Untersuchungen  an  den  Cd-  und  Zn-Dämpfen 
in  Entladungsröhren  angestellt.  Die  Hauptaufgabe  der  Unter- 
suchungen  war,  die  Unterschiede  der  Spektren  in  verschiedenen 
Teilen  des  Glimmstromes  und  die  Bedingungen  für  das  Auftreten 
der  einzelnen  Linien  festzustellen.  Die  Untersuchungen  wurden 
sowohl  in  Röhren  mit  inneren  wie  auch  in  Röhren  mit  äußeren 
Elektroden  angestellt.  Um  ferner  einige  Anhaltspunkte  bei  den 
Untersuchungen  verschiedener  Teile  des  Glimmstromes  im  Sinne 
der  Elektronentheorie  zu  erhalten,  wurden  Potentialmessungen 
in  diesen  Metalldämpfen  ausgeführt.  In  der  Tat  zeigte  sich, 
daß  die  Spektralerscheinungen  bei  den  zu  untersuchenden  Metali- 
dämpfen mit  den  Potentialgefällen  längs  des  Entladungsrohres 
in  einem  engen  Zusammenhang  stehen:  im  negativen  Glimmlicht, 
wo  die  Geschwindigkeit  der  Elektronen  am  größten  ist*),  war 
das  Spektrum  linienreicher  als  das  der  positiven  Säule. 


^)  AusftthrHches  siehe  in  der  Inaugural-Dissertation  A.  Pospielow: 
Über  die  Emissionsspektra  des  negativen  Glimmlicht  und  der  positiven 
Säule  bei  Metalldämpfen  von  Cd  und  Zn.  Erlangen  1907.  Die  Aus- 
führung der  vorliegenden  Arbeit  wurde  durch  die  liebenswürdige  Ge- 
währung von  Mitteln  aus  dem  Elisabeth  Thompson  Fund  in  Boston  wesent- 
lich erleichtert,  wofür  auch  hier  bestens  gedankt  sei. 

*)  E.  Wiedemann  u.  G.  C.  Schmidt.  Diese  Sitzungsbcr.  27, 
136.  1897. 

')  Beim  Cd-Dampf  war  die  Geschwindigkeit  der  Elektronen  im  nt*ga- 
tiven  Glimmlicht  ca.  300  Volt/cm, 


-    71    - 

Die  folgenden  vier  Hauptstadien  desLeachtens  in  denEnt- 
ladnngsröhren  sind  zu  unterscheiden: 

1.  Anfangsstadium  bei  relativ  niedriger  Temperatur,  bei 
kleinen  Dampfdrucken.  Dieses  Stadium  des  Leuchtens  beim 
Cd-Dampf  im  Intervall  von  ca.  320^—390^  C.  (Temperatur  des 
Ofens),  beim  Zn-Dampf  bis  ca.  500®  C.  zeigte  meistens  den 
normalen  Eathodenfall.  Die  Farbenunterschiede  sind  wenig 
ausgesprochen. 

2.  Stadium  der  Schichtenbildung.  Die  Schichten  der  posi- 
tiven Säule  im  Cd-Dampf  sind  grünblau  mit  rötlich-violettem 
Saum  nach  der  Anode  zu,  im  Zn-Dampf  dagegen  sind  sie  im 
ganzen  rot  gefärbt  (mit  bläulichem  Saum). 

3.  Ungeschichtete  positive  Säule.  Die  ganze  Entladung  be- 
steht aus  zwei  scharf  voneinander  getrennten  Teilen,  von  fast 
gleicher  Größe,  aber  sehr  verschiedener  Farbe.  Das  negative 
Glimmlicht  beim  Cd-Dampf  zeigte  rote  Farbe,  die  positive  Säule 
war  zuerst  grün,  bei  höherer  Temperatur  wurde  sie  blau  und 
dann  tiefblau.  Ziemlich  ähnliche  Farben  zeigte  auch  der  Zn- 
Dampf  in  diesem  Stadium  des  Leuchtens.  Der  Kathodenfall  ist 
in  diesem  Stadium  teils  normal,  teils  aber  anormal. 

4.  Oberhalb  550®  C.  beim  Cd-Dampf  und  bei  ca.  600®  C.  im 
Zn-Dampf  zeigte  sich  die  „  Endform ^  des  Leuchtens,  welche 
durch  sehr  starke  Entwicklung  des  roten  negativen  Glimmlichts 
charakteiisiert  ist.  Der  roten  Farbe  des  negativen  Glimmlichts 
ist  jetzt  auch  Gelb  beigemischt  (was  durch  die  Na-Linie  be- 
dingt ist). 

Der  Eathodenfall  ist  nicht  mehr  normal. 
Abbildungen  der  Spektra  an  verschiedenen  Stellen  geben 
die  folgenden  Figuren. 


Kadminm. 

A.  Spektrum  des  negativen  Glimmlichts. 


r 


I — o     j 


tf 


72 


B.  Spektmm  der  positiven  Säule. 


I   n 

C.  Dasselbe  mit  Banden. 


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Zink. 
A.  Spektrum  des  negativen  Glimmlichts. 


B.  Spektrum  der  positiven  Säule. 


5    «         ?       ^IJ^J       si 

C.  Dasselbe  mit  Banden. 


Die  Hauptresultate  der  Arbeit  können  folgendermaßen  zu- 
sammengefaßt werden: 

1.  Cd-  und  Zn-Dämpfe  zeigen  in  der  positiven  Säule  die 
Banden,  die  schon  von  E.  Wiedemann  und  G.  C.  Schmidt 
beobachtet  wurden. 


—    73     — 

2.  Das  Linienspektrum  des  negativen  Olimmlichts  bei  diesen 
Metalldämpfen  ist  liuienreicher  als  das  Spektrum  der  positiven 
Säule. 

3.  Der  noimale  Kathodenfall  in  Cd-  und  Zn-Dämpfen  kommt, 
was  zu  beachten  ist,  nur  bei  kleinen  Dampfdracken  vor  und 
beträgt  in  Cd  gegen  Cd  303  Volt,    in  Zn  gegen  Zn  224  Volt. 

4.  Die  Potentialgradienten  in  der  positiven  Säule  nehmen  mit 
steigender  Stromstärke  ab;  mit  steigendem  Druck  des  Stickstoffs 
(ursprünglicher  Füllung)  wachsen  die  Gradienten. 


Beiträge 
zur  Geschichte  der  Naturwissenschaften.  XI 

Von  Eilhard  Wiedemann. 

Ober  aZ  FäräMs  Anfeählong  der  Wissenschaften 
(De  Seientiis). 

Die  folgenden  Seiten  enthalten  die.  Übersetzung  eines  Teiles 
eines  Werkes  von  al  Färdbt  nebst  einer  Besprechung  desselben. 
Angeschlossen  sind  einige  Ausführungen  über  die  Einteilung  der 
Wissenschaften.  —  Eine  angenehme  Pflicht  ist  es  mir,  auch  an 
dieser  Stelle  Herni  Dr.  A.  A.  Björnbo  in  Kopenhagen  und  Herrn 
Prof.  Dr.  Bell  in  Würzburg  für  ihre  zahlreichen  aus  reichster 
Erfahrung  entsprungenen  Ratschläge  in  sprachlichen  wie  sach- 
lichen Fragen  den  verbindlichsten  Dank  auszusprechen.  Bei  der 
Behandlung  des  Abschnittes  über  Musik  hat  mich  Herr  Prof. 
Collangettes  in  Beyrut  unterstützt. 

Unter  den  arabischen  Philosophen  nimmt  al  Färäbt^)  eine 
hervorragende  StelluDg  ein;  von  den  Kennern  der  islamischen 
Philosophie  wird  seine  Klarheit  gerühmt;  eine  Reihe  seiner 
Schriften  ist  auch  schon  publiziert. 

Von  al  Färdht  rührt  eine  kurze  enzyklopädische  Darstellung 


»)  Vgl.  Brockelmann  Bd.  1,  S.  210.  AI  FdräM  starb  339/950,  er 
stammte  aas  einer  türkischen  Familie. 

Nach  F.  Dieterici  gehört  er  zu  den  sieben  Heroen  der  arabischen 
Philosophie  vom  9.  bis  12.  Jahrhundert,  nämlich:  al  Kindi  (f  ca.  350), 
al  Farm  (f  950),  Ihn  Sind  (Aricenna)  (980—1037),  al  Gazzäli  (Algazel) 
(1059—1111),  Ihn  Bdga  {Avempace)  (t  1138),  Ihn  Tufail  (f  1185),  Ihn 
BuscM  {Averroes)  (t  1192)  und  ihm  selbst. 

An  al  Fdrdbi  schließen  sich  direkt  an  die  Ichiodn  al  8afd, 


—    75    — 

der  Wissenschaften^)  her,  die  arabisch  im  EskariaP)  und  in 
alten  lateinischen  Übersetzungen  erhalten  ist. 

Der  Titel  der  arabischen  Schrift  ist  Ih^ä  dl  '  Ulüm  von 
al  Färäbt,  d.  h.  Aufzählung  der  Wissenschaften  von  al  Färäbi. 
Derenbourg  gibt  über  dieselbe  an,  daß  sie  von  fol  27 — 35  der 
betreffenden  Handschrift  reicht,  also  nicht  sehr  lang  ist.  Die 
beiden  ersten  Kapitel  handeln  nach  ihm  über  die  Sprachwissen- 
schaft und  über  die  Logik.  Der  Anfang  heißt:  Abhandlung 
{Maqäla)  über  die  Aufzählung  der  Wissenschaften.  Es  sagt 
Abu  Nct^r  Muh.  Ibn  Muh.  al  Färäbt:  Wir  beabsichtigen  in 
diesem  Werk  die  berühmten  {maschhüra)  Wissenschaften  auf- 
zuzählen u.  s.  w. 

Eine  lateinische  Übersetzung  ist  in  der  Pariser  Handschrift 
9335,  Suppl.  49  (fonds  latin)  (vgl.  Bibl.  de  TEcole  des  Chartes 
[5  ser.]  Bd.  3,  S.  305)  enthalten.  Diese  sehr  wichtige  Handschrift, 
die  zahlreiche  Übersetzungen  von  Gerhard  von  Cremona*) 
enthält,  ist  eingehend  von  A.  A.  Björnbo  behandelt  worden 


^)  über  diese  Schrift  hat  sich  Steinschneider  mehrfach  geäußert,  so 
in  „die  hebräischen  Übersetzungen  des  Mittelalters*^  von  M.  Steinschneider 
Berlin  1908,  S.  292.  Ferner  in  ^Al  Färabi^  etc.  Mem.  de  l'Acad.  St. 
Petersbourg  (7)  Bd.  13,  no.  4  (einer  Fundgrube  von  Bemerkungen  über 
al  Färabi  und  andere  Philosophen),  weiter  in  «die  europäischen  Über- 
i(etzungen  aus  dem  Arabischen"  in  den  Sitzungsberichten  der  Wien.  Akad. 
PhiL-hist.  Klasse  Bd.  149,  Abt.  4,  S.  22,  no.  52  u.  S.  44  g.  -^ 

Auf  die  Enzyklopädie  al  FärabU  habe  ich  auch  Beiträge  V,  S.  393 
im  Znsammenhang  mit  Publikationen  aus  einer  solchen  von  Ibn  Sind  und 
al  Änsdri  (al  SaeMwi  oder  Ibn  al  Äfkdni)  hingewiesen. 

*)  Casiri  Bd.  1,  S.  189,  Cod.  648  und  H.  Derenbourg,  Les  Manuscripts 
de  TEscourial  Bd.  1,  S.  454,  Cod.  646,  Paris  1884.  —  Die  Handschrift 
stammt  aus  dem  Jahre  1310.  Sie  ist  also  jünger  als  Gerhard  von  Gremona 
(t  1187)  und  Joh.  Hispaliensis  (Mitte  des  12.  Jahrhunderts),  mit  dem 
Domin.  Gundisalvi  arbeitete,  denen  beiden  Übersetzungen  des  obigen 
Werkes  zugeschrieben  werden. 

*)  Gerard  (Gherardo)  von  Cremona,  der  1187,  73  Jahre  alt,  nach 
einem  Aufenthalt  in  Toledo  in  seiner  Vaterstadt  starb,  war  einer  der 
fruchtbarsten  Übersetzer  aus  dem  Arabischen  ins  Lateinische.  Für  die 
Weiterentwicklung  der  Physik  ist  er  vor  allem  durch  seine  Übersetzung 
der  Optik  von  Ibn  al  Haiiam  (Älhazen)  von  Bedeutung  geworden  (über  ihn 
vgl.  F.  Wüstenfeld,  Die.  Übersetzungen  arabischer  Werke  ins  Lateinische. 
Abb.  d.  K.  Akademie  Göttingen  1877  und  M.  Steinschneider,  Die  euro- 
päischen Übersetzungen  aus  dem  Arabischen.  (Wiener  Sitzungsberichte, 
Philos.-hi8t.  Klasse  Bd.  149,  S.  46.  1904). 


—    76    - 

(Bibl.  Matk.  Bd.  3,S.63fif.  1902).  Auf  fol.  143  v— 151  v  steht  unser 
Text  mit  dem  Anfang:  Über  Alfarabii  de  scientiis,  translatus 
a  magistro  Girardo  cremonensi  in  toleto  de  arabico  in  latinum. 
Cuius  in  eo  hec  sunt  verba.  Nostra  in  hoc  libro  intentio  est 
scientias  famosas  comprehendere  .  .  . 

Die  Sprache  in  dieser  Handschrift  erinnert  nach  Björnbo 
ganz  an  die  sicheren  Gerhardschen  Übersetzungen,  und  daß  die 
Vorrede  gekürzt  ist  (vgl.  w.  u.),  gehört  zu  den  besten  Kriterien 
für  Gerhard  (Björnbo,  Bibl.  math.  Bd.  9,  S.  364.  1901).  Über 
Gerhards  Latein  vgl.  seine  Überaetzung  der  „Circuli  dimensio", 
Heiberg,  Zeitschr.  f.  Mathem.  u.  Physik  Bd.  35,  S.  1.   1890. 

Durch  die  gütige  Vermittelung  des  leider  verstorbenen  großen 
Gelehrten  M.  Berthelot  und  die  Liebenswürdigkeit  von  Prof. 
Omont  an  der  Bibliothöque  nationale  zu  Paris  erhielt  ich  von 
den  mich  interessierenden  Seiten  der  Handschrift  schwarz-weiße 
Photographien;  bei  deren  Lesung  und  Abschrift  mich  mein  Er- 
langer Kollege  Prof.  Dr.  Heerdegen  mit  seinem  Bat  in  freund- 
lichster Weise  unterstützt  hat. 

Eine  andere  lateinische  Übersetzung  ist  von  G.  Camerarius 
herausgegeben^),  der  sagt,  er  habe  sie  in  der  „BibÜQtheca  Sancti 
Albini  apud  Andes^  als  ein  „antiquissimum  manuscriptum,  cui 
praefixus  titulus,  Alpharabii  Compendium  omnium  scientiarum^  ^) 
gefunden  und  habe  sie  genau  abgedruckt,  ohne  auch  nur  die 
Fehler  zu  berichtigen,  die  ihm  aufgefallen  waren. 


>)  In  der  Bibliothek  von  Angers,  in  die  ein  großer  Teil  der  Hand- 
schriften von  Saint  Anbin  (St.  Albinus)  übergegangen  ist,  findet  sich  die 
betrefifende  Handschrift  nicht;  vgl.  Gatalogae  gön^rale  des  mannscrits 
des  Bibliotböqnes  publiques  de  France  Bd.  XXXI,  S.  189.    Paris  1898. 

')  Der  Titel  heißt:  Alpharabii  vetustissimi  Aristotelis  interpretis, 
opera  omnia,  quae  latina  lingua  conscripta  reperiri  potuerunt,  ex  anti- 
quissimis  Manuscriptis  erata,  studio  et  opera  Guilielmi  Camerarii,  Scoti, 
Fintraei,  Sacrae  Tbeologiae  professoris,  juris  canonici  doctoris  etc.  — 
Parisiis  Apud  Dyonisinm  Moreau  via  J.'tcobaea,  sab  Salamandra  MDCXXXVIII 
(1588).  Das  Werk  ist  kJeinoktav  und  enthält  nach  zwei  Widmungen, 
erstens  Alfarabii  philosophi  opuscalum  de  scientiis  auf  41  Seiten  und 
Alfarabii  opusculum  de  intellectu  et  intellecto  auf  20  Seiten. 

Der  Druck  ist  sehr  selten;  ein  Exemplar  ist  in  der  Biblioth6que 
nationale  zu  Paris,  eines  in  Göttingen,  eines  muß  in  England  sein,  da  es 
von  Bridges  bei  seiner  Bacoausgabe  zitiert  worden  ist  (vgl.  S.  Vogl,  Die 
Physik  Boger  Bacos.  Dissertation  Erlangen  1904,  S.  33),  wo  auch  einige 
weitere  Notizen  sich  finden. 


—    77    — 

Dem  wesentlichen  Inhalte  nach  stimmen  die  beiden  Über- 
setzungen fiberein.  Die  von  Camerarias  mitgeteilte  ist  oft 
etwas  ausfuhrlicher  als  die  von  Gerhard  von  Cremona;  ob 
dies  auf  Zusätzen  des  Übersetzei*s  beruht  oder  darauf,  daß  von  dem 
arabischen  Text  schon  zwei  Überlieferungen  bestanden,  läßt  sich 
nicht  entscheiden.  Fttr  das  letztere  wfirde  sprechen,  daß  z.  B. 
auch  von  einer  Schrift  „Über  die  Notwendigkeit  der  Kunst* 
(Alchemie),  uns  zwei  wesentlich  verschiedene  Texte  erhalten 
sind  (vgl.  J.  f.  praktische  Chemie,  [2]  Bd.  76,  S.  65  und  105. 
1907).  Da,  wie  Brockelmann  berichtet,  sich  al  Färäbt  wenig 
um  das  Schicksal  seiner  Geisteskinder  kümmerte,  so  ist  das 
eigentlich  nicht  überraschend. 

Der  arabische  Text  und  die  lateinische  Übersetzung  dürften 
demselben  Werk  entsprechen;  der  Umfang  beider  ist  der  gleiche, 
ebenso  die  beiden  ersten  Kapitelüberschriften,  auch  der  Anfang 
entspricht  sich  nahezu,  nur  gehen  im  Lateinischen  nach  Came- 
rarius  ein  paar  Sätze  dem  Anfang  im  Arabischen  voraus. 

Von  einer  großen  Einteilung  der  Wissenschaften  {Ihsä  al 
'Uiam)  von  al  Färäbt  berichtet  Ihn  al  Qifn  (S.  277  u.  27*8,  die 
Stelle  ist  bei  Casiri  Bd.  1,  S.  190  übersetzt),  deren  Anordnung 
aber  nicht  mit  derjenigen,  die  in  unserer  Schrift  sich  findet, 
übereinstimmt,  wenn  auch  manche  Anklänge  vorhanden  sind. 
Auch  in  dem  großen  Werk  wird  gezeigt,  wie  man  von  einer 
Wissenschaft  zur  andern  fortschreitet 

Da  das  arabische  Original  nur  schwer  erreichbar  ist,  so 
gebe  ich  im  folgenden  eine  Übersetzung  der  Einleitung  (S.  1 
bis  3)  und  der  auf  die  mathematischen  Wissenschaften  (inklusive 
Musik^  Astronomie,  die  sinnreichen  Erfindungen)  bezüglichen  Teile 
der  lateinischen  Übersetzung  von  Gerhard  von  Cremona; 
manches  wird  vielleicht  bei  der  Vergleichung  mit  dem  Original 
einer  Berichtigung  bedürfen^). 

Da  wo  sich  in  dem  gedruckten  Text  von  Camerarius 
wesentliche  Abweichungen  finden,  habe  ich  diese  in  Anmerkungen 
mitgeteilt.  Einige  sehr  breite  Darstellungen  habe  ich  etwas 
gekürzt. 

Aus  der  kleinen  Schrift  erhalten  wir  ein  Bild,   wie   am 


^)  Die  Übersetzung  mag  auch  durch  die  Seltenheit  des  lateinischen 
Druckes  gerechtfertigt  sein,  den  z.  B.  Steinschneider  nicht  erhalten  konnte. 


-    78    — 

Anfang  des  10.  Jahrhunderts  sich  die  arabischen  Philosophen 
unsere  Wissenschaften  vorstellten.  Die  vorliegende  Schrift  ist 
anch  in  durchaas  systematischer  Darstellung  gehalten,  was  nicht 
immer  bei  al  Färäbts  Werken  der  Fall  ist. 

Im  einzelnen  sei  z.  B.  darauf  hingewiesen,  wie  die  Ein- 
teilung der  Wissenschaften  im  wesentlichen  die  später  benutzte 
ist.  In  der  Optik  steht  al  Fdräbt  noch  ganz  auf  dem  Stand- 
punkt, daß  das  Sehen  durch  Sehstrahlen  erfolgt  Besonders 
ausfuhrlich  ist  eine  sonst  nicht  erwähnte  Wissenschaft  „de 
Ingeniis^  besprochen,  die  in  gewisser  Hinsicht  eine  ange- 
wandte Wissenschaft  darstellt. 

Von  M.  Steinschneider  ist  {dl  Fdräbt  S.  84)  die  Frage 
aufgeworfen,  ob  mit  der  uns  beschäftigenden  Schrift  al  Färäbts 
die  Schrift  Ibn  Stnas  über  die  Teile  der  philosophischen  Wissen- 
schaften {ft  Aqsäm  al '  Ulüm  al  aqltja,  die  auch  über  die  Teile 
der  Philosophie  (ft  Aqsäm  al  Hikma)  heißt,  zusammenhängt. 
Ein  Vergleich  beider  lehrt,  daß  dies  nicht  der  Fall  ist,  und  zwar 
schon  ein  Vergleich  der  Kapiteltiberschriften,  die  in  Ibn  Sinäs 
Schrift  lauten:  Über  das  Wesen  der  Philosophie.  —  Über  die 
erste  Einteilung  der  Philosophie  (nämlich  in  spekulative  und 
praktische).  —  Über  die  Teile  der  spekulativen  Wissenschaft ;  es 
sind  deren  drei,  die  niedrigste  Wissenschaft  ist  die  Naturwissen- 
schaft; die  mittlere  die  mathematische  Wissenschaft,  die  höchste 
die  metaphysische  Wissenschaft  (also  genau  die  aristotelische 
feinteüung,  Metaph.  VI  1,  p.  1026  a  13).  —  Über  die  Teile  der 
praktischen  Wissenschaften  (Ethik,  Politik  und  Ökonomie  im  aristo- 
telischen Sinn).  —  über  die  Teile  der  Naturwissenschaft  und  die 
Teile  der  aus  der  Naturwissenschaft  abgeleiteten.  —  Grundteile 
der  mathematischen  Wissenschaft  und  aus  den  mathematischen 
Wissenschaften  abgezweigte  Teile.  —  Grundteile  der  Meta- 
physik, abgeleitete  Teile  der  Metaphysik.  —  Über  die  Teile  der 
Logik,  es  sind  deren  sieben. 

Ibn  Sind  zählt  im  wesentlichen  die  einzelnen  Wissen- 
schaften auf,  während  al  Fdräbt  sie  in  zusammenhängender 
Darstellung  chai^akterisiert. 

Bemerkt  sei.  noch,  daß  sich  ttber  die  Chemie,  mit  der  sich 
al  Fdräbt  eingehend  befaßt  hat,  keine  Angabe  findet,  obgleich 
in  dem  Abschnitt  „de  scientia  naturalis,  Über  die  Naturwissen- 
schaften  im  aristotelischen  Sinn,  Gelegenheit  gewesen   wäre, 


-    79    — 

die  Frage  za  behandeln.    Ebensowenig   ist  der   Magnet  er- 
wähnt. 

In  der  Darstellung  scheint  manches  an  R.  Baco  zu  er- 
innern, der  auch  die  obige  Schrift  zitiert  (s.  S.  Vogl.  Inaug.- 
Diss.  Erlangen  1904,  S.  33).  S.  Vogl,  dem  wir  eine  eingehende 
Stadie  über  R.  Baco s  Physik  verdanken,  beabsichtigt  zu  unter- 
suchen, wie  weit  sich  bei  dem  englischen  Scholastiker  Anklänge 
an  al  FänIU  finden. 

Übersetzung. 

Werk  al  Färäbis  Über  die  Wissenschaften  von  dem 
Magister  Gerhard  von  Cremona  in  Toledo  aus  dem 
Arabischen  ins  Lateinische  übersetzt. 

Seine  Worte  in  dem  Werke  sind  die  folgenden^): 

Wir  beabsichtigen  in  diesem  Werke  die  berühmten  Wissen- 
schaften dai*zustellen,  und  zwar  jede  einzelne,  und  den  Hauptinhalt 
einer  jeden  zu  lehren,  sowie  die  Teile  einer  jeden,  falls  sie 
solche  hat,  und  das  wesentliche,  was  in  jedem  Teile  enthalten 
ist.  Das  ist  nicht  so  gemeint,  daß  nicht  eine  jede  Wissenschaft 
Teile  besitze,  sondern  daß  es  solche  gibt,  die  in  sich  andere 
Wissenschaften  enthalten,  wie  die  Mathematik,  während  die 
Dialektik  keine  andere  Wissenschaft  umfaßt. 

Wir  wollen  sie  in  5  Kapitel  zerlegen. 

Das  erste  Kapitel  handelt  von  der  Sprachwissenschaft  und 
deren  Teilen,  das  zweite  Kapitel  von  der  Dialektik  und  deren 
Teilen,  das  dritte  Kapitel  von  den  mathematischen  Wissen- 
schaften (de  scientiis  doctrinalibus)*),  d.  h.  der  Arithmetik,  der 

>)  Id  dem  Druck  lautet  der  Anfang: 

nObgleiob  es  früher  mehrere  Philosophen  gab,  so  wurde  unter  allen 
nur  der  kurzweg  ein  Weiser  genannt,  von  dem  man  sagte,  dafi  er  die 
Wissenschaft  von  allen  Gegenständen  mit  sicherer  Kenntnis  umfaßte. 
Jetzt  aber,  wo  die  Welt  alt  wird,  sage  ich,  daß  keiner  verdient  ein 
Philosoph,  geschweige  denn  ein  Weiser  genannt  zu  werden,  weil  kaum 
einer  gefunden  wird,  der  sich  mit  der  Weisheit  beschäftigen  will.  Deshalb 
glauben  wir,  daB  unserer  Kleinheit  Genüge  geschehe,  wenn  wir,  da  wir 
nicht  alles  können,  wenigstens  von  einzelnem  einiges  und  von  einigem  etwas 
oberflächlich  berühren*. 

Hier  beginnt  die  lateinische  Handschrift  und  der  arabische  Text 

*)  De  scientiis  doctrinalibns,  über  diese  Bezeichnung  für  die  Mathe- 
matik 8.  S.  100,  nach  den  Unterabteilungen  entspricht  dies  den  'Olüm 
(U  rijddija. 


-    80    - 

Geometrie,  der  Optik,  der  theoretischen  Astronomie,  der  Musik- 
wissenschaft, der  Wissenschaft  von  den  Gewichten,  derjenigen 
von  den  sinnreichen  Anordnungen  (scientia  ingeniorum)  >).  Das 
vierte  Kapitel  betrifft  die  Naturwissenschaften  und  deren  Teile 
und  die  göttliche  (divina)  Wissenschaft  und  deren  Teile,  das 
fünfte  Kapitel  handelt  von  der  bürgerlichen  Wissenschaft 
(scientia  civilis)  und  deren  Teilen,  sowie  der  Wissenschaft  des 
Urteilssprechens  und   der  Beredsamkeit*). 

Der  Nutzen,  den  man  aus  diesem  Buche  zieht,  besteht 
darin,  daß,  wenn  jemand  eine  Wissenschaft  erlernen  will  und 
darüber  nachsinnt,  er  weiß,  welche  er  in  Angriff  nehmen  und 
über  welche  er  nachsinnen  soll,  femer  was  er  bei  der  Betrachtung 
derselben  erlangt,  welchen  Nutzen  sie  hat,  und  welchen  Vorteil 
er  durch  sie  erreicht.  Er  macht  sich  an  eine  Wissenschaft, 
gemäß  einer  richtigen  Voraussicht  und  Kenntnis  und  nicht  gemäß 
der  Unwissenheit  und  dem  Zufall.  An  der  Hand  dieses  Werkes 
kann  der  Mensch  Vergleiche  zwischen  den  Wissenschaften  an- 
stellen und  erkennen,  welche  die  bessere,  nützlichere,  sicherere, 
fester  begründete  und  kräftigere  ist  und  welche  die  schlechtere, 
schwächere  und  kraftlosere.  Durch  das  Buch  gewinnt  man  auch 
ein  Hilfsmittel,  um  den  zu  entlarven,  der  damit  prahlt,  eine 
dieser  Wissenschaften  zu  kennen,  bei  dem  dies  aber  nicht  der 
Fall  ist.  Fordert  man  ihn  nämlich  auf,  den  Inhalt,  den  sie 
umfaßt,  ihre  Teile  und  den  Inhalt  eines  jeden  derselben  an- 
zugeben, und  kann  er  dies  nicht,  so  ist  die  Falschheit  seiner 


')  Das  lateinische  nlngeniam**  entspricht  allen  aus  kluger  Überlegung 
entspringenden  Anwendungen  der  Arithmetik,  Geometrie  n.  s.  w.  Einen 
Teil  bildet  die  Lehre  von  den  Hijal^  im  Sing.  Hila,  die  angewandte 
Mechanik  u.  s.  f.  Bei  den  späteren  Arabern  ist  die  Wissenschaft  von 
den  ^Ingenien**  in  den  Zweigwissenschaften  der  Geometrie  u.  s.  w.  be- 
handelt. Wir  werden,  da  uns  ein  entsprechendes  deutsches  Wort  fehlt, 
das  lateinische  ^Ingenium"  verwenden.  Weiter  unten  ist  der  Inhalt  der 
Scientia  de  ingeniis  eingehend  erörtert. 

*)  Aus  dem  Text  geht  hervor,  daß  es  sich  hier  um  die  Lebensführung, 
die  Ethik,  die  Regen tenpfiichten  u.  s.  w.  handelt;  es  ist  also  Ethik, 
Ökonomik,  Politik,  Rhetorik,  d.  h.  die  .praktische  Philosophie"  nach  peri- 
patetischer  Umgrenzung. 

Im  Druck  ist  dies  Kapitel  als  das  vorletzte  bezeichnet;  das  letzte 
handelt  nach  ihm  von  der  Wissenschaft  der  Gesetze.  In  der  Übersieht 
ist  es  nicht  erwähnt. 


-^     81     - 

Prahlerei  klargelegt  nnd  sein  Betrag  enthflUt.  Ebenso  erkennt 
man  bei  dem,  der  eine  Wissenschaft  gat  kennt,  ob  das  bei  der 
ganzen  oder  bei  welchen  Teilen  das  der  Fall  ist,  und  wie  viel 
er  gnt  weiß.  Durch  das  ßueh  wird  auch  der  unterstützt,  der 
eine  große  Zahl  der  Wissenschaften  erforscht,  und  dessen  Ziel  es 
ist^  den  Inhalt  einer  jeden  in  sich  aufzunehmen,  und  der  den 
Professoren  in  einer  jeden  ähnlich  werden  will,  so  daß  man  ihn 
für  einen  derselben  hält 

Das  erste  und  zweite  Kapitel  haben  fUruns  kein  Interesse,  wir  gehen 
daher  gleich  zum  dritten  über. 

Drittes  Kapitel.  Über  die  mathematischen  Wissen- 
schaften. 

Sie  werden  in  die  sieben  großen  Teile  geteilt,  die  wir  am 
Anfang  des  Werkes  aufgeführt  haben. 

Die  Arithmetik 

zerfällt  in  zwei  Wissenschaften.  Die  eine  ist  die  angewandte 
(activa),  die  andere  die  spekulative  (theoretische)  Lehre  von 
der  ZahP).  Die  angewandte  untersucht  die  Zahlen,  sofern 
als  es  sich  handelt  um  die  Zahlen  gezählter  Gegenstände, 
deren  Zahl  man  braucht,  wie  diejenigen  der  Köi-per,  der  Menschen, 
der  Pferde,   der  Solidi  (Münzen),  der  Drachmen   und  anderer 


^)  Eine  Einteilung  der  gesamten  Philosophie  in  eine  theoretische  (spe- 
eulativa  nazart)  und  eine  angewandte  (activa  praktische  'amali)  finden 
wir  vielfach.  Ihn  Sind  sagt  z.  B.  etwa  in  seiner  Logiko):  Die  Aufgabe 
der  Philosophie  ist  die  Wahrheit  aller  Dinge,  so  weit  es  dem  Menschen 
möglich  ist,  zu  erkennen.  Die  Dinge  haben  nun  entweder  ihre  Existenz 
ohne  unseren  Willen  und  unsere  Tätigkeit  oder  infolge  unseres  Willens 
und  unserer  Tätigkeit.  Das  erste  ist  die  spekulative,  das' zweite  die 
aktive  Philosophie.  Das  Ziel  der  ersteren  ist  nur  die  Vollendung  der 
Seele,  daß  sie  weiß ;  die  der  zweiten  ist,  daß  sie  weiß,  was  sie  tun  muß, 
und  dies  tut;  die  erstere  ist  würdiger  als  die  zweite. 

In  der  Einleitung  zu  den  philosophischen  Wissenschaften /9)  druckt 
sich  Ihn  Sind  ähnlich  aus:  „Das  Ziel  der  theoretischen  Philosophie  ist 
die  Wahrheit,  das  der  angewandten  der  Besitz  (Chair), 


a)  Ich  habe  den  Druck  von  Venedig  1508  eingesehen;  die  Stelle 
wird  auch  von  Horten,  Die  Metaphysik  Avicenna's  S.  2  zitiert.  Hoffent- 
lich erscheinen  bald  die  noch  fehlenden  Hefte  dieser  hervorragenden 
wichtigen  Übersetzung. 

ß)  Druck  von  Konstantinopel  129,  8^  S.  72. 

Sitsungaboriebte  der  phys.-mea.  Sox.  »»  (1907).  6 


^     8Ö     - 

Dtnge,  die  eine  Zahl  besitzen.  Dieser  Wissenschaft  bedienen 
sich  die  Menschen  beim  Handel  und  im  bürgerlichen  Verkehr. 
Die  theoretische  untersucht  die  Zahlen  nur  in  absoluter  Hinsicht, 
sie  sind  dabei  in  der  Vorstellung  von  den  Körpern^)  und  allem, 
was  mit  ihnen  gezählt  wird,  losgelöst.  Man  stellt  an  ihnen 
nur  Untersuchungen  an,  wenn  sie  von  allem,  was  an  sinnlich 
Wahrnehmbaren  mit  ihnen  gezählt  wird,  losgelöst  sind,  und  zwar 
unter  den  Gesichtspunkten,  die  allen  Zahlen  sowohl  der  sinnlich 
wahrnehmbaren  wie  den  sinnlich  nicht  wahrnehmbaren  Dinge 
gemeinsam  sind.  Und  diese  Wissenschaft  tritt  in  den  Inhalt 
aller  Wissenschaften  ein. 

Die  theoretische  Lehre  von  den  Zahlen  untersucht 
in  absoluter  Weise  alles,  was  sich  auf  ihre  wesentlichen 
Eigenschaften  bezieht,  sowohl  wenn  man  sie  einzeln  für  sich 
betrachtet,  als  auch  sie  in  ihrer  Wechselbeziehung  vergleicht: 
wie  z.  B.  gerade  und  ungerade;  zur  Vergleichung  der  Zahlen 
gehört  die  Gleichheit  (aequalitas)  und  die  Ungleichheit  (super- 
fluitas)^),  ferner  daß  eine  Zahl  ein  Teil  oder  Teile  einer  Zahl 
ist^)  oder  daß  sie  das  doppelte  einer  anderen  oder  um  einen  Teil 
oder  um  Teile  größer  als  eine  andere  ist,  oder  daß  sie  propor- 
tional oder  nicht  proportional  ist,  ähnlich  oder  nicht  ähnlich, 
kommensurabel  oder  inkommensurabel  (sejunctus)'). 


^)  Im  Druck  ist  noch  ^die  Bewegung'^  erwähnt. 
*)  Das  Wort  Superflnitas  benutzt  Gerhard  bald  für  »Ungleichheit", 
bald  für  „Überschuß"  (vJisQoxrj),  bald  für  „Differenz«. 

')  Daß  eine  Zahl  Zj  ein  Teil  oder  Teile  einer  Zahl  z,  ist,  heißt  wohl 

z,  =  —   oder  z,  =  — K  — ,  daß  Zj  um  einen  Teil  oder  Teile  größer  als 

eine  andere  z,  ist,  heißt  wohl  z^  =  z,  -| —  oder  Zj  =  z,  -j — . 

Ähnliche  Zahlen  8,  b,  c,  sind  solche,  welche  als  Seiten  eines  recht- 
winkligen Dreiecks  gezeichnet  werden  können;  es  ist  also  c'  =  a*-f'b' 
(vgl.  Cantor  Bd.  1,  S.  173). 

Sejunctns  kann  auch  Teilerfremd  heißen  (Cantor  ibid.  S.  252). 

*)  Im  Druck  heißt  es  dann  . . .  „und  all  das  andere,  was  m»n  in  der 
Arithmetik  des  Nikomachus  eingehend  studieren  kann". 

Weiter  wird  die  Einteilung  der  theoretischen  Arithmetik  aufgeführt, 
die  im  wesentlichen  den  oben  angeführten  Operationen  entspricht,  sowie 
die  Einteilung  der  praktischen  Arithmetik :  „Sie  hat  viele  Arten  (scientias 
vendendi  et  emendi,  mntuandi  et  accomodandi,  conducendi  et  locandi, 
expendendi  et  suadendi),  die  Wissenschaften  vom  Verkaufen  und  Kaufen, 


^    8ä     - 

Öann  erörtert  sie^),  was  mit  den  Zahlen  geschieht,  wenü 
irgendwelche  anderen  hinzugefügt  werden  (additio),  und  [was] 
bei  ihrer  Zusammenlegung  (aggregatio)  [geschieht],  und  bei  der 
Abziehung  (diminutio)  gewisser  Zahlen  (von ab)  anderen  und 
ihrer  Trennung  (separatio)  und  [was]  durch  Vervielfältigung 
(multiplicatio)  der  Zahl  mittels  Zählung  (oder  Abzahlung)  der 
Einheiten  einer  anderen  [geschieht]  und  durch  Zerlegung 
(divisio  in  partes)  der  Zahl  in  Teile  mittels  Zählung  (Abzahlung) 
der  Einheiten  einer  anderen  Zahl.  Dies  ist  gerade  so,  als  ob 
(oder  einfach :  ganz  wie  z.  B.)  eine  Zahl  quadratisch  oder  flächen- 
artig oder  körperlich  oder  vollkommen  oder  unvollkommen  ist*). 

Diese  Wissenschaft  untersucht  eben  all  dieses  und  all  jenes, 
was  sich  an  ihnen  ereignet,  wenn  sie  untereinander  verglichen 
werden.  Sie  wird  ferner  lehren,  wie  man  eine  Zahl  aus  einer 
bekannten  Zahl  ermittelt,  und  überhaupt  wie  man  irgend  etwas 
ermittelt,  das  man  durch  Zahlen  ermitteln  kann. 

Die  Geometrie, 

d.h.  das,  was  man  unter  diesem  Namen  versteht,  zerfällt  in  zwei 
Teile,  die  angewandte  und  die  theoretische  Geometrie.  Die  an- 
gewandte behandelt  die  Linien  und  Flächen  an  einem  Holz- 
stuck, wenn  ein  Zimmermann,  oder  an  einem  Stück  Eisen,  wenn 
ein  Schmied,  oder  an  einer  Wand,  wenn  ein  Maurer,  oder  an  be- 
bauten Grundstücken,  wenn  ein  Landmesser  sie  benutzt.  Ebenso 
gehört  jeder  Handwerker  zur  angewandten  Geometrie.  Denn  er 


vom  Leihen  und  Verleihes,  vom  Mieten  und  Vermieten,  vom  Auszahlen, 
(geben)  und  vom  „Suadere".  Eine  andere  WiBBenschaft  ist  diejenige  von 
der  Tiefe  und  Höhe  oder  der  Auffindung  von  Strecken  und  viele  andere 
Dinge,  von  denen  vielfach  in  einem  Werk,  das  bei  den  Arabern  vor- 
handen ist,  gesprochen  wird. 

^)  Diese  Stelle  ist  wörtlich  übersetzt,  um  die  alten  Begriffe,  die 
mit  den  unsrigen  nicht  übereinstimmen,  ganz  klar  darzulegen. 

')  Zu  den  Quadrat-,  Flächen-  und  Körperzahlen  vgl.  Cantor  Bd.  1, 
S.  152. 

Vollkommene  Zahlen  sind  solche,  welche  wie  6, 28  u.  s.  w.  der  Summe 
ihrer  aliquoten  Teile  gleich  sind  (6  =  1  +  2  +  3;  28  =  1  +  2  +  4  +  7  +  14). 
Bei  unvollkommenen  Zahlen,  die  entweder  überschießende  oder  mangel- 
hafte Zahlen  sind,  liefern  diQ  aliquoten  Teile  eine  zu  große  oder  zu  kleine 
Summe  (12  <l+2  +  3  +  4  +  6;  8>  1  +  2  +  4). 

6* 


-    84    - 

bildet  in  sich  selbst^)  die  Linien  und  Obei-flächen,  die  viereckige, 
runde  und  dreieckige  Gestalt  an  dem  stoflflichen  Körper,  welcher 
seiner  praktischen  Kunst  unterworfen  wird.  Die  theoretische 
Geometrie  handelt  von  Linien,  Flächen  und  Körpern  nur  in  abso- 
luter Weise.  Entsprechend  den  gemeinsamen  Eigenschaften  aller 
Flächen  der  Körper  gestaltet  sie  in  ihrer  Seele  die  Linien,  die 
Oberflächen,  die  viereckigen,  runden  und  dreieckigen  Gestalten 
in  gemeinsamer  Weise,  ohne  Rflcksicht  auf  den  Körper,  an  dem 
sie  sich  finden,  ebenso  verfährt  sie  mit  den  Flächen;  es  ist  für 
sie  gleichgültig,  ob  der  Körper  ein  Stück  Holz,  eine  Wand  oder 
ein  Stück  Eisen  ist,  sie  betrachtet  vielmehr  den  Allen  gemein- 
samen Köi-per  (Körpergestalt)  ^). 


^)  'In  sich  selbst',  d.  h.  in  seinem  Geist.  Dies  ist  Nachwirkung  der 
piatonischen  Ansctiaaungen,  wie  sie  in  Anwendung  auf  ihre  praktische 
und  theoretische  Wissenschaft  z.  B.  im  Anfang  des  Dialogs  Politikos 
vorkommt. 

*)  Der  Abschnitt  über  die  praktische  angewandte  Geometrie  ist  im 
Druck  sehr  viel  ausführlicher.    Er  lautet  dort: 

Die  praktische  Geometrie  betrachtet  die  Linien,  Obei*flächen,  Körper 
nach  drei  Arten.  Einmal  nach  der  Höhe,  dann  heißt  sie  Höhenmessung 
(altimetria),  oder  nach  der  Ebene,  dann  heißt  sie  planimetria  oder  nach 
der  Tiefe,  dann  heißt  sie  Profundimctria.  Jede  dieser  letzteren  hat  einen 
Stoff,  eigene  Instramente  ([lilfsmittcl)  und  eigene  Ausüber  (opifices),  diese 
sind  Verraesser  oder  Handwerker  (fabri).  —  Vermcsser  sind  solche,  welche 
irgendeine  Oberfläche  der  Erde  messen.  Ihre  Instrumente  sind  Spanne, 
Fuß,  Elle,  Stadium,  die  Meßstange  (pertica),  die  leucaa)  und  viele  andere. 
Die  Handwerker  (fabri)  beschäftigen  sich  entweder  mit  mechanischen 
Dingen  (mechanicis)/^)  oder  mit  harten  Stoffen  (fabri libus);  sie  mühen  sich 
ab  als  Tischler  am  Holz,  als  Schmied  am  Eisen,  als  Maurer  am  Ton  und  an  den 
Steinen  und  ebenso  jeder  Austtber  der  mechanischen  Künste  entsprechend 
der  aktiven  Geometrie.  Sie  selbst  aber  erörtert  für  sich  die  Linien, 
Oberflächen,  rechteckigen  Stellen  und  Rundungen  an  Körpern  der  Materie, 
die  in  ihrer  Kunst  behandelt  werden.  Derer  gibt  es  aber,  wie  man  sagt, 
viele  Arten  nach  dem  unterschied  der  Materien,  an  denen  sie  arbeiten 
und  nach  den  verschiedenen  Instrumenten,  wie  dem  Lineal,  der  Trilla  (V) 
dem  Lot  und  vielen  anderen.  — 

Eine  sehr  interessante  Philosophie  und  Systematik  der  Handwerke 
bezw.  der  Künste  haben   die  Ichwän  al  Safdy)  aufgestellt  in  ihrer  Ab- 


a)  leuca  ist  ein  Reisemaß  bei  den  Galliern  wie  die  Parasange  bei 
den  Griechen  •,  sie  wird  z.  B.  zu  15(X) Schritt  angegeben  (Forcellini  sub  verbo). 
ß)  Hierher  gehören  wohl  die  Weber  etc. 
}')  Ichwän  al  Safd  Bd.  1„  S.  25,    Dieterici,  Logik  ^tc.,  S.  84. 


~     85     - 

Und  diese  Wissenschaft  ist  es,  die  in  die  Summe  (den  In- 
halt) aller  Wissenschaften  eintritt. 

Sie  untersucht  in  absoluter  Weise  bei  Linien,  Ober- 
flächen und  Körpern  deren  Figuren,  Mengen,  Gleichheit,  Über- 
schuß, die  Arten  ihrer  Lagen  und  Anordnungen,  sowie  alles 
was  bei  ihnen  auftritt,  wie  Punkte,  Winkel  u.  s.  w.,  sie  forscht 
nach  den  proportionalen  und  nicht  proportionalen  Größen,  nach 
dem,  was  bei  ihnen  gegeben  und  nicht  gegeben  ist,  nach  den 
kommensurablen  und  inkommensurablen  Eigenschaften,  nach  den 
rationalen  und  den  irrationalen  und  den  Arten  dieser  beiden;' sie 
lehrt,  wie  man  bei  der  Anwendung  eine  jede  derselben  anwendet, 
nämlich  den  Weg,  so  daß  einer  dies  ausführen  kann.  Sie  lehrt 
femer,  wie  man  etwas  ermittelt,  das  man  ermitteln  kann, 
weiter  die  Ursachen  von  all  diesem  und  warum  es  sich  so  ver- 
hält mit  Beweisen,  die  uns  eine  sichere  Kenntnis  geben,  so 


handlung  von  den  praktischen  KüDsten,  die  den  theoretischen  Künsten 
gegenüberstehen.  Anf  die  Einzelheiten  einzugehen  ist  nicht  nötig,  da 
die  Schrift  durch  Dietericis  Übersetzung  allgemein  zugänglich  ist.  Nur 
erwähnt  sei,  daB  unterschieden  wird  zwischen  zwei  Arten  von  Hilfsmitteln 
zur  Ausführung  der  Arbeit,  einmal  den  verschiedenen  Aldty  den  Gliedern 
des  Körpers  (Dieterici  übersetzt  Ausrüstung),  und  den  Ädät,  den  Werk- 
zeugen, die  sonst  auch  Aldt  heißen. 

Es  beißt  dann  weiter:  Ein  jeder  Handwerker  benutzt  bei  seiner 
Arbeit  Werkzeuge  von  verschiedener  Gestalt  und  Form.  Der  Zimmermann 
haut  die  Stämme  glatt,  dabei  ist  seine  Bewegung  von  oben  nach  unten  ^ 
er  sägt  mit  der  Sage,  dabei  ist  seine  Bewegung  von  vorn  nach  hinten. 
Mit  dem  Bohrer  bohrt  er,  dabei  ist  seine  Bewegung  eine  im  Bogen  nach 
rechts  und  links,  die  Bewegung  des  Bohrers  ist  aber  kreisförmig.  So  hat 
jeder  Handwerker  sieben  Bewegungen,  eine  kreisförmige  und  sechs  gerade. 
(Diese  entsprechen  den  sieben  Bewegungen  der  Himmelskörper,  der  kreis- 
förmigen entsprechend  dem  ursprünglichen  Zweck  und  sechs  akzidentellen.) 

Für  uns  sind  noch  folgende  Bemerkungen  des  Ichwdn  cd  Safä  von 
Interesse:  „In  bezng  auf  das  erzielte  Produkt  (Werk)  ragt  die  Kunst 
derer  hervor,  welche  die  astronomischen  Instrumente  {Äldt  dl  Rasad) 
anfertigen,  wie  das  Astrolab,  Armillarsphäre  und  Globen,  die  den  Formen 
der  Sphäre  nachgebildet  sind.**  (Ausgabe  von  Bombay  Bd.  1,,  S.  32. 
Dieterici,  Logik  etc.,  S.  95.) 

Wie  hoch  die  Formgebung  beim  Astrolab  geschätzt  wurde,  zeigt  die 
Stelle:  Der  Wert  eines  Stückes  Messing  ist  1  Dirham,  fertigt  man  aus 
ihm  ein  Astrolab,  so  hat  es  100  Dirham  Wert,  Dieser  Wert  kommt  also 
nicht  von  dem  Material,  sondern  von  der  ihr  erteilten  Form.  (Bombay, 
Bd.  1„  S.  32.    Dieterici,  Logik  etc.,  S.  95.), 


-     86    — 

daß  eine  Zweideutigkeit  ausgeschlossen  ist.  Dies  ist  der  Ge- 
samtinhalt der  Geometrie.     . 

Diese  Wissenschaft  zerfallt  in  zwei  Teile,  der  eine  bezieht 
sich  auf  die  Linien  und  die  Oberflächen,  der  andere  auf  die 
Körper.  Der  letztere  wird  eingeteilt  nach  der  Art  der  be- 
handelten Körper,  wie  nach  dem  Würfel,  der  Pyramide,  der 
Kugel,  der  Säule  (Zylinder),  den  Prismen  (serratilia) ^)  und  den 
Kegeln  (pinealia)  *).  Man  stellt  die  Betrachtungen  an  ihnen  in 
zweierlei  Weise  an.  Entweder  man  betrachtet  einen  jeden  für  sich, 
so  je  die  Linien,  die  Oberflächen,  die  Würfel,  die  Pj^amide  für  sich, 
oder  mau  betrachtet  sie  und  das,  was  bei  ihnen  eintritt,  indem  mau 
sie  gegenseitig  vergleicht.  Das  geschieht,  indem  man  sie  entweder 
einfach  vergleicht  und  ihre  Gleichheit,  Ungleichheit  sowie 
andere  bei  ihnen  vorhandene  Eigenschaften  betrachtet  oder  aber, 
indem  man  einige  derselben  mit  anderen  zusammenbringt  und 
zuordnet,  wie  eine  Linie  in  einer  Fläche  oder  eine  Fläche 
in  einem  Körper  oder  eine  Fläche  in  einer  Fläche  oder  einen 
Körper  in  einem  Körper.  Man  muß  aber  wissen,  wie  viele 
Elemente  und  Wurzeln  die  Geometrie  und  die  Arithmetik  haben, 
und  wie  viele  Dinge  aus  jenen  Wurzeln  hergeleitet  werden. 
Die  Wurzeln  sind  von  begrenzter  Anzahl,  das,  was  sich  aus 
den  Wurzeln  ergibt,  aber  von  unbegrenzter.  In  dem  dem  Pytha- 
goreer  Euklid  zugeschriebenen  Werk,  dem  Buch  der  Elemente, 
finden  sich  die  Wurzeln  der  Geometrie  und  Arithmetik. 

Man  kann  die  Betrachtungen  nach  zwei  Methoden  anstellen, 
nach  der  Methode  der  Analyse  (resolutio)  und  nach  der  Methode 
der  Synthese  (compositio).  Die  alten  Bearbeiter  dieser  Wissen- 
schaften haben  in  ihren  Werken  beide  Methoden  vereinigt, 
außer  Euklid,  der  nur  die  Synthese  betrachtet. 


^)  GampanoB  bat  in  seiDer  EuklidUbersetzung:  „Corpus  serratilc**  heißt 
ein  Körper,  der  von  fUnf  Oberflächen  begrenzt  ist,  von  denen  drei  Parallelo- 
gramme sind,  zwei  aber  Dreiecke. 

*)  Im  Druck  steht  „poenitentialia'',  offenbar  verlesen  filr  „pinealia",  wie 
sicher  in  der  Handschrift  steht.  Pinealia  heißt  den  Pinienzapfen  ähnliche 
Gestalten,  also  Kegel.  Entsprechend  heißt  es  bei  den  Mafätih  S.  209:  Der 
Kegelkörper  {al  (jrism  al  machrüt)  ist  ein  Gebilde,  das  bei  einem  Pankt 
beginnt  und  in  dem  Umfang  eines  Kreises  endigf.  Es  wird  begrenzt  durch 
eine  Pinienfläche  {Basti  Sanaubari)  und  einen  Kreis.  ^S'^nau&ar  ist  der 
Pinienzapfen.  Es  wird  S.  225  in  den  Mafätih  von  dem  Sanauhar  des  Erd- 
schattens gesprochen. 


-    87    — 

Die  Optik 0 

untersucht  dieselben  Gegenstände  wie  die  Geometrie,  nämlich  Fi- 
guren,  Größen,  Lagen,  Anordnung,  Gleichheit,  Ungleichheit  u.  s.w.; 
doch  [die  Geometrie]  so,  daß  diese  absolut  in  Linien,  Flächen, 
Körpern  sich  finden.  Die  Betrachtungsweise  der  Geometrie  ist  also 
allgemeiner.  Es  wäre  also  nicht  nötig,  eine  besondere  Wissenschaft 
der  Optik  aufzustellen,  da  ihre  Gegenstände  unter  die  Lehren  der 
Geometrie  fallen.  Freilich  besteht  der  Unterschied,  daß  das  meiste, 
was  bei  der  Geometrie  mit  Notwendigkeit  eintritt,  da  es  einer 
bestimmten  Anordnung,  sei  es  der  Lage,  sei  es  der  Anordnung 
u. s.  w.,  entspricht,  beim  Betrachten  gegenteilig  gestellt  erscheint. 
So  erscheinen  Dinge,  die  in  Wirklichkeit  viereckig  sind,  aus 
einiger  Entfernung  gesehen  rund*),  sehr  viele  Dinge,  die  parallel 
sind,  sieht  man  konvergieren,  gleiche  erscheinen  ungleich  und 
ungleiche  gleich.  Sehr  oft  erscheinen  von  den  in  einer  Ebene  ge- 
legenen Dingen  die  einen  tiefer,  die  anderen  höher;  ferner 
solche,  die  mehr  nach  vorne  gelegen  sind,  weiter  hinten  u.  s.  w. 
Man  unterscheidet  daher  mit  Hilfe  dieser  Wissenschaft  zwischen 
demjenigen,  was  beim  Sehen  anders  erscheint,  als  es  wirklich  ist 
und  demjenigen,  was  so  erscheint,  wie  es  wirklich  ist.  Sie  gibt  die 
Ursachen  für  dies  alles  an  und,  warum  es  so  ist,  mittelst  sicher- 
stellender Beweise;  ferner  gibt  sie  Anweisungen  bei  allen  Fällen, 
bei  denen  man  irren  kann,  und  sinnreiche  Methoden  dafür,  daß 
man  nicht  irrt.  Endlich  lehrt  sie  entsprechend  den  wahren  Ver- 
hältnissen bei  dem  Angeschauten  aus  der  Sache,  der  Menge, 
Gestalt,  Lage  und  Anordnung  und  den  übrigen  Dingen  jenes 
finden,  worin  der  Blick  irren  kann. 

Durch  diese  Kunst  kann  der  Mensch  eine  Kenntnis  über 
das  Maß   eines  entfernten  Gegenstandes  aus  den  Größen    er- 

^)  Zu  Optik  vgl.  Beiträge  II,  S.33ff.;  Beiträge  V,  S.  399  u.  402,  427, 
439.    Das  ganze  schlieBt  eich  eng  an  die  Optik  von  Euklid  an. 

')  Mit  diesen  Ausführungen  hängt  zusammen  eine  von  mir  publizierte 
Stelle  bei  al  Gdhie  (Eder,  Jahrbuch  1905,  S.  81).  Wenn  v^ir  ge- 
wisse längliche  Gegenstände  aus  der  Entfernung  rund  sehen,  so  ist  viel- 
leicht die  Sonne  kreuzförmig  und  die  Sterne  viereckig  (die  als  länglich 
bezeichneten  Gegenstände  hatte  ich  als  Ortschaften  und  Gebäude  über- 
setzt, wogegen  Nöldekc  Bedenken  erhoben  hat;  die  Worte  sind  unpunk- 
tiert geschrieben). 

Der  entsprechende  Sat»  lautet  bei  Euklid,  Optik,  Satz  9:  Recht- 
winklige Größen  erscheinen  aus  der  Eatfernung  betrachtet  rund. 


—    88    ~ 

halten,  falls  es  schwierig  oder  anmöglich  ist,  zu  ihm  zu  ge- 
langen, und  über  die  Größen  der  Abstände  [der  Gegenstände] 
von  uns  und  untereinander;  dahin  gehören  die  Höhen  hoher 
Bäume  und  Wände,  die  Breiten  von  Bächen  und  Flüssen,  die 
Höhen  der  Berge  und  die  Tiefen  der  Wässer  (Brunnen),  falls 
der  Blick  auf  deren  Enden  fällt  (fallen  kann).  Ferner  erfährt 
man  die  Abstände  der  Wolken  und  anderer  Gegenstände  von 
dem  Ort,  an  dem  wir  uns  befinden,  und  den  Ort  der  Erde,  welchem 
sie  gegenüberliegen  [d.  h.  über  welchen  sie  sich  senkrecht  be- 
finden], femer  die  Abstände  und  Größen  der  Himmelskörper 
und  alles  das,  wozu  man  durch  eine  Beziehung  auf  den  es  betrach- 
tenden gelangen  kann,  und  endlich  eine  Größe,  über  deren  Quan- 
tität oder  Abstand  von  irgend  einem  Standort  geforscht  wird  \), 
falls  der  Blick  darauf  fällt.  Das  geschieht  bei  einem  Gegen- 
stand mittelst  eines  Instrumentes,  das  dazu  dient,  den  Blick 
so  zu  richten;  daß  er  nicht  irrt,  und  bei  einem  anderen  ohne 
Instrument. 

Alles,  was  man  beschaut  und  sieht,  sieht  man  nur  durch 
Vermittelung  eines  Strahles,  der  durch  die  Luft  und  jeden  durch- 
sichtigen (pervius)  Körper,  der  unsere  Augen  berührt,  dringt, 
bis  er  auf  den  betrachteten  Gegenstand  fällt  ^).  Die  Strahlen, 
welche  in  dem  durchsichtigen  Körper  zu  dem  betrachteten  Gegen- 
stand dringen,  sind  gerade  (recti),  reflektierte  (reflexi),  umgekehrte 
(conversi)  oder  gebrochene  (refracti) ^).    Gerade  Strahlen  sind 


*)  Statt  „ab  aliqua  re  quaeritur  statio*'  wäre  nach  Boll  zu  lesen 
„ab  aliqua  requiritur  statione". 

')  An  dieser  Stelle  spricht  alFäräbidie  Anschauung,  daß  das  Sehen 
durch  Sehstrahlen,  die  von  dem  Auge  ausgehen,  in  schärfster  Form  aus, 
während  er  sonst  als  Vertreter  der  entgegengesetzten  Anschauung  auf- 
tritt (vgl.  Beiträge  II,  S.  837).  Worauf  seine  verschiedene  Auffassung 
hier  und  sonst  beruht,  läßt  sich  nicht  sagen.  Möglich,  daß  er  sich  in 
unserer  Schrift  im  Anschluß  an  das  Vorhergehende  auch  weiterhin  der 
Euklidischen  Auffassung  bedient. 

')  Die  drei  Ai*ten  der  reflektierten  Strahlen  sind  wohl  die  drei  bei  al 
Sachäwi  {al  Änsäri)  erwähnten  murCatifa^  mun'akisa  und  munkasira  (vgl. 
Beiträge  V,  S.  402). 

In  der  pseudoeuklidischen  Katoptrik  finden  sich  solche  Unter- 
scheidungen zwischen  den  verschiedenen  Arten  der  Reflexion  nicht. 

Ferner  ist  zu  beachten,  daß  hier  ngebrochcnc*"  Strahlen  sich  nicht 
auf  die  Brechung  des  Lichtes  beim  Obergang  aus  einem  Medium  in  ein 
anderes  bezieht,   sondern   auf  die  Richtungsänderung  bei   der  Reflexion, 


-    89     -^ 

8olche,  die,  wenn  sie  vom  Ange  ausgehen,  sich  längs  gerader  Linien 
bis  dahin  erstrecken,  wohin  sie  gehen,  und  wo  sie  abgeschnitten 
werden  (endigen).  Den  reflektierten  Strahlen  stellt  sich  auf 
ihrem  Wege,  ehe  sie  ihr  Ziel  erreichen,  ein  Spiegel  entgegen,  der  sie 
am  Fortschreiten  längs  gerader  Linien  hindert;  daher  werden  sie 
schräg  nach  den  vom  Spiegel  seitlich  gelegenen  Teilen  reflektiert; 
nach  den  Seiten,  nach  denen  sie  reflektiert  werden,  dehnen  sie 
sich  dann  aus  und  gehen  zu  Stellen,  die  vor  dem  Betrachtenden 
(zwischen  den  Händen  des  Betrachtenden)  Fi*?.  P). 

liegen,  entsprechend  der  Figur  (1).  Die 
umgekehrten  Strahlen  (conversi)  kehren 
vom  Spiegel  aus  auf  ihren  ursprünglichen  Bahnen  zurück,  bis 
sie  auf  den  Körper  des  Beschauers,  aus  dessen  Augen  sie  aus- 
getreten sind,  fallen.  Daher  sieht  sich  der  Beschauer  selbst 
mit  ebendemselben  Strahl.  Die  gebrochenen  Strahlen  kehren 
von  dem  Spiegel  zu  der  Seite  des  Betrachtenden,  von  dessen 
Auge  sie  ausgingen;  zurück  und  erstrecken  sich  an  ihm  vorbei 
(flexuose)  nach  einer  seiner  Seiten  und  fallen  auf  einen  anderen 
Gegenstand,  der  hinter  dem  Betrachtenden  oder  auf  seiner 
Rechten  oder  auf  seiner  Linken  oder  oberhalb  des- 
selben sich  befindet.  Deshalb  sieht  der  Mensch  das, 
was  hinter  ihm  oder  auf  irgend  einer  seiner  Seiten 
ist.    Die  „Reversio"  geschieht^nach  der  ITigur  (2). 

Die  Medien  zwischen  dem  Auge  und  dem  betrachteten 
Gegenstand  oder  dem  Spiegel  sind  durchweg  durchsichtige 
Körper,  nämlich  die  Luft,  das  Wasser  oder  bei  uns  gewisse  aus 

Aneh  in  der  von  Heiberg  publizierten  lateiniscben  Übersetzung  der  pseudo- 
euklidischen Katoptrik  kommt  „refringi",  in  anderen  kommt  „reflccti"  für 
unser  „reflektiert  werden"  vor. 

In  der  Enzyklopädie  von  Arnoldas  Saxonicus  (herausgegeben  von 
£.  Stange.  Beilage  zum  Jahresbericht  des  Gymnasiums  zu  Erfuit  1904/05 
u.  1905/06)  ist  in  dem  Abschnitt  de  Speculis  ein  Werk  von  Aristoteles 
de  speculis  zitiert.  Dort  wird  für  unser  „reflektiert  werden"  „reflecti" benutzt. 
Die  betreffenden  Stellen  entstammen  Euklids  Optik  und  Katoptrik.  In- 
teressant ist,  daB  Arnuldus  auch  den  Versuch  von  dem  Wiedererscheinen 
einer  Münze  in  einem  Gefäß  berichtet,  wenn  man  Wasser  eingießt. 

^)  Die  Figuren  1  und  2  sind  der  lateinischen  Handschrift  entnommen, 
für  die  umgekehrten  (conversi)  Strahlen,  d.  h.  die  senkrecht  einfsillenden 
und  dann  reflektierten,  ist  keine  Abbildung  gegeben. 


—    90     - 

Glas  zasamraengesetzte  Körper  oder  diesem  Homogenes*).  Die 
Spiegel,  welche  die  Strahlen  zurückwerfen  oder  an  dem  Fort- 
schreiten in  gerader  Richtung  hindern,  sind  entweder  die  be- 
kannten Spiegel,  die  bei  uns  aus  Eisen  und  anderem  bestehen, 
oder  dicke  feuchte  Dämpfe  oder  Wasser  oder  ein  anderer  jenen 
ähnlicher  Körper'^). 

Die  Optik  untersucht  demnach  alles,  was  man  mittelst  jener 
vier  Strahlenarten  in  irgend  einem  Spiegel  sieht,  und  alles,  was 
bei  dem  Betrachteten  vorkommt.  Sie  selbst  zerfällt  in  zwei 
Teile.  Der  erste  behandelt  die  Untersuchung  dessen,  was  man 
mit  den  geraden  Strahlen  betrachtet,  und  der  zweite  das,  was 
man  mit  den  nicht  geraden  Strahlen  betrachtet.  Das  letztere 
ist  etwas,  was  ganz  nahe  kommt  der  Lehre  von  den  Spiegeln. 

Die  Wissenschaft  von  den  Sternen 

bestellt  aus  zwei  Teilen^),  von  denen  der  eine  die  Wissenschaft 
von  den  Einflüssen  (significatio)  der  Sterne  auf  das  Zukünftige, 


^)  Hierbei  ist  DatUrlicli  nicht  an  Linaen  oder  gar  Fernrohre  zu  denken, 
sondern  an  Glas-  oderKristailbtlicke,  an  mit  Wasser  gefüllte  Flaschen  a.s.f. 

*)  Ober  das  Material  der  Spiegel  vgl. u.a.  Yogi,  Roger  Baco  S.  65. 
Auch  nach  MaqrigVs  Chitai  fertigte  man  Spiegel  aus  Stahl  au,  indem 
damals  nur  solche  aus  Metali  in  Gebrauch  waren  (vgl.  von  Kremer, 
Kulturgeschichte  Bd.  2,  S.  285).  Über  Spiegel,  die  von  Astronomen 
benutzt  werden,  sagt  oZ  Ma'arri  (Brockelmann  Bd.  1,  S.  254;  geb.  973, 
gest.  1057),  der  sieber  in  Bagdad  die  dortigen  Sternwarten  benutzt 
hat:  „Nimm  den  Spiegel  und  beobachte  die  Gestirue**  n.-  s.  w.  und  „Der 
Spiegel  des  Astronomen,  so  klein  er  ist,  zeigt  ihm  alles,  sei  es  nun  be- 
wohntes oder  unbewohntes  Land**. 

Die  feuchten  dicken  Dämpfe  als  reflektierende  Spiegel  spielen  eine 
große  Rolle  bei  der  Theorie  des  Kegenbogens;  bei  Nasir  al  Bin  al  Tüsi 
wird  Wasser  als  typisches  Beispiel  für  einen  reflektierenden  Körper  an- 
geführt (vgl.  meinen  Aufsatz  in  Eder,  Jahrbuch  1907). 

*)  Nach  dem  folgenden  zerfallt  die  Astronomie  in  Astrologie,  die 
sehr  kurz  abgemacht  wird,  und  in  die  wissenschaftliche  Astronomie. 
(Diese  Einteilung  ist  die  am  Anfang  von  Ptolemäus  Tetrabiblos  ge- 
gebene.) 

Die  Erörterung  der  Aufgaben  der  Astronomie  und  deren  Einteilung 
entspricht  vielfach,  wenn  auch  nicht  ganz,  der  bei  Sachawi  (Beiträge  IX, 
S.  184)  gegebenen. 

Über  die  Abgrenzung  zwischen  Astronomie  und  Astrologie,  die, 
wie  bei  dl  Färäbij  mit  der  unsrigen  nicht  übereinstimmt,  macht  Isidorus 
(Etymolog.  Migne,  Patrol.  lat.  Bd.  82,  S.  170  a.a.O.)  folgende  Bemerkung: 

Zwischen  Astronomie  und  Astrologie  gibt  es  einen  gewissen  Unter- 


—    91     — 

auf  das  meiste  Gegenwärtige  und  das  meiste  Vergangene  ist. 
Der  zweite  ist  die  mathematische  (doctrinalis,  abstrakte,  theore- 
tische) Wissenschaft.  Er  ist  derjenige  Teil,  der  zu  den  Wissen- 
schaften und  den  Doktrinen  gezählt  wird.  Den  ersten  Teil  zählt 
man  nur  zu  den  Eigenschaften  und  Fähigkeiten,  durch  die  der 
Mensch  angeben  kann,  was  sein  wird,  gerade  wie  dies  aus  der 
Deutung  der  Gesichte,  der  Wahrsagung  aus  dem  Vogelflug,  dem 
Niesen  und  anderem  Ähnlichen  der  Fall  ist. 

Die  theoretische  Astronomie  untersucht  die  Himmelskörpei* 
und  die  Erde  unter  drei  Rubriken.  Im  ersten  Fall  behandelt 
man  ihre  Zahl,  Gestalt,  gegenseitige  Lage,  Anordnung  in  der 
Welt,  die  Quantität  ihrer  Körper  und  das  gegenseitige  Ver- 
hältnis derselben,  ihre  gegenseitigen  Abstände,  sowie  daß  die  Erde 
sich  weder  von  ihrem  Ort  bewegt  noch  an  ihrem  Ort^).  Im  zweiten 
Fall  behandelt  man  die  Bewegungen  der  Himmelskörper,  wie 
viele  ihrer  sind,  daß  alle  sphärisch  sind,  ferner  untersucht  man, 
welche  Bewegungen  ihnen  allen  gemeinsam  sind,  nämlich  den 
Sternen  und  Nichtstenien  unter  den  Himmelskörpern  (alsoz.  B. 
auch  den  Kometen),  sodann  welche  Bewegung  allen  Sternen 
gemeinsam  ist.  Femer  behandelt  man  die  Bewegungen,  welche 
jedem  der  Sterne  eigen  sind,  wie  viele  Arten  der  Bewegungen 


schied.  Denn  die  Astronomio  behandelt  die  Umdrehung  des  Himmels,  die 
Aufgänge,  Untergänge  und  Bewegung  der  Gestirne  [Sonne,  Mond  und 
5  Planeten],  und  warum  sie  so  genannt  werden.  Die  Astrologie  ist  zum 
Teil  eine  Naturwisssenscbaft,  zum  Teil  eine  wahrsagerische.  Sie  gehört 
zu  den  Naturwissenschaften,  wenn  sie  den  Lauf  der  Sonne  und  des 
Mondes  oder  der  Sterne  verfolgt  und  die  sicheren  Bestimmungen  der  Zeiten 
(d.  h.  die  Lehre  von  der  Zeitbezeichnnng  im  Anschluß  an  die  Bewegungen 
der  Gestirne,  bes.  der  Sonne  und  des  Mondes).  Wahrsagerisch  ist  aber 
jene,  welcher  sich  die  Mathematiker  widmen,  die  ans  den  Sternen  wahr- 
sagen, und  die  auch  die  12  Zeichen  [sc.  der  Tierkreise]  unter  die  einzelnen 
Glieder  der  Seele  oder  des  Körpers  verteilen,  und  die  aus  dem  Lauf  der 
Gestii-ne  die  Nativitäten  und  Eigenschaften  der  Menschen  vorauszusagen 
versuchen. 

')  Zu  beachten  ist  die  sehr  starke  Betonung  der  vollkommenen 
Kühe  der  Erde:  weder  bewegt  sie  sich  von  ihrem  Ort  noch  an  ihrem  Ort; 
sie  hat  also  weder  eine  translatorische  noch  eine  rotatorische  Bewegung. 
—  Offenbar  müssen  in  den  Gelehrtenkreiseu  des  Islam  sich  starke  Ein- 
flüsse des  pythagoreischen  Systems  geltend  gemacht  haben,  das  mit  den 
Lehren  des  Koran  unvereinbar  war  und  daher  abgelehnt  wurde  (vgl.  Bei- 
träge III,  S.  243;  V,  S,  454). 


—    92    ^ 

jeder  Stern  bat,  und  die  Teile  (Gegenden),  nach  welchen  hin 
sie  sich  bewegen,  und  entsprechend  welcher  Gegend  einem  jeden 
Sterne  jene  Bewegung  zukommt;  sie  lehrt  den  Weg  um  den 
Ort  jedes  Sternes  festzustellen  aus  den  Teilen  der  [Tierkreis-] 
Zeichen  zu  jeder  Stunde  zusammen  mit  allen  Arten  der  Be- 
wegung des  Sternes.  Sie  forscht  weiter  nach  allem,  was  den 
Himmelskörpern  in  den  Zeichen  zustößt,  und  welche  Bewegungen 
sie  in  ihnen  haben,  und  was  ihnen  zustößt,  wenn  man  sie  gegen- 
seitig vergleicht  nach  der  gegenseitigen  Konjunktion,  Separation  ^) 
und  Abgewandheit^)  der  Lagen;  und  zum  Schluß  behandelt  dieser 
Teil  alleS;  was  den  Sternen  infolge  ihrer  eigenen  Bewegungen  im 
Vergleich  zur  Erde  zustößt,  wie  die  Sonnenfinsternis,  und  alles, 
was  ihnen  infolge  der  relativen  Lage  der  Erde  ihnen  gegenüber 
an  der  Stelle  der  Welt,  wo  sie  sind,  zustößt,  wie  die  Mond- 
finsternis*). Sie  führt  jene  Ereignisse  an,  teilt  mit,  wie  viel  es 
deren  sind,  bei  welcher  Anordnung  und  zu  welcher  Stunde  sie 
sich  ereignen  und  in  wie  langer  Zeit,  wie  der  Aufgang  und 
Untergang  u.  s.  w. 

Im  dritten  Fall*)  untersucht  man  beider  Erde,  was  bewohnt 
und  was  nicht  bewohnt  ist,  gibt  an,  wie  groß  der  bewohnte  Teil 
ist,  aus  wie  viel  großen  Teilen,  den  Klimaten,  er  besteht;  man 
führt  an,  welche  Wohnstätten  in  der  jeweils  für  das  betreffende 
Klima  feststehenden  Zahl  von  Stunden  für  den  längsten  Tag^) 
sich  befinden,  wo  sie  gelegen  sind  und  ihre  Lage  in  der 
Welt.  Man  untersucht,  was  ein  jedes  Klima  und  jede  Wohn- 
stätte charakterisiert,  und  zwar  infolge  der  gemeinsamen  Um- 
drehung der  ganzen  Welt,  nämlich  den  Wechsel  von  Tag  und 
Nacht  infolge  der  Lage  der  Erde  an  der  Stelle,  wo  diese  Wohn- 


*)  D.  h.  wenn  die  Himmelskörper  sich  voneinander  entfernen;  „de- 
flexus*  ist  der  Ausdruck  der  Astrologen  dafUr. 

*)  Diversitas  ist  der  Ausdrnck  für  Opposition. 

')  Bei  der  Sonnenfinsternis  liegt  der  Mond  zwischen  £rde  und  Sonne, 
der  Mond  bewirkt  also  die  Sonnenfinsternis;  bei  der  Mondfinsternis  liegt 
die  Erde  zwischen  Sonne  und  Mond;  sie  ruft  also  die  Mondfinsternis 
hervor. 

*)  Der  dritte  Teil  ist  also  die  von  Eratosthenes  und  Hipparch  aus- 
gebildete Geographie,  die  ganz  im  Sinne  des  Ptoiemäus  an  die  Astronomie 
angeknüpft  ist. 

•)  Vgl.  hierzu  Plinius,  natur,  bist.  II,  S.  75  und  Ptolem.  appari- 
tiones  c.  1. 


—    93     — 

Stätten    sind,   wie  die  Auf-  nnd  Untergänge,   die  Länge  nnd 
Kürze  der  Tage  und  Nächte  and  ähnliches. 

Das  ist  der  Hauptinhalt  dieser  Wissenschaft. 

Die  Wissenschaft  von  der  Musik ^) 

umfaßt  die  Kenntnis  der  Arten  der  Harmonien  *),  das,   woraus 
man  sie  komponiert,  wozu  sie  komponiert  werden,  wie  sie  kom- 

^)  Die  Musik  ist  vun  den  Arabern  vielfach  nach  den  verschiedensten 
Richtungen  behandelt  worden,  sie  haben  sowohl  die  Theorie  wie  die  An- 
wendungen erörtert.  Von  Originalwerken  ist  vor  allem  zu  nennen  das 
große  Werk  von  al  Fdräbi  über  die  Musik,  aus  dem  L.  Eosegarten  in  der 
Einleitung  sn  seinem  Buche  Alii  Ispahanensis  Liber  cantilenarum  (Grcifs- 
wald  1840)  sehr  zahlreiche  Auszüge  gegeben,  und  zwar  aus  dem  theo- 
retischen Teil  wie  anch  aus  den  Beschreibungen  der  Instrumente.  Be- 
handelt hat  er  das  Werk  ferner  in  der  Zeitschrift  fttr  Kunde  des  Morgenlandes 
Bd.  5,  S.  137.  1844. 

Vor  allem  ist  weiter  zu  beachten  eine  Schrift  von  Saß  al  Din,  die 
von  C.  de  Vanx  eingehend  behandelt  worden  ist.  Sie  enthält  zahlreiche 
physikalisch-akustische  Bemerkungen,  die  z.  T.  wohl  höher  als  diejenigen 
von  al  Fdräbi  stehen  (J.  asiat.  [8]  Bd.  18,  S.  279.  1891). 

Die  verschiedenen  arabischen  Enzyklopädien  widmen  der  Musik  ein- 
gehende Besprechungen,  so  die  Mafatih  al  'ülüm  (S.  285),  ein  erstes 
Kapitel  behandelt  die  Musikinstrumente.  Ferner  die  Schriften  der  Ichwctn 
oZ  Safd  (Bombayer  Druck  Bd.  1,  S.  84.  Propädeutik  der  Araber  von 
F.  bietcrici  S.  100);  ferner  das  Werk  von  dl  Sachdwi  (dl  Änsdri)  (S.  92). 
Auch  H.  Chalfa  hat  zwei  Artikel,  einen  über  die  musikalischen  Instrumente 
Bd.  1,  S.  399,  einen  über  die  Wissenschaft  der  Musik  Bd.  6,  S.  255. 

Eine  ganze  Reihe  von  Fragen  über  die  Musik,  die  Erfinder  der  ein- 
zelnen Instramente,  die  Töne  u.  s.  w.  stellt  al  Ödhiz  an  'Abd  al  Wdhhdb 
in  dem  Werk  von  der  runden  und  viereckigen  Gestalt  (Tria  opuscula  ed. 
VIoten  S.  141  ff.). 

Noch  hingewiesen  sei  auf  R.  G.  Kiesewetter,  Die  Musik  der  Araber. 
Leipzig  1842,  wo  auch  zahlreiche  Musikinstrumente  aufgeführt  sind,  ebenso 
auf  Casiri  Bd.  1,  8.  528,  der  31  Instrumente  aufzählt. 

Sehr  eingehend  hat  sich  mit  der  arabischen  Musik  selbst  M.  Gollangettes 
(J.  asiat.  [10]  Bd.  4,  S.  365.  1904  u.  Bd.  8,  S.  149.  1907)  befaßt,  der  nach 
einer  kurzen  Geschichte  derselben  eine  sehr  vollständige  Bibliographie 
mitteilt  und  dann  die  Musik  selbst  behandelt. 

Grundlegend  hat  unser  großer  Physiker  und  Physiologe  H.  von 
Helmholtz  die  arabisch-persischen  Tonsysteme  in  seinen  Tonempfindungen 
behandelt  (2.  Auf.  S.  440.  1870). 

Fast  ebenso  heiBt  es  bei  dl  Sachdwi  (S.  93) :  Die  praktischen  Musiker 
stellen  sich  die  Töne,  die  aus  ihnen  sich  ergebenden  Harmonien  und,  was 
mit  ihnen  zusammenhängt,  nur  insofern  vor,  als  sie  von  [bestimmten]  In- 
strumenten gehört  werden,  durch  die  ihr  GehOrtwerden  bedingt  ist.    Die 


-    94    - 

poniert  werden,  und  welche  Arten  man  anwenden  muß,  damit 
sich  ihre  Wirkung  möglichst  eindringlich  und  weittragend  ge- 
staltet.  Sie  besteht  aus  zwei  Wissenschaften,  der  angewandten 
und  der  theoretischen  Musikwissenschaft. 

Bei  der  angewandten  Musikwissenschaft  ermittelt 
man  die  Arten  der  Harmonien,  welche  man  wahrnimmt  an  den 
Instrumenten,  welche,  sei  es  durch  die  Natur,  sei  es  durch  die 
Kunst,  dafür  bestimmt  sind.  Die  natürlichen  Instrumente  sind 
der  Kehlkopfdeckel  (epiglottis)  und  das  Zäpfchen  und,  was  sich 
in  diesen  befindet,  ferner  die  Nase.  Zu  den  künstlichen  gehören 
die  Flöte,  die  Kithara  u.  s.  w.  Der  Künstler  der  angewandten 
Musik  bildet  die  Töne  (neuma  Nagma),  Melodien  und  alles,  was  mit 
ihnen  zusammenhängt  insofern  als  sie  in  den  Instrumenten  vor- 
kommen, die  man  bei  ihrer  Erzeugung  anzuwenden  pflegt.  Die 
theoretische  Musikwissenschaft  behandelt  die  Lehre  von 
jenen  Dingen,  dabei  sind  diese  vorgestellt;  sie  gibt  weiter  die 
Ursachen  von  allem,  woraus  die  Melodien  zusammengesetzt 
sind,  und  zwar  nicht  insofern,  als  sie  in  der  Materie  auftreten, 
bezw.  selbst  Materie  sind,  sondern  in  absoluter  Weise  und  un- 
abhängig von  einem  jeden  Instrument  und  einem  jeden  Stoff. 
Sie  behandelt  sie  entsprechend  dem,  wie  sie  in  gleicher  Weise 
bei  jedem  Instrument  und  bei  jedem  Körper  [jeder  Substanz] 
gehört  werden. 

Die  theoretische  Musikwissenschaft  zerfällt  in  fünf 
große  Teile.  Der  erste  handelt  von  den  Prinzipien  und  den 
ersten  Dingen,  die  bei  der  Erfindung  der  Gegenstände  dieser 
Wissenschaft  angewandt  werden,  er  handelt  femer  davon,  wie 


IiiBtrumente  sind  entweder  die  natUrlicheD,  wie  der  menschliche  Kehlkopf, 
oder  die  künstlichon,  wie  die  musikalischen  Instrumente.  Die  theoretische 
Musikwissenschaft  betrachtet  die  Töne  u.s.w.  nur,  insofern  man  sie  allgemein 
von  irgendeinem  beliebigen  Instrument  hört,  und  nicht  insofern,  als  sie  bei 
einer  bestimmten  Materie  oder  einem  bestimmten  Instrument  auftreten. 

Bei  der  Bearbeitung  dieses  Abschnittes  hat  mir,  wie  schon  er- 
wähnt, Herr  Prof.  Gollangettes  in  Beyrut  in  ausgiebigem  Maße  seine 
Hilfe  geliehen  und  mir  die  unten  mitgeteilten  Bemerkungen  zur  Ver- 
fügung gestellt.  Da  der  lateinische  Übersetzer  nicht  immer  das  Arabischo 
verstanden  hat,  so  muß  oft  der  Sinn  erraten  werden,  bezw.  muß  man 
durch  Konjekturen  den  ursprünglichen  Text  rekonstruieren. 

•)  (Zu  S,  93.)  Das  Wort  harmonia  entspricht  dem  griechischen  dygovia^ 
dem  nrabischcn  LaJin  und  unserem  Melodie. 


-    95    - 

man  bei  der  Anwendung  dieser  Prinzipien  verfährt,  wie  diese 
Kunst  erfanden  wurde;  aus  welchen  und  wie  vielen  Dingen 
sie  zasammengesetzt  ist,  und  wie  der,  der  ihren  Inhalt  er- 
forschen will,  beschaffen  sein  muß.  Der  zweite  Teil  handelt 
von  den  Aufgaben^)  (der  Grammatik)  dieser  Kunst,  nämlich 
von  der  Erfindung  der  Töne,  der  Kenntnis  der  Zahl  der  Töne, 
wie  viel  ihrer  sind,  wie  viele  Arten  sie  besitzen;  weiter  gibt 
er  an  die  Intervalle^)  der  einen  zu  den  anderen  und  erläutert 
all  jenes,  weiter  bespricht  er  die  Arten  ihrer  Geschlechter  und 
Systeme '),  aus  denen  sie  so  zusammengesetzt  werden,  daß  man 
ans  ihnen  das,  was  man  will,  empfängt  und  ans  ihnen  Melodien 
komponiert.  Der  dritte  Teil  handelt  von  der  Übereinstimmung, 
welche  in  den  Wurzeln*)  (radices,  Usiil)  dargelegt  wird,  mit 
den  Ausffihrungen  und  Darlegungen  über  die  Arten  der  künst- 
lichen Instrumente,  welche  für  sie  [die  Töne]  hergestellt  werden, 
und  darüber,  wie  sie  alle  bei  ihnen  auftreten  und  gelagert  sind, 
entsprechend  der  Abmessung  und  Anordnung^),  die  in  den 
Wurzeln  dargelegt  werden.  Der  vierte  Teil  handelt  von  den 
Arten  der  natürlichen  Rhythmen  •),  welche  die  Maße ')  (Zeit,  mesnre) 
der  Töne  sind.  Der  fünfte  Abschnitt  handelt  allgemein  von 
der  Komposition  der  Melodien^),  dann  von  der  Komposition  der 


^)  Dispositionibns  bujus  artis.  Falls  dies  ein  technischer  Ausdruck 
ist,  so  ]äBt  sich  seine  Bedeutung  nicht  feststellen;  doch  gibt  die  obige 
Übersetzung  guten  Sinn. 

*)  Proportiones  (Nishdt)  sind  die  masikalischen  Intervalle,  Bu'd^ 
die  sich  aus  ihnen  ableiten. 

')  Speeiebus  ordinis  earum  et  situum  ipsarum.  Hier  handelt  es  sich 
ohne  Zweifel  am  die  Ton-  oder  Klanggcschlechter,  welche  durch  die 
Reihenfolge  der  Intervalle  gegeben  sind  and  mit  dieser  sich  ändern ;  ferner 
am  die  Systeme,  welche  von  Gruppen  der  Geschlechter  gebildet  sind« 
bei  denen  eine  Note  einen  Wert  nicht  nur  durch  das  Geschlecht,  sondern 
auch  durch  die  Lage  im  System  hat  (xarä  ^iaiv  und  xaia  Svvafiir). 

*)  Radices.  Der  Aal  ist  das  Geschlecht  des  ersten  Vierklanges 
eines  Systemes. 

*)  Mensurationem  et  ordinem  qni  declaratur  in  radicibus.  Es  handelt 
sich  wahrscheinlich  um  die  jedem  System  eigene  Applikatur  (doigt6),  die 
durch  die  „Wurzel**  bestimmt  ist. 

•)  Casuum.  Der  Übersetzer  hat  ohne  Zweifel  verwechselt  Waqa' 
und  Iqa\  er  hat  «Fälle"  statt  „Rhythmen**  genommen. 

')  Pondera.    Der  Übersetzer  abersetzt  Wazn  mit  Gewicht. 

*)  Der  5.  Teil  behandelt  die  Kompositionslehre,  sei  es,  daB  sie  sich 
auf  die  Musik  fllr  sich  bezieht,  sei  es,  daß  die  Musik  mit  der  Poesie  vcr- 


-^     96    — 

reinen  Melodien,  welche  in  den  metrischen  Gedichten  verwendet 
werden.  Er  behandelt  ferner,  wie  die  Knnst  beschaffen  sein  muß 
entsprechend  den  speziellen  Zielen  der  Melodien;  er  lehrt  die 
Maßnahmen  kennen,  durch  die  man  sie  eindringlicher  macht,  so 
daß  sie  möglichst  vollkommen  den  Eindruck  erwecken,  für  den 
sie  geschaffen  sind. 

Die  Wissenschaft  von  den  Gegenständen  mit  Gewicht^) 

umfaßt  von  der  Wissenschaft  der  schweren  Körper  zwei  Gebiete ; 
erstens  betrachtet  sie  diese  Gegenstände,  insofern  man  sie  mißt 
oder  mit  ihnen  mißt,  es  ist  dies  eine  Untersuchung  über  die 
Prinzipien  entsprechend  den  Bewegungen  an  den  Gewichten, 
oder  zweitens  sie  behandelt  die  schweren  Gegenstände,  welche 
bewegt  werden,  oder  mit  welchen  man  bewegt.  Dies  ist  eine 
Untersuchung  über  die  Prinzipien  der  Instrumente,  mit  welchen 
man  schwere  Gegenstände  hebt,  und  aufweichen  sie  von  Ort  zu 
Ort  bewegt  werden. 


bnnden  ist,  weiter  die  Hilfsmittel,  welche  man  bei  der  Komposition  an- 
wenden muß,  um  die  verschiedenen  Wirkungen  auf  die  Seele  zu  erzielen. 
AI  Fdräbl  behandelt  »e  in  seinem  Werk  über  Munik  sehr  ansftihriich. 

Die  Musikwissenschaft  behandelt  also  in  5  Abschnitten  folgende 
Gegenstände:  1.  Prinzipien  der  Akustik  and  Physiologie,  Geschichte, 
Eigenschaften  des  Musikers.  2.  Grammatik  der  Musik,  Intervalle,  Ge- 
schlechfery  Systeme.  3.  Konkordanz  der  Geschlechter,  Instrumente,  AppH- 
katur  entsprechend  den  Geschlechtern.  4.  Rhythmus.  5.  Komposition, 
Musik  für  sich,  Musik  und  Poesie,  Anpassung  an  die  Empfindungen. 

'}  Zu  der  Wissenschaft  von  den  Gewichten  u.  s.  w.  vgl.  Beiträge  V, 
S.  427  und  Beiträge  VI,  S.  7  ff.  Eine  Übersicht  über  die  Wagen  enthält 
die  Programmschrift  (Forchheim  1906)  von  Dr.  Ibel,  die  demnächst  in  er- 
weiterter Gestalt  erscheinen  wird. 

Zu  der  Wissenschaft  von  dem  Bewegen  der  Lasten  vgl.  Beiträge  V, 
S.  407,  sowie  VI,  S.  18.  Gelegentlich  einer  Betrachtang  über  die  ver- 
schiedenen Arten  des  Ruderns  kommt  'Ahd  dl  Lauf  (Relation  de  T^gypte) 
(Text  von  White.  Göttingen  1789,  S.  97.  Obersetzung  von  S.  de  Sacy 
S.  300)  auf  diese  Wissenschaft  zu  sprechen :  In  'IrdqYixx^  so  geradert,  daO  sich 
das  Boot  nach  dem  Punkt  bewegt,  nach  dem  die  Ruderer  blicken,  in  Ägypten 
in  entgegengesetzter  Richtung.  Dafür,  welche  der  Methoden  die  bequemere 
ist,  den  Beweis  za  liefern,  ist  die  Aufgabe  der  Naturwissenschaft  (Physik) 
nnd  der  Wissenschaft  vom  Bewegen  der  Lasten  (Um  Tahrik  al  Atqäl), 


—    97    - 

Die  Wissenschaft  von  den  EuDStgriffen  (Ingeniamj 
lehrt,  me  man  es  anstellt,  damit  all  das,  dessen  Beschaffenheit 
in  den  oben  nach  Inhalt  und  Beweis  behandelten  Doktrinen 
anseinandergesetzt  ist,  bei  den  natürlichen  Körpern  tatsächlich 
in  Wirksamkeit  tritt,  wobei  es  von  ihnen  aufgenommen  wird. 
Diese  spezielle  Wissenschaft  ist  nötig,  weil  jene  Wissenschaften 
nur  Betrachtungen  an  Linien,  Oberflächen,  Körpern  und  den 
fibrigen  Dingen,  die  hier  in  Frage  kommen,  insofern  anstellt, 
als  sie  gedacht  und  von  den  naturlichen  Körpern  losgelöst  sind. 

Wir  wenden  jene  Lehren  an,  indem  wir  sie  kraft  unseres 
Willens  und  mit  Hilfe  unserer  Geschicklichkeit  in  den  natür- 
lichen Körpern  zur  Erscheinung  kommen  lassen.  Dazu  müssen 
sowohl  die  obigen  Eigenschaften  als  auch  die  Körper  selbst  in 
passender  Weise  vorbereitet  werden.  —  Dies  zu  tun  ist  die  Auf- 
gabe der  Wissenschaft  der  Ingenia^). 

Zu  der  Wissenschaft  der  Ingenia  gehören  die  Ingenia  bei 
den  Zahlen;  deren  gibt  es  mehrere  Arten,  so  die  bei  jenen  zu 
unserer  Zeit  mit  den  Namen  Algebra  und  al  Mvrhalata^)  benannte 
Lehre  und  dieser  ähnliches,  obgleich  diese  Wissenschaft  der 
Zahl  und  der  Geometrie  gemeinsam  ist.  Sie  selbst  umfaßt  die 
Arten,  wie  man  sich  beim  Auffinden  von  Zahlen  anstellt,  die 
bei  den  Dingen  angewandt  werden,  deren  Gnindlage  Euklid 
von  den  rationalen  und  irrationalen  Größen  in  seinem  zehnten 
Buch  über  die  Elemente  gab,  und  darin  was  nicht  in  jedem  Buch 
erwähnt  wird.  Dies  ist  der  Fall,  weil  das  Verhältnis  der 
rationalen  und  irrationalen  Größen  gleich  dem  Verhältnis  einer 
Zahl  zu  einer  Zahl  ist.  Jede  Zahl  steht  in  Beziehung  (compar, 
relatns)  zu  irgendeiner  rationalen  oder  irrationalen  Größe. 
Findet  man  daher  Zahlen,  welche  den  Proportionen  der  Größen 
entsprechen,  so  findet  man  auch  jene  Größen  auf  irgendeine 
Weise.  Daher  nimmt  man  an,  daß  gewisse  rationale  Zahlen 
rationalen  Größen  entsprechen  und  gewisse  irrationale  Zahlen 
irrationalen  Größen. 

Hierher  gehören  ferner  die  geometrischen  Ingenia, 
deren  es  sehr  viele  gibt,  ein  Teil  derselben  bildet  die  Grundlage 

')  Dieser  Absatz  ist  im  Original  viel  weitschweifiger  dargestellt,  wie 
dies  bei  solchen  Betrachtungen  bei  den  mittelalterlichen  Philosophen  so 
oft  dpr  Fall  ist. 

*)  Das  Wort  ist  natürlich  Muqabala, 

Sitsnngsberiebte  der  phys.-med.  Sos.  39  (1907).  7 


—    98    — 

der  Architektur  (ars  cementaria).  Weiter  gehört  hierher  das 
Ingenium  bei  der  Messung  der  verschiedenen  Arten  der  Körper 
und  bei  den  zum  Heben  dienenden  Instrumenten,  weiter  geholfen 
hierher  die  Musikinstrumente  sowie  die  Herstellung  der  In- 
strumente mehrerer  praktischer  Künste,  wie  der  Bogen  und 
anderer  Arten  von  Waffen.  Hierher  gehört  das  Ingenium  beim 
Sehen  (Ingenium  aspectuale),  bei  def  Kunst,  welche  die  Augen 
zur  Erkenntnis  der  wirklichen  Beschaffenheit  entferater  Gegen- 
stände führt,  bei  der  Kunst  der  Spiegel  und  der  Wissenschaft 
von  den  Spiegeln,  wenn  es  sich  um  die  Stellen  handelt,  welche  die 
Strahlen^)  zurückgeben,  reflektieren,  umkehren  oder  brechen; 
hierdurch  erfährt  man  auch  die  Stellen,  welche  die  Sonnen- 
strahlen nach  anderen  Körpern  zurücksenden;  daraus  entsteht 
die  Kunst  der  Brennspiegel  und  der  Ingenia  bei  ihnen.  Hier- 
her gehört  auch  das  Ingenium  bei  der  Kunst  der  wunderbaren 
Gewichte*)  und  der  bei  sehr  vielen  Künsten  benutzbaren  In- 
strumente. 

Das  oben  erwähnte  und  die  dabei  eine  Rolle  spielenden 
Ursachen  bilden  daher  die  Wissenschaften  der  „Ingenia";  sie 
sind  die  Grundlagen  der  praktischen  bürgerlichen  Künste,  welche 
Anwendung  finden  bei  den  Körpern,  Figuren,  der  Ordnung,  den 
Lagen  und  bei  der  Messung;  dahin  gehört  die  Architektur  und 
die  Zimmermeisterei  u.  s.  w. 

Das  obige  sind  also  die  Doktrinen  und  deren  Arten. 

Bemerkangen. 

Die  von  al  Färäbl  und  den  späteren,  wie  Ibn  Stnä,  al 
An:ärt,  Hagt  Chalfa,  gegebene  Einteilung  der  Mathematik  geht 
auf  griechische  Vorbilder  zurück,  und  zwar  wahrscheinlich  auf 
Geminusj  dessen  Ausftthningen  uns  hei  Pfvdiis  erhalten  sind'). 
Er  teilt  die  Gebiete  der  Mathematik  in  solche,  welche  die  Fragen 


^)  Wohl  hier  die  vom  Auge  ausgehenden  Strahlen. 

*)  Hier  ist  wohl  an  die  Schnellwage  gedacht. 

')  Prodi  Commentarii  ed.  G.  Friedlein.  Leipzig  1873,  vor  allem 
S.  38 ff.  —  Vgl.  hierzu  femer  Tittel,  De  Gemini  Stoiei  etc.  Dissert. 
Leipzig  1895  und  J.  G.  van  Pesch,  De  Prodi  Pontibus  Dissert.  Leiden  190a 
Dabei  ist  auch  erörtert,  welche  Stellen  bei  Proclns  von  Geminus  entnommen 
sein  können.  Cantor,  Gesch  d.  Math.  2.  Aufl.,  Bd.  1,  S.  145.  —  Geminns 
von  Khodus  lebte  im  letzten  Jahrhundert  vor  Christus. 


-    99    - 

rein  abstrakt  behandeln,  und  in  eine  solche,  welche  sich  mit 
sinnlich  wahrnehmbaren  Gegenständen  befassen.  Zu  den  ersten 
gehören  die  beiden  wichtigsten  Gebiete,  die  Arithmetik  and  die 
Geometrie.  Zn  den  zweiten  Mechanik,  Astronomie  (Astrologie), 
Optik  {ÖTtTüed),  (Perspektiva),  Geodäsie,  Musik  (Canonica)  und 
angewandte  Arithmetik  {loyiarixi^)^  denen  sich  noch  die  Mechanik 
anschließt.  Ausgeschlossen  ist  die  Eriegswissenschaft,  die  Ge- 
schichtschreibung und  die  Medizin,  obwohl  diese  mannigfach  die 
Mathematik  verwenden  und  verwenden  mfissen. 

Die  Geometrie  behandelt  entweder  ebene  oder  räumliche 
Gebilde  (Stereometrie),  die  Arithmetik  entweder  lineare  oder 
ebene  oder  räumliche  Zahlen.  Die  Geodäsie  und  die  Logi- 
stik wenden  die  Resultate  der  ersten  zwei  Gebiete  auf  Vermessung 
der  wirklichen  körperlichen  Gebilde  und  die  praktischen  Aufgaben 
an«  Die  Optik  teilt  sich  erstens  in  eine  im  engeren  euklidischen 
Sinne;  sie  behandelt  die  Sehstrahlen  (Stpig)  wie  Linien  und  die 
Winkel;  welche  aus  diesen  Sehstrahlen  entstehen.  Die  weiteren 
Ausf&hrungen  über  die  optischen  Täuschungen  sind  denen  von 
al  Färdbt  ähnlich.  Ein  zweiter  Teil  behandelt  die  Spiegel,  ein 
dritter  die  Skenographia  oder  Perspektive,  sie  lehrt  wie  in  den 
Bildern  die  Dinge  nicht  entsprechend  unförmlich  erscheinen,  trotz 
deren  Entfernung  und  Höhe. 

Hierzu  kommt  die  Mechanik ;  zu  beachten  ist,  daß  diese  von 
Proclus  fast  an  das  Ende  gestellt  wird.  Die  Mechanik,  ein 
Teil  des  Gebietes,  das  sich  mit  den  sinnlich  wahrnehmbaren 
und  materiellen  Dingen  befaßt.  Sie  zerfällt  wieder  in  drei  Teile. 

Die  Herstellung  von  Instrumenten  (dgyavojiouxi^),  so  der 
Kriegsinstrumente  nach  Archimedes. 

Die  Herstellung  von  Wunderinstrumenten,  die  durch  Luft 
(nach  Heron  und  Ktesibios),  durch  Gewichte  (deren  Nicht- 
gleichgewicht  die  Bewegung,  deren  Gleichgewicht  die  Ruhe  nach 
Timäus*)  bedingt)  oder  durch  Sehnen  und  Stricke  bewegt 
werden. 

Zu  der  Mechanik  gehört  dann  die  Lehre  vom  Gleichgewicht 
und  dem  Schwerpunkt,  die  Lehre  von  der  Bewegung  der  Sphäre 

*)  Vielleicht  der  Pythagoreer  Timaeus,  vgl.  Christ,  Griech.  Litteratur- 
geschichte.  4.  Aufl.,  S.  426  u.  461.  Cantor,  Gesch.  d.  Math.  Bd.  1 ;  vgl. 
auch  Prodi  commeutarias  in  Piatonis  Timaeum  C.  I,  1,  wonach  dieser 
eine  Schrift  tipqI  q>vos(og  geschrieben  haben  soll. 

7* 


—    100    — 

(die  von  ArcMmedes  konstruierte  Vorrichtung)  und  von  allem, 
was  die  Materie  bewegt. 

Daran  schließt  sich  die  Besprechung  der  Astronomie,  zu 
der  auch  die  Gnomonik  (die  Lehre  von  den  Gnomonen)  (Schatten- 
instrumenten) und  deren  Verwendung  gehört,  weiter  die  Mete- 
oroskopia,  welche  die  Höhe  und  Abstände  der  Gestirne  mißt,,  die 
Dioptriki  die  die  Gestirne  mit  dioptrfecfaen Instrumenten  untersncht 

Die  sechs  mathematischen  Wissenschaften  werden  oft  zu 
zweien  zusammengefaßt.  Geometrie  und  Arithmetik,  Optik  und 
Musik;  Mechanik  und  Astronomie.  Sextus  Empiriciis'behBJiAelt 
Geometrie,  Arithmetik,  Astrologie  (d.  h.  Astronomie)  und  Musik. 

Die  Araber  haben  die  obige  Einteilung  noch  etwas  genauer 
im  einzelnen  durchgeführt.  Das  eine  oder  andere  Gebiet,  das  für  sie 
keine  Bedeutung  hatte,  wie  dieSkenographia,  ist  auch  fortgefallen. 

Die  Einteilung  der  mathematischen  Wissenschaften  in  die 
vier  Teile  Arithmetik,  Geometrie,  Musik  und  Astronomie  findet 
sich  im  Mittelalter  immer  wieder.  E^ür  sie  ist  zum  ersten  Male 
von  Boethius  (t525)  das  Wort  Quadruvium  benutzt,  um  den 
Kreuzweg  der  viergeteilten  mathematischen  Wissenschaften  zu 
bezeichnen,  während  Cassiodörus  (f  ca.  575)  sie  die  vier  Pforten 
der  Wissenschaften  genannt  hat.  Mit  dem  Quadruvium  zusammen 
bildet  das  Trivium,  nämlich  Grammatik,  Rhetorik  und  Dialektik, 
die  sieben  freien  Künste*). 

Bei  Cassiodörus^)  und  im  Anschluß  daran  fast  wörtlich  bei 
Isidorus^)  (f  636)  heißt  es  etwa:  Die  Mathematik,  welche  wir 
lateinisch  eine  „scientia  doctrinalis"  nennen  können,  ist  eine 
Wissenschaft,  welche  die  abstrakte  Menge  betrachtet.  Eine 
abstrakte  Größe  ist  eine  solche,  welche  wir  mittelst  des  Ver- 
standes von  der  Materie  oder  anderen  Akzidentien  trennen,  wie 
^gleich,  ungleich"  oder  andere  dergleichen,  und  allein  durch 
Vernunftschlüsse  behandeln.  Sie  hat  vier  Arten,  nämlich  die 
Arithmetik,  die  Geometrie,  die  Musik  und  die  Astronomie.  Die 
Arithmetik  ist  die  Wissenschaft  von  der  zählbaren  Größe  an 
sich.  Die  Geometrie  ist  die  Lehre  von  der  unbeweglichen  Größe 

*)  Vgl.  z.  B.  liierzu  Cantor,  Gesch.  der  Mathematik,  2.  Aufl.,  Bd.  1, 
S.  529  ff.    Vgl.  auch  A.  Appuhn.  Erlanger  Diasert.  1900. 
')  Cassiodörus.  Migne,  Series  latina  Bd.  10,  S.  1203ff, 
')  Isidorus.  Migne,  Series  latina  Bd.  82,  S..  Iö3;  vgl.  auch  Rabanns 
Maurus  (776—856)  in  De  clericorum  institutionibus  lib.  III,  cap.  XXI  und 
folgende.    Migne,  Series  latina  Bd.  10,  S.  398  und  folgende. 


-     101     - 

und  den  Gebilden  (formanim).  Die  Musik  ist  die  Wissenschaft, 
welche  von  den  Zahlen  handelt,  die  man  bei  den  Tönen  findet. 
Die  Astronomie  ist  die  Wissenschaft,  die  den  Lauf  der  Himmels- 
körper, deren  Figuren  und  das  Verhalten  (habitudines)  der  Sterne 
betrachtet.  —  (Hier  fehlt  also  gegenüber  von  al  Färäbt  die 
Lehre  von  der  Optik,  den  Gewichten  und  den  Ingeniis;  die  erste 
haben  die  Araber,  wohl  veranlaßt  durch  die  Optik  des  Euklid, 
die  zweite  infolge  der  wachsenden  Bedeutung  des  WÄgen&  bei 
dem  Handel  und  die  letzte  im  Anschluß  an  die  Schriften  Herons 
und  Proklus  eingeführt.) 

Eingehende  Betrachtungen  über  die  Beziehungen  der  ein- 
zelnen Wissenschaften  zu  den  natürlichen  Körpern,  der  reinen 
Geometrie  und  Arithmetik,  von  denen  die  letztere  als  die  ein- 
fachere bezeichnet  wird,  zu  der  Lehre  von  den  Gewichten,  der 
Musik,  den  bewegten  Sphären,  der  Optik,  der  Astrologie  finden 
sich  in  Ibn  Stnd's  Schifä^)  (Genesung)*). 


^)  Nach  dem  Druck  in  VenediK  1508.  Safficientia  lib.  I,  Cap.  8,  fol.  18  v. 
unter  dem  Titel:  ^Was  die  Scientia  naturalis  erstreben  muß  und  worin 
sie  mit  anderen  Wissenschaften  zusammenhängt/  Sufficientia  ist  hei 
lateinischen  Obersetzungen  der  Titel  des  obigen  Werkes  von  Ibn  Sind. 
Hertens  treffliebe  Übersetzung  ist  noch  nicht  so  weit  gediehen. 

*)  Eine  sehr  eingehende  Einteilung  der  Wissenschaften,  die  sich  mannig- 
fach von  den  sonstigen  unterscheidet,  geben  die  Ichwän  al  Sofa.  Sie 
ist  in  der  7.  Dissertation  über  die  theoretischen  {^ümija)  Künste  ent- 
halten (Dleterici,  Logik  S.  1  und  10;  Bombayer  Ausgabe  S.  13).  Dieselbe 
im  einzelnen  wiederzugeben  hat  keinen  Zweck.  Erwähnt  sei  nur,  daß 
zu  den  Vorstudien  die  Bildnngswissenschaften,  von  denen  die  meisten 
dazu  dienen,  um  dem  Lebensunterhalt  nachzugehen  und  die  Angelegen- 
heiten des  Lebens  wohl  zu  ordnen,  gerechnet  werden:  die  Wissenschaft 
der  Zauberei,  der  Beschwörung,  der  Chemie  und  der  Hijal  (Kunstgriffe) 
nnd  was  diesen  ähnlich  ist. 

Die  Künste,  die  an  sich  vorzüglich  sind,  sind  die  Künste  der  Taschen- 
spieler {Mu8ch(imd)j  der  Maler,  der  Musiker  u.  s.  w.  Die  Taschenspieler- 
kunst  ist  nichts  anderes  als  Schnelligkeit  der  Bewegung  und  Verbergen 
der  Ursachen,  so  dsft,  während  die  Toren  lachen,  der  Verständige  sich 
über  die  Schlauheit  des  Künstlers  freut.  (Bombay  1,,  S.  33.  Dietericl, 
Logik  S.  94.) 

Die  mathematischen  Wissenschaften  zerfallen  in :  1.  die  Mathematik, 

2.  die   Geometrie   (bald   als   (jrumatrijd,  bald  als  Handasa  bezeichnet), 

3.  die  Astronomie,  4.  die  Musik,  5.  die  Geographie,  6.  das  Verhältnis  in 
der  Arithmetik,  der  Geometrie  und  der  Komposition  {Ta*lif). 


Ober  LösuDgeo  in  Gemischen  von  Alkohol  und 

Wassen 

Von  Ernst  Cuno. 
Aus  dem  phyBikaliachen  Institut  der  Universität  Erlangen. 

Es  wurden  Versuche  angestellt  nber  die  Zusammensetzung 
zweier  flüssiger  Schichten,  wie  sie  beim  Lösen  gewisser  Salze 
in  Alkohol  Wassergemischen  auftreten.  Untereucht  wurden  Kalium- 
karbonat und  Mangansulfat.  Bezieht  man  den  Salzgehalt  und 
den  Alkoholgehalt  dieser  Schichten  auf  100  g  Wasser,  und 
wählt  den  Alkoholgehalt  als  X-Achse  und  den  Salzgehalt  als 
Y-Achse  eines  rechtwinkeligen  Koordinatensystems,  so  erhält 
man,  wenn  man  die  verschiedenen  oberen  und  unteren  Schichten 
aufträgt  (bei  derselben  Temperatur),  eine  Kurve,  die  im  ei^sten 
Quadranten  verläuft,  nach  unten  konvex  ist  und  sich  den  beiden 
Achsen  nähert,  um  schließlich,  wie  sich  aus  den  theoretischen 
Arbeiten  von  Schreinemakers^)  und  den  experimentellen  von 
B.  R.  de  Bruyn*)  ergibt,  in  die  Kurve  überzugehen,  die  das 
Gleichgewicht  zwischen  gesättigten  Lösungen  und  dem  Salz 
oder  festen  Hydraten  darstellt.  Fig.  1  zeigt  diese  „Schichtungs- 
kurven" für  Kaliumkarbonat  bei  25^. 

Eine  Lösung,  die  zwischen  der  X-  und  Y-Achse  und  dieser 
Kurve  liegt,  ist  ungesättigt;  liegt  aber  die  Lösung  innerhalb 
der  Kurve,  so  zerfällt  sie  in  die  beiden  Lösungen,  deren  Zu- 
sammensetzung durch  die  Endpunkte  der  durch  den  betreffen- 
den Punkt  gehenden  Strecke  gegeben  ist. 

Aus  den  Versuchen  hat  sich  ergeben,  daß  die  Temperatur 
bei  Kaliumkarbonat  und  Mangansulfat  sehr   wenig  Einfluß  so^- 


1)  F.  A.  H.  Schreinemakers.    Zeitschr.  f.  phys.  Gbeni.  22,  93  u. 
515.  1897,  sowie  25,  305.  1898. 

*)  B.  R.  de  Bruyn.   Zeitschr.  f,  phys.  Chem.  32,  63.    1900. 


103 


CjHjOH 


Figur  1. 


wohl  auf  dei)  Eintritt  der  Schichtenbildang,  als  auch  auf  die 
Zusammensetzung  der  beiden  Schichten  ausübt. 

Die  kritische  Lösung,  d.  h.  die  Lösung^  bei  der  die  beiden 
Schichten  einander  gleich  werden,  die  also  durch  den  Punkt 
dargestellt  wird,  wo  die  beiden  Kurventeile  für  die  obere  und 
untere  Schicht  zusammentreffen,  hat  bei  Kaliumkarbonat  für 
die  untersuchten  Temperaturen  (25®,  40®  und  60®)  die  gleiche 
Zusammensetzung. 

Die  Änderung  der  Schichtungskurven  mit  der  Temperatur 
erfolgt  bei  Kaliumkarbonat  derart,  daß  für  die  oberen  Schichten 
die  Schichtungskurve  für  eine  höhere  Temperatur  höher  liegt 
wie  für  eine  niedrigere  Temperatur.  Für  die  unteren  Schichten 
mit  sehr  großem  Salzgehalt  ist  dasselbe  der  Fall.  Bei  mittlerem 
Salzgehalt  schneiden  sich  die  Kurven,  und  gehen  dann  alle  durch 
den  kritischen  Punkt. 

Sehr  verschieden  verhalten  sich  Kaliumkarbonat  und  Mangan- 
sulfat beim  Lösen  in  Alkohol- Wassergemiscben.  Während  das 
erstere  sich  auch  dann  noch  löst,  wenn  bereits  Schichtenbildung 
eingetreten  ist,  erhält  man  beim  Lösen  von  Mangansulfat  nie- 
mals Schichtenbildung,  indem  das  Salz  ungelöst  bleibt.  Man 
erhält  bei  letzterem  Scbichtenbildung,  indem  man  einer  Lösung 
des  Salzes  in  Wasser  Alkohol  zusetzt. 

W   M 
Der  Bodländersche  Ausdruck    3    .-    ,  sowie  der  von  W. 

Herz  und  M.  Knoch  -^iA^-f^'^  (A,    W  und  S  sind  die 

S  + A-f- W        ' 

»)  G.  Bodländer.  Zeitschr.  f.  phys.  Chem.  7,  314.    1891. 

*)  W.  Herz  u,  M.  Knoch.  Zeitachr.  f.  anorg.  Chem.  46,  193.  1905. 


—     104    — 

Mengen  Alkohol^  Wasser  und  Salz  in  100  ccm  der  Lösung) 
zeigen  sich  fUr  mittleren  Alkoholgehalt  ziemlich  gut  konstant. 
Leitfähigkeitsbestimmungen  ergaben,  daß  sich  das  Maximum 
der  Leitfähigkeit,  das  bei  Lösungen  von  Kaliumkarbonat  und 
Mangansulfat  in  reinem  Wasser  auftritt,  sich  mit  steigendem 
Alkoholgehalt  zu  Lösungen  mit  sinkendem  Salzgehalt  verschiebt. 
Die  Leitfähigkeit  nimmt  mit  wachsendem  Alkoholgehalt  bei 
gleichem  Salzgehalt  sehr  rasch  ab.    Fig.  2  zeigt  die  Leitfähig- 


%  Alkohol 


MnSO« 


Figur  2. 


keitskurven  für  Lösungen  von  Mangansulfat  in  Gemischen  von 
Alkohol  und  Wasser  bei  15^.  Dabei  bezieht  sich  der  Alkohol-  und 
Salzgehalt  auf  100  g  der  Lösung,  und  als  Einheit  der  Leit- 
fähigkeit K  wurde  die  Leitfähigkeit  eines  Körpers  angenommen, 
von  dem  eine  Säule  von  1  cm  Länge  und  1  qcm  Querschnitt  den 
Widerstand  1  Ohm  besitzt. 


Chlorretention  bei  künstlich  erzeugtem  Fieber. 

Von  Edgar  Grünbaura. 
Aus  dem  physiologischen  Institut  der  Universität  Erlangen. 

Wäre  es  auch  irrig,  die  Bedeutung  eines  Stoffes  für  den 
Haushalt  des  menschlichen  Körpers  allein  nach  seiner  Umsatz- 
größe abzuschätzen,  so  weist  doch  die  Unveränderlichkeit  der 
hohen  Werte  des  Kochsalzes  im  Harn  —  11  bis  15  g  pro  die, 
das  ist  fast  die  Hälfte  des  Harnstoffwertes  —  auf  eine  große 
Bedeutung. dieses  chemisch  anscheinend  so  gleichgültigen  Körpers 
für  den  menschlichen  Stoffwechsel  hin.  Und  mit  größter  Zähig- 
keit —  das  gehört  zu  den  physiologisch  festgestellten  Tatsachen 
—  hält  der  tierische  Körper  einen-  gewissen  eisernen  Bestand  an 
Kochsalz  fest.  Alle  bisher  gemachten  Erfahrungen  auf  dem  Gebiet 
des  Mineralstoffwechsels  haben  diese  Tatsache  immer  wieder 
bestätigt.  ,jEs  besteht . . .  eine  gewisse  Breite  des  Kochsalzes  in 
den  Säften  und  Geweben;  ebendieselbe  bewegt  sich  in  engen 
Grenzen;  das  Minimum  und  Maximum  liegen  sich  so  nahe,  daß 
der  Prozentgehalt  kaum  eine  Änderung  erfährt"  ^).  Hält  so 
der  Tierkfrper  mit  großer  Zähigkeit  den  relativen  Chlorgehalt 
seiner  Gewebe  unter  normalen  Umständen  konstant,  so  ist  um 
so  auffallender  und  merkwürdiger  die  Tatsache,  daß  unter  den 
veränderten  Bedingungen,  unter  die  die  Lebensvorgänge  bei 
vielen  fieberhaften  Infektionskrankheiten  gestellt  werden,  der 
Ghlorstoffwechsel  eine  obigem  Gesetz  anscheinend  gründlichst 
widersprechende  Änderung  erfährt. 

Soviel  ich  sehe,  hat  zuerst  Redtenbacher  im  Jahre  1850 
auf  die  Tatsache  aufmerksam  gemacht,  daß  bei  Pneumonie  eine 
außerordentliche  Verminderung  der  Harnchloride,  die  bis  zu 
deren  völligem  Verschwinden  sich  steigern  kann,  statthat.  Er 
führte  das  für  den  speziellen  Fall  der  Pneumonie  auf  die  Re- 
tention des  Chlors  bei  Bildung  des  Lungenexsudates  zurück. 

>)  C.  V.  Voit,  Handb.  d.  Physiol.  des  StoffwechselB.  Bd.  VI  von 
Hermanns  Handb.  d.  Physiologie,  S.  365. 


—     10(5     - 

Unter  Retention  ist  in  unserem  Falle  kein  dauernder  Vor- 
gang, sondern  nur  das  zeitweilige  Zurückbleiben  der  ausgefQhrten 
Chloridmengen  hinter  der  Einfuhr  zu  verstehen,  eine  Differenz, 
die  in  einer  der  krankhaften  Störung  folgenden  Periode  durch 
länger  oder  kürzer  dauernde  Mehrausfuhr  wieder  zum  Ausgleich 
gebracht  wird. 

Die  weitere  Literatur,  eine  Kasuistik,  die  das  Phänomen 
der  Chlorretention  während  des  Fiebers  und  der  Mehraus- 
scheidung des  Chlors  nach  der  Entfieberung  auch  für  andere 
fieberhafte  akute  und  subakute  Infektionskrankheiten  nachweist, 
ist  nicht  umfangreich. 

Eine  Übersicht  dieser  Literatur  für  die  Zeit  bis  1906  ist 
dem  kurzen  Abschnitt  über  unser  Thema  angefugt;  der,  von 
F.  Kraus  bearbeitet,  sich  in  v.  Noordens  Handbuch  der  Patho- 
logie des  Stoffwechsels  findet.  Eingehendere  Literaturangaben, 
insbesondere  auch  unter  Berücksichtigung  der  ausländischen 
Veröffentlichungen  neuerer  Zeit,  bringt  Schwenkenbecher  in 
seinem  ausgezeichneten  kritisch  sichtenden  Aufsatz:  Über  den 
Kochsalzstoffwechsel  bei  Infektionskrankheiten.  (Medizinische 
Klinik  1907,  Nr.  28  und  29.) 

Nach  dieses  Autors  Angaben  ist  die  charakteristische  Ände- 
rung der  Cl-Ausscheiduug  bisher  festgestellt  außer  bei  Pneu- 
monie bei  Typhus  abd.,  Typhus  exanthem.,  Febris  recurrens, 
Masern,  Scharlach,  auch  Angina  und  Erysipel.  Nach  einer  neueren, 
im  letzten  Halbjahr  veröffentlichten  Arbeit  von  A.  Mayer  ^) 
zeigt  auch  eine  so  eminent  chronisch  verlaufende  Infektions- 
krankheit wie  die  Phthise  eine  Retention  der  Chloride. 

Etwas  näher  eingehen  möchte  ich  noch  auf  die  viel  an- 
geführte Arbeit  von  Röhmann^),  weil  noch  öfter  Gelegenheit 
sein  wird,  auf  diese  sehr  sorgfältige  Untersuchung  und  die 
daraus  gezogenen  Schlußfolgerungen  zurückzukommen. 

Röhmann  hat  in  der  medizinischen  Klinik  der  Charit^ 
(v.  Leyden)  drei  Fälle  von  Pneumonie  und  je  einen  Fall  von 
Typhus  exanthem.,  Masern,  akutem  Gelenkrheumatismus  und  Ileo- 
typhus  auf  ihren  Chlorstoffwechsel  unter  Berücksichtigung  des  Ge- 


^)  A.  Mayer,  Zur  EenotDis  des  Mineralstoffwechsels  der  Phthisiker. 
Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin,  Bd.  90,  Heft  8  und  4. 

')  Röhmann,  Über  die  Ausscbeidung  der  Chloride  im  Fieber.  Zeit- 
schrift für  klinische  Medizin  1880,  Bd.  1. 


-     107     — 

haltesder  Nahrung,  der  Fäzes  und  des  Harnes  an  Chlor  untersucht. 
In  allen  fünf  Fällen  von  akuter  Infektion  mit  Fieber  ist  eine  sichere, 
zuweilen  bis  zu  einer  Höhe  von  ll^/j  g  sich  steigernde  Chlorreten- 
üon  nachzuweisen,  bei  zweien  davon,  bei  denen  aus  äußeren 
Grunden*die  Untersuchung  nicht  gründlich  genug  durchgeführt 
werden  konnte  (Typhus  exanth.  und  Morbilli),  drückt  sich  eine 
sichere  Tendenz  zur  Ghlorretention  im  Versuchsergebnis  aus. 
Die  beiden  subakuten  Fälle  (Gelenkrheumatismus  und  Ileotyphus) 
zeigen  nicht  das  charakteristische  und  eindeutige  Verhalten  der 
akuten  Fieberkrankbeiten.  Immerhin  sind  während  des  längeren 
Verlaufes  abwechselnd  Perioden  von  Ghlorretention  und  Mehr- 
ausscheidung deutlich  zu  erkennen. 

Warum  kann  nun  die  Frage  von  der  Ghlorretention  bei  fieber- 
haften Erkrankungen  noch  nicht  mit  unbestrittener  Sicherheit 
bejaht  oder  verneint  werden  ?  Die  vorhandene  Möglichkeit  einer 
ganz  unzweideutigen  Fragestellung  und  der  klar  vorgezeichnete 
einfache  Weg  der  Methodik  lassen  diese  immer  noch  bestehende 
Unsicherheit  in  der  Deutung  der  Untersuchungsresultate  ver- 
wunderlich erscheinen.  In  seiner  oben  schon  erwähnten  Arbeit 
gibt  Schwenkenbecher  eine  Zusammenstellung  und  Be- 
sprechung der  Gründe  für  diese  Tatsache.  Vor  allem  mangelnde 
Kenntnis  des  physiologischen  Kochsalzwechsels  beim  Menschen, 
der  ja  der  Beurteilung  pathologischer  Veränderungen  unbedingt 
als  für  den  Vergleich  maßgebend  zugrunde  gelegt  werden  muß, 
und  Außerachtlassung  wichtiger  Faktoren  des  Ghloridwechsels, 
wie  z.  B.  des  Wasserwechsels,  und  von  erheblichen  Ausfnhr- 
quellen,  wie  Schweiß  und  Sputum,  außerdem  und  niclit  zuletzt 
die  Unmöglichkeit  einer  so  genauen  Versuchsanordnung,  wie  sie 
von  e.V.  Voit  für  derartige  Experimente  vorbildlich  angegeben 
und  verlangt  worden  ist,  beim  Menschen  und  namentlich  beim 
kranken,  vielfach  sogar  delirierenden  oder  somnolenten  Menschen 
sind  die  hauptsächlichsten  davon.  Trotzdem  kommt  Schwenken- 
becher am  Schlüsse  seiner  Arbeit  auf  Grund  eingehendster 
Würdigung  aller  Tatsachen  und  der  vorliegenden  Versuchsergeb- 
nisse zu  der  Annahme,  „daß  im  Verlaufe  zahlreicher  Infektions- 
krankheiten (hinzuzufügen  wäre  »fieberhafter')  eine  Ghlorretention 
stattfindet,  die  in  der  Regel  gering  ist  und  bald  wieder  aus- 
geglichen wird".  Mehr  zu  folgern  wäj'e  bis  heute  nicht  erlaubt. 
Aber  ist  die  Ghlorretention   eben   nur   vielen  Infektionen   als 


-      108     — 

solchen  spezifisch  eigen  —  nicht  allen,  z.  B.  fehlt  sie  beim 
Malariaanfall,  in  dem  eher  eine  Chlor-Anssehttttung  beobachtet 
ist  — ,  oder  ist  es  der  fieberhafte  Prozeß  als  solcher,,  dem  die 
Zurückhaltung  der  Chloride  zuzuschreiben  ist?  *  Diese  Frage- 
stellung wies  auf  den  experimentellen  Weg  hin,  und  gA*n  folgte 
ich  der  giUigen  Anregung  des  Herrn  Prof.  Dr.  O.  Schulz,  die 
Lösung  der  Frageuntersolchem  Gesichtspunkt  in  Angriff  zunehmen. 

Während  ich  noch  mit  den  Vorarbeiten  der  weiter  unten 
folgenden  Versuche  beschäftigt  war,  wurde  mir  durch  die  Güte 
des  Herrn  Prof.  0.  de  la  Camp  Gelegenheit  geboten,  an 
einem  hierzu  geeigneten  klinischen  Fall,  einer  subakuten  Er- 
krankung beim  Menschen»  den  Kochsalzstoffwechsel  zu  verfolgen. 
Der  fünf  Jahre  alte  Knabe  B.  St.  erkrankte  am  29.  IV.  und  wurde 
am  30.  IV.,  mit  typischen  Skarlatina- Exanthem  bedeckt  und 
39,2®  Temperatur,  in  der  Üniversitäts-Kinderklinik  isoliert.  Das 
Fteber  (siehe  Kurve)  erreichte  mit  40,6**  am  2.  V.  seine  höchste 
Spitze,  um  dann  innerhalb  vierzehn  Tagen  mit  Ausnahme  einer 
kurzen  nochmaligen  Steigerung  am  11*  und  12.  V.  stetig  ly tisch 
abzufallen.  Die  Nahrung  des  Kranken  bestand  aus  Milch,  Eiern, 
Kakao  (bereitet  aus  Kakao,  Hafermehl,  Milch,  Wasser  und 
Zucker  in  stets  gleichem  Verhältnis),  Zwieback,  Orangen-  und 
Zitronenlimonade,  Bouillon  (auch  mit  Ei),  Kaffee  und  Tee  (mit 
Milch),  Kirschenkompot.  Hiervon  wurde  Cl-frei  oder  so  gut  wie 
Cl-frei  gefunden  das  Kakaopulver,  das  Hafermehl,  das  Wasser, 
der  Zwieback,  Orangen-  und  Zitronenlimonade,  Kirschenkompot, 
Kaffee,  Tee  und  selbstverständlich  der  Zucker;  quantitativ  be- 
stimmbares Ghlor  (alle  Chlorbestiramungen  sind  nach  Volhard- 
Salkowski  ausgeführt  und  auf  Kochsalz  berechnet)  enthielten: 
Milch  im  Durchschnitt  0,1559  g  NaCl  in  100  ccm,  Bouillon  0,812  g 
NaCl  in  100 ccm,  1  Ei  0,14765  g  NaCl (berechnet  nach  J.  König). 
Der  24stündige  Harn  des  Kranken  wurde  jeden  Morgen  um  die- 
selbe Zeit  fortgenommen  und  ebenfalls  nach  Volhard-Salkowski 
titriert  (Ausfällen  des  Chlors  aus  der  salpetersauren  Lösung  mit 
überschüssiger  Yio  "-Silbernitratlösung  und  Zurücktitrieren  des 
Überschusses  an  Silberlösung  mit  Vio^-I^liö^^ß*^"^^^'^!^"^  unter 
Beihilfe  von  Ferridammoniumsulfat  als  Indikator.  Vgl.  Späth, 
Untersuchung  des  Harnes.   2.  Aufl.  1903. 

Der  Kranke  hatte  mit  Ausnahme  dreier  Tage  ganz  im  Be- 
ginn der  Beobachtung  täglich  normal  defäziert.   Der  Kot  wurde 


-     109    - 

nicht  analysiert,  weil  er  erfahrungsgemäß  nar  ganz  geringe  nnd 
dämm  ohne  erhebliche  Beeinträchtigung  des  Versachsergeb- 
nisses zu  vernachlässigende  Mengen  an  Kochsalz  enthält.  Über 
das  Verbalten  des  Kochsalzes  im  Verdauungskanal  sagt  Magnus- 
Levy  in  von  Noordeus  Handbuch  der  Pathologie  des  Stoff- 
wechsels in  dem  Abschnitt  über  die  Physiologie  des  Stoffwechsels: 
„Natrium  und  Chlor  werden  außer  bei  heftigen  Durchfällen, 
bei  denen  größere  Mengen  NaCl  mit  den  Fäzes  ausgeschieden 
werden,  fast  vollständig  resorbiert.  Im  normalen  Kot  erscheinen 
höchstens  Dezigramme  Gl  und  Na;  es  wird  also  nicht  nur  das 
Kochsalz  der  Nahrung,  sondern  auch  die  Salzsäure  des  Magens, 
das  saure  kohlensaure  Natrium  und  das  Kochsalz  der  Ver- 
dauungssäfte  zum  größten  Teil  wieder  resorbiert,  —  Die  Auf- 
saugungsfähigkeit für  Natriumsalze  ist  fast  unbeschränkt.^  Und 
weiter  an  späterer  Stelle:  „bei  dem  Studium  derartiger  (NaCl)- 
Bilanzen  sind  wir  ausnahmsweise  in  der  Lage,  auf  Chlor- 
bestimmungen  in  den  Fäzes  verzichten  zu  können,  außer  bei 
Durchfällen  erscheinen  nur  Spuren,  höchstens  Dezigramme  Chlor 
im  Stuhl.« 

Geschwitzt,  hat  der  Patient  nie  erheblich,  dagegen  erbrach 
er  am  dritten,  vierten,  fünften  und  sechsten  Beobachtungstage, 
so  daß  damit  nicht  nur  Kochsalz  der  Nahrung,  sondern  auch 
Chlor  des  Magensaftes  in  unbestimmter  Menge  der  Aufzeichnung 
verloren  ging. 

ünteraieht  man  nun  das  Ergebnis  der  Beobachtung  einer  Be- 
trachtung, so  stellt  sich  heraus,  daß  es  anscheinend  der  An- 
nahme einer  NaCl-Retention  während  der  Fieberperiode  wider- 
spricht. Dem  ist  aber  nicht  so.  Allerdings  bei  Subtraktion  der 
Ausgabe  von  der  Einnahme  stoße  ich  auf  die  Tatsache,  daß  der 
Patient  1,214  g  NaCI  mehr  ausgeschieden  hat  als  eingenommen, 
und  zwar  das  insgesamt  aus  der  Bilanz  von  dreizehn  Fiebertagen, 
während  er  innerhalb  der  drei  folgenden  fieberfreien  Tage 
allein  2,546  g  mehr  ausscheidet  als  einnimmt.  Immerhin  könnte  so 
vielleicht  schon  von  relativer  Retention  und  nachheriger  Mehr- 
ausscheidung gesprochen  werden.  Aber  diese  Einschränkung  des 
Urteils  scheint  mir  durchaus  nicht  notwendig  zu  sein.  Es  kann, 
ja  es  muß  trotzdem  hier  eine  absolute  Retention  von  Chloriden 
angenommen  werden  anter  Berücksichtigung  eines  Umstandes^ 
der  mir,  nach  der  vorliegenden  Literatur  zu  schließen,  viel  zu 


—    110    — 

wenig  oder  keine  Beachtung  gefunden  zu  haben  scheint:  das 
ist  die  während  jeder  fieberhaften  Erkrankung  von 
nicht  zu  kurzer  Dauer  erfolgende  meist  recht  be- 
trächtliche Abnahme  des  Körpergewichts.  Leider  ist 
es  bei  unserem  Patienten  versäumt  worden,  das  Gewicht  bei 
seiner  Einlieferung  ins  Krankenhaus  kurz  nach  Beginn  seiner 
Erkrankung  festzustellen.  Nehmen  wir  aber  beispielshalber  an, 
der  Kranke  habe  während  seiner  fast  dreiwöchentlichen  Fieber- 
zeit um  2  kg  Körpergewicht  abgenommen,  —  der  rapide  Anstieg 
der  Gewichtskurve  von  13,2  auf  15,86  kg  innerhalb  zweier  Wochen 
Rekonvaleszenz  läßt  diese  Annahme  als  nicht  unberechtigt  er- 
scheinen —  und  weiter,  daß  der  durchschnittliche  Kochsalz- 
gehalt der  Körpersubstanz  der  höheren  Säugetiere  mit  nur 
0,25  ^/o  in  Anschlag  zu  bringen  sei,  was  wohl  sicher  zu  niedrig  ist, 
so  hätten  wir  bei  2  kg  Körpergewichtsverlust  schon  5  g  frei 
gewordenen  Kochsalzes,  das  bei  Nichtausscheidung  als  retiniert 
angesehen  werden  muß.  Wie  gesagt,  diese  Zahlen  sind  bloß 
angenommene;  ich  habe  sie  nur  ungefähr  der  Wirklichkeit  anzu- 
passen gesucht.  Immerhin  sind  sie  geeignet,  ein  Bild  von  der 
Wichtigkeit  des  Gewichtsverlustes  für  die  Beurteilung  der  Chlor- 
retention  im  Fieber  zu  geben.  Genau  die  Größe  der  durch 
Einschmelzung  von  Körpersubstanz  bedingten  Ghlorretention  zu 
bestimmen  ist  vorläufig  wohl  überhaupt  noch  nicht  möglich, 
einmal  weil  nur  spärliche  und  deshalb  noch  nicht  allgemein  für 
Berechnungen  verwertbare  Analysen  der  einzelnen  Organe  des 
menschlichen  Körpers  vorliegen,  und  weiter,  weil  aus  unseren 
Bestimmungen  der  Endprodukte  des  Stoffwechsels  kein  Schluß 
darauf  gezogen  werden  kann,  aus  welchen  Organen  die  quanti- 
tativ ermittelten  organischen  und  anorganischen  Ausscheidungs- 
produkte hervorgegangen  sind,  und  besonders,  in  welchem  Ver- 
hältnis die  einzelnen  Organe,  Gewebe  und  Gewebsflüssigkeiten 
das  Material  zu  den  Ausscheidungsprodukten  geliefert  haben. 

Betrachten  wir  jetzt  die  Zusammenstellung  der  Temperatur-, 
Kochsalzeinnahme-  und  Kochsalzausscheiduugskurve,  so  fällt  auf, 
daß,  ausgenommen  die  ersten  Beoachtungstage,  bei  denen  wir  es 
noch  mit  einer  Nachwirkung  der  vorher  noch  nicht  geregelten 
Kost  zu  tun  haben,  die  Kurve  der  NaCl- Ausscheidung  mit  zwei 
Ausnahmen  sich  unter  der  der  Kochsalzeiufuhr  hält.  Die  eine 
Ausnahme   ist  die  Kochsalzmehrausscheidung   nach  dem  end- 


—   111   - 

gültigen  Fid)ei'abfall.  Die  andere,  interessantere  ist  der  exakte 
Ansdmck  des  Teroperaturabfalls  nnd  -Wiederanstiegs  am  zehnten 
und  elften  Krankheitstage  in  den  Kochsalzknrven.  Denn  ganz  ent- 
sprechend, nur  um  24  Stunden  verschoben,  erhebt  sich  die  Kurve 
der  Ausscheidung  des  Kochsalzes  über  die  der  Einfuhr,  um  dann 
ein  wenig  verzögert  von  neuem  unter  die  Einfuhrkurve  abzu- 


Staib,  Bernhard,  5  Jahre  alt. 
Fieberperiode. 


.  s 

S) 

h 

a 

^J 

5fl 

Ö 

H 

°  s 

OK 

'Ata 

^1 

5|- 

Bemerkungen 

1. 

2.V. 

40,6» 

335 

1018 

0,4002 

1,341 

0,935 

2. 

3.V. 

40,5  <> 

520 

1016 

0,3364 

1,749 

0,780 

3. 

4.V. 

40,1  • 

1410 

10065 
1010 

0.1508 

2,126 

1,871 

Erbrechen ! 

4. 

5.V. 

39,5« 

1180 

0,1624 

1,975 

0,394 

Erbrechen! 

5. 

6.V. 

39,6« 

340 

1015 

0,1392 

0,473 

1,066 

Erbrechen ! 

6. 

7.V. 

39,4« 

765 

1007 

0,116 

0.887 

1,686 

Erbrechen  I 

7. 

S.V. 

39,0* 

470 

1012 

0,174 

0.818 

1,885 

8. 

9.V. 

38,6« 

700 

1010 

0,232 

1,624 

1.949 

9. 

10.  V. 

38,1« 

445 

1013 

0,3828 

1,703 

1.928 

10. 

U.V. 

39,0« 

665 

1010 

0,4528 

3,011 

1,966 

11. 

12.  V. 

39,5« 

620 

1010 

0,3364 

1.426 

1,111 

Erbrechen ! 

12. 

13.  V. 

38,2« 

535 

1013 

0,3944 

2,110 

2,045 

13. 

14.  V. 

38« 

320 

1020 

0,7018 

2,246 

3,159 

Im  f 

ganzen 

in  13  ' 

ragen: 

21,489 

20,275 

Nachperiode. 


l.r.l5.V. 

2.  16.V. 

3.  17.  V. 


37,3« 
37,4« 
37,3« 


712 

700 
1035 


1012 
1012 
1010 


0,6612 
0,5916 
0,638 


4,708 
4,141 
6,699 


4,607 
2,838 
5,557 


Im  ganzen  in  3  Tagen: 


15,548 


13,002 


sinken.  Diese  Promptheit  der  Reaktion,  mit  der  die  Kochsalz- 
bilanz  auf  Temperaturschwankungen  antwortet,  scheint  mir  sehr 
bemerkenswert. 

Als  Ergebnis  der  Beobachtung  ist,  trotz  der  Schwächen,  die 
aus  den  bereits  in  der  Einleitung  ganz  allgemein  ffir  ähnliche 
Untersuchungen  besprochenen  und  hier  deshalb  nicht  noch  ein- 
mal zu  wiederholenden  GrOnden  ihr  anhaften,  doch  unzwei- 
deutig wenigstens  die  Tendenz  zur  Chlorretention  zu  erkennen. 


112    — 


Unser  Fall  ist  deshalb  den  subakaten  F&llen  RObmanns  an 
die  Seite  zu  stellen  und  nähert  sich  dem  Typhusfall  von  Garrat 
(siehe  bei  Seh wenkenbe eher  1.  c.)  sowie  dem  Phthisisfall 
A.  Mayers. 

Jedenfalls   wies   auch   die   Bearbeitung   dieses   klinischen 
Falles  durch  die  aus  dem  Fehlen  strenger  Versuchsbedingungen 


Knabe  B.  St. 

BeobachtuDgstage. 

1.        2.      3. 

H. 

s. 

6.       7.       8.        9.      10 

Dafum  2y.      37.      «f. 

b. 

6. 

7.       8.      9.       10,      11. 

11. 

12. 

13. 

11. 

15. 

16 

12. 

13. 

i«». 

15. 

16. 

17. 

^    1^7^^^^ 

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^                                                                                       t 

s,  ^^     Eiiinih-nd                                                                         ~1  i 

T    J !                                                                                                                       ■                         /   ,' 

.     j:        . Auiscie  düng  irr  Hirn                                                 Za^'^'- 

^   :!                                                                               '                 /'     •'       / 

a                                                                                                                               ^  /            \    i 

~-                                           2\           7*/.      -^^ 

-M                          ^—-,                                                               afl            ''».-        -,6*'"" 

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1    ^    /^\     -   /      ^'^^             \/^ 

:"^;:--^    ^  .5  -- ' 

sich  ergebende  Lückenhaftigkeit  der  Resultate  auf  die  Not- 
wendigkeit von  Tierversuchen,  die  ja  gerade  die  Möglichkeit 
einfachster  und  genau  zu  kontrollierender  Versuchsanordnung 
bieten,  hin. 

Ist  es  der  fieberhafte  Prozeß  als  solcher,  der  die  Chlor- 
retention  bedingt?  Diese  Fragestellung  setzte  ein  reines  Fieber 
ohne  jede  entstellende  Komplikation  voraus.   Durch  Einspritzung 


-     113     - 

putrider  oder  in  Zersetzung  begriffener  tierischer  Substanzen 
haben  schon  Pitha  und  Billroth  künstliches  Fieber  bei  Tieren 
erzeugt.  Aber  das  war  kein  reines,  kein  aseptisches  Fieber. 
Unsere  Aufgabe  verlangte  vor  allem,  daß  jede  Störung  des 
Stoffwechsels,  wie  sie  durch  lebende,  dem  tierischen  Körper  ein- 
verleibte fiebererregende  Bakterien  hervorgerufen  wird,  sowie 
Abszeß-  und  Exsudatbildung  vermieden  und  eine  Lebensgefährdung 
der  Versuchstiere  durch  zuverlässige  Dosierbarkeit  des  einzu- 
spritzenden Fiebermittels  soweit  als  irgend  angängig  ausge- 
schlossen werde.  Besonders  auf  diesen  zweiten  Punkt  mußte  ich 
Gewicht  legen:  die  Tiere  durften  dem  Fieber  nicht  erliegen; 
denn  gerade  die  Gesündungsperiode  gehörte  ja  zu  den  wichtigsten 
Versuchsabschnitten. 

Aus  weiter  unten  anzugebenden  Granden  benutzte  ich  als 
Versuchstiere  Hunde. 

Zunächst  bin  ich  in  der  Gewinnung  eines  aseptischen  pyrogenen 
Stoffes  dem  Vorgehen  W.  Rosen  thals ^)  gefolgt  und  habe  an  einer 
von  Herrn  Prof.  0.  Schulz  aus  seinem  Versuchsmaterial  gütigst 
zur  Verfügung  gestellten  thyreoidektomierten  etwa  6  kg  schweren 
Hündin,  die  später  nicht  mehr  verwendet  wurde,  mit  einem  aus 
Phthisikerspütum  durch  Alkoholfällung  und  Glyzerinextraktion 
hergestellten  Material  Fieber  zu  erzeugen  versucht.  W.  Rosen - 
thal  hatte  das  Extrakt  allerdings  nur  für  Kaninchen  verwendet 
und  dabei,  wie  auch  ich,  gute  Erfolge  erzielt.  Beim  Hund  ver- 
sagte das  Mittel.  Die  Schwierigkeit,  bei  Hunden  Fieber  zu 
erzeugen,  ist  bekannt.  Vom  Tuberkulin,  an  das  man  hätte 
denken  können,  wurde  deshalb  von  vornherein  Abstand  ge- 
nommen, weil,  wenn  das  Mittel  überhaupt  beim  Hund  I?ieber 
erzeugt  hätte,  sicher  sehr  große  Mengen  davon  nötig  geworden 
wären  bei  der  notwendigerweise  länger  auszudehnenden  Versuchs- 
dauer; die  Kosten  wären  unverhältnismäßig  groß  geworden.  Nach 
Ausscheidung  dieser  Mittel  wurde  auf  Veranlassung  des  Herrn  Prof. 
0.  Schulz,  dem  früher  bei  der  künstlichen  Erzeugung  von  asep- 
tischem Fieber  sterilisierte  Pyocyaneus-Kulturen  die  besten  Dienste 
geleistet  hatten,  mit  solchen  Kulturen  vorgegangen,  mit  gutem 
Erfolge,  wie  ich  gleich  voraus  nehmen  will. 


*)  W.  Rosenthal,  Thermoelektr.  Untersuchungen  über  die  Tempe- 
ratarverteünng  im  Fieber.    lunug.-Diss.  Erlangen  1893. 

SitKÜngiiberichte  der  raed.-phys.  Soz.  39  (1907).  g 


-     114    — 

Nach  Lexer*)  „bildet  der  Pyocyaneus  im  Tierkorper,  ohne 
sich  stark  zn  vermehren,  heftige  Gifte  .  .  .  Der  sabkatanen 
und  intravenösen  Einspritzung  geringer  Mengen  virulenter 
Kulturen  folgt  eine  schwere,  in  24  Stunden  oder  in  vielen  Wochen 
tödliche  Erkrankung  (mit  Nephritis  und  Hämorrhagien  im 
Magendarmkanal)  .  .  .  Auch  Lähmungen  und  Degenerationen 
der  Organe  kommen  bei  chronischem  Verlaufe  vor.  Ganz 
ähnlich  wirken  in  genügenden  Dosen  sterile  Kulturen,  da  sie 
die  GiftstoflFe  der  Bakterien  enthalten."  Von  einer  Agar- 
kültur,  die  mir  Herr  Prof.  L.  Heim  gütigst  zur  Verfügung 
stellte,  wurden  Röhrchen  und  Kolben  sterilisierter  Rindlleisch- 
bouillon  (600  g  fett-  und  bindegewebsfreies  Rindfleisch  mit 
1200  ccm  Wasser  kalt  extrahiert,  durch  Kochen  enteiweißt,  neu- 
tralisiert, filtriert,  dann  nach  Zufügen  von  10  g  Pepton  und  5  g 
Kochsalz  im  strömenden  Dampf  sterilisiert)  geimpft  und  acht  Tage 
im  Brutschrank  belassen.  Immer  schon  nach  24  Stunden  war 
deutlich  schöne  grüne  Fluoreszenz  zu  bemerken,  die  sich  von 
Tag  zu  Tag  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  intensiver  gestaltete. 
Die  Kolben,  deren  Inhalt  zur  Einspritzung  verwendet  werden 
sollte,  wurden  nun  zu  wiederholten  Malen  zwei  bis  drei  Stunden  bei 
60^  im  Wasserbad  gehalten  und  Abimpfungen  von  diesen  Kolben 
dann  immer  steril  befunden.  Die  Bouillon  zeigte  sich  jetzt  in 
eine  schleimig  zähe,  kaum  fadenziehende,  tief  blaugrüne  Masse 
verwandelt;  diese  wurde  vor  Licht  geschützt  und  kühl  auf- 
bewahrt und  zur  Injektion  verwendet. 

Die  Wirkung  des  Mittels  auf  die  Versuchstiere  war  eine 
prompte.  Nach  drei  Stunden  meist  war  die  Temperatur,  wenn 
vorher  normal,  —  sie  hält  sich  nach  meiner  Erfahrung  beim 
normalen  Hund  zwischen  37,8**  und  38,6®,  selten  höher,  bis 
höchstens  39®  ~  um  IV2  Ms  2  Grad  hinaufgeschnellt;  auf  den 
schon  fiebernden  Hund  war  die  pyrogene  Wirkung  unseres 
Fieberstoffes  —  Pyocyanin  soll  er  im  folgenden  der  Kürze  halber, 
vielleicht  nicht  ganz  korrekt,  genannt  werden  —  zwar  keine 
so  große,  aber  immerhin  eine  deutliche  und  erhebliche.  Eine, 
wenn  auch  geringe,  so  doch  deutliche  Angewöhnung  an  das 
Mittel  machte  sich  im  Laufe  der  Versuche  bemerkbar,  derart, 
daß  auf  gleiche  Mengen  desselben  Präparats  die  Fiebersteige- 


')  Lexer,  Allgemeine  Chirurgie  I,  156.    1.  Aufl.  1904. 


~    115    ~ 

rangen  geringer  wurden,  so  daß  zur  Erzielung  gleich  hoher 
Temperatur  größere  Injektionsdosen  des  Pyocyanins  nötig  worden. 
An  Nebenwirkungen  wurde  jedesmal  zwei  bis  drei  Tage  nach  Ein- 
setzen der  Fiebertemperatur  bei  beiden  Versuchshunden  allgemeine 
Mattigkeit,  verminderte  Freßlust,  die  bei  dem  einen  Hund  so- 
gar zur  Änderung  der  Nahrung  zwang,  Schwäche  und  Zittern 
am  ganzen  Körper,  eine  hochgradige  Parese  und  merkliche 
Abmagerung  der  Hinterextremitäten  bemerkt,  Zeichen,  die  ganz 
ähnlich  auch  bei  Inanitionshunden,  z.  B.  von  C.  v.  Voit,  be- 
obachtet wurden.  Die  Tiere,  die  sich  vorher  sofort  beim  Ab- 
nehmen des  Käflgdeckels  mit  Leichtigkeit  auf  den  Hinterbeinen 
aufrichteten  und  über  den  Käfigrand  mit  den  Vorderpfoten  em^ 
porhoben,  waren  nunmehr  kaum  zum  Aufstehen  zu  bewegen, 
zeitweise  bedurfte  es  sogar,  um  sie  bei  der  Fütterung  auf  die 
Beine  zu  bringen,  der  Nachhilfe. 

Die  geringen  Mengen  von  Eiweiß  im  Harn,  wie  sie  durch 
Essigsäure-Ferrocyankalium  und  durch  die  Kochprobe  sehr  oft  im 
normalen  Hundeharn  angezeigt  werden,  vermehrten  sich  um  ein 
geringes  bei  unserm  Hund  ü,  während  bei  Hund  I  sich  ganz 
akut,  wie  weiter  unten  näher  zu  schildern  sein  wird,  die  Zeichen 
einer  hämorrhagischen  Nephritis  einstellten. 

Zu  berücksichtigen  ist  bei  alledem,  daß  bei  beiden  Hunden 
zur  Aufrechterhaltung  des  Fiebers  die  Injektionen  oft  wieder- 
holt werden  mußten  (Hund  I  5  Injektionen  in  5  Tagen  mit  im 
ganzen  29  ccm  und  Hund  II  innerhalb  10  Tagen  7  Injektionen 
mit  insgesamt  44  ccm  sterilisierter  Pyocyaneus-Bouillon).  Jetzt, 
zur  Zeit  der  Niederschrift  dieser  Zeilen,  befinden  sich  beide 
Tiere  vollkommen  wohl  und  bewegen  sich  ganz  normal.  Doch 
hat  es  bei  Hund  II  immerhin  mehrere  Wochen  gedauert,  bis 
sich  die  Unsicherheit  auf  den  Hinterbeinen  völlig  verlor. 

An  der  Injektionsstelle  selbst  blieben,  abgesehen  von  länger 
dauernder  Schmerzempfindlichkeit,  beträchtlichere  Reizerschei- 
uungen  bis  auf  eine  Ausnahme  ganz  aus.  Die  injizierte  Menge 
war,  soweit  fühlbar,  immer  nach  wenigen  Stunden  restlos  resor- 
biert Nur  ein  einzigesmal  blieb  bei  Hund  I  an  der  Injektions- 
stelle —  es  wurde  in  der  Regel  an  den  Flanken  nach  dem  Bauche 
zu,  wo  die  Haut  locker  und  leicht  verschieblich  ist,  eingespritzt  — 
eine  schmerzhafte,  undeutlich  fluktuierende  Beule  24  Stunden 
lang  bestehen;  nach  weiteren  24  Stunden  war  sie  verschwunden. 

8* 


—    116    - 

Notwendig  wareu  Versuchstiere,  deren  Stoffwechsel  sich  in 
nicht  zu  kleineu  Verhältnissen  bewegte,  und  deren  Ernährung  da- 
bei unter  möglichst  einfachen  und  gleichmäßigen  Bedingungen 
gehalten  werden  konnte.  Diese  Anforderungen  erfüllten  die 
Hunde,  wie  ich  sie  zur  Verfügung  hatte  (ca.  9  kg  schwer)  aus- 
gezeichnet. Bei  der  Wahl  des  Hundes  als  Versuchstier  ergab 
sich  noch  ein  weiterer  Vorteil.  Da  die  Hunde  auch  bei  fieber- 
hafter Körpertemperatur  nur  Dunstschweiß  abgeben,  so  fiel  da- 
mit eine  beim  Menschen  die  Versuchsbedingungen  komplizierende, 
nicht  unerhebliche  Kochsalzausfuhrquelle  weg,  was  die  Ver- 
suchsanordnung sehr  erleichterte.  Die  Tiere  konnten  bequem 
in  den  hier  im  physiologischen  Institut  für  solche  Zwecke  ge- 
bräuchlichen runden  Zinkblechkäfigen  gehalten  und,  nachdem 
sie  sich  innerhalb  weniger  Tage  an  den  Aufenthalt  im  engen 
Raum  gewöhnt  hatten,  zu  regelmäßiger  Aufnahme  der  Nahrung 
und  ziemlich  regelmäßiger  Entleerung  von  Harn  und  Kot  ab- 
gerichtet werden.  Die  B'ütterung  erfolgte  in  der  fieberfreien 
Zeit  stets  abends  zwischen  5  und  6  Uhr.  Während  der  Fieber- 
periode zwang  die  verminderte  Freßlust,  die  Futterration  in 
zwei  gleiche  Teile  geteilt  mittags  und  abends  zu  verabreichen. 
Die  Temperaturmessungen  erfolgten  regelmäßig  morgens  gegen 
9  Uhr  und  abends  ungefähr  eine  Stunde  nach  der  Fütterung; 
während  der  Fieberperioden  wurde,  soweit  es  an  den  einzelnen 
Tagen  erforderlich  schien,  die  Temperatur  auch  tagsüber  öfter 
kontrolliert.  Die  Harn-  und  Kotentnahme  geschah  stets  morgens 
möglichst  um  dieselbe  Stunde. 

Die  Nahrung  der  Versnchshunde  bestand  ausschließlich  aus 
gewogenen  bezw.  gemessenen  Mengen  von  Spratts  Hundekuchen 
und  immer  aus  derselben  Quelle  bezogener  Kuhmilch.  Da  Hund  IE 
in  der  ITieberperiode  die  Aufnahme  des  Hundekuchens  ver- 
weigerte, habe  ich  ihm  während  dieser  Zeit  gewogene  Mengen 
gekochter  Kartoffeln,  mit  Milch  zu  einem  Brei  verrührt,  gegeben, 
um  dadurch  den  reinen  allzu  diarrhoischen  Milchkot  konsistenter 
zu  gestalten.  Trotzdem  war  der  Kot  noch  weichbreiig  und 
hellgelb,  und  es  geschah  zu  wiederholten  Malen,  aber  nur 
während  der  Fieberperiode,  daß  der  Hund  sofort  nach  der  Ent- 
leerung sich  herumdrehte  und  den  frischgesetzten  Kot  säuber- 
lichst wieder  auffraß,  trotzdem  er  meist  nur  mit  Mühe  dazu 
bewogen  werden  konnte,  seine  Tagesration  restlos  aufzuzehren. 


-     117     — 

Die  BestimmaDg  des  Kochsalzes  im  HundekacheD,  die  als 
höchsten  Wert  0,1755  ^j^  NaCl  ergab,  wurde  folgendermaßen 
ausgeführt.  Es  wurde  von  vielen  in  kleine  Stücke  zerschlagenen 
Kuchen  eine  gewisse  beträchtliche  Menge,  in  der  Kinde  und 
Inneres  in  annähernd  richtigem  Verhältnis  vorhanden  waren, 
wiederholt  durch  eine  kleine  Schrotmühle  durchgetrieben,  dann  fein 
gesiebt  und  die  gröberen  Reste  im  Mörser  pulverisiert,  so  daß  nun 
für  die  Analyse  ein  genügend  gemischtes  feines  Pulver  vorlag, 
von  dem  die  einzelnen  Proben  entnommen  werden  konten. 
10  g  davon,  bis  auf  Milligramme  genau  in  der  Platinschale  ab- 
gewogen, wurden  nun  langsam  bei  höchstens  dunkler  Botglut 
verascht;  die  noch  grau  aussehende  Asche  in  destilliertem  Wasser 
aufgenommen,  die  noch  Kohle  enthaltende  Lösung  durch  ein 
aschßarraes  Filter  filtriert,  das  Filter  mit  Rückstand  wiederholt 
gewaschen,  dann  bei  105®  getrocknet  und  am  Platindraht  über 
der  Platinschale  verbrannt,  darauf  die  nun  verbleibende  Asche 
bei  mäßiger  Rotglut  bis  zur  Erreichung  gleichmäßig  heller 
Färbung  erhitzt.  Nach  Abkühlung  wurde  das  Filtrat  unter 
Nachspülen  in  die  Platinschale  zurückgebracht  und  auf  dem 
Wasserbade  stark  eingeengt.  Die  nach  dem  Eindampfen  ver- 
bleibende geringe  Flüssigkeitsmenge  wurde  in  der  Platinschale 
mit  ca.  30^/oiger  Salpetersäure  angesäuert,  wobei  Karbonate  und 
Phosphate  sich  lösten,  dann  in  einen  Meßkolben  übergeführt, 
auf  50  oder  100  ccm  aufgefüllt  und  endlich  diese  Lösung  zur 
schon  oben  kurz  skizzierten  Kochsalztitrierung  nach  Volhard- 
Salkowski  benutzt^). 

Die  Milch,  aus  ganz  anderer  Bezugsquelle  stammend  als 
die  der  Kinderklinik,  ergab  im  Mittel  aus  wiederholten  gut 
übereinstimmenden  Analysen  0,233  ®/o  NaCl.  Auch  hier  wurde 
das  Kochsalz  in  der  Asche  bestimmt.  Eine  mit  der  Pipette  genau 
abgemessene  Menge  (25  ccm)  derselben  frischen  und  frisch  ab- 
gekochten Milch,  wie  sie  die  Hunde  zur  Nahrung  erhielten, 
wurde  in  die  Platinschale  gegeben,  auf  dem  Wasserbad  zur 


')  Die  wesentlichen  in  Anwendnng  kommenden  Lösungen:  Vio^* 
Silbernitrat  und  Vjo  n-Khodanammoniumlösung,  von  denen  noch  ein  älterer 
Vorrat  Yorhanden  war,  standen  anfangs  wie  10  ccm  :  9,9  ccm  aufeinander 
ein,  später,  aas  Normallösungen  von  Merck  (Darmstadt)  frisch  bereitet, 
differierten  sie  bei  10  ccm  höchstens  um  0,05  ccm  von  einander. 


-     118     - 

Trockne  verdampft  und  die  weitere  Veraschung  und  Kochsalz- 
bestimmung dann  wie  oben   beim  Hundekuchen   vorgenommen. 

Bei  der  Kochsalzarmut  dieser  beiden  Nahrungsmittel  er- 
schien es  zweckmäßig,  die  Nahrung  künstlich  etwas  kochsalz- 
reicher zu  gestalten,  um  den  Chloridstoffwechsel  nicht  auf  zu 
kleine  Maße  sinken  zu  lassen.  So  wurden  der  jedesmaligen 
Tagesration  50  ccm  einer  ca.  3*/^  Kochsalzlösung  (der  genauere 
Gehalt  an  Kochsalz  wurde  bis  auf  Milligramme  durch  Titration 
bestimmt)  hinzugefügt. 

Das  quantitativ  nicht  in  Betracht  kommende  Mengen  von  Koch- 
salz enthaltende  Wasser  der  städtischen  Wasserleitung  wurde 
in  abgemessener  Menge  der  Nahrung  zugesetzt  und  das  nun 
aus  Hundekuchen,  Milch,  Kochsalzlösung  und  Wasser  bestehende 
Gemenge  vor  dem  Verabreichen  kurz  aufgekocht  und  abgekühlt 
den  Tieren  verfüttert. 

Begonnen  wurde  der  erste  Versuch,  nachdem  das  Tier,  ein 
männlicher  kurzhaariger  deutscher  Schäferhund,  unter  meinen 
Augen  Harn^)  und  Kot,  allem  Ermessen  nach  vollständig,  ent- 
leert hatte;  schon  einige  Tage  vorher  war  er  im  Käfig  bei  der 
ihm  zugedachten  Kost  gehalten  worden.  Die  Nahrung  bestand 
in  den  ersten  tünf  Versuchstagen  aus  je  100  g  Spratts  Hunde- 
kuchen, 100  ccm  Milch  und  300  ccm  Wasser.  Vom  sechsten 
Versuchstage  ab  wurden  dieser  täglichen  Nahrung  aus  schon 
weiter  oben  dargelegtem  Grunde  50  ccm  einer  ca.  S^l^igen  Koch- 
salzlösung hinzugefügt  (hergestellt  durch  Auflösen  von  30  g  Koch- 
salz in  1  1  destillierten  Wassers;  der  durch  Titration  bis  auf 
Milligramme  bestimmte  genaue  und  beim  wiederholten  Anfertigen 
der  Lösung  jedesmal  in  Berechnung  gezogene  NaCl-Wert 
schwankte  um  2,9  ®/o  herum).  Vom  siebenten  Versuchstage  ab 
erhielt  der  Hund,  da  die  stetige  Gewichtsabnahme  die  Nahrung 
als  unzureichend  anzeigte,  täglich  20  g  Hundekuchen  mehr.  Der 
hierauf  folgenden  kurzen  Zeit  der  Gewichtszunahme  (6.,  7.,  8.  Juli) 
schloß  sich  dann  wiederum  eine  weitere  Zeit  des  Gewichtsver- 
lustes an,  den  ich  aber,  um  die  Gleichmäßigkeit  der  Ernährung 
nicht  mehr  zu  stören,  nicht  noch  durch  neuerliche  Zulage  aus- 
zugleichen versuchte. 


^}  Die  Katheterisierang  war  wiederholt  versucht  worden,  hatte  sich 
aber  wegen  vorliegender  Urethralschleimhautfalten  nicht  ausfnhren  lassen. 


-     119     - 

Am  zehnten  Versachstag  (8.  Juli)  warde  es  unabsichtlich 
unterlassen,  der  Nahrung  die  bestimmte  Menge  Kochsalzlösung 
zuzusetzen.  Mit  größter  Genauigkeit  registriert  die  Kochsalz- 
ausscheidung dieses  Tages  die  Versäumnis  mit  einem  quantitativ 
bis  auf  die  Zentigramme  entsprechenden  Rückgang  des  Harn* 
NaGl,  eine  für  die  Promptheit  des  normalen  Kochsalzwechsels 
beim  Hunde  sehr  wichtige  Tatsache.  Die  zwölftägige  Vorperiode 
schließt  ab  mit  einer  Kochsalzeinnahme  von  13,813  g  und  einer 
Kochsalzansgabe  von  14,598  g,  also  einer  Mehrausscheidung  von 
0,785  g.  Berücksichtigen  wir  dabei  den  Gewichtsverlust  von 
520  g,  so  finden  wir  diese  Mehrausscheidung  im  Sinne  der  schon 
oben  bei  der  klinischen  Untei*suchung  dargelegten  Auffassung 
durch  das  bei  der  Gewebseinschmelzung  frei  gewordene  Koch- 
salz (1,30  g)  reichlichst  gedeckt. 

Am  dreizehnten  Versuchstag  erhielt  der  Hund  10  ccm  Pyo- 
cyanin  eingespritzt,  an  den  drei  folgenden  Tagen  je  6  ccm,  am 
siebzehnten  Versuchstag  4  ccm  des  Fiebermittels.  Gleich  nach  der 
ersten  Injektion  stieg  die  Temperatur  von  38,3«  früh  7*®  auf  39,6  <» 
um  11**  vormittags.  Auch  noch  am  folgenden  Morgen  hielt  sie  sich 
auf  39,9  ®.  Trotzdem  wurde  wieder  injiziert,  ohne  daß  dadurch 
das  Fieber  höher  hinaufgetrieben  worden  wäre.  Dagegen  er- 
zielte die  dritte  Einspritzung  am  folgenden  Tage  eine  Fieber- 
temperatur von  40,4**.  Die  weiteren  Injektionen  hielten  die 
Temperatur  innerhalb  der  oben  angegebenen  Grenzen.  Der  Harn 
war  während  dieser  Zeit  im  Durchschnitt  konzentrierter  als  in 
der  Vorperiode,  wie  aus  der  Angabe  des  spezifischen  Gewichtes 
zu  ersehen:  Fieberham,  trotzdem  die  Hammenge  nicht  wesent- 
lich vermindert  war.  Die  Kochsalzwerte  des  Harnes  bleiben 
deutlich  hinter  den  Zahlen  der  NaCl-Einfuhr  zurück,  im  Durch- 
schnitt auch  die  der  beiden  letzten  Tage,  bei  denen  infolge  un- 
regelmäßiger Harnentleerung  die  auf  den  einzelnen  Tag  ent- 
fallenden Harnmengen  erheblich  voneinander  abweichen. 

Seine  Nahrung  nahm  der  Hund,  der  alle  oben  schon  ge- 
schilderten Folgen  des  Pyocyaninflebers  ausgeprägt  zeigte,  täg- 
lich auf  zwei  Portionen  verteilt,  anstandslos  ohne  Rest. 

Der  Kot  war  während  der  Fieberperiode,  ebenso  wie  während 
der  Vorperiode'J^  stets  geformt  und  von  normaler  Konsistenz. 

In  der  Nacht  vom  sechsten  zum  siebenten  Versuchstag  nun 
trat  anscheinend  plötzlich  eine  Erkrankung  auf,  die  die  weitere 


—     120     — 

B'ortsetzung  der  Pyocyanininjektionen  zu  unterlassen  gebot,  wenn 
nicht  das  Leben  des  Versuchstieres  gefährdet  werden  sollte. 
Von  39,0**  am  vorhergehenden  Abend  fiel  die  Körpertemperatur 
über  Nacht  auf  38,6  ^  Begleitet  war  dieser  Temperaturabfall 
von  der  Entleerung  einer  unverhältnismäßig  großen  Harn- 
menge. Die  genauere  chemische  und  mikroskopische  Unter- 
suchung des  Harns  ergab  den  Eintritt  einer  hämorrhagischen 
Nephritis:  reichlichster  Gehalt  an  roten  Blutkörperchen  und  Ei- 
weiß, wohingegen  während  der  Fieberperiode  die  schon  normaler- 
weise vorhandene  Eiweißreaktion  nur  um  weniges  stärker  ge- 
worden war.  Gleichzeitig  erfolgte  damit  eine  die  NaCl-Einfuhr 
um  eiu  beträchtliches  übersteigende  Eochsalzausscheidung  (siehe 
Tabelle  und  Kurve).  Die  hämorrhagische  Nephritis  klang  in 
den  folgenden  Tagen  allmählich  ab,  um  am  achten  Tage  nach 
Beginn  vollständig  aufzuhören. 

Wie  schon  für  die  einzelnen.  Tageszahlen  der  NaCl-Aus- 
fuhr  im  Harn  erwähnt,  bleibt  selbstverständlich  auch  deren 
Gesamtsumme  für  die  sechs  Fiebertage  hinter  der  Gesamteinfuhr 
an  Kochsalz  zurück.  Eingeführt  wurden  (die  mit  dem  Pyocyanin 
eingeführte  NaCl-Menge  blieb,  weil  ganz  unerheblich,  unberück- 
sichtigt; sie  würde  alles  in  allem  noch  nicht  über  0,2  g  aus- 
machen) 

im  Futter 11,350  g  NaCl 

Ausgeführt  wurden  im  Harn  .      9,174  g  NaCl 

Bleiben  also  retiniert     .     .     .      2,176  g  NaCl. 

Wiederum  aber  muß  noch  berücksichtigt  werden,  daß  das 
Tier  während  der  Fieberperiode  weiter  an  Gewicht  verlor,  und 
zwar  um  180  g.  Die  wahre  Kochsalzaufspeicherung  würde  durch 
die  analytisch  gefundene  Retention  von  2,176  g  NaCl  nur  dann 
unmittelbar  ausgedrückt  werden,  wenn  das  Körpergewicht  während 
der  Fieberperiode  konstant  geblieben  wäre.  Denn  Körpergewichts- 
erhöhung, wenn  durch  Anbildung  von  Körpersubstanz  bedingt, 
führt  an  sich  schon  zu  einer  Zurückhaltung  von  Kochsalz  im 
Körper,  und  umgekehrt  Körpergewichtsverminderung,  wenn  durch 
Einschmelzung  von  Körpersubstanz  bedingt,  führt  an  sich  schon 
zu  einer  Mehrausscheidung  von  Kochsalz.  Tritt  bei  Einschmel- 
zung von  Körpersubstanz  die  zu  erwartende  Melirausscheidung 
von  Kochsalz  nicht  ein,  so  bedeutet  das  nichts  anderes,  als  daß 


—     121     - 

die  dem  Gewichtsverlust  entsprechende  Kochsalzmenge  gegen 
die  Norm  retiniert  worden  ist.  Im  vorliegenden  Fall  ist  diese 
dem  Gewichtsverlust  von  180  g  entsprechende,  sozusagen  frei 
gewordene  Kochsalzmenge  auf  1,80  X  0,26  =  0,45  g  zu  veran- 
schlagen. Diese  0,45  g  NaCl  wurden  außer  den  analytisch  nach- 
gewiesenen 2,176  g  retiniert,  so  daß  also  die  Gesamtretention 
an  Kochsalz  2,176  -|-  0,45  =  2,626  g  betragen  würde.  Mit  diesem 
Ergebnis  werden  wir  weiter  unten  noch  zu  rechnen  haben. 

Die  Nachperiode,  in  die  der  Versuchstag,  der  den  kritischen 
Temperaturabfall  enthält,  raiteingerechnet  ist,  erstreckt  sich  über 
neun  Tage;  ich  habe  sie  so  lange  ausgedehnt,  um  einigermaßen  eine 
Gleichgewichtseiustellung  zwischen  NaCl-A.usfuhr  und  -Einfuhr  zu 
erreichen.  Ganz  konnte  diese  Einstellung  aus  äußeren  Gründen 
nicht  abgewartet  werden.  Der  Hund  erholte  sich  während 
dieser  Zeit  zusehends,  wenn  er  auch  zu  dem  Zeitpunkt,  an  dem 
der  Versuch  abgebrochen  wurde,  die  normale  Gebrauchsfähig- 
keit seiner  Beine  noch  nicht  vollkommen  wiedererlangt  hatte. 

Die  Futterration  war  nur  insofern  etwas  vermehrt,  als  der 
Hund  seiner  Nephritis  wegen  100  ccm  Wasser  im  Tag  mehr 
bekam.  Daß  diese  Vermehrung  der  Flüssigkeitszufuhr  ceteris 
paribus  keinen  wesentlichen  Einfluß  auf  die  NaCl-Ausscheidung 
haben  konnte,  beweist  der  dritte  Versuch,  bei  dem  in  der  Fieber- 
periode trotz  viel  größerer  Steigerung  der  Flüssigkeitszufuhr 
eine  Kochsalzzurückhaltijng  zustande  kam. 

Das  spezifische  Gewicht  des  Harns  schwankt  wieder  inner- 
halb der  normalen  Breite. 

Die  Werte  für  die  Kochsalzausfuhr  zeigen  sich  nun  beson- 
ders in  den  ersten  sechs  Tagen  der  Nachperiode  erheblich  größer 
als  die  der  Einfuhr.  Unter  allmählicher  Steigerung  wird  die 
Ausfuhr  am  vierten  Tag  mft  3,446  g  am  größten,  um  dann 
wieder  allmählich  abzusinken. 

Insgesamt  eingeführt  in  den  neun  Tagen  der  Nachperiode 

wurden 17,024  g  NaCl 

Insgesamt  ausgeführt  wurden  im  Harn    .     .     .  21,946  g  NaCl 

Also  wurden  mehr  ausgeschieden i.d.  Nachperiode     4,922  g  NaCl. 

Hatten  wir  oben  eine  Retention  von  im  ganzen  2,626  g  NaCl, 
so  braucht  die  Mehrausscheidung  von  4,922  g  NaCl,  also  einer 
um  2,296  g  zu  großen  Menge  wiederum  deshalb  nicht   zu  be- 


—     122     - 

fremdeu,  weil  das  Versuchstier  in  den  neun  Tagen  der  Nachperiode 
wiederum  um  720  g  an  Gewicht  verlor,  ein  Gewichtsverlust,  der 
ja  unserer  Berechnung  nach  einer  mehr  auszuscheidenden  Koch- 
salzmenge von  7,20  X  0,25  =  1,8  g  entsprechen  würde. 


Hund  I. 

Vorperiode. 


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Sa 

§1 
1.9 

S 

W 

1. 

29.  VI. 

9220 

38,6« 

|390 

2. 

30.  VI. 

9320 

38,5  • 

3. 

l.VII. 

9050 

38,45« 

385 

4. 

2.  VII. 

9070 

38,6« 

|635 

5. 

3.  VII. 

9010 

38,5« 

6. 

4.  VII. 

8935 

38,4« 

440 

7. 

5.  VII. 

8800 

38,6« 

|620 

8. 

6.  VII. 

8870 

38,35« 

9. 

7.  VII. 

8890 

38,65« 

340 

10. 

8.  VII. 

8830 

38,35« 

186 

11. 

9.  VII. 

8750 

38,8« 

470 

12. 

10.  vn. 

8700 

38,5« 

320 

0?  3 

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1015 
1020 
1015 

|l016 

1013 

|l018 

1018 
1020 
1012 
1020 


B 


|0,1856 
0,117 

|0,1989 
0,3686 

|0,6201 

0,6552 
0,3218 
0,3627 
0,6728 


mm 


0,724 

0,450 

1.273 

1,622 

3,845 

2,228 
0,598 
1,705 
2,153 


0.4105 
0,4105 
0,4105 
0,4105 
0,4105 
1,8585 
1,8916 
1,8916 
1,8916 
0.4436 
1,8916 
1,8916 


BemerkuDgeD. 


Vom  4.  VII.  ab  wurdeo  der 
Nahrung  50  com  einer 
ca.   3«/o   NaCl-Lösang 


!  Am  8.  Vir  blieben  die 
50  ecm  NaCl-Losung 
aus  der  Nahrung  weg. 


Im  ganzen  in  12  Tagen: 


14,598 


13,8126 


Fi 

eberperiode. 

1.1 11.  VII. 

8850 

39,6« 

220 

1025 

0,544 

1,197 

1,8916 

10  ccm  Pvocyanin. 

2. 

12.  VII. 

8663 

39,9« 

345 

1025 

0,5207 

1,796 

1,8916 

ö    »j           >i 

3. 

13.  VII. 

8700 

40,4« 

335 

1018 

0,4797 

1.607 

1,8916 

'^   1,           » 

4. 

14.  VII. 

8730 

40,2« 

365 

1019 

0,3861 

1,409 

1,8916 

•^    »           >» 

5. 

15.  VII. 

8670 

39,65« 

192 

1020 

0.4446 

0,854 

1,8916 

**    »>          1} 

6. 11 16.  VII. 

8520 

40,1« 

395 

1021 

0,585 

2,311 

1,8916 

Im 

^anzei 

a  in  6 

Tagen: 

.  9,174 

11,3496 

imgans.  29  ccm  PjocyaDin. 

Nachperiode. 


17.  VII.  8350 


18.  VII. 

19.  VII. 

20.  VII. 

21.  VII. 

22.  VII. 

23.  VII. 

24.  VII. 

25.  VII. 


8050 
8250 
8120 
7950 
8040 
7950 
7820 
7800 


40,25'' 

515 

38,6« 

462 

.38,65" 

358 

38,1 « 

547 

38,45« 

290 

38,05« 

315 

38,4« 

427 

38,6« 

405 

.38,2« 

390 

1015 

1016 
1018 
1014 

1022 
1014 
1019 
1018 


0.5372  2,767 


0,522 

0,7605 

0,6318 

0,8307 

0,6552 

0,4505 

0,4914 

0,5675 


2,412 
2,723 
3,446 
2,409 
2,063 
1,923 
1,990 
2,213 


1,8916 

1,8916 
1.8916 
1,8910 
1,8916 
1,8916 
1,8916 
1,8916 
1,8916 


Kritischer  Temperaturab- 
fall von  40,2«  auf  38,6«. 
Hämorrhag.  Nephritis. 


Hämorrhagische  Nephritis 
ausgeheilt. 


Im  ganzen  in  9  Tagen: 


21,946 


17.0244 


Hund  I. 


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Fieborperiode 


Nachperiode 


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-     123     — 

Überblicken  wir  noch  einmal  unsern  Versuch!  Ein  Hund, 
durch  länger  dauernde  gleichmäßige  Ernährung  in  Kochsalz- 
gleichgewicht gebracht,  mit  dauernd  normaler  Verdauung,  wird 
unter  vollkommen  gleichen  Bedingungen  und,  ohne  daß  irgend 
welche  Störungen  der  Darmtätigkeit,  der  Kotbildung  und  -ent- 
leerung  eintreten,  sechs  Tage  lang  unter  aseptischem  Fieber  ge- 
halten und  weitere  neun  Tage  nach  kritischem  Abfall  des  Fiebers 
unter  vollkommen  gleichen  Verhältnissen  (bis  auf  ein  geringes 
Mehr  an  Wasserzufuhr)  beobachtet.  Während  der  ganzen  Zeit, 
d.  h.  27  Tage  lang,  wird  sein  Kochsalzwechsel  quantitativ  ana- 
lytisch verfolgt.  Dabei  ergibt  sich  mit  Sicherheit  und  unzwei- 
deutig: Vom  Eintritt  des  aseptischen  Fiebers  an  und 
während  der  Dauer  des  Fiebers  hielt  der  Hund  Koch- 
salz in  seinem  Körper  zurück,  und  zwar  im  ganzen 
2,6  g.  Diese  aufgespeicherte  Salzmenge  wurde  in  der 
fieberfreien  Nachperiode  allmählich  und  nahezu  voll- 
ständig in  neun  Tagen  wieder  ausgeschieden. 

Bemerkenswert  für  die  Mechanik  des  Kochsalz  wechseis  ist 
hierbei  der  allmähliche  Gang  der  Ausscheidung  des  retinierten 
Salzes  im  Gegensatz  zu  der  Schnelligkeit,  mit  der,  wie  oben 
hervorgehoben,  der  Hund  auf  eine  Verminderung  der  Kochsalz- 
zufuhr am  zehnten  Tage  der  Vorperiode  antwortete. 

Der  zweite  Versuch  am  Hund  gestaltete  sich  etwas  umfang- 
reicher, weil  bei  ihm  auch  der  StickstoflFwechsel  berücksichtigt 
wurde.  Die  Versuchsbedingungen  waren  im  allgemeinen  die 
gleichen  wie  im  ersten  Tierversuch.  Der  größeren  Genauigkeit 
wegen,  besonders  hinsichtlich  des  Stickstoffumsatzes,  wurde  hier 
für  die  Fieber-  und  die  Nachperiode  auch  der  Kot  analysiert. 

Alle  Stickstoffbestimmungen  wurden  nach  Kjeldahl  aus- 
geführt. Dabei  geschah  die  Zerstörung  der  organischen  Sub- 
stanz mit  PaCj-haltiger  konzentrierter  Schwefelsäure  stets  in 
großen  langhalsigen  Jenenser  Kolben  von  ^/^  1  Rauminhalt  unter 
Zuhilfenahme  von  Kupfersulfat  als  oxydationsbeschleunigendem 
Mittel  und  die  Übertreibung  von  Ammoniak  nicht  durch  Destil- 
lation über  offenem  Feuer,  sondern  im  strömenden  Dampf.  Zur 
Oxydation  waren  für  die  verschiedenen  Substanzen  ganz  ver- 
schiedene Mengen  von  Phosphorschwefelsäure  nötig:  25  ccm  Harn 
erforderten  höchstens  20  ccm  der  Säure,  25  ccm  Milch  35—40  ccm 
davon,  mindestens  ebensoviel  10  g  Hundekuchen  und  10  g  trocknen 


-       124     — 

Kütpulvers.  Die  Menge  der  Schwefelsäure  richtet  sich  eben 
nicht  so  sehr  nach  dem  Gehalt  der  Substanz  an  Proteinstoffen 
als  an  Fett  und  Kohlenhydraten. 

Vom  Sprattschen  Hundekuchen  wurden  Proben  des  gleichen 
Materials  der  Analyse  unterzogen,  das  schon,  wie  oben  be- 
schrieben, zur  NaCl- Analyse  gedient  hatte.  Es  ergab  sich  aus 
sechs  Analysen  ein  Mittelwert  von  2.268  ^/^  N. 

Die  Milch,  die  dem  Hunde  gekocht  und  schon  teilweise 
entrahmt  zum  Futter  gegeben  wurde,  zeigte  einen  verhältnis- 
mäßig niedrigen  N-Wert:  0,3024  <>/o  N. 

Des  Stickstoffgehaltes  der  Kartoffeln,  die  in  der  Fieber- 
periode aus  schon  erwähntem  Grunde  gegeben  wurden,  wird 
weiter  unten  gedacht  werden. 

Die  oben  angeführten  Kochsalzwerte  der  Nahrungsmittel 
haben  auch  für  die  Berechnungen  dieses  Versuches  Geltung,  da 
die  genannten  Mittelwerte  auch  aus  den  während  der  Zeit  des 
zweiten  Hundeversuches  ausgeführten  Analysen  von  Stichproben 
gezogen  wurden.  Betrachten  wir  nun  die  einzelnen  Versuchs- 
abschnitte gesondert! 

Begonnen  wurde  der  Versuch  nach  gelungener  Katheterisation, 
und  nachdem  das  Tier  schon  vier  Tage  lang  vorher  unter  dem 
ihm  zugedachten  Regime  gehalten  worden  war.  Die  Nahrangs- 
menge  wählte  ich  bei  dem  ungefähr  dem  ersten  gleichschweren 
Hund,  einem  kleinen  braunen,  kurzhaarigen  Hühnerhund  von 
etwa  einem  Jahr,  etwas  größer,  um  einer  physiologischen  Unter- 
ernährung von  vornherein  vorzubeugen,  was  auch  gelang.  Das 
Tier  erhielt  150  g  Spratts  Hundekuchen,  100  ccm  Milch,  400  com 
Wasser  und  50  ccm  der  schon  oben  erwähnten,  ca.  3  ^j^igen 
Kochsalzlösung.  Die  Verdauung  war  bei  dieser  Ernährung  voll- 
kommen ungestört,  die  Entleerung  und  Beschaffenheit  des  Kotes 
normal.  Der  Hund  war  während  der  sieben  Tage  dauernden  Vor- 
periode äußerst  lebhaft,  so  daß  das  Wägen  oft  Schwierigkeiten 
machte.  Sein  Gewicht  war  am  Ende  der  Vorperiode  das  gleiche 
wie  am  Anfang.  Die  Temperatur  hielt  sich  innerhalb  der  nor- 
malen Grenzen.  Höchst  auffällig  war  es  deshalb,  als  sich  am 
Ende  der  Vorperiode  herausstellte,  daß  die  Kochsalzausfuhr  die 
Einfuhr  um  1,53  g  überstieg-  Bei  der,  wie  sich  an  einem  Tage 
des  ersten  Hundeversuchs  erwies,  so  großen  Promptheit  des 
Kochsalz  wechsels  mußte  diese  Mehrausscheidung  auffallen.  Einen 


-     125    — 

Fehler  oder  Irrtum  habe  ich  nicht  ausfindig  machen  können;  auch 
nach  sorgfältiger  Nachprüfung  aller  analytischen  Zahlen  blieb 
das  Resultat  ohne  erklärenden  Grund  bestehen.  Längere  Ver- 
suchsreihen über  den  normalen  NaCl- Wechsel  beim  Hund  müßten 
es  ausweisen,  ob  eine  solche  spontane  Unregelmäßigkeit  im  NaCl- 
Wechsel  ein  häufigeres  Vorkommen  ist.  Jedenfalls  wird  in 
unserem  Fall  das  Versuchsergebnis  von  der  beobachteten  Mehr- 
ausscheidung nicht  berührt.  Das  Minus  der  Stickstoffausschei- 
dung von  im  ganzen  0,847  g  N  während  der  siebentägigen 
Periode  ist  ohne  weiteres  erklärt  und  gedeckt  durch  den  N- Ver- 
lust im  Kot,  so  daß  demgemäß  der  Versuchshund  als  im  Stick- 
stoffgleichgewicht befindlich  angesehen  werden  konnte. 

Am  achten  Versuchstag  (2.  VIII.)  früh  zur  gewöhnlichen 
Stunde  der  Harnentnahme  wurde  der  Hund  katheterisiert  und 
erhielt  darauf  eine  Injektion  von  11  ccm  Pyocyanin.  Von  38,6® 
unmittelbar  nach  der  künstlichen  Blasenentleerung  stieg  die 
Körperwärme  in  drei  Stunden  auf  38,9®  und  blieb  so  bis  Abend. 
Eine  halbe  Stunde  vor  der  Katheterisation  war  die  Temperatur 
39®  gewesen;  solche  Steigerungen  kamen  ohne  sichtbaren  An- 
laß öfter  vor,  hielten  sich  aber  dann  nur  ganz  kurze  Zeit.  Eine 
unmittelbar  am  folgenden  Tag  gegebene  Spritze  von  5  ccm  trieb 
die  Temperatur  noch  weiter,  bis  40,35®  in  die  Höhe  (siehe 
Kurve).  In  dieser  Höhe  hielt  sie  sich  bis  zum  7.  VIII.,  dem  sechsten 
Fiebertag,  wo  ihr  Sinken  auf  38,95®  eine  neue  Einspritzung 
nötig  machte.  Nunmehr  wurden  täglich  bis  zum  11.  VIII.,  dem 
zehnten  Fiebertag,  einschließlich  wechselnde  Mengen  von  5—8  ccm 
eingespritzt  und  damit  eine  Reihe  von  vierzehn  Fiebertagen  mit  der 
höchsten  Temperatur  von  40,5®  am  10.  VIII.,  dem  neunten  Fieber- 
tag, erzielt.  Die  Temperatur  hielt  sich  dann  noch  länger  über 
39®,  um  schließlich,  lytisch  abklingend,  in  die  normalen  Breiten 
abzusinken.  Im  ganzen  wurden  auf  siebenmal  verteilt  44  ccm 
Pyocyanin  injiziert. 

Der  Eiweißgehalt  des  Harnes,  in  der  Vorperiode  schon  ganz 
geringfügig,  steigerte  sich  während  des  Fiebers  nur  um  ein  un- 
bedeutendes. Alle  übrigen  Nebenwirkungen  des  Fiebermittels 
waren  die  gleichen  wie  bei  Hund  I. 

Am  zweiten  Fiebertage  verweigerte  der  Hund  vollkommen  die 
Aufnahme  des  Hundekuchens.  Er  nahm  von  der  ersten  Hälfte 
der  in  zwei   gleichen  Teilen    verabreichten   Nahrung  lediglich 


—    126    — 

die  Flüssigkeit  zu  sich  und  ließ  die  Hundekuclienbrocken  un- 
berührt. Die  in  diese  Brocken  eingedrungene  Flüssigkeit  ging 
der  Berechnung  verloren;  der  geringe  Verlust  wurde  unberück- 
sichtigt gelassen.  So  mußte  ich  ihm  durch  Milch,  die  er  gewöhnlich 
gern  nahm,  zu  ei^etzen  suchen,  was  ihm  im  Hundekuchen  entging. 
Jedoch  waren  hier  durch  das  unverhältnismäßige  Anwachsen 
der  Flüssigkeitsmenge  und  die  bekannten  Wirkungen  der  aus- 
schließlichen Milchkost  sowie  durch  die  auch  gegenüber  der 
Milch  geminderte  Freßlust  des  Hundes  Schranken  gesetzt;  an 
ein  Erreichen  der  früheren  Stickstoffmenge  in  der  Nahrung  war 
nicht  zu  denken.  700  ccm  Milch  konnten  gerade  noch,  ohne  daß 
der  Hund  einen  Rest  ließ,  verabreicht  werden.  Alsbald  nach 
dem  Übergang  zur  ausschließlichen  Milchernährung  lieferte  der 
Hund  den  bekannten  dünnbreiigen  Milchkot,  bei  dem  eine  Ver- 
unreinigung des  Harns  sich  nicht  hintanhalten  ließ.  Um  die 
Konsistenz  des  Kotes  etwas  fester  zu  gestalten,  setzte  ich  der 
Milch  täglich  ca.  250  g  mit  der  Schale  gekochter,  dann  geschälter 
und  mit  etwas  Milch  zu  einem  Brei  verriebener  Kartofieln  zu.  Diese 
Futterform  hatte  in  der  Tat  den  gewünschten  Erfolg,  d.  h.  der 
Kot  wurde  hinreichend  konsistent.  Von  der  täglichen  bis  auf 
wenige  Gramm  sich  gleich  bleibenden  Kartoffelmenge  habe  ich  den 
Kochsalzgehalt  nicht  in  Rechnung  gesetzt,  da  nach  J.  König 
(Chemie  der  menschlichen  Nahrungs-  und  Genußmittel)  die  Kar- 
toffeln durchschnittlich  nur  0,05265 ®/o  NaCl  enthalten;  dagegen 
habe  ich  den  etwas  erheblicheren  Stickstoffwert:  0,3114 ^/^  N 
mitberechnet.  Einigemale  während  der  Zeit,  in  der  immer  noch 
weichbreiiger  Kartoffel-Milchkot  produziert  wurde,  geschah  es, 
daß  der  Hund  sich  unmittelbar  nach  der  Entleerung  herumdrehte 
und  den  ganzen  frischgesetzten  Kot  reinlichst  wieder  auffraß. 
Den  Vei'such  störte  das  natürlich  nicht. 

Einige  Tage  nach  der  letzten  Pyocyanin-Injektion,  nach- 
dem das  Tier  wieder  etwas  munterer  und  freßlustiger  sich  ge- 
zeigt hatte,  wurde  allmählich  wieder  zur  Ernährung  mit  Hunde- 
kuchen übergegangen.  So  erhielt  der  Hund  das  erstemal  wieder 
am  14.  Vni.  (dreizehnten  Fiebertag)  75  g  Hundekuchen,  400  ccm 
Milch,  200  ccm  Wasser,  50  ccm  Kochsalzlösung,  am  folgenden 
Tage  125  g  Hundekuchen,  200  ccm  Milch,  200  ccm  Wasser, 
50  ccm  NaCl-Lösung.  Vom  16.  VIII.,  dem  ersten  Tag  der  Nach- 
periode, ab  erfolgte  die  Ernährung  wieder  wie  in  der  Vorperiode 


-    127    - 

mit"  150  g  Hundekuchen,  100  ccm  Milch,  300  ccm  Wasser, 
50  ccm  Kochsalzlösung. 

Wie  schon  oben  erwähnt,  wurde  für  die  Fieberperiode  und 
die  Nachperiode  auch  der  Gehalt  des  Kotes  an  Kochsalz  und 
Stickstoff  bestimmt,  und  zwar  nur  der  Gesamtgehalt  für  zwei 
aus  folgendem  Grunde  etwas  anders  abgeteilte  Zeitabschnitte: 
da  nämlich  eine  Mischung  von  Kartofiel-Milchkot  mit  Hunde- 
kuchen-Milchkot bei  der  gi^oßen  Verschiedenheit  ihrer  Beschaffen- 
heit und  Zusammensetzung  —  der  eine  fast  diarrhoisch,  der 
andere  fest  und  geformt  —  keinen  der  Wirklichkeit  entsprechen- 
den Durchschnittsgehalt  an  Stickstoff  und  Kochsalz  für  den 
einzelnen  Tag  ergeben  hätte,  so  wurde  der  Kot  für  die  Zeit 
der  Kartoffel-Milchfütterung,  einschließlich  aber  des  ersten  Fieber- 
tages, d.  i.  vom  ersten  bis  zwölften  Fiebertag,  und  weiter  der  Kot 
für  die  beiden  letzten  Fiebertage  und  die  gesamte  Nachperiode  für 
sich  analysiert,  und  zwar  auf  folgende  Art:  Aller  innerhalb  der  ge- 
nannten Zeit  gesetzte  Kot  wurde  vom  Boden  des  Käfigs  sorgfältig 
mit  Spatel  aufgenommen,  in  gewogenen  flachen  Porzellanschalen 
gesammelt,  der  gesamte  Kot  dann  im  Trockenofen  bei  105—110® 
mehrere  Stunden  lang  getrocknet  und  mit  Schale  gewogen.  Aus 
der  Schale  wurde  nun  der  trockene  Kot  in  kleinen  Portionen 
entnommen,  im  Mörser  grob  und  weiter  in  der  Schrotmühle 
feiner  zerkleinert,  dann  durch  ein  Drahtsieb  gesiebt,  gröbere 
Eeste  weiter  zerkleinert,  wiederum  gesiebt,  bis  schließlich  ein 
genügend  gemischtes  gleichmäßiges  Pulver  zur  Verarbeitung 
vorlag.  Von  dem  Pulver  wurden  bis  auf  Milligramme  genau  ge- 
wogene Mengen  zur  Kochsalz-  und  Stickstoff bestimmung  verwendet. 

Für  den  Kartoffel-Milchkot  ergab  sich  ein  durchschnittlicher 
täglicher  Gehalt  von  0,049  g  NaCl  und  0,338  g  N;  für  die  Zeit 
des  Hundekuchen-Milchkots  ein  täglicher  Gehalt  von  0,013  g 
NaCl  und  0,766  g  N.  Abgesehen  davon,  daß  diese  Zahlen  eine 
schlechtere  Ausnützung  des  Hundekuchens  gegenüber  der  Milch  ^) 
beweisen,  fällt  auf,  wie  gering  die  im  Kot  zur  Ausscheidung 
kommende  Menge  Kochsalz,  selbst  auch  bei  diarrhoischen  Ent- 
leerungen, ist.  Für  die  erste  Zeit  (Kartoffel-Milchkot)  ging 
nämlich   nur  rund   1,5  7o  der   aufgenommenen  Kochsalzmenge 


^)  Die  StickstoflfmeDgen  in  den  verabreichten  Rationen  Hundekuchen 
nnd  Milch  verhielten  sich  nahezu  wie  3:2. 


—     128    — 

und  für  die  Zeit  des  Handekuchenkotes  gar  nur  rund  0,6  ^/^  in 
den  Kot  über.  Insgesamt  wurden  mit  dem  Kot  während  der 
Fieberperiode  0,613  g  NaCl  und  5,589  g  N  ausgeschieden. 

Die  Endzahlen  der  Fieberperiode  (siehe  Tabelle)  ergeben 
für  das  Kochsalz  eine  Retention  von  5,213  g.  An  dieser  Zahl 
ist  nach  zwei  Richtungen  hin  eine  Korrektur  vorzunehmen:  ab- 
zuziehen ist  die  im  Kot  ausgeschiedene  NaCl-Menge;  zuzuzählen 
aber  ist  die  Kochsalzmenge,  die  der  stattgehabten  Gewichts- 
abnahme von  470  g,  gemäß  unseren  oben  ausgeführten  Über- 
legungen, entsprechen  würde,  d.  h.  4,70  X  0,25  =  1,175  g,  so 
daß  eine  wirkliche  Retention  von  5,213  —  0,613  +  1,175 
=  5,775  g  zu  verzeichnen  wäre. 

Bemerkenswert  ist,  ähnlich  wie  bei  der  klinischen  Unter- 
suchung an  dem  scharlachkranken  Knaben,  der  Anstieg  der  Koch- 
salzausscheidungskurve 24  Stunden,  nachdem  die  Temperatur  bis 
an  die  Grenze  des  Normalen  sich  gesenkt  hatte,  ein  Beweis, 
wie  rasch  und  empfindlich  der  Kochsalzhaushalt  auf  den  Um- 
schlag des  Fiebers  reagiert. 

Die  Mehi'ausscheidung  an  Stickstoff  ist,  entsprechend  der 
Gewichtsabnahme  und  dem  B^'ieber,  eine  bedeutende  (insgesamt 
im  Harn  und  Kot  23,997  g),  eine  Tatsache,  die  schon  in 
Traubes  und  Jochmanus  und  in  Senators  Untersuchungen 
über  den  Fieberstoffwechsel  gewürdigt  ist. 

Von  Interesse  ist  auch  wiederum,  zu  sehen,  wie  der  Koch- 
salzwechsel am  zweiten  Fiebertag  sofort  die  -starke  Abweichung 
von  der  bisherigen  Zufuhr  anzeigt,  während  beim  Stickstoff  sich 
das  gar  nicht  ausprägt;  der  Organismus  war  auf  einen  gewissen 
Verbrauch  N-haltigen  Materials  eingestellt  und  blieb  dabei,  ob- 
wohl die  Zufuhr  an  einem  Tage  äußerst  gering  wurde  und  am 
folgenden  Tage  kaum  zur  Hälfte  dem  Bedarf  entsprach. 

In  der  Nachperiode  bewegte  sich  die  Temperatur  des  Ver- 
suchstiere^ß,  abgesehen  von  einem  einmaligen  Anstieg  bis  auf  39,5® 
am  17.  VIIL,  d.  h.  am  zweiten  Tage  dieser  Periode,  mit  geringen 
innerhalb  der  physiologischen  Grenzen  liegenden  Schwankungen 
dauernd  um  38,5®. 

Die  Nahrung  während  der  Nachperiode  setzte  sich  zusammen 
aus  150  g  Hundekuchen,  100  ccm  Milch,  50  ccm  Kochsalz- 
lösung und,  für  die  ersten  vier  Tage,  300  ccm  Wasser,  später, 
vom    20.  VIII.   ab;   400  ccm   Wasser,   w^eil   der  Hund    Durst 


-    129    -^ 

zeigte.  Vom  26.  Vin.,  dem  elften  Tag  der  Nachperiode, 
ab  warde  eine  neae  Sendung  Hundekncben  verwendet,  deren 
Analyse  einen  um  wenig  höheren  Stickstoffgehalt,  nämlich 
2,88  ®/o  N,  ergab,  während  sich  die  Differenz  in  dem  an  und 
f&r  sich  schon  so  geringen  Eochsalzgehalt  als  so  geringfügig  und 
innerhalb  der  Fehlerquellen  liegend  erwies,  daß  sie  unberück- 
sichtigt bleiben  konnte. 

Der  Versuch  wurde  am  5.  IX.,  d.  h.  am  einundzwanzigsten 
Tag  der  Nachperiode,  abgebrochen,  da  die  Übersicht  über  die 
täglichen  Eochsalzwerte  des  Harns  und  die  unten  folgende  Be- 
rechnung ergaben,  daß  die  Periode  der  Ausscheidung  des  im 
Fieber  retinierten  Kochsalzes  beendet  sei.  Von  einer  so  lange 
sich  hinziehenden  Ausscheidung  spricht  auch  Schwenken- 
becher  (1,  c). 

Das  zahlenmäßige  Ergebnis  der  Nachperiode  stellt  sich 
folgendermaßen  (siehe  Tabelle  und  Kurve). 

Für  den  Kochsalzwechsel  stellt  sich  eine  Mehrausscheidung 
im  Harn  von  5,624  g  heraus;  nach  Hinzurechnung  der  im  Kot 
der  Nachperiode  ausgeschiedenen  Menge  von  0,25  g  NaCl  ergibt 
sich  so  ein  Plus  der  Ausscheidung  gegenüber  der  Einnahme 
von  5,87  g.  Während  der  Fieberperiode  waren  5,775g 
NaCl  zurückgehalten  worden.  Wir  sehen  also,  daß  in 
21  Tagen  nach  dem  Ablauf  des  Fiebers  ein  völliger 
Ausgleich  im  Kochsalzwechsel  eingetreten  ist. 

Die  Stickstoffbilanz  der  Nachperiode  ergibt  folgendes.  Zu- 
geführt wurden  im  Futter  75,66  g  N,  ausgeschieden  im  Harn 
52,995  g  N,  im  Kot  15,323  g  N.  Hieraus  folgt  also  insgesamt 
eine  Eetention  von  7,342  g  N,  die  durch  das  Bestreben  des 
Organismus,  seinen  durch  die  Fiebervorgänge  gestörten  und  über 
die  Norm  beanspruchten  Stickstoffwechsel  wieder  ins  Gleich- 
gewicht zu  bringen,  erklärt  wird.  Eine  Gewichtszunahme  ist  zur 
Erklärung  dieser  N-Retention  nicht  absolut  erforderlich,  da  Änder- 
ungen im  Wasserhaushalt  in  der  Rekonvaleszenz  eine  das  Gewicht 
im  entgegengesetzten  Sinne  beeinflussende  Rolle  spielen  können. 

Das  Gesamtergebnis  des  Versuchs  ist  hinsichtlich  des  Koch- 
salzwechsels  allein  das  gleiche,  wie  es  schon  für  den  ersten 
Hundeversuch  zusammengefaßt  wurde.  Nur  sind  die  Zahlen  für 
Betention  und  nachherige  Ausschwemmung  größer,  schon  an 
und  für  sich  größer  und  besonders  vergrößert  durch  die  längere 

Sitsnngtberiehte  der  pbya.-med.  Sox.  39  (1907).  9 


-     130    - 

Ausdehnung  der  Versuchsperioden.  Günstiger  für  den  Ausfall 
des  zweiten  Versuchs  war  auch  die  Herstellung  des  N-61eich- 
gewichts  zu  Beginn  der  Fiebei*zeit. 

Insbesondere  beachtenswert  aber  sind  bei  diesem  Versuch 
die  Beziehungen,  die  sich  zwischen  Kochsalz-  und  Stickstofif- 
umsatzaus  unseren  Zahlenreihen  erkennen  lassen.  Es  besteht 
hier  offensichtlich  ein  Gegensatz  zwischen  Kochsalz-  und  Stick- 
stoffbilanz. Obwohl  dieser  Gegensatz  hier  nur  in  einem  lange 
genug  durchgeführten  Versuch  festgestellt  ist,  so  scheint  mir 
doch  schon  jetzt  die  Folgerung  berechtigt,  daß  ihm  beim  Fieber 
allgemeinere  Geltung  zukommt.  Die  Ableitung  dieser  Folgerung 
ergibt  sich  aus  folgender  Überlegung.  Mannigfach  ist  durch 
klinische  Untersuchungen  bei  fieberhaften  Krankheiten  nach- 
gewiesen —  mit  nur  der  einzigen  Ausnahme  der  Malaria,  auf 
die  ich  weiter  unten  noch  zu  sprechen  kommen  werde  —  und 
ist  durch  die  vorliegenden  Versuche  an  aseptisch  fiebernden 
Hunden  einwandfrei  bestätigt  worden,  daß  im  Fieber  eine  ab- 
solute Eetention  von  Kochsalz  statthat,  der  dann  in  der  Periode 
der  Entfieberung  oder  nach  kritischem  Abfall  des  Fiebers  eine 
entsprechende  Mehrausscheidung  des  Salzes  folgt.  Andererseits 
ist,  wie  schon  oben  erwähnt,  bereits  durch  T  raub  es  und 
Jochmanns  Arbeiten,  besonders  aber  durch  Senators  wert- 
volle Untersuchungen  „Über  den  fieberhaften  Prozeß**  die  Tat- 
sache sichergestellt,  die  auch  deutlichst  aus  dem  letzten  Versuch 
am  Hunde  hervorgeht,  daß  im  Fieber  infolge  größeren  Verbrauchs 
an  stickstoflhaltigem  Körpermaterial  eine  bedeutende  Mehraus- 
scheidung an  Stickstoff  im  Harn  stattfindet  gegenüber  fieber- 
freier Zeit:  aus  diesen  beiden  experimentell  und  durch  Erfahrung 
erwiesenen  Tatsachen  muß  geschlossen  werden,  daß  bei  vielen 
fieberhaften  Erkrankungen  ein  solcher  Gegensatz  zwischen  NaCl- 
und  N-Ausscheidung  eine  typische  Erscheinung  ist.  Es  wäre 
sicher  wünschenswert,  durch  weitere  Versuche  und  klinische 
Beobachtungen  festzustellen,"  wie  weit  diese  Erscheinung  bei 
den  verschiedenen  Arten  von  Fieber  als  Regel  gelten  kann. 

Auch  die  Kurven  des  zweiten  Hundeversuches  zeigen  deut- 
lich, daß,  während  die  Kurve  der  NaCl-Ausscheidung  während 
der  Pieberperiode  sich  im  Mittel  durchaus  unter  der  Linie  der 
Kochsalzeinfuhr  hält,  dies  Verhältnis  für  die  Stickstoffkurve 
(N-Ausscheidung:  N-Ein fuhr)  ein  gerade  umgekehrtes  ist. 


Hund  II. 


Vorp 


1.     26.  VII. 

9230 

38,6  • 

478 

1014 

1  0,5031 

2,405 

1,941 

1  0,756 

2.    27.  VII. 

9300 

38,4« 

322 

1015 

0.509 

1,639 

1,941 

j  0,8008 

3.    28.  VII. 

9400 

38.55' 

295 

1017 

0.5031 

1,484 

1,941 

1,008    , 

4.1  29.  VII. 

9190 

38,6r) " 

540 

1015 

;  0,5616 

3,066 

1,941 

1  0,980 

5.  i  30.  VII. 

9300 

38,6« 

304 

1014 

'  0,4797  ' 

1.458 

1,941 

10,784    ' 

6.,.  31.  VII. 

9220  1  38,6« 

338 

1019 

0,6143 

2.076 

1.941 

0,952 

7.||     l.VIII. 

9220 

38,85'- 

390  1 

1020 

0,7664 

2,989 

1,941 

1,2544 

Im 

ganzer 

1  in  7 

Tagen: 

16,117 

13,687 

< 
* 

1. 

2. 
3. 
4. 

l\ 

7.i 
8.|j 
9. 

10.' 

11. 

12.11 

13.1 

14. 


2.  VIII 

3.  VIII 

4.  VIII 

5.  VIII 

6.  VIII 

7.  VIII 

8.  VIII 

9.  VIII 

10.  VIII 

11.  VIII 

12.  VIII 

13.  VIII 

14.  VIII 

15.  VIII 


8930 
8800 
8900 
8830 
9020 
8880 
8740 
8700 
8710 
8740 
8650 

8:)S0 

85(K> 
S4(»() 


39,9« 

40,35  •' 

39,8« 

40,1« 

40,35« 

39,0" 

39,25 " 

40,0« 

40,5« 

39,45" 

39,1  « 

39.6« 

39,15« 

39,2« 


618 
243 
313 
348 
501 
655 
802 
645 
500 
615 
()60 
550 
450 
355 


1016 
1019 
1016 
1017 
1018 
1012 
1012 
1012 
1018 
1017 
1017 
1019 
1018 
1025 


0,2691 

0,1989 

0,3744 

0,5382 

0,6738 

0,409 

0,5.324 

0,3803 

0,5031 

0.3744 

0,4329 

0,4973 

0,5324 

0,7781 


1,663 
0,483 
1,272 
1,873 
3.375 
2,679 
4.365 
2,452 
2,516 
2,3(^3 
2  S57 
2,709 
2.396 
2,762 


1,941 
0,839 
3,100 
3,076 
3,208 
3,213 
3,219 
3,213 
3,219 
3,233 
3,217 
2,7S5 
2,517 
2,138 


Fieberp 

0,658    ' 
1,6352 
1,316    I 
1,2824  1 
1,0808 
0,5264 
0,5068  I 
0,5656  I 
0,7272 
0,5208 
0,56 
,  0,()944 
i  0,7336 
:  0,9744 


Im  ganzen  in  14  Tagen:     33,705    38,918 


1.  16. 

2.  17. 

3.  18. 

4.  19. 

5.  I  20. 

6.  21. 

7.  22. 

8.  23. 

9.  [  24. 

10.  25. 

11.  26. 

12.  27. 

13.  28. 

14.  29. 

15.  30. 

16.  31. 

17.  1. 


18. 
19. 
20.  i 


VIII 

VIII 

VIII 

VIII 

VIII 

VIII 

VIII 

VIII 

VIII 

VI  IT 

VIII 

VUl 

VIII 

VIII 

VIII 

VIII 

IX. 

IX. 

IX. 

IX. 


84(K) 
8430 
8250 
82r>0 
8390 
8290 
8220 
8330 
8240 
8320 
8240 
8270 
8320 
8570 
8330 
8340 
8fi00 
8550 
8300 
8420 


38,7  « 

.39,5« 

38,5« 

38,7  « 

38.6« 

38,7«  I 

38,65« 

38,95«, 

138,35"' 

38,1« 

I  3S,35 '' 

i3S,3« 

,  38„55" 

38,6« 

|38,2«  I 

138,6« 

1.38,4«  i 
.38,5« 
38,3« 


275 
2()5 
389 
305 
290 
440 
445 
306 
4()8 
473 
345 
385 
385 
188 
533 
453 
357 
213 
556 
465 


1028 
1030 
1025 
1025 
1019 
1020 
1020 
1018 
1018 
1017 
1016 
1016 
1016 
1013 
1020 
1014 
1017 
1011 
1020 
1014 


I  0,702 
0,795() 
0,7488 
0,6786 
0,5382 
0,r)5,52 
0,602() 
0,1914 
0,5733 
0,.5909 
0,5207 
0,5616 
0,53S2 
0,4251 
0,6435 
0,4973 
0,6494 
0,3861 
0,6347 
0,5324 


1,931 

1,949 

2,108 

1,949 

2,913 

1,949 

2,069 

1,949 

1.561 

1,949 

2,882 

1.949 

2,681 

1.949 

1,.504 

1,949 

2,6S3 

1,949 

2,800 

1,9()5 

1 ,798 

1,9(>5 

2,162 

1,965 

2,072 

1,965 

0,799 

1,965 

.3,430 

1,965 

2,253 

1,965 

2,318 

1,965 

0,822 

1,965 

3,529 

1,965 

2,465 

1,965 

Nachp 

1,036 

1.0808, 
0,9404  I 

:  1,080S 
0,672    : 
0,9296 
0,8208 
0,728 
0,6384 
0,6272 
0,76 1(>I 
0,616 
0,56 

'  0,5488 
0,7912  ' 

'  0,5264  I 
0,6496  ' 
0,1624 

,0,756  , 

I  0,4648  I 


Im  ganzen  in  20  Tagen:     44,780    39,166 


Vorperiode. 


Hund  II. 


Bemerkungen. 


Ü 
U 
tl 
tl 

u 
(1 

87 


'  0,756 

im 
o.:s4 

0,952 


3,614 
2,579 
2,974 
5,351 
2,383 
3,218 


l.-2>i4  4,892 


3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 


Käthe  terisation. 

150  g  Hundek ,  100  ccm  Milch,  50  ccni  NaCl-Lösung, 
40(j  ccm  Wasser. 


25,011 '  25,858 


Fieberperiode. 
i    1,0352  3,974 

,^    ,r,j?24  4.463 

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2,848 
2,900 
2,861 
2,895 
2,802 
2,880 
2.370 
2,911 
3,44 


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Katheteri««tion.     li  ccm  Pyooyanln. 

5  ccm  P,\ocyanin.  50  ccm  Milch,  25  ccm  NaCl-Lösg. 

40)  „  «  75     ,          „         „ 

700  „  n  5)     „          „         , 

701  „  ,  50 
5  ccm  Pyocyanin.  70")  „  „  50 

8     n               r,                7.)0  „  „  50 

5     „            „              700  „  „  50 

5     n            «             700  „  „  .50 

700  „  „  50 

700  „  ,  50 

510  ,  „  50 

400  „  „  50 

200  „  ,  50 


[verweigert. 
Allea  übrig«  Futtur 


228  g  KartoiTelD. 

238  „ 
250  „ 

239  „ 
850, 
275  „ 
245  ^ 

2(iO  „  „ 

75  „    Hunrtik. 
125  „ 


54,312    35,904 


VacbP^riode. 
Vo36     2,848  1 


2,86-1 
2,680 
3,296 
1,949 
4,130 
3,652 
2,228 
2,988 


^'^F^   2,9(i6 


0.016 


!,628 
2,.371 
2,156 
1,032 
3,790 
2,387 
2,320 
0,346 
4,203 
2,161 

52,996  , 


3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,694 
3,872 
3,872 
3.872 
3,872 
3,872 
3.872 
3,872 
3,872 
3,872 
3,872 


l   150  g  Hundek.,  100  ccm  Milch, 
l[      300  ccm  Wasser. 


50  ccm  NaGl-LösuDg. 


75,660 


150  g  Hundek.,  lUO  ccm  Milch, 
4fM)  ccm  Wasser. 


50  ccm  NaCl-Lüsung, 


8. 
II.    l 


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-    131    - 

Es  bliebe  nach  Darlegang  des  Tatsächlichen  nunmehr  noch 
die  Frage  zu  erörtern :  Wie  ist  diese  beim  Fieber  stattfindende 
Kochsalzretention  zu  erklären?  Bei  unsrer  heutigen  geringen 
Kenntnis  über  das  Wie  und  Wo  der  feineren  Stoffwechselvor- 
gänge auch  beim  normalen  Organismus  ist  hier  der  Aufstellung 
von  Hypothesen  ein  weites  Feld  gegeben.  Redtenbacher 
legte  der  Ghlorverminderung  im  Harn  bei  seinem  Pneumonie- 
fall  einfach  eine  Chlorretention  im  Lungenexsudat  zugrunde. 
Abgesehen  von  anderen  Gegengrflnden,  die  Schwenkenbecher 
(1.  c.)  anfahrt,  spricht  vor  allem  die  Erfahrung  dagegen,  daß 
ja  auch  viele  Infektionskrankheiten,  die  sicher  ohne  Exsudat 
oder  Ödem  verlaufen  (auch  der  von  mir  untersuchte  Scharlach- 
fall)  die  Chlorretention  zeigen.  Terray  (zitiert  nach  Kraus 
1.  c.)  glaubt  in  einer  das  Fieber  begleitenden  Wasserretention 
auch  für  die  Chloraufspeicherung  genägenden  Grund  zu  finden. 
Aber  nach  den  auf  Versuche  gestützten  Darlegungen  von  Kraus 
(1.  c.)  findet  im  Fieber  überhaupt  keine  Wasserretention  statt. 
Ebensowenig  kann  nach  Kraus  eine  vikariierende  Chlorretention 
als  ausgleichendes  Moment  für  eine  Steigerung  der  P^O^-Aus- 
scheidung  zur  Erklärung  herangezogen  werden,  „um  die  Isotonie 
des  Blutes  aufrecht  zu  erhalten^,  weil  die  P^O^- Ausscheidung, 
deren  Bedingungen  begreiflicherweise  im  allgemeinen  wohl  sehr 
kompliziert  sind,  bei  verschiedenen  Infektionen  noch  mehr  als 
diejenige  des  Chloi*s  zu  schwanken  scheine. 

Es  ist  ferner  noch  die  Annahme  gemacht  worden,  daß  die 
Chlorretention  durch  eine  mangelhafte  Funktion  der  Niere  be- 
dingt sein  könne,  für  die  bekanntermaßen  beim  Fieber  genügend 
Anhaltspunkte  vorliegen  (febrile  Albuminurie,  andrerseits  Chlor- 
retention bei  nephritischer  Albuminurie,  mit  Ödem  allerdings  l). 
Diese  Annahme  widerlegt  Röhmann  (1.  c),  und  im  gleichen 
Sinne  spricht  mein  erster  Hundeversuch,  bei  dem  ja  mit  Ein- 
setzen gerade  der  hämorrhagischen  Nephritis  die  NaCl-Aus- 
schwemmung  begann.  Nach  Köhmanns  Versuchen  werden 
sehr  große,  spontan  auf  einmal  aufgenommene  NaCl-M engen 
durchaus  prompt  auch  im  Fieber  wieder  ausgeschieden.  Zur 
Erklärung  greift  er  weiter  auf  intermediäre  Stoffwechselvorgänge 
zurück  und  bringt  die  NaCl-Retentiou  im  Fieber  in  Zusammen- 
hang mit  dem  während  des  Fiebers  erfolgenden  gesteigeii;en 
Obergang  des  Organeiweißes  in  zirkulierendes  Eiweiß;   dieses 

9* 


-    132    - 

letztere  binde,  wie  aus  Versuchen  von  Forst  er  bervorzagehen 
scbeine,  schon  im  normalen  Stoffwechsel  locker  eine  gewisse 
Menge  von  Gblorniitriam,  und  diese  Adsorption  von  Cblornatriom 
erfahre  natürlich,  entsprechend  der  größeren  Menge  zirkulieren- 
den Eiweißes,  im  Fieber  eine  Steigerung.  Scheint  es  nun  auch 
durchaus  richtig,  die  Stätte  der  NaCl-Retention  dahin  zu  ver- 
legen, wo  eben  die  im  Fieber  eintretenden  Veränderungen  des 
Stoffwechsels  ihren  Sitz  haben,  so  muß  doch  die  Annahme  der 
Bindung  des  Kochsalzes  durch  das  zirkulierende  Eiweiß  ange- 
zweifelt werden  auf  Grund  dessen,  was  Magnus-Levy  (I.e.) 
als  Tatsache  anfQhrt:  daß  „das  Gl  sich  im  Blut  und  vielleicht 
auch  in  den  Geweben  nicht  in  lockerer  Verbindung  mit  Eiweiß- 
körpern, sondern  ausschließlich  in  anorganischer  Form  befindet." 

Also  nicht  durch  Exsudatbildung,  nicht  durch  mangelhafte 
Resorption  (geringer  NaCI-Gehalt  des  Kotes!),  nicht  durch  mangel- 
hafte Ausscheidung  in  den  Nieren,  auch  nicht  durch  abnorme 
Zunahme  des  Bestandes  an  NaCl-bindendem  zirkulierendem  Eiweiß 
ist  die  während  des  Fiebers  zustande  kommende  Chlorretention 
zu  erklären.  Nach  Schwenkenbecher  haben  auch  Analysen 
von  Fieberblut  keinen  erhöhten  Salzgehalt  dieser  Flflssigkeit  er- 
kennen lassen.  Da  heißt  es  eben  den  Weg  des  Stoffwechsels  noch 
weiter  zurttckverfolgen.  Irgendwo  im  Körper  muß  doch  das 
Kochsalz,  das  von  der  Salzbilanz  als  retiniert  angezeigt  wird, 
stecken ;  es  müßten  ja  sonst  in  allen  hierher  gehörigen  Versuchen 
bei  der  Analyse  der  Exkrete  beträchtliche  Kochsalzmengen  der 
Bestimmung  entgangen  sein. 

Oben  ist  schon  auf  den  Gegensatz  in  dem  Verhalten  des 
Stickstoff-  und  des  Kochsalzwechsels  beim  Fieber  hingewiesen 
worden :  während  Kochsalz  zurückgehalten  wird,  geht  die  Stick- 
stoffausgabe beträchtlich  über  die  Einnahme  hinaus.  Erhöhung 
der  Stickstoffausscheidung  bedeutet  aber  Steigerung  des  Stoff- 
wechsels^ vermehrten  Abbau  des  Eiweißes,  der  höchstkomplizierten 
organischen  Stickstoffverbindungen  der  lebenden  Gewebe.  Dieser 
gesteigerte  Stoffwechsel  spielt  sich  in  den  Zellen  selbst  ab,  nach- 
gewiesenermaßen besonders  in  den  Zellen  der  großen  drüsigen 
Organe.  Und  auf  alle  diese  kann  man  sich  die  retinierte  NaCl- 
Menge  gleichmäßig  oder  auch  in  gewissen  Abstufungen  verteilt 
denken.  Es  brauchte  dann,  wie  auch  Schwenkenbecher 
meint,   selbst   bei  einer   relativ   starken   Gesamtretention   der 


—    133    - 

Prozentgehalt  an  Kochsalz  im  einzelnen  Organ  nicht  einmal  so 
hoch  zu  steigen,  daß  die  Chlorzanahme  darch  Analyse  fest- 
gestellt werden  könnte.  Andererseits  erscheint  ein  Gelingen 
dieser  analytischen  Aufgabe  keineswegs  ausgeschlossen.  Was 
aber  die  Ursache  der  angenommenen  und  vielleicht  nachweis- 
baren Anhäufung  von  Kochsalz  in  den  großen  drfisigen  Organen 
betrifft,  so  wäre  sie  zu  suchen  in  der  ,,fieberhaft^  gesteigerten 
Tätigkeit,  die  jene  Organe  zur  Bekämpfung  des  Fiebers  ent- 
falten, in  den  chemischen  Umsetzungen,  die  an  die  Gegenwart 
von  Kochsalz  geknüpft  sind.  Hier  scheint  mir  ein  Zusammen- 
hang sich  aufzutun,  auf  den  ich,  weil  vorläufig  vollkommen 
hypothetisch,  nur  kurz  als- Erklärungsmöglichkeit  für  die  auf- 
fällige Tatsache  der  Chlorretention  im  Fieber  hinweisen  möchte. 

Albu  und  Neuberg  stellen  in  ihrem  Buch  „Physiologie 
und  Pathologie  des  Mineralstoffwechsels''  folgenden  vierten  Haupt- 
satz über  die  Aufgaben  der  Mineralstoffe  im  tierischen  Körper 
auf  (S.  108):  „Sie  wirken  als  Katalysatoren  für  eine  große  Reihe 
chemischer  Vorgänge  im  Organismus,  sie  wirken  z.  B.  als  Sauer- 
stoffflberträger  für  die  Oxydationen,  sie  erzeugen  die  Verände- 
rungen der  Eiweißköii)er  im  Zellprotoplasma,  die  mit  den  Funk- 
tionen derselben  untrennbar  verbunden  sind."  Aus  dieser  Auf- 
fassung läßt  sich  auch  die  Vorstellung  ableiten,  die  wir  uns  von  der 
Rolle  des  Kochsalzes  im  Fieber  machen  können.  Also:  Erhöhte 
chemische  Zelltätigkeit  im  Fieberzustand,  dessen 
Mehrproduktion  an  Wärme  den  Ausdruck  vergrößerten 
Energieverbrauchs  darstellt,  also  Steigerung  der 
oxydativen  Prozesse  innerhalb  der  Zellen  und  in 
enger  Verknüpfung  damit  notwendigerweise  ein  ver- 
mehrtes Bedürfnis  an  Katalysatoren  in  Form  von 
Mineralstoffen,  insbesondere  des  Kochsalzes.  In 
diesem  Gedankengang  glaube  ich  eine  Deutung  der  merkwür- 
digen Kochsalzretention  im  Fieber  und  seiner  Ausschüttung 
nach  der  Entfieberung  finden  zu  können. 

Der  Ausnahmefall  der  Malaria  würde  sich  dann  vielleicht  mit 
dem  besonderen  Sitz  der  Infektion  und  wohl  auch  der  gegen  die  Ma- 
lariaparasiten sich  richtenden  Abwehrkräfte  erklären.  Zur  wei- 
teren Stützung  dieser  Vorstellung  wäre  zu  prüfen,  ob  immer  bei  aus- 
schließlichen Blutinfektionen  die  Kochsalzretention  im  Fieber  einer 
NaCl-Mehrausscheidung  —  wie  bei  der  Malaria  —  Platz  macht. 


—    134    — 

Daß  natürlich  die  Funktion  des  Kochsalzes  als  Kataly- 
sator nicht  allein  für  die  Chlorretention  im  Fieber  maßgebend 
zu  sein  braucht,  sondern  daß  auch  andere  Faktoren^  wie  Aus- 
gleichung des  durch  die  erhöhten  Zersetzungen  im  Fieber  ge- 
störten osmotischen  Gleichgewichts  und^  wie  Schwenken- 
becher  meint,  die  im  Fieber  veränderte  Verteilung  der  Wasser- 
ausfuhr (verminderte  Diurese),  eine  beachtenswerte  Bolle  spielen 
können,  ist  durchaus  nicht  in  Abrede  zu  stellen.  Aber  ich 
glaube  nicht,  daß  sie  allein  für  die  festgestellte  verhältnismäßig 
hohe  Chlorretention  verantwortlich  zu  machen  sind. 


Vorliegende  Arbeit  wurde  im  Sommersemester  1907  in  der 
chemischen  Abteilung  des  physiologischen  Instituts  auf  Anregung 
und  unter  Leitung  des  Herrn  Prof.  Dr.  0.  Schulz  ausgeführt. 
Ich  möchte  auch  an  dieser  Stelle  Herrn  Prof.  Dr.  Schulz 
meinen  herzlichsten  Dank  aussprechen  für  die  gütige  und  immer 
hilfsbereite  Förderung,  die  er  mir  bei  meinen  Untersuchungen 
zuteil  werden  ließ.  Ebenso  bin  ich  Herrn  Prof.  Dr.  J.  Rosen- 
thal für  sein  gütiges  Interesse  an  der  Arbeit  zu  großem  Dank 
verpflichtet. 


Aus  Alexander  v.  Humboldts  Verwaltungspraxis 

in  Franken. 

Von  Lothar  Reuter. 

• 

•Alexander  v.  Hnmboldt  wurde  Dach  Vollendung  seiner 
nennmonatlichen  Studienzeit  in  Freiberg  von  Minister  von 
Heinitz  beauftragt,  das  Bergwesen  und  die  verwandte  Industrie 
in  den  von  Preußen  neu  erworbenen  fränkischen  Fürstentümern 
zu  untersuchen.  Bereits  im  Herbst  1792  erstattete  er  einen 
umfangreichen  Bericht  über  seine  Beobachtungen  und  die  mög- 
lichen Mittel  zur  Hebung  der  genannten  Industriezweige. 

Infolge  dieses  Berichtes  wurde  er  im  Herbst  desselben 
Jahres  zum  Oberbergmeister  in  Bayreuth  und  Ansbach  ernannt. 
In  einem  Brief  an  Goethe  aus  Bayreuth  vom  21.  Mai  1795  be- 
zeichnet er  sein  Dienstverhältnis  dahin,  der  König  habe  ihn  zum 
Oberbergrat  gemacht  mit  der  Erlaubnis,  ihm  in  seinen  Provinzen 
zu  dienen  oder  durch  wissenschaftliche  Reisen  nützlich  zu 
werden.  Tatsächlich  suchte  er  im  Auftrag  des  Berliner  Berg- 
departements 1793  die  Salzburger  und  die  galizischen  Salz- 
bergwerke auf,  1794  den  Netzedistrikt  und  das  preußisch  ge- 
wordene Polen.  1795  erhält  er  Urlaub  zu  einer  geognostischen 
Privatreise  durch  Oberitalien  und  einen  großen  Teil  der  Alpen. 
Gleichzeitig  beschäftigen  ihn  geognostische  und  physikalische 
Probleme  der  umfassendsten  Art. 

Hier  möge  indessen  nur  von  Humboldts  Verhältnis  zum 
Bergwesen  im  Fichtelgebirge  die  Rede  sein. 

Der  Niedergang  des  dortigen  Bergbaues  war  eine  Folge  der 
seit  langer  Zeit  betriebenen  Erzausbeutung  und  der  sich  stets 
steigernden  Abbaukosten.  Die  Erze,  die  in  den  oberen  Teufen 
infolge  von  Zersetzung  und  Verwitterung  einen  konzentrierteren 
Edelmetallgehalt  besessen  hatten  und  durch  die  auffällig  ge- 
färbten Zersetzungsprodukte   auch   für   den  weniger    kundigen 


—     136    — 

.Bergmann  leicht  erkennbar  gewesen  waren,  hatte  man  längst 
abgebaut.  Je  weiter  der  Bergbau  in  die  Tiefe  vordrang,  um 
so  geringer  und  unedler  wurden  die  Gänge.  Die  Masse  des 
gewonnenen  Erzes  war  im  Verhältnis  zu  dem  zu  fördernden 
Gestein  sehr  gering;  die  Stollen  und  Schachtbauten,  die  auf 
der  Suche  nach  neuen  Erzmitteln  oder  solchen,  die  sich  zer- 
schlagen hatten,  meist  nur  taubes  Gestein  durchfuhren,  waren 
sehr  kostspielig,  und  ebenso  waren  die  mit  der  Zunahme  der 
Tiefe  sich  vermehrenden  Kosten  für  Förderung  der  Erze,  der 
tauben  Berge  und  namentlich  für  Wasserhaltung  unverhältnis- 
mäßig groß.  Es  war  deshalb  für  einzelne  Eigentümer  aus- 
geschlossen und  für  Gewerkschaften  nur  noch  unter  Aufbringung 
großer  Opfer  möglich,  einige  Bergbaue  im  Betrieb  zu  erhalten. 

Humboldt  erkannte  dies  alles  bei  Untersuchung  der  ein- 
zelnen Bergwerke  nur  zu  gut,  fand  aber  dennoch,  daß  ein  rationell 
betriebener  Bergbau  nicht  nur  bestehen,  sondern  in  verschiedenen 
Teilen  des  Fichtelgebirges  die  aufgelassenen  Betriebe  wieder  zu 
neuem  Leben  erwecken  könnte. 

Dazu  war  es  aber  nötig,  zunächst  ein  brauchbares  Berg- 
mannsvolk heranzubilden.  Wie  A.  v.  Humboldt  dies  zu  ver- 
wirklichen suchte,  möge  folgender  Bericht  des  genialen  Forschers 
ans  Bergdepartement  in  Berlin  dartun,  der  zugleich  zeigt,  wie 
Humboldt  die  dienstlichen  Aufgaben  seines  Verwaltungsbezirkes 
bis  ins  kleinste  Detail  verfolgte  und  in  einem  den  sozial-poli- 
tischen Anschauungen  seiner  Zeit  weit  vorauseilenden  Grade 
den  menschlichen  Verhältnissen  der  seiner  Verwaltung  anver- 
trauten Personen  die  eingehendste  Sorgfalt  widmete. 

Dieser  Bericht  hat  folgenden  Wortlaut: 


Stehen,  auf  dem  Nailaer  Revier, 
den  13.  März  1794. 
Ganz  gehoi'samstes  Promemoria, 
die  Errichtung  einer  königlichen 
freien  Bergschule  zu  Stehen  be- 
treffend. 
Wenn  es  gleich  meine  Pflicht  gewesen  wäre,  Einem  Hoch- 
löblichen  Ober-Berg-Departement  der  königlich  Obergebirgischen 
Kammer  jedes  bergmännische  Unternehmen  früher  anzuzeigen. 


~     137    - 

als  es  angefangen  wird,  so  glaube  ich  doch  in  dem  vorliegenden 
individuellen  Falle  durch  meine  gute  Absicht  hinlänglich  ent- 
schuldigt zu  sein,  den  entgegengesetzten  Weg  eingeschlagen  zu 
haben.  Die  einfache  Erzählung  des  ganzen  Vorganges  wird  am 
ersten  zu  meiner  Rechtfertigung  dienen. 

So  lange  ich  dem  prakt.  Bergbau  näher  getreten  bin,  war 
es  immer  auffallend,  wie  wenig  von  oben  herein  auch  mit  dem 
scheinbar  größten  Aufwände  von  Geld  und  Kräften  auf  das 
Ganze  gewirkt  wird.  Der  Grund  davon  ist  leicht  zu  finden. 
Was  können  Anordnungen,  Befehle  fruchten^  wenn  die  Empfäng- 
lichkeit bei  denen  fehlt,  die  sie  empfangen  sollen!  Es  bleibt 
dann  nur  ein  Ausweg  übrig,  den  die  meisten  Administratoren 
wählen,  der,  die  Zahl  der  Aufseher  so  vermehren,  daß  es  fast 
so  viele  Offizianten  als  Bergleute  gibt,  daß  die  Besoldungen  den 
größten  Teil  der  Betriebskosten  ausmachen  und  daß  die  ganze 
Maschine  unter  der  Friktion  der  vervielfachten  Teile  erliegt. 
Das  Mittel  selbst  wird  dann  zum  Hindernis. 

Der  einfache  Weg  scheint  auch  hier  der  beste.  Man  ver- 
mehre die  Bezeptivität  des  gemeinen  Bergvolks,  suche  es  nach- 
denkend und  verständig,  das  heißt,  weder  grübelnd  noch  gelehrt, 
zu  machen,  bringe  ihm  richtige  Ideen  über  die  Gegenstände 
bei,  die  es  zunächst  umgeben,  so  wird  es  mehr  zum  Selbst- 
bandeln gereizt,  so  wird  die  Tutel  endlich  aufhören,  hinter  die 
eine  armselige  Politik  sich  so  gerne  verbirgt. 

Der  Wert  der  Erziehung  des  gemeinen  Volks  ist  längst 
erkannt.  Die  Gewalt,  mit  der  man  die  Sache  auf  einmal  hat 
angreifen  wollen,  und  die  abenteuerliche  Überepannung,  mit 
der  man  die  vorreifen  Früchte  erwartete,  haben  die  meisten 
Unternehmungen  scheitern  gemacht.  Ich  hielt  es  für  besser, 
etwas  zu  leisten,  als  nichts  zu  versuchen,  weil  man  nicht  alles 
leisten  kann. 

In  einem  Gebirge,  wo  so  vielerlei  Erze  einbrechen,  und  wo 
die  Bewohner  oft  aus  Aberglauben  und  bergmännischer  Unwissen- 
heit durch  törichte  Unternehmungen  ihren  Wohlstand  untergraben, 
in  einem  solchen  Gebirge  ist  es  doppelt  wichtig,  deutliche  und 
vernünftige  Begriffe  zu  verbreiten.  Noch  im  Herbst  1793  hat 
man  in  der  Dürrenweid  geschürft,  wo  der  „goldene  Hirsch** 
(ein  vierfttßiger  Berggeist)  weidete,  —  bei  Schauenstein  auf 
Schwefelkies  statt  Golderze  gebaut,  —  torabakbraunen  Glimmer 


—    138    - 

bei  Gefrees  durchschmelzen  wollen  nnd  mir  Eisenglimmer  ftir 
Bleiglanz  gebracht!!  —  Wer.  wie  meine  Amtsgeschäfte  mich 
daza  veranlassen,  dem  gemeinen  Bergyolke  näher  tritt,  wird 
über  diese  Beispiele  nicht  erstaunen.  Es  sind  alltägliche  Er- 
scheinungen. 

Als  ich  im  Sommer  vorigen  Jahres  nach  Befahrung  der 
Gruben  nur  einige  Muße  hatte,  faßte  ich  daher  den  Entschluß 
(und  wenn  ich  auch  selbst  hätte  den  Unterricht  geben  sollen), 
schlechterdings  für  den  Winter  eine  Schule  für  gemeine  Berg- 
leute zu  eröffnen.  Wem  ich  meine  Ideen  mitteilte,  riet  mir  ab. 
Das  Volk  habe  keine  Lembegierde  hieß  es:  die  Vorurteile 
schienen  eingewurzelt,  es  sei  kein  Lehrer  zu  finden,  den  die 
Kinder  verständen,  u.  s.  w.,  u.  s.  w.  —  Diese  Einwendungen 
schreckten  mich  nicht  ab,  bewogen  mich  vielmehr,  sogleich  die 
ganze  Einrichtung  vorläufig  ans  meinem  Beutel  als  Privatsache 
zu  betreiben,  bis  ich  Einem  hochlöblichen  Oberbergdepartement 
der  Obergebirgischen  Kammer  Anzeige  von  einem  guten  Fort- 
gang würde  machen  können. 

Einen  Lehrer  für  die  Bergschule  kommen  zu  lassen,  war 
aus  dreifachen  Gründen  unratsam;  einmal,  weil  es  einen  Kosten- 
aufwand machte,  der  tür  unseren  jetzigen  Fonds  zu  groß  war,  dann 
weil  jede  fremde  Mundart  den  Knaben  hier  schlechterdings  unver- 
ständlich ist,  und  endlich  drittens,  weil  es  nicht  sowohl  auf 
Rechnen  und  Schreiben,  als  auf  Unterricht  in  der  Gebirgskunde 
und  inländischer  Bergwerksverfassung  ankam,  die  ein  Ausländer 
nicht  lokal  genug  vorträgt.  Es  blieb  also  nichts  übrig,  als  sich 
nach  einem  Einheimischen  umzusehen,  der  Lebhaftigkeit,  Lokal- 
kenntnisse und  Lust  genug  hatte,  im  Lehren  selbst  noch  zu 
lernen.  Meine  Wahl  traf  den  jungen  Schichtmeister  Georg 
Heinrich  Spörl,  dessen  Tätigkeit  und  Eifer  sich  nützlich  zu 
machen  ich  bisher  nicht  genug  rühmen  kann.  Ich  besprach  mich 
selbst  täglich  mit  ihm  über  die  Art  des  Unterrichts,  fing  gleich 
an,  eigene  Anweisungen  auszuarbeiten,  gab  ihm  Bücher  zu  seiner 
eigenen  Belehrung  und  tat  alles,  was  in  meinen  Kräften  stand, 
meine  Absicht  zu  erreichen.  Ich  versprach  ihm  30  fl.  Gehalt, 
1  Simmer  Korn,  Holz  und  Licht  unter  der  Bedingung,  sie  ihm 
aus  eigenen  Mitteln  fortzuzahlen,  im  Falle  das  Institut  die  aller- 
höchste Genehmigung  nicht  empfinge. 

Die  freie  königliche  Bergschule   ward  Ende  No- 


—     139    — 

vember  1793  eröffnet.  Ihre  wesentliche  Einrichtung  besteht 
in  folgenden  Punkten,  die  ich  aber  gehorsamst  bitte,  noch  nicht 
in  eine  Norm  oder  Instruktion  zu  bringen,  da  die  größte  Be- 
hutsamkeit dabei  nötig  ist,  und  da  alles  durch  die  Erfahrung 
noch  modifiziert  werden  muß  und  eine  Erziehungsanstalt  nicht 
wie  eine  Klasse  behandelt  werden  kann. 

1.  Der  Zweck  der  kgl.  Bergschule  zu  Stehen  ist 
zwiefach : 

a)  Das  junge  Bergvolk  in  dem  Nailaer  Revier  zu  verständigen 
und  brauchbaren  Bergleuten  auszubilden, 

b)  ihm  von  Kindheit  an  Liebe  für  unser  Metier  und  berg- 
männisches EhrgefBhl  einzuflößen. 

2.  Der  erste  Zweck  wird  dadurch  en'eicht,  daß  ihnen  von 
allen  physischen  Gegenständen,  mit  denen  sie  als  Bergleute  zu 
tun  haben,  und  von  den  Verhältnissen,  in  die  sie  als  Bürger 
treten,  die  einfachsten  und  deutlichsten  Begriffe  beigebracht 
werden.  Was  das  Praktische  des  Metiers  betrifft,  so  müssen 
wohl  die  Gründe  angegeben  werden,  warum  man  so  oder  so 
verfährt,  —  das  Verfahren  selbst,  die  Handgriffe  müssen  aber 
schlechterdings  kein  Objekt  ^der  mündlichen  Unterweisung  sein, 
weil  dadurch  der  Sinn  für  das  Praktische  geschwächt  wird  und 
leicht  die  Meinung  entsteht,  man  lerne  in  der  Bergschule  Zimmern, 
Bohren,  Schießen  wie  in  der  Grube.  Letzteres  ist  ein  Haupt- 
punkt in  der  Erziehung  des  gemeinen  Bergvolks. 

3.  Liebe  zum  Metier  braucht  nicht  direkt  gepredigt  zu 
werden.  Man  liebt  jede  Sache,  die  man  nach  Gründen  kennt, 
die  man  mit  Wichtigkeit  behandeln  sieht.  Auch  wirken  die 
Absonderungen  der  Bergjugend  von  den  anderen  Kindern,  öffent- 
liche Prüfungen  und  Geschenke  für  die  fleißigen  wohltätig  genug 
auf  das  Ganze. 

4.  Die  Zahl  der  Bergschüler  erstreckt  sich  gegenwärtig 
bereits  auf  etliche  40.  Sie  haben  sich  durch  freiwillige  Sub- 
skription dazu  gemeldet,  gewissermaßen  gedrängt.  Kein  Knabe 
unter  12  Jahren,  der  nicht  vorher  die  Dorfschule  besucht  hat, 
wird  als  Bergschüler  aufgenommen.  Dagegen  steht  das  Institut 
jedem  Knecht  und  Lehrhäuer  offen,  und  ich  sehe  mit  Freuden 
Männer  von  24—26  Jahren  es  fleißig  besuchen.  Ich  habe  bisher 
absichtlich  allen  Zwang  vermieden,  um  die  Sache  nicht  gehässig 
zu  machen.    Künftig  müssen  die  Steiger  dafür  einstehen,  daß 


-     140    — 

alle  BergjuDgeD  die  Bergschule  besuchen  und  das  kgl.  Ober- 
bergdepartement  soll  dann  auch  jährlich  eine  Liste  der  Schüler 
erhalten. 

5.  Um  mit  der  Dorfschule  in  keine  Kollision  zu  kommen, 
und  damit  nicht  die  falsche  Idee  entstehe,  als  mache  die  Berg- 
schule jene  entbehrlich,  so  wird  dieselbe  Mittwochs  und  Sonn- 
abends nach  Mittag  gehalten ;  damit  den  armen  Einwohnern  die 
Kinder  nicht  der  Arbeit  entzogen  werden  (ein  Haupthindernis 
so  mancher  Schulanstalt),  so  ist  die  Bergschule  eine  bloße 
Winterschule,  die  am  9.  November  anfängt  und  bis  in  den  Mai 
fortdauert. 

6.  Das  verschiedene  Alter  und  die  verschiedenen  Fähig- 
keiten der  Bergjungen  und  Knechte  haben  Abteilungen  in 
2  Klassen  notwendig  gemacht.  Der  Unterricht  fttr  die  kleineren 
ist  von  1—4  Uhr,  für  die  größeren  von  6— 9.  Die  Lenibegierde 
der  letzteren  und  der  gute  Wille  des  Lehrers  ist  bisher  so  groß, 
daß  ich  die  Schule  schon  bis  11  Uhr  nachts  habe  fortsetzen 
lassen,  ohne  irgendein  Mißvergnügen  zu  bemerken. 

7.  Die  Objekte  des  Unterrichts  sind  in  diesem  Institute 
mannigfaltiger  als  in  andern  Bergschulen. 

a)  Schön-  und  Rechtschreiben.  Ich  habe  schon  saubere  Vor- 
schriften in  Bayreuth  schreiben  und  auf  Pappe  ziehen  lassen. 
Sie  enthalten  in  kurzen  Aphorismen  alles,  was  ein  ge- 
meiner Bergmann  zu  wissen  braucht,  von  Gebirgskunde, 
vom  Kompaß,  dem  Vorkommen  der  Erze,  den  vaterländischen 
Gesetzen,  Landesbeschreibung.  Sie  haben  den  Zweck,  den 
Knaben  nicht  nur  beim  Schreiben  nützlich  und  angenehm 
zu  beschäftigen,  sondern  ihm  etwas  mit  nach  Haus  zu 
geben,  was  er  dort  wiederholen  kann.  Das  letztere  ist 
sehr  wichtig,  weil  es  noch  schlechterdings  kein  Lehrbuch 
für  gemeine  Bergschulen  gibt  und  die  vorhandenen  unvoll- 
kommen und  ohne  dies  zu  teuer  sind.  Da  es  überaus 
schwer  ist,  solche  Vorschriften  zusammenzusetzen,  so  sind 
davon  noch  nicht  so  viele  vorhanden,  als  ich  wünsche. 
Im  Rechtschreiben  werden  die  Knaben  durch  Diktieren 
geübt 

b)  Bergmännisches  Rechnen,  —  alles  in  angewandten  Zahlen 
und  mit  Beispielen  aus  unserm  Revier.  Dazu  etwas  vom 
Kompaß,  vom  Streichen  und  Fallen,  wie  man  bei  Tag  und 


—    141     — 

sternheller  Nacht  den  Norden  sucht  nnd  die  Standen  der 
Oänge  ans  dem  Kopf  ohne  Kompaß  angibt;  andre  Auf- 
gaben aus  dem  bürgerlichen  Leben,  die  Breite  der  Bretter 
aus  dem  Umfang  des  Blocks  zu  finden,  den  Inhalt  eines 
Feldes  nach  Tagwerken  abzuschreiten  u.  s.  w. 

c)  Allgemeine  Kenntnis  der  Erde,  bes.  Gebirgslehre,  —  von 
dem  festen  Boden,  dem  Meere,  den  Wolken,  dem  Ursprung 
der  Flüsse  und  Grubenwasser,  den  Wettern,  den  Gebirgen, 
welche  keine  Erze  führen,  von  den  Wünschelruten,  von 
den  Lagerstätten  der  Erze,  von  Gängen,  Flötzen  und 
Stockwerken  u.  s.  w.  —  Hierbei  werden  auch  deutliche 
von  mir  bestimmte  Muster  der  gemeinsten  Erze  und  anderer 
nutzbarer  Fossilien  vorgezeigt.  Sie  sind  wenigstens  6—8  Zoll 
lang.  Ich  habe  sie  teils  aus  Sachsen  kommen  lassen,  teils 
hier  gesammelt. 

d)  Vaterländische  Gesetze  und  Observanz.  —  Gewerkever- 
fassung in  den  fränk.  Fürstentümern,  Rechte  und  Pflichten 
gegen  das  Bergamt,  Lehre  vom  Abtrag,  Stollgerechtigkeit 
u.  s.  w.  Nichts  erscheint  mir  wichtiger  als  diese  Kenntnis, 
um  Einigkeit  in  einer  Gegend  herzustellen,  wo  Streitsucht 
nur  eine  Folge  der  Unwissenheit  ist. 

e)  Geschichte  des  vaterländischen  Bergbaus,  welche  Erze 
jetzt,  welche  sonst  brachen,  genaue  Aufzählung  derÖrter, 
wo  sie  brachen.  Produkte  des  Bodens,  Beschreibung  des 
Fichtelgebirges,  warum  es  keine  Salzquellen  am  Ochsen- 
kopf gibt.  Solche  Notizen  vermehren  die  Liebe  zum  Vater- 
lande, die  überdies  noch  immer  ein  schöner  Zug  in  dem 
Charakter  der  hiesigen  Einwohner  ist. 

8.  Alle  14  Tage  werden  die  Schüler  examiniert,  was  sie 
bisher  haben  lernen  sollen.  Ein  öffentliches  Examen  wünsche 
ich  alle  Jahre  im  Frühjahr  anzustellen,  bei  dem  die  fleißigsten 
Knaben  beschenkt  würden  mit  einem  Grubenkittel,  dem  Not- 
und  Hilfsbüchlein  u.  s.  w. 

9.  Bei  einer  Lehranstalt  ist  die  Zweckmäßigkeit  der  inneren 
Einrichtung  ein  wesentliches  Moment  In  dieser  Hinsicht  bin 
ich'  daher  so  sorgfältig  als  möglich  gewesen.  Die  Kinder  dürfen 
z.  B.  dem  Lehrer  nicht  den  Rücken  zukehren,  sich  nicht  an- 
sehen u.  dgl.,  alles  dies  stört  die  Aufmerksamkeit.  Die  Berg- 
schule wird  in  dem  sehr  geräumigen,  lichten  Zimmer  des  Georg 


-    142    ^ 

Heinrich  Spörl*)  gehalten.  Ich  habe  Bänke,  wie  in  den 
Göttinger  Auditorien  vorrichten  lassen,  wo  der  Racken  der 
einen  am  Pult  der  andern  ist.  Zwischen  zwei  und  zwei  Knaben 
steht  immer  ein  Licht 

Da  es  schlechterdings  kein  Lehrbuch  gibt,  welches  für  ge- 
meine Bergjungen  faßlich  genug  wäre,  um  daraus  zu  unterrichten, 
so  habe  ich  mich  sogleich  entschlossen,  selbst  Hand  ans  Werk 
zu  legen  und  nach  den  sub  7  enthaltenen  Sätzen  fünferlei  An- 
weisungen auszuai*beiten.  So  schwer  ein  solches  Unternehmen 
ist  und  so  unvollkommen  ich  es  auch  aasfähren  wfirde,  so  hielt 
ich  es  doch  für  Pflicht,  nichts  unvei*sucht  zu  lassen.  Ich  nehme 
mir  die  Freiheit  Einem  Hochlöbl.  Kgl.  Oberbergdepartement 
einige  Proben  meiner  Arbeit  vorzulegen  mit  der  gehorsamsten 
Bitte,  sie  mir  mit  Bemerkungen  zurückzuschicken: 

1.  Wie  die  Gänge  fallen  und  streichen, 

2.  Von  der  Beschaffenheit  unserer  Erde  überhaupt, 

3.  Wie  die  Erze  brechen, 

4.  Proben  meiner  Vorschriften. 

So  ist  dermalen  die  Lage  des  Instituts,  das  erst  seit  kaum 
4  Monaten  existiert.  Es  ist  ein  bloßer  roher  Versuch.  Auch 
habe  ich  es  vielleicht  mehr  geschildert,  wie  es  sein  sollte,  als 
wie  es  auf  dem  Wege .  ist  zu  werden.  Fünffacher  Unterricht 
wird  freilich  schon  erteilt,  aber  noch  nicht  regelmäßig,  weil 
die  Anweisungen  noch  fehlen^  auch  bei  meinen  andern  Geschäften 
(so  gern  ich  mich  auch  der  Sache  unterziehe)  erst  gegen  den 
nächsten  Winter  fertig  sein  können.  Bis  dahin  helfen  wir 
uns  durch  Auszüge  aus  älteren  Schriften,  aus  Lampes  berg- 
männischem Rechenbuch^  dem  Freyberger  bergmännischen 
Kalender,  Mitterpachers  physikalischer  Erdbeschreibung,  Geylers 
physikalischem  Wörterbuch,  dem  Art.  vom  Bergbau^  Dingel- 
städt  von  der  Zimmerang,  Gmelins  Geschichte  des  deutschen 
Bergbaus  u.  s.  w. 

Hält  es  Ein  Hochlöbl.  kgl.  Oberbergdepartement  für  ratsam, 
den  Fortgang  des  Institats  auf  kgl.  Kosten  zu  wagen,  so  über- 
gebe ich  diesen  kleinen  Anfang  gern  der  öffentlichen  Direktion. 
Bttcher>  Vorschriften,  Fossilien  fordere  ich  nicht  wieder.  Was 
ich  gehorsamst  erstattet  bitte,  sind  bloß: 


•)  t  30.  I.  1S30,  G6  Jahre  alt. 


-    US    - 

14  Flor  8  kr  für  Schreinerarbeit 
2  Flor  10  kr  far  Buchbinderarbeit, 
ivofur  die  Beläge  akkladiert  sind.  Bei  den  vielen  Arbeiten,  die 
der  junge  Schulmeister  Spörl  bisher  mit  so  vielen  Knaben  ge- 
habt, ist  eine  Remuneration  von  jährlich  40  Flor,  fränkisch  und 
2  Klafter  Brennholz,  gewiß  sehr  mäßig.  Ich  wage  es  daher 
ganz  gehorsamst  darauf  anzutragen: 

dem  Georg  Heinrich  Spörl  wegen  seiner  bisherigen 
rühmlichst  bewiesenen  Tätigkeit  den  Titel  „Lehrer  bei 
der  kgl.  freien  Bergschule  zu  Stehen^  beizulegen  und 
ihm  alljährlich  40  Gulden  Frank,  samt  2  Klafter  Brenn- 
holz dergestalt  zu  dekretieren,  daß  selbige  ihm  bereits 
für  das  verflossene  Etatsjahr  1793/94  (laut  Tit.  VI  des 
Nailaer  Stticketats)  bis  I.Juni  1794  gezahlt  werden. 
Die  sämtlichen  Kosten,  welche  die  Bergschule  im  laufenden 
Etatsjahr  verursacht,  betragen  demnach: 

14  Fl  8    kr  für  Schreinerarbeit 
2  Fl  10  kr  für  Buchbinderarbeit 
40  Fl     —    Besoldung  für  den  Lehrer 
~W  FTlS  kr  und  2  Klafter  HolzT 
wovon  50  fl.  laut  Tit.  VI,  der  Rest  aus  dem  Fond  ad  extraord. 
des  Stücketats  gezahlt  werden  können. 

Noch  möchte  ich  gehorsamst  darauf  antragen,  daß  dem 
Bergschullehrer  Spörl  in  dem  Dekret  gesagt  würde: 

man  wolle  seine  förmliche  Instruktion  noch  bis  zum  Herbste 
ausgesetzt  sein  lassen,  weil  dann  erst  die  Bergschule  ihre  völlige 
Einrichtung  erhielte. 

Humboldt. 


Der  vorstehende  Bericht  wurde  im  Jahre  1866  zum 
97.  Jahrestag  der  Geburt  des  großen  Forschers  durch  Löwen- 
berg in  einer  Tageszeitung  veröffentlicht.  Er  kam  dem  Ver- 
fasser dieser  Zeilen  nur  in  Form  eines  Ausschnittes  unter  die 
Hände.  Das  ursprüngliche  Dokument  war  nicht  mehr  aufzu- 
finden, ebensowenig  die  Belehrungen,  welche  Humboldt  für 
seine  Stebener  Freischule  zusammengestellt  hat.  Dagegen  ver- 
schafften die  diesbezüglichen  Nachforschungen  einige  Briefe  aus 
dem  Jahre  1795,  die  hier  anhangsweise  folgen,  denn  sie  geben 


—    144    - 

einen  Einblick,  wie  anregend  Humboldts  Einfluß  auf  seine  Um- 
gebung gewirkt  hat.  Herrn  Bürgermeister  Kockelroann  in 
Steben,  der  mir  diese  Briefe  leihweise  ttberließ,  sei  an  dieser 
Stelle  bestens  gedankt. 

Bergmeister  Eillinger  in   Goldkronach   an   den   Hofrat 
Strauch  in  Schleiz. 

Ooldkronarhy  den  2S.  März  1793 

Woklgebomer  Herr, 
Hocfnuverehre7ider  Herr  Hofrat  c&  Berg- Direktor, 
des  regierenden  Herrn  Orafen  xu  Schleix,  Hoehgräfl.  Ex- 
cellenx  Ansuchen  an  unsern  Oberbergmeister  Herrn  v.  Humboldt 
gemäfsy  Höchstdenselben  einen  Bergoffidayiten  hiesiger  Fürsten- 
tümer XU  schicken,  welcher  ein  Outachten  über  die  Sehmelx- 
Würdigkeit  der  Schleifer  Kupfererxe  abgeben  soll,  habe  die  Ehre 
Ew.  Wohlgebo7'en.  gehorsamst  xu  benachrichtigen,  dafs  ich  vom 
Herrn  Oberbergmeister  ro?i  Humboldt  die  Anfrage  bekommen, 
ob  ich  mich  diesem  Geschäfte  unterxiehen  wollte,  worein  ich  auch 
sogleich  tvilligte.  So  sehr  ich  nun  auch  tvünschte,  diesen  Auf» 
trcuf  lor  Osterei  erfüllen  xu  können,  so  hielt  mich  doch  die  Auf- 
bereitung und  Untersuchung  der  Scfimelx  Würdigkeit  der  Fürsten- 
xecher  Oold-  und  Silbererze  fliesiger  Revier  länger  auf,  als  ich 
vermutete,  wodurch  ich  also  erst  im  Stande  bin,  den  Tag  nach 
denen  Osterfeiertagen,  als  den  S'***  April  von  hier  abxurei^en  und^ 
den  9^^  in  Schleix  einxutreffen.  Indes  hohe  die  Ehre  mit  der 
ausgexeichnctsten  Hochachtung  xu  verharren 

Euer  Wohlgeboren 

gehorsamster  Diener 

Fr,  Killinger, 

A.  V.  Humboldt  an  den  Hofrat  Strauch  in  Schleiz. 
Sr,   Wohlgeboren 
dem  Herrn  Hofrat  Strauch  m  Schleix, 

Bayreuth,  den  15.  Juni  1795 
Wohlgeborefier  Herr, 
Hochgeehrtester  Herr  Hofrat, 
Es  ist  mir  eine  lebhafte  Freude  getvesen,  xu  sehen,  dafs  des 
Reg.  Herrn  Reichsgrafeu  Excellenx  soicohl,  als  Ew.  Wohlgeborcfi 


-    145    — 

mir  Ihre  Zufriedenheit  über  die  Sendung  des  Herrn  Killinger 
bezeugt  haben.  Je  wichtiger  Ihr  Bergbau  mir  xu  sein  scheint, 
desto  behutsamer  mufs  man  freilich  auch  in  der  Anlage  einer 
Hütte  sein.  Ob  ich  gleich  überzeugt  bin^  dafs  Herr  Killinger 
ruich  seinen  gründlichen  Oemisch-kenntnissen  ll^7ien  tmchiige 
Aufschlüsse  über  die  Zugutniachung  Ihrer  Erxe  geben  tvird,  so 
bin  ich  doch  unparteiisch  genug,  selbst  in  Ihren  Vorschlag,  ein 
auswärtiges  Hüttenamt  xu  befragen,  einzugehen.  Ich  schlage 
Ihnen  dazu  das  K,  Pr.  Oberbergamt  zu  Stolzenburg  vor,  welches 
Ihren  Wunsch  gern  befriedigen  unrd,  und  da  ich  das  Olück  habe, 
mit  einigen  Gliedern  desselben,  dem  Herrn  Oberbergrat  Bückling, 
dem  Herrn  Bergrat  und  Oberbergmeister  Gerhardt  in  Verbindung 
:xu  stehen,  so  wird  das  Beilegen  dieser  Zeilen  Ihnen  zur  Em- 
pfehlung dienen.  Ich  darf  Ew,  Wohlgeboren  nicht  eri.nnern, 
dem  Kgl.  Oberbergamt  hauptsächlich  E?'xsorten  beixtilegen,  nach 
deren  Natur  auf  den  Schmelxproxefs  im  Qesteiii  geschlossen^ 
werden  kann. 

Der  Bericht  des  Fleischer  selbst  ist  unter  aller  Kritik  U7id 
macht  mir  selbst  von  seinen  praktischen  Ken7itnissen,  zu  denen 
doch  immer  Deutlichkeit  und  Klarheit  der  Ideen  gehört,  wenig 
Zutrauen,  Er  ist  recht  getreu  aus  Schlüters  Hüttenbuch  zu- 
sammengeschrieben und  nirgends  auf  kleine  Proben,  auf  die 
Quantität  der  Erze,  auf  die  xu  rechnen  ist,  auf  ihre  Schmelz- 
barkeit  Rücksicht  geglommen.  Von  darren  Saigern  und  Garmachen 
finde  ich  gar  nichts  und  das  Saigern  mufs  doch  in  einem  Ofen 
geschehen.  Aber  es  gibt  Menschen,  die  besser  handeln  als  schreiben. 
Ich  wünsche,  dafs  Herr  Fleischer  von  dieser  Art  sei.  Ohne  Über- 
schläge aber  geht  man  in  Betrieben  nirgends  sicher.  Ich  Irin  in 
diesen  Taigen,  da  ich  ebeii  von  der  Generalbesehung  der  Wun- 
Siedler  Revier  zurückkomme,  und  tHr  mit  der  Goldkronacher 
Amalgamation  beschäftigt  sind,  so  xers freut,  dafs  ich  hier 
schliefsen  mufs. 

Ich  bitte  Euer  Wohlgebore?i,  mich  dem  Herrn  Grafen  unter- 
tänig zu  empfehlen  und  bin  mit  ausgezeichneter  Hochachtung 

Eu£r  Wohlgeboren 

gehorsamster 

Humboldt, 


Sitsungaberlehte  der  phya.-ined.  Sos.  89  (1907).  10 


—    146    — 

Bergmeister  Killinger  in  Goldkronach  an  Hofrat  Stranch 
in  Schleiz. 

Ooldkronach,  den  25,  Juni  1795 

Wohlgeborener  Herr, 

Insonders  hochxuehrender  Herr  Hofrat  und  Bergdirektor, 

Ew.  Wohlgeboren  drücken  sich  voUkomme7i  passend  aus, 
wenn  dieselben  sagen,  dafs  sieh  bei  der  xuriickfolge?iden  Arbeit 
von  Flfeischer]  nichts  besseres  erwarten  läfst.  Indessen  zweifle 
ebensosehr,  denn  sonst  würde  er  in  seiner  ohnedies  möglictist 
schlechten  Arbeit  doch  das  Saigern  der  Kupfererze  und  das  Ab- 
treibest nicht  gänzlich  übergangen  haben :  auch  ist  mir  unbegreif- 
lich, ude  dieser  Mann  die  Bearbeitung  getvisser  Erze  bestimmen 
ivill,  deren  Oehalt  er  noch  nicht  einmal  kennt  und  als  Hütten- 
•mann  nicht  einfnal  selbst  probieren  kann.  So  lange  Hot  Fl^scker 
dem  künftigen  Betrieb  der  Hütte  vorstehen  soll,  erscheinen  mir 
alle  Anmerkungen  überflüssig,  weil  —  soviel  ich  für  mich  über- 
zeugt bin  —  er  solchen  nicht  versteht,  und  nie  Kupfererze  hat 
schmelzen  sehen,  am  wenigsten  selbst  geschmolzen  hat,  daher  auch 
die  Anmerhmgen  nicht  verstehen  kann.  Ich  fürchte  daher  sehr, 
dafs  selbst  der  Bergbau  —  des  guten  Ausfalls  der  Proben  ohn- 
geachtet  —  unter  einem  schlechten  Hüttenbetrieb  leiden  möchte. 
Mein  Rat  wäre  der,  dafs  Euer  Wohlgeboren  suchten  einen  Kupfer- 
und  Silberhüttenmann,  vielleicht  aus  Preusischen  Landen  zu 
bekommen,  deren  es  auf  verschiedenen  Hütten  doch  immer  ge- 
schickte mitunter  gibt,  die  gerne  weiter  zu  komfnen  wünschen. 
Bevor  die  Hütte  vollendet  wird,  scheint  es  mir  doch  wohl  not- 
wendiger zu  sein,  zuvor  das  Pochwerk  zu  bauen,  oder  hat  Herr 
Fleischer  vielleicht  gar  Lu^st,  die  Erze,  toie  sie  aus  der  Erde 
kommen  und  ohne  alle  Aufbereitung  zu  verschmelzen? 

Mein  Berieht  über  die  Schleifer  Revier  ist  vollendet  U9id 
werde  ihn  ehester  Tage  an  Herrn  Oberbergrat  v,  Humboldt  schicken. 
Meine  zeitherige  Reise  mit  Herrn  v,  Hfumboldi],  dessen  baldiger 
Weggang  von  hier,  die  neu  anzufertigenden  Rechnungen  und 
Betriebspläne  und  dergl,  Veränderungen  waren  Ursache,  dafs  ich 
mein  Gutachten  nicht  ehender  als  jetxt  vollenden  konnte,  weshalh 
ich  recht  sehr  um  Verzeihung  bitte.  Beifolgender  Bericht  von 
Herrn  v.  HfumboldtJ  wird  auch  dessen  Outachten  entlmUen, 
Hätte  Fleischer  zum  we?iigsten  nur  Schlüters  Hüttenwesen  nach- 


—    147    — 

gelesen^  so  würde  er  s-ich  doch,  ob  er  gleich  alt  ist,  noch  mancherlei 
Rats  daraus  erholt  haben.  Dem  regierenden  Herrn  Orafen  und 
Ihro  Durchlaucht  bitte  gehorsamst,  mich  untertänigst  xu  empfehlen, 
ingleichen  aveh  dero  Frau  Gemahlin  und  werten  Familie  meine 
gehorsamste  Empfehlung  abzustatten,  Denenselben  aber  habe  die 
Ehre  xu  versichern,  dafs  ich  mit  besonderer  Hochachtang  verharre 
Euer  Wohlgeboren  ergebenster  Diener 

Fr,  Killinger. 

A.  V.  Humboldt  an  Hofrat  Strauch  in  Scbleiz. 

Bayreuth,  20.  Nov.  1795 

Die  freundschaftliche  Oeioogenheit,  init  der  Ew.  Wohlgeboren 
mir  bereits  mehrmals  geschrieben,  läfst  mich  hoffen,  dafs  Sie  und 
des  Herrn  Orafen  Excellenx  es  mir  verzeihen^  wenn  ich  es  wage, 
Urnen  einen  meiner  Freunde,  Herrn  Freiesleben  aus  Freyberg 
xu  etnp fehlen. 

Ich  habe  7nit  diesem  erfahre?ien  und  gelehrten  Bergmann 
eine  Reise  durch  die  Schweix  gemacht  und  er  wünscht  auf  seiner 
Heise  nach  dem  Erzgebirge  Ihre  schänen  Schleixer  Gruben  be- 
sehen xu  dürfen. 

Ich  bin  stolz  genug  xu  glauben,  dafs  meifie  Fürsprache  ihm 
bei  Ihnen  nütxlich  und  dafs  Sie  ihm  gern  Gelegenheit  verschaffen 
werden,  sich  seinen  Schleixer  Aufenthalt  nütxlich  xu  machen. 

Darf  ich  Sie  um  die  Gewogenheit  bitten,  mich  dem  Herrn 
Reichsgrafen  Excellenx  untertänigst  xu  empfehlen  und  von  den 
Gesinnungen  der  dankbarsten  Hochachtung  überxeugt  xu  sein, 
mit  denen  ich  verharre 


Ew.  Wohlgeboren 


gehorsamster 

Humboldt 
K,  Pr.  Oberbergrat, 


In  dem  jüngst  erschienenen  trefflichen  Werk  Hartungs 
„Hardenberg  und  die  preußische  Verwaltung  in  Ansbach-Bay- 
reuth  von  1792—1806"  finden  sich  Seite  236—238  weitere 
Angaben  über  die  Verwaltung  der  Bergwerke  in  jenen  Jahren, 
die  ich  bei  späterer  Gelegenheit  vielleicht  ergänzen  kann. 


10^ 


Ursachen  und  Bekämpfung  der  Säuglings- 
sterblichkeit. 

Akademische  Antrittsrede 
gehalten  am  7.  Dezember  1907. 

Von  Friedrich  Jamin. 

M.  H.!  Zweifach  ist  in  unseren  Tagen  die  Aufgabe  des 
Arztes.  Er  soll,  wie  es  immer  war>  dem  einzelnen  auf  seinen 
Wunsch  Rat  und  Hilfe  bringen.  Diese  individuelle  Seite  der 
ärztlichen  Tätigkeit  überwiegt  bei  weitem,  besonders  in  manchen 
spezialistischen  Disziplinen  mit  ihren  sieht-  und  greifbaren  Er- 
folgen. Ihr  steht  gegenüber  die  generelle  Pflicht  des  Arztes, 
dafür  Sorge  zu  tragen  und  unablässig  daran  zu  arbeiten,  daß  die 
Fortschritte  wissenschaftlicher  Forschung  der  Gesamtbevölke- 
rung —  ob  sie  es  wünscht  oder  nicht  —  in  der  Gesundheits- 
pflege und  in  der  Krankenfürsorge  zu  gute  kommen.  Doch 
bieten  sich  da  dem  ärztlichen  Wirken  nicht  selten  große 
Schwierigkeiten  und  unüberwindlich  scheinende  Hindernisse. 
Vielfach  gilt  es,  alteingewurzelte  Vorurteile  in  allen  Schichten 
der  Bevölkerung  zu  überwinden  und  Meinungen  entgegenzu- 
treten, die  um  so  energischer  verfochten  werden,  als  sie  sich 
auf  frühere  ärztliche  Irrtümer  stützen  können.  Und  doch 
stammen  diese  aus  einer  längst  überwundenen  Periode,  in  der 
in  der  Medizin  auf  Spekulationen  begründete  Vermutungen 
noch  gleichbedeutend  gelten  durften  mit  den  Ergebnissen  einer 
nüchternen  und  kritischen  Naturbeobachtung.  Dank  des  all- 
seitigen Fortbildungseifers  und  der  stetig  sich  vergrößernden 
Aussaat  akademischer  und  praktischer  Belehrung  brauchen  wir 
freilich  nicht  mehr  wie  der  Jenenser  Professor  Baidinger  am 
Ausgang  des  18.  Jahrhunderts  zu  klagen,  daß  es  „zum  Erstaunen 
noch  eine  Menge  solcher  Ärzte**  gebe,   wie   sie  um  200  Jahre 


—    U9    — 

froher  waren.  Sorgt  doch  schon  die  Tagespresse  dafür,  daß 
jeder  bemerkenswerte  Fortschritt  wissenschaftlicher  Erkenntnis 
und  technischer  Fertigkeit  in  der  Medizin  auch  der  Laienwelt 
rasch  —  oft  nur  zu  früh  —  bekannt  wird.  Aber  mit  der 
wachsenden  Zahl  der  Arbeiter  und  mit  der  Verbesserung  der 
Forschungsmethoden,  der  immer  innigeren  Verknüpfung  nicht 
rastender  Kräfte  in  allen  wissenschaftlich  hochstrebenden  Ländern 
ist  das  Tempo  der  Entwicklung  ein  schnelleres  und  damit  der 
Wechsel  der  Meinungen  häufiger  geworden.  So  mag  es  be- 
rechtigt erscheinen,  wenn  der  ärztliche  Praktiker  und  mit  ihm 
der  verständige  feinfühlige  Laie,  die  nicht  in  der  Lage  sind, 
selbst  mit  prüfender  Hand  jedem  Fortschritt  nachzutasten,  mit 
einem  gewissen  Mißtrauen  den  Neuerungen  gegenüber  stehen 
und  auf  die  Erhaltung  dessen  bedacht  sind,  was  ihnen  als 
sicherer  Erfahrungsschatz  dünkt.  Wohl  ist  solches  Verhalten 
besser  als  ein  kritikloses  Vorwärtsstürmen;  doch  dürfen  wir 
nicht  vergessen,  daß  recht  häufig  die  eingesessenen  Anschauungen 
vor  den  sogen,  modemen  wirklich  nichts  mehr  voraus  haben, 
als  ihr  ehrwürdiges  Alter. 

Und  es  gibt  für  die  öffentliche  Gesundheitspfiege  und  für 
die  Krankenfürsorge  Epochen,  in  denen  auf  der  einen  Seite  die 
Not  eine  unerträgliche  Höhe  erreicht,  auf  der  anderen  Seite 
die  Forschung  so  klar  uns  die  Wege  zur  Abhilfe  gewiesen  und 
die  Hilfsmittel  dazu  so  blank  und  brauchbar  bereit  gestellt  hat, 
daß  Kritik  und  Zurückhaltung  nur  mehr  Hemmung  und  Auf- 
enthalt bedeuten,  und  daß  es  Zeit  wird,  mit  allen  Kräften  die 
praktische  Arbeit  aufzunehmen,  ein  jeder  an  seinem  Posten, 
die  Gebildeten  ohne  Ausnahme,  die  Ärzte  voran! 

Solche  Arbeit  hat  ungeahnte  Erfolge  gebracht  in  der  Wund- 
behandlung, in  der  Bekämpfung  der  übertragbaren  Krankheiten, 
in  der  zielbewußten  Verwertung  der  natürlichen  Heilkräfte  des 
menschlichen  Organismus.  Einen  erfreulichen  Beweis  für  diese 
Erfolge  dürfen  wir  im  Deutschen  Reiche  in  dem  wesentlichen 
Rückgang  der  Sterbeziffer  seit  den  70  er  Jahren  erblicken. 
Sie  werden  größer  und  schöner  noch  werden,  je  weitere  Kreise 
der  Bevölkerung  sich  zur  Mitarbeit  und  für  die  notwendigen 
Maßnahmen  der  Krankheitsverhütnng  werden  gewinnen  lassen. 
Auf  ein  ähnliches  Feld  voraussichtlich  fruchtbarer  Betätigung 
wissenschaftlicher  Überzeugung  will  ich  Sie  heute  führen,  das 


-     150    — 

sich  eröffnet  in  den  beklagenswerten  Zuständen  der  Gesundheits- 
pflege der  kleinen  Kinder,  in  der  Bekämpfung  der  enorm  hohen 
Säuglingssterblichkeit ! 

Wenn  ich  Sie  bei  dieser  Gelegenheit  dazu  aufrufen  will, 
vereint  mit  den  in  unserem  Vaterland  gerade  in  den  letzten 
Jahren  wach  gewordenen  Bestrebungen  auf  diesem  Gebiet  an 
die  Erwägung  zweckentsprechender  Maßnahmen  heranzutreten,  so 
wird  es  zunächst  meine  Aufgabe  sein,  den  Schaden  zu  beleuchten, 
den  es  zu  beseitigen  gilt.  Weitaus  die  beste  Belehrung  freilich 
gibt  ein  Einblick  in  die  Verhältnisse  der  Säuglingspflege  in  den 
unbemittelten  Bevölkerungsschichten  und  ein  Vergleich  dessen, 
was  wirklich  für  die  hilfsbedürftigen  Kleinsten  geschieht,  mit 
dem,  was  nur  nach  allgemein  hygienischen  Grundsätzen  für  sie 
geschehen  sollte.  Richtige  Vergleiche  wird  aber  auch  da  nur 
der  anstellen  können,  der  mit  den  Bedürfnissen  der  Säuglinge 
mehr  als  nur  durch  Familientradition  vertraut  ist.  Demjenigen 
aber,  dem  die  Gewinnung  persönlicher  Erfahrung  auf  diesem 
Gebiet  versagt  bleibt,  wird  trotz  aller  Bedenken  gegen  die 
Beweiskraft  der  Zahlen  das  statistische  Material  zu  denken 
geben,  das  wir  den  Erhebungen  unserer  Sanitätsbehörden,  be- 
sonders des  kais.  Keichsgesundheitsamtes,  und  zahlreichen  mühe- 
vollen Einzelforschungen  verdanken. 

Daraus  ersehen  wir,  daß  bis  in  die  letzten  Jahre  fast  regel- 
mäßig im  Deutschen  Reich  von  100  lebendgeborenen  Kindeiii 
schon  im  ersten  Lebensjahr  wieder  rund  20,  also  ein  Fünftel 
gestorben  ist.  Mehr  als  ein  Drittel  aller  Sterbefälle  überhaupt 
betrifft  Kinder  unter  einem  Jahre. 

Daß  es  aber  keineswegs  etwa  so  sein  muß,  lehrt  ein  Ver- 
gleich mit  anderen  Ländern,  in  denen  die  sozialen  und  Rassen- 
verhältnisse kaum  besser  sind  als  bei  uns,  wohl  aber  erfahrungs- 
gemäß die  Sänglingspflege  rationeller  und  vorsichtiger  gehand- 
habt wird.  So  finden  wir  in  Frankreich  eine  Säuglingsmortalität 
von  16®/o,  in  England  14*^/^,  in  Schweden  10^ Iq  der  Lebend- 
geborenen, in  Irland  und  Norwegen  noch  geringere  Zahlen,  und 
nur  Rußland  mit  29®/o  und  Österreich  mit  25*^/o  haben  den 
traurigen  Vorrang  vor  Deutschland. 

Ganz  besonders  ungünstige  Verhältnisse  zeigen  sich  aber, 
wenn  wir  die  Säuglingssterblichkeit  in  unserer  engeren  Heimat, 
in  bayerischen  Landen  betrachten.    Bayern  steht  schon  mit  der 


-     151     — 

darchschnittlichen  Kindersterblichkeit  von  26—28  *^/o  neben  Sachsen 
auch  in  den  letzten  Jahren  noch  an  der  Spitze  der  deutschen 
Bundesstaaten.  Aus  einzelnen  Gebieten  Ober-  und  Niederbayerns 
wird  von  über  40  ®/o  Mortalität  im  ersten  Lebensjahr  und  damit 
von  der  größten  bisher  überhaupt  bekannt  gewordenen  Säug- 
lingsmortalität berichtet.  Dort  geht  also  bei  einer  keineswegs 
den  Durchschnitt  überragenden  Geburtenzahl  fast  die  Hälfte 
der  Kinder  in  den  ersten  Lebensmonaten  wieder  zugrunde. 
Nur  eine  minimale  Besserung  ist  darin  während  der  allerletzten 
Jahre  eingetreten. 

Am  günstigsten  stehen  die  Sterblichkeitsziffern  mit  etwas 
unter  20^0  noch  in  der  Pfalz,  in  Oberfranken  und  ünterfranken  ; 
in  Mittelfranken  haben  wir  auch  in  den  letzten  Jahren  noch 
rund  ein  Viertel  der  Lebendgeborenen  im  Säuglingsalter  verloren. 
Was  im  besonderen  die  Stadt  Erlangen  betrifft,  so  ist  hier  die 
Beurteilung  der  Säuglingssterblichkeit  in  ihrer  wahren  Bedeutung 
für  die  Stadtbewohner  erschwert  durch  die  verhältnismäßig  große 
Zahl  von  Geburten  ortsfremder  Kinder  in  der  Entbindungsanstalt 
der  hiesigen  Frauenklinik,  die  ca.  ein  Drittel  der  Geburten  in 
Briangen  ausmacht.  Berücksichtigt  man  bei  der  Berechnung 
nm*  die  Gesamtzahl  der  Geburten,  so  ergibt  sich  für  die  Stadt 
Erlangen,  ganz  abweichend  von  den  übrigen  mittelfränkischen 
Orten,  ein  auffällig  günstiger  Prozentsatz  der  frühen  Sterbefälle 
mit  12 — lö^/o-  Zieht  man  aber  die  Zahl  jener  Kinder  ab,  die 
bald  nach  der  Geburt  die  Stadt  wieder  verlassen .  so  zeigt  sich, 
daß  auch  in  Erlangen  immerhin  noch  etwa  ein  Fünftel  der 
Kinder  der  Säuglingsmortalität  verfällt. 

Ganz  abgesehen  davon,  daß  wir  keinen  Grund  haben,  für 
die  Bezirke  höchster  Säuglingssterblichkeit  eine  Minderwertig- 
keit der  Rasse  anzunehmen,  geht  aus  weiteren  statistischen 
Nachweisen  klar  hervor,  daß  äußere  Umstände  viel  mehr  als 
innere  Veranlagung  der  Kinder  die  hohe  Mortalität  in  der  ersten 
Lebenszeit  herbeiführen:  so  sind  bekannt  die  Steigerung  der 
Kindersterblichkeit  in  den  Sommermonaten  und  die  sehr  viel 
höheren  Sterbeziffern  der  unehelichen  Kinder  und  der  Kinder 
der  Armen.  Ferner  ist  es  beachtenswert,  daß  gerade  in  den 
am  schwersten  betroffenen  Ämtern  bei  der  Pflege  gesunder  und 
selbst  kranker  Kinder  fast  durchwegs  auf  ärztlichen  Beirat 
verzichtet  wird.    Größer   als  auf  dem'  Lande  ist  in  den  Groß- 


—     152       - 

Städten  die  Zahl  der  frflh  zugrunde  gehenden  Kinder,  wenn 
auch  dank  der  zuerst  in  den  größten  Gemeinden  einsetzenden  öffent- 
lichen Fürsorge  noch  am  deutlichsten  in  dieser  Differenz  allmählich 
eine  Verschiebung  zugunsten  der  Großstädte  zu  beobachten  ist. 
Größte  Bedeutung  kommt  den  Ergebnissen  der  dankenswerten 
Untersuchungen  Boeckhs  und  Westergaards  zu,  die  an  der 
Hand  der  Berliner  Statistik  die  —  fast  möchte  man  sagen  selbst- 
verständlicherweise —  sehr  erheblich  geringere  Sterblichkeit 
der  Brustkinder  im  Vergleich  zu  den  künstlich  ernährten  Kindern 
nachweisen  konnten. 

Würdigt  man  so  die  Statistik  der  Säuglingsmortalität,  so 
könnte  man  fragen,  ob  denn  nun  wirklich  diese  hohe  Sterblich- 
keit eine  nationale  und  soziale  Gefahr  bedeutet!  Wissen  wir 
doch,  daß  bei  uns  in  Deutschland  im  Gegensatz  zu  der  ungünstigen 
Lage  Frankreichs  der  Geburtenüberschuß  über  die  Zahl  der 
Verstorbenen  mit  über  l^o  d^r  Bevölkerung  dennoch  ein  sehr 
erfreulicher,  auch  trotz  einer  geringen  Abnahme  der  Geburten- 
zahl und  dank  der  Verminderung  der  Gesamtsterbeziffer  in  den 
letzten  Jahren  immer  noch  ansteigender  ist?  Müssen  wir  wirk- 
lich die  Dezimierung  der  schwächlichen  Säuglinge  so  lebhaft 
bedauern  und  sie  einzudämmen  suchen,  wenn  wir  sehen,  daß  die 
Bevölkerungszahl  stetig  wächst?  Es  ist  für  den  Arzt  nicht 
schwer,  darauf  die  richtige  Antwort  zu  finden!  Wo  Menschen- 
leben bedroht  sind,  da  ist  es  unsere  Pflicht,  helfend  und'schützend 
einzugreifen,  selbst  dann,  wenn  wir  nicht  voraussagen  können, 
ob  das  gerettete  Leben  für  die  Gesellschaft  noch  nützlich  werden 
kann.  Haben  wir  aber  schon  kein  Recht,  selbst  in  scheinbar 
verzweifelten  Fällen  nach  der  Brauchbarkeit  der  bedrohten 
Menschen  zu  fragen,  wie  viel  weniger  steht  uns  das  zu,  wenn 
wir,  wie  es  bei  den  kleinen  Kindern  tatsächlich  der  Fall  ist, 
gar  nicht  ahnen  können,  was  aus  den  Verlorenen  noch  werden 
könnte;  wenn  wir  schon  aus  der  Massenzahl  der  Opfer  schließen 
können,  daß  darunter  mit  den  Schwächlingen  auch  die  Kräftigen 
und  Besten  fallen  müssen. 

Und  weiter  —  wir  wollen  ja  nicht  nur  die  Mortalität  be- 
kämpfen! Die  Mängel  und  Fehler  sollen  aufgedeckt  und  beseitigt 
werden,  die  eine  derartige  Mortalität  unter  einer  gesunden 
Bevölkerung  ermöglichen  können,  die  außer  den  Todesopfern 
wohl  noch   viel   mehr  Opfer   an  Gesundheit  und  Widerstands- 


-     153     - 

fähigkeit  unter  den  Überlebenden  fordern.  Dazu  gehören  alle 
die  Torheiten  und  Fehlgriffe,  mit  denen  die  Matter  geplagt  und 
die  kleinen  Kinder  gequält  werden,  alle  die  Umstände,  die  bei 
den  Überlebenden  so  häaüg  Anlaß  und  Grundlage  werden  fOr 
jahrelanges  Siechtum,  ffir  Krankheitsnot  und  Krttppelelend.  All 
das  sind  Faktoren,  für  die  wir  in  Ermangelung  einer  genaueren 
Krankheitsstatistik  kaum  einen  schärferen  Maßstab  haben  als 
eben  die  Säuglingsmortalität. 

Mit  dem,  was  wir  zur  Bekämpfung  der  Säuglingssterblich- 
keit tun,  wird  neben  der  Rettung  vieler  unschuldiger  Opfer 
unzweckmäßiger  Kinderpflege  gleichzeitig  überhaupt  erst  die 
Anregung  gegeben  zu  einer  vemänftigen  Gesundheitspflege  der 
kleinen  Kinder.  Das  kann  man  auch  auf  einen  weiteren  Ein- 
wand entgegnen,  der  wie  der  erwähnte  vielleicht  nicht  oft  laut 
ausgesprochen,  aber  wohl  öfters  im  Stillen  von  denen  erwogen 
wird,  die  gern  bei  derartigen  Bestrebungen  beiseite  bleiben 
wollen:  das  ist  die  Meinung,  daß  die  hohe  Kindersterblichkeit 
nur  eine  zweckmäßige  Auslese  im  Kampfe  ums  Dasein  darstelle, 
mit  dem  Endzweck,  ein  um  so  kräftigeres  und  widerstandsfähigeres 
Geschlecht  der  Erwachsenen  heranzuziehen. 

Mit  Recht  ist  Gruber  unter  anderen  aufs  schärfste  dieser 
verkehrten  Anwendung  darwinistischer  Theorien  entgegenge- 
treten, die  uns  glauben  machen  will,  daß  die  kräftigen  und 
widerstandsfähigen  Kinder  mangelhafter  Pflege,  verfehlter  Er- 
nährung und  den  durch  Ansteckung  drohenden  Gefahren  trotzen, 
während  die  schwächeren  dabei  zugrunde  gehen.  So  sollte  eine 
Auswahl  der  Tüchtigsten  zur  Fortpflanzung,  ein  Schutz  der  Rasse 
vor  Entartung  gewährleistet  werden. 

Könnte  die  Säuglingssterblichkeit  wirklich  in  diesem  Sinne 
anter  den  kleinen  Kindern  eine  Auslese  treffen,  dann  mttßte 
man  erwarten,  daß  die  Sterblichkeit  in  den  späteren  Kinder- 
jahren und  im  reiferen  Alter  in  jenen  Gegenden  und  in  jenen 
Bevölkerungsschichten  eine  merklich  geringere  wäre,  wo  sich 
der  Tod  unter  den  Säuglingen  schon  die  meisten  Opfer  geholt 
hat.  Das  ist  aber  keineswegs  der  Fall.  Gerade  in  den  durch 
hohe  Säuglingssterblichkeit  berüchtigten  Gegenden,  wie  in 
manchen  Bezii^ken  des  rechtsrheinischen  Bayerns  ist  auch  die 
Sterblichkeit  des  arbeitsfähigen  Mannesalters  eine  besonders 
hohe.    Die  Minderbemittelten  stellen  ebensogut   zur  Säuglings- 


-     154    — 

inortalität  wie  zur  Sterblichkeit  der  Kindheit  und  der  späteren 
Altersperioden  das  größte  Kontingent.  Die  Großstädte  verlieren 
nicht  nnr  im  ersten  Lebensjahr,  sondein  auch  im  reifen  Alter 
verhältnismäßig  die  meisten  Bewohner.  Ermessen  wir  endlich 
die  Volksgesnndheit  an  dem  Maß  der  Militärdiensttauglichkeit, 
so  können  wir  immer  wieder  den  Nachweis  führen,  daß  die 
Landbezirke  mit  verhältnismäßig  geringer  Kindersterblichkeit 
eine  größere  Zahl  zum  Heeresdienst  tauglicher  Rekruten  zu 
stellen  vermögen  als  die  Oroßstäde.  Um  nur  ein  Beispiel  an- 
zufahren, sei  erwähnt,  daß  gerade  in  der  bayerischen  Rheinpfalz 
mit  der  kleinsten  Säuglingsmortalität  in  Bayern  auch  stets  die 
kleinste  Zahl  der  zum  Militärdienst  Untauglichen  zu  finden  ist. 
Nicht  nur  bei  uns,  auch  in  außerdeutschen  Ländern  bestätigt 
sichs,  daß  fast  immer  gerade  im  Gegensatz  zu  den  Erwartungen 
der  an  geführten  Theorien  günstige  Sterblichkeitsziffern  der  höheren 
Altersklassen  mit  relativ  geringer  Kindersterblichkeit  einher- 
gehen. Es  werden  also  bei  guter  Säuglingsfürsorge  nicht  mehr 
Schwächlinge  erhalten  als  bei  schlechter,  wohl  aber  werden 
lebenskräftige  Kinder  durch  die  mangelhafte  Fürsorge  unnütz 
hinweggerafft,  und  diejenigen,  die  alle  die  Schädlichkeiten  der 
ersten  Lebensperioden  tiberwunden  haben,  werden  für  ihr 
späteres  Dasein  noch  nachteilg  beeinflußt.  Wenn  man  auch 
noch  berücksichtigt,  daß  die  in  den  heißen  Monaten  geborenen 
Kinder  mit  viel  größerem  Prozentsatz  sich  an  der  Mortalität 
beteiligen  als  die  in  den  kalten  Jahreszeiten  geborenen,  so 
kann  man  doch  nicht  mehr  annehmen,  daß  die  Unterliegenden 
entartet  seien  oder  aus  entarteten  Familien  stammen.  Das 
gleiche  gilt  für  die  Unterschiede  zwischen  den  Brustkindern 
und  den  künstlich  ernährten  Säuglingen,  zumal  sich  die  von 
Bunge  vertretene  Lehrmeinung  von  dem  Rückgang  der  Still- 
fähigkeit durch  Entartung,  wie  wir  später  sehen  werden,  nicht 
mehr  aufrecht  erhalten  läßt. 

Nicht  nur  die  Sterblichkeit  infolge  schlechter  Verpflegung 
und  ungünstiger  Ernährungsverhältnisse  hängt  größtenteils  von 
äußeren  Umständen  und  nicht  von  der  angeborenen  Widerstands- 
fähigkeit ab,  auch  die  Sterblichkeit  an  Infektionskrankheiten 
untersteht  äußeren  Zufälligkeiten  der  Möglichkeit  und  Art  der 
Ansteckung,  der  hygienischen  Verhältnisse  und  wiederum  der 
Ernährungsweise.    Dabei  sind  aber  die  für  die  späteren  Lebens- 


—     155    — 

Zeiten  gefährlichsten  Infektionskrankheiten  für  die  jQngsten 
Kinder  nur  von  verhältnismäßig  geringer  Bedeutung:  Mehr  als 
ein  Drittel  aller  Säuglinge  stirbt  an  Magen-  und  Darmkrankheiten, 
nur  ca.  2^^  ^^  entzündlichen  Krankheiten  der  Atmungsorgane, 
darunter  auch  Diphtherie  und  Krupp  (37oo)- 

Man  darf  demnach  als  sicher  behaupten,  daß  die  hohe  Säug- 
lingsmortalität uns  nicht  von  nützlicher  und  artfördernder  Aus- 
lese spricht.  Sie  ist  vor  allem  anderen  der  Ausdruck  einer 
mit  allem  Nachdruck  zu  bekämpfenden  Nachlässigkeit  in  der 
Pflege  und  Ernährung  der  Neugeborenen  und  Säuglinge. 

Wer  da  Wandel  und  Besserung  schaffen  will,  wird  nach 
den  Ursachen  fragen  müssen,  die  es  bedingen,  daß  das  Kind 
im  ersten  Lebensjahr  ganz  besonders  schwer  unter  ungünstigen 
hygienischen  Verhältnissen  zu  leiden  hat.  Im  allgemeinen  be- 
kannt, werden  sie  doch  vielfach  nicht  nur  in  schlecht  unter- 
richteten Kreisen  praktisch  zum  mindesten  nicht  in  ihrer  vollen 
Bedeutung  gewürdigt.  Jeder  sieht,  daß  ein  Säugling  ein  hilf- 
loses, auf  die  mütterliche  Fürsorge  verwiesenes  Wesen  ist,  aber 
nicht  jeder  beachtet  es,  daß  die  kleinen  Kinder  monatelang 
nach  ihrem  Eintritt  ins  Leben  auch  gegen  scheinbar  harmlose 
oder  geringfügige  Einwirkungen  der  umgebenden  Welt  in  viel 
geringerem  Grade  widerstandsfähig  sind  als  die  Erwachsenen. 
Diese  schützt  vor  der  Mehrzahl  der  Beschädigungen  die  erstaun- 
liche Resistenz  der  Körperbedeckung,  der  Haut.  Gerade  die 
Haut  ist  aber  beim  Säugling  so  zart  und  leicht  verletzlich,  daß 
sie  durch  die  geringsten  traumatischen  Einflüsse,  wie  durch  den 
Druck  der  Kleidung,  schwer  beschädigt  werden  kann  und  auch 
chemischen  Einwirkungen,  der  Mazeration  durch  die  Körper- 
sekrete, der  Benachteiligung  durch  eingreifende  Reinigungsmittel, 
Puder  und  Salben  leicht  unterliegt.  Viel  mehr  auch  als  beim 
Erwachsenen  ist  die  Haut  des  Säuglings  dem  Eindringen  von 
Krankheitskeimen  zugänglich,  wie  die  betrübenden  Erfahrungen 
mit  dem  äußerst  ansteckenden  Pemphigus  der  Säuglinge,  mit 
der  hartnäckigen  Furunkulose  eindringlich  lehren.  So  kommt 
es,  daß  es  schon  einer  ganz  besonders  sorgsamen  Pflege 
bedarf,  wenn  das  Kind  in  den  ersten  Monaten  ganz  frei 
von  Hautkrankheiten  bleiben  soll.  Diese  sind  um  so  folgen- 
schwerer, als  die  Haut  des  kleinen  Kindes  mit  seiner  im 
Vergleich   zum    Erwachsenen    2— 3mal   größeren  Körperober- 


—     156    — 

fläche  wichtige  Funktionen  im  Energiehanshalt  des  Organismus 
zu  leisten  hat. 

Wohl  noch  bedeutungsvoller  ist  beim  Säugling  die  geringe 
Widerstandsfähigkeit  der  Schleimhäute,  besonders  der  At- 
mungs-  und  Verdauungsorgane^  die  viel  leichter  als  beim  Erwach- 
senen zur  Eingangspforte  für  Erankheitsstoffe  werden.  Rechnet  man 
dazu,  daß  der  Säugling,  sobald  er  der  Teilnahme  an  den  Schutz- 
stoffen des  mütterlichen  Blutes  entbehren  muß,  auch  nur  in 
verhältnismäßig  sehr  geringem  Grade  die  Fähigkeit  besitzt,  aus 
Eigenem  Schutzstoffe  gegen  die  von  Krankheitserregern  erzengten 
Gifte  und  gegen  die  Infektionskeime  selbst  zu  bilden,  so  wird  es 
begreiflich,  daß  das  Kind  in  den  ersten  Lebensmonaten  als  ein 
besonders  günstiger  Nährboden  für  pathogene  Keime  jeder  Art 
durch  jede  Infektion  im  höchsten  Grade  gefährdet  ist.  Nnr  zu 
häufig  schließt  sich  der  Infektion  der  Nabelwunde  oder  an  der 
Haut  und  den  Schleimhäuten  ohne  die  beim  Erwachsenen  and 
beim  älteren  Kinde  gewohnten  Zwischenstufen  der  Lymphgang- 
und  Lymphdrüsenentzündung  die  verderbliche  allgemein  septische 
Erkrankung  an. 

Diese  Minderwertigkeit  wird  nun  oft  noch  gesteigert  durch 
Störungen  in  der  Ernährung.  Ganz  allgemein  gesprochen  ge- 
staltet sich  die  Ernährung  in  den  frühesten  Lebensstadien  des- 
halb besonders  schwierig  und  ist  so  häufig  der  Anlaß  zu 
Störungen  und  Krankheit,  weil  im  Verhältnis  zum  Erwachsenen 
und  zum  heranwachsenden  Kinde  beim  Säugling  viel  höhere 
Ansprüche  an  die  Ernährung  einer  viel  geringeren  Anpassungs- 
fähigkeit an  die  verschiedenen  zur  Verfügung  stehenden  Nähr- 
stoffe,   einer  schwächeren  Verdauungsarbeit  gegenüber  stehen. 

Die  früher  vielfach  vertretene  Meinung,  daß  das  verhältnis- 
mäßig große  Nahrungsbedürfnis  der  kleinen  Kinder  durch  das 
rasche  Wachstum  in  den  ersten  Monaten  bedingt  sei,  läßt  sich  nach 
den  vielseitigen  und  zielbewußten  Untersuchungen  Camerers, 
Rubners  und  Heubners  nicht  mehr  ganz  halten.  Sie  haben 
uns  gelehrt,  das  Nahrungsbedürfnis  des  Säuglings  nicht  nur 
nach  der  chemiscli-physiologischen  Seite,  sondern  in  Berück- 
sichtigung des  Kraftwechsels  des  Kindes  zu  betrachten.  Die 
Bestimmung  des  Verbrennungswertes  der  Zufuhr  und  Ausfuhr, 
die  Verwendung  des  Energiequotienten  Heubners,  d.  h.  des 
Kalorienbedarfs  pro  Kilo  Körpergewicht,  hat  nicht  nur  theore- 


-    157    — 

tisch  interessante  Aufklärung  in  die  Beobachtung  gesunder  und 
kranker  Kinder  gebracht,  sondern  auch  praktisch  brauchbare 
Anhaltspunkte  für  die  Säuglingsernährung  geboten.  Bei  Unter- 
suchungen an  Kindern  in  der  10.  Lebenswoche  fanden  nun 
Heubner  und  Rubner,  daß  das  Kind  zwar  pro  Kilo  Körper- 
gewicht einen  dreimal  höheren  Kalorienbedarf  hat  als  ein  Er- 
wachsener, daß  aber  nur  etwa  9^0  d^i'  zugeftthrten  Energie  in 
Form  des  Anwuchses  im  kindlichen  Körper  zurückbleiben.  Drängt 
sich  angesichts  solcher  Beobachtungen  die  Annahme  auf,  daß 
die  üi'sache  des  relativ  großen  Nahrungsbedarfs  in  Besonder- 
heiten des  kindlichen  Körpers  zu  suchen  ist  und  nicht  nur  im 
Zuwachs,  so  findet  sich  dafür  auch  eine  Erklärung,  wenn  man 
berücksichtigt,  daß  die  in  annähernd  gleichem  Verhältnis  größere 
Hautoberfläche  des  Kindes  durch  die  größere  Wärmeabgabe  auch 
den  größeren  Energieverbrauch  bedingt.  Auch  konnte  Bubuer 
im  exakten  Vei*$:uch  bei  Hunden  tatsächlich  nachweisen,  daß 
die  Kohlensäureausscheidung  verschiedener  Tiere  gleich  groß 
war,  berechnet  auf  die  Einheit  der  Körperoberfläche,  sehr  ungleich 
dagegen  bei  Berechnung  auf  die  Körpergewichtseinheit,  mit  anderen 
Worten,  daß  die  relative  Größe  des  Nahrungsbedarfs  abhängig 
ist  von  der  relativen  Größe  der  Körperoberfläche. 

Im  Verhältnis  zu  dem  durch  die  relativ  große  KöiT)erober- 
fläche  gesteigerten  Energie-  und  Nahrungsbedarf  und  zu  den 
durch  den  Zuwachs  bedingten  Erfordernissen  machen  sich  beim 
gesunden  Kinde  die  durch  Verdauungsarbeit  und  Muskeltätig- 
keit gestellten  Anforderungen  nur  wenig  geltend.  In  den  späteren 
Wochen,  in  denen  das  Kind  beweglicher  wird,  treten  sie  um 
ein  Gei-inges  mehr  hervor  als  in  der  ersten  Lebenswoche,  in 
der  die  in  dieser  Hinsicht  vom  Kinde  geleistete  Arbeit  noch 
eine  minimale  ist.  Sehr  viel  mehr  und  in  einer  für  die  Beur- 
teilung des  Kostmaßes  sehr  erschwerenden  Weise  machen  sich 
die  Faktoren  der  Darmtätigkeit  und  der  Muskelunrnhe  aber 
geltend,  wenn  die  Säuglinge  infolge  von  unvorteilhafter  Er- 
nährung, Überlastung  des  Darms  und  Krankheitszuständen  un- 
ruhiger werden  und  viel  schreien  und  so  auf  anderem  Wege 
zu  einem  größeren  Stoffverbrauch  und  stärkerer  Wasserverarmung 
kommen. 

Die  verschiedenartigen  vom  Verhalten  des  Erwachsenen 
abweichenden  Ansprüche  des  Säuglings   an   die  Ernährung  in 


-     158    - 

bezug  aaf  Erhaltung  des  Körperbestands,  Zuwachs  und  Energie- 
verbrauch im  Wärmehaushalt  bedingen  auch  ein  besonders  ab- 
gestimmtes Ausmaß  der  Nährstoffe,  je  nachdem  sie,  wie  Eiweiß 
und  Mineralstoffe^  mehr  dem  Aufbau  des  Körpers  oder  als 
Energiespender  und  Ersatzstoffe,  wie  Fette,  Kohlehydrate  und 
Wasser,  zu  dienen  haben.  Entsprechend  ist  pro  Kilo  Körper- 
gewicht der  Eiweißbedarf  des  Säuglings  nur  recht  wenig  höher 
als  der  des  Erwachsenen,  während  der  Bedarf  an  Fett  den 
fünffachen,  an  Wasser  den  vierfachen,  an  Kohlehydraten  den 
doppelten  Betrag  der  für  den  Erwachsenen  gefundenen  Weite 
einnimmt. 

Bei  all  diesen  großen  Ansprächen  ist  die  Leistungsfähigkeit 
des  Säuglings  in  der  Vorbereitung  der  Nahrung  im  Verdauungs- 
trakt;  in  deren  Verarbeiten,  Aufsaugen  und  Umbilden  nur  eine 
recht  beschränkte,  wenn  auch  frühzeitig  der  Darmkanal  sogar 
in  besonderer  Länge  mit  allen  zugehörigen  Drüsenfunktionen 
ausgebildet  ist.  Das  geht  aus  allen  Beobachtungen  an  Säug- 
lingen hervor,  daß  auch  ein  nur  geringes  Abgehen  von  der 
natürlichen  Zusammensetzung  und  Beschaffenheit  der  Nahrung 
allzuleicht  und  fast  sicher  zu  schweren  und  nachhaltigen 
Schädigungen  der  Gesundheit  führt. 

Demnach  wird  sich  die  Säuglingsfürsorge  vor  allem  nach 
zwei  Richtungen  hin  zu  betätigen  haben :  im  Schutze  der  Kinder 
vor  Infektionen  und  in  der  Beschaffung  einer  der  Schwäche  und 
den  großen  Bedürfnissen  des  Säuglings  angepaßten  Ernähinng. 

Die  Behütung  vor  Ansteckung  wird,  abgesehen  von  den 
im  folgenden  zu  erwähnenden  Infektionen  des  Verdauungskanals, 
am  besten  wahrgenommen  durch  eine  nach  den  Regeln  der 
Asepsis  geleitete  Säuglingspflege,  wie  sie  in  modernen  Säuglings- 
anstalten gehandhabt  wird  und  erlernt  werden  kann.  Man  geht 
kaum  zu  weit,  wenn  man  verlangt,  daß  der  Körper  des  Säug- 
lings und  besonders  des  Neugeborenen  ebenso  als  ein  Noli  me 
längere  betrachtet  werden  soll  wie  vom  Chirurgen  eine  frische 
Wunde  oder  eine  offene  Körperhöhle.  Wenn  auch  nicht  immer 
die  Infektionsmöglichkeit  eine  so  große  ist  wie  in  den  Findel- 
häusern mit  ihrer  Ansammlung  gesunder  und  kranker  Kinder, 
die  in  der  vorantiseptischen  Zeit  ähnlich  große  Opfer  an  septischen 
Erkrankungen  forderten  wie  die  Entbindungsanstalten,  so  bleiben 
doch  die  meisten  Erwachsenen  mit  ihren  Händen  und  mit  der 


—     159    — 

Flora  ihrer  Mund-  and  Nasenrachenschleimhaut  für  den  Säug- 
ling Erankbeitsträger.  Natürlich  gilt  das  ganz  besonders  in 
Zeiten  epidemischer  Krankheiten;  die  Erfahrungen  von  der  jttngst 
vergangenen  Oenickstarreepidemie  geben  dafür  erschreckende 
Beispiele. 

Darum  ist  die  größte  Reinlichkeit  und  die  größte  Zurück- 
haltung mit  Zärtlichkeiten  für  alle  geboten,  die  mit  den  kleinen 
Kindern  in  Berührung  kommen  müssen,  während  die  übrigen 
den  Körper  des  kleinen  Kindes  als  ein  unantastbares  Heiligtum 
zu  betrachten  haben.  Fernhaltung  der  Infektionserreger  ist  viel 
wichtiger  als  die  Reinigung  etwa  der  Mundhöhle  des  Säuglings, 
die  mit  Recht  jetzt  wegen  der  Gefahr  einer  Schleimhautver- 
letzung und  dadurch  hervorgerufener  hartnäckiger  Mundkrank- 
heiten verpönt  wird.  Aus  gleichen  Gründen  ist  es  widersinnig, 
das  Kind  an  den  Gebrauch  des  sogen.  Schnullei*s  zu  ge- 
wöhnen. Er  kann  auch  bei  sorgfältigster  Behandlung  unmög- 
lich aseptisch,  d.  h.  keimfrei  gehalten  werden  und  hat  zudem 
noch  den  Nachteil,  daß  er  die  für  die  Saugarbeit  so  notwendige 
Muskulatur  des  Kindes  unnütz  und  zur  Unzeit  ermüdet. 

Für  die  Ernährung  des  Säuglings  aber  gibt  es  kein 
Mittel,  das  allen  Ansprüchen  an  Keimfreiheit,  an  chemische 
Znsammensetzung  und  biologische  Eigenschaften,  an  Qualität 
und  Quantität  so  vollkommen  entspricht  als  die  Muttermilch. 
Sie  fahrt  dem  Säugling  zu,  was  er  zu  seiner  Erhaltung,  zu 
gedeihlichem  Wachstum  und  für  seine  Arbeit  und  innere  Er- 
wärmung braucht,  ohne  ihn  unnötig  mit  Verdauungsarbeit  zu 
tiberlasten.  Sie  gibt  ihm  Wasser  und  Nährstoffe  im  richtigen 
Verhältnis,  ohne  die  Gefahr  einer  Infektion  des  empfindlichen 
Verdauungskanal  zu  bergen,  wenn  man  von  ganz  seltenen  und 
nur  vom  Arzte  erkennbaren  Ausnahmefällen  absieht.  Nach 
neueren  Untersuchungen  leistet  sie  aber  noch  mehr:  Mit  der 
Muttermilch  wird  dem  Kinde  eine  artgleiche,  lebende  Flüssig- 
keit, ein  weißes  Blut  einverleibt,  deren  Nährstoffe  seinen  Zellen 
nur  physiologische  Reize  bieten  und  darum  leichter  verarbeitet 
werden.  Zudem  bringt  sie  eine  Reihe  von  fermentativen  Eigen- 
schaften mit,  die  bei  der  Verdauungsarbeit  helfen  können,  und 
tiberliefert  dem  Kinde  spezifische  Schutzstoffe  gegen  Infektionen 
ans  dem  Bestand  der  Mutter,  und  damit  wird  sie  zu  einem 
rechten  Schutz-  und  Heilmittel. 


-     160    - 

Aach  quantitativ  trifft  die  Ernährung  an  der  Mutterbrust 
meist  gerade  das  richtige.  Das  liegt  an  den  merkwürdigen 
Wechselbeziehungen  zwischen  Brustdrttsenfunktion  und  Nahrungs- 
bedttrfnis  des  Kindes.  Sie  sind  von  größter  Bedeutung  für  die 
Überwachung  und  insbesondere  die  Erhaltung  des  Stillgeschäftes 
während  der  Zeit,  in  der  ein  Säugling  dessen  bedarf,  also 
mindestens  während  des  ersten  Halbjahrs  seines  Lebens.  Die 
Milch  ist  das  Produkt  einer  Drtis^ensekretion.  Noch  haben  wir 
nicht  genügend  die  Einflüsse  kennen  gelernt,  die  in  eigenartiger 
Beziehung  zu  den  Vorgängen  in  den  Genitalorganen  die  Drüsen- 
zellen der  Mutter  zur  Bereitung  der  an  Eiweiß,  Zucker  und 
besonders  Fett  reichen  Milch  aus  den  Blut-  und  Lymphsäften 
des  Körpers  anregen.  Doch  wissen  wir,  daß  die  Erhaltung  und 
Fortdauer  dieser  abscheidenden  Tätigkeit  abhängig  ist  von  der 
Entfernung  des  Sekrets  und  von  einem  nervösen  reflektorischen 
Vorgang,  der  durch  die  mit  der  Saugarbeit  des  Kindes  an  der 
Brustwarze  gesetzten  Reize  ausgelöst  wird.  Sobald  das  Sekret 
der  Brustdrüse  gar  nicht  mehr  oder  zu  wenig  in  Anspruch  ge- 
nommen wird,  verändert  sich  sofort  die  Milch.  Es  treten  von 
neuem  die  anfangs  reichlich  vorhandenen  Kolostrumkörperchen 
auf,  bewegliche  Zellen,  die  sich  mit  den  Bestandteilen  der  Milch 
und  den  Fettröpfchen  beladen  und  sie  wieder  in  die  Körper- 
säfte zurückleiten.  Ist  dieser  Rückbildungsprozeß  einmal  im 
Gang,  so  dauert  es  auch  nicht  mehr  lange  bis  zum  völligen 
Versiegen  der  spezifischen  Tätigkeit  der  Brustdrüsen.  Dagegen 
wird  diese  angeregt  durch  das  Saugen  des  Kindes;  darum  läßt 
nicht  selten  spontan,  wenn  das  Kind  an  eine  Brust  angelegt 
wird,  die  andere  Milch  ausströmen.  Könnte  man  das  auch  noch 
auf  eine  reflektorische  Kontraktion  der  Muskulatur  der  Milcb- 
gänge  und  damit  eine  mehr  mechanische  Entleerung  beziehen, 
so  zeigen  doch  die  mit  den  Ammen  an  den  Säuglingsanstalten 
von  Schloßman,  Finkelstein  u.  a.  gemachten  Erfahrungen, 
daß  die  Saugarbeit,  überhaupt  die  gesteigerte  Inanspruchnahme 
die  Milchproduktion  fördert.  Bei  vielen  Frauen  läßt  sich  unter 
guten  Ernährungsverhältnissen  durch  systematisch  geregeltes 
Anlegen  einer  größeren  Zahl  von  Kindern  die  Milchsekretion 
weit  über  das  gewöhnliche  Maß  von  etwas  über  1  Liter  bis  zu 
über  4  Liter  am  Tag  steigern.  Auf  gleiche  Weise  kann  die 
Stillfähigkeit  durch  andauernde   und  ausgiebige  Beanspruchung 


-     161     ^ 

fast  beliebig  lange  weiter  erhalten  werden,  wobei  der  Wieder* 
eintritt  der  Menstraation  keineswegs  eine  Störung  hervorruft, 
wie  es  bei  neu  eintretender  Schwangerschaft  häufiger  der  Fall 
ist.  Die  Gefahr  einer  Überernährung  an  der  Brust  ist  fast  nur 
bei  Ammenernährung  zu  furchten,  wenn  die  Förderung  der 
Milchsekretion  schon  Aber  die  Bedürfnisse  des  Säuglings  hinaus« 
gegangen  ist  und  die  Milch  zu  mühelos  dem  Kinde  zuströmt. 
Bei  der  eigenen  Mutter  reguliert  der  Nahrangsbedarf  des  Kindes 
und  damit  dessen  Saugen  durch  die  direkte  Beeinflußung  der 
Milchsekretion  auch  die  Menge  der  Nahrung.  Dazu  muß  sich 
das  kleine  Kind  aber  selbst  redlich  bemühen,  und  so  ist  die 
Arbeit  als  heilsamer  Regulator  schon  an  den  Anfang  des  Lebens 
gesetzt. 

Bedenken  wir,  daß  die  Muttermilch  für  den  Säugling  uner- 
setzlich ist,  daß  das  Stillen  die  Kinder  vor  Nährschaden  und 
vor  Krankheit  am  besten  schätzt,  und  ziehen  wir  in  Betracht, 
daß  man  das  alles  schon  lange  weiß:  so  sollte  man  doch  kaum 
glauben,  daß  es  noch  viele  Mütter  geben  könnte,  die  aus  Leicht- 
sinn, aus  Eitelkeit  in  Sorge  um  die  gute  Figur  oder  um  die 
Gelegenheit  zu  Vergnügungen  ihren  Kindern  dieses  Schutzmittel 
vorenthalten  und  sie  den  Schädlichkeiten  künstlicher  Ernährung 
preisgeben.  Allerdings  schaffen  sie  sich  dadurch  selbst  die 
Ursache  neuer  Sorgen  und  Mühen  und  peinvoller  Nächte.  Es 
mag  wohl  solche  Mütter  geben  und  ihre  Scheu  vor  dem  Stillen 
mag  auch  begründet  sein,  wo  man  es  auf  Grund  uralter  irriger 
Meinungen  noch  für  nötig  hält,  die  stillende  Mutter  mit  einer 
komplizierten  und  ihr  wenig  zusagenden  Kostverordnung  zu 
behelligen.  Dazu  gesellt  sich  die  meist  übliche,  unnötige  und 
für  Brusttätigkeit  wie  Säugling  unzweckmäßige  Quälerei  der 
häufigen,  etwa  alle  2  Stunden  Tag  und  Nacht  wiederholten 
Brustmahlzeiten.  Belehrt  man  statt  dessen  die  Mutter,  daß  sie 
sich  bei  etwas  vermehrter  Flüssigkeitszufuhr  im  übrigen  ganz 
nach  Geschmack  und  früherer  Gewohnheit  ausgiebig  ernähren 
darf,  und  daß  für  das  Gedeihen  des  Kindes  5—6  ordentliche 
Mahlzeiten  in  24  Stunden  mit  langen  Trinkpausen  genügen,  so 
wird  die  Mutter  sich  schon  leichter  entschließen,  ihren  Ver- 
pflichtungen gegen  ihr  Kind  nachzukommen,  und  beide  Teile 
werden  dabei  am  besten  aufblühen. 

Wir  würden  aber  nicht  das  richtige  treffen,  wenn  wir  allein 

äitKUSKsbericbte  der  m<>d.-phyti.  Soz.  »9  (11*07).  1  1 


^    162    -^ 

der  Leichtfertigkeit  der  Mütter  die  Schuld  an  dem  Bäckgang 
des  Stillens  und  damit  den  größten  Teil  der  Schuld  an  der  hohen 
Säuglingsmortalität  aufbürden  wollten.  Gerade  hier  in  Erlangen 
haben  wenigstens  in  den  unbemittelten  Bevölkemngsschichten 
die  Mütter  vielfach  das  ehrlichste  Bestreben,  ihre  Kinder  zu 
stillen;  oft  trotz  der  ungünstigsten  äußeren  Verhältnisse,  trotz 
der  durch  den  Arbeitszwang  der  Not  gebotenen  Einschränkung 
in  der  Rücksicht  auf  die  Pflege  des  Kindes.  Von  den  ca.  90^ j^ 
der  Mütter,  die  hier  gleich  nach  der  Geburt  das  Kind  stillen 
oder  doch  die  löbliche  Absicht  dazu  haben,  halten  aber  nur 
sehr  wenige  länger  als  einige  Tage,  höchstens  wenige  Wochen 
bei  dem  Stillgeschäft  aus.  Die  Schuld  daran  liegt  am  wenigsten 
in  der  Dürftigkeit;  am  meisten  in  der  Unkenntnis  der  Mütter 
und  vor  allen  Dingen  in  der  verkehrten  Beratung  durch  schlimme 
Bekannte,  durch  Hebammen  und  Kinderfrauen  und  leider  auch 
unter  Umständen  der  Ärzte.  Als  Gründe  für  das  vorzeitige 
Absetzen  der  Kinder  werden  dann  angegeben:  Milchmangel, 
ungenügende  Entwicklung  der  Brustwarzen,  schlechte  Beschaffen- 
heit der  Milch,  die  zu  dünn  oder  zu  fett  sei  und  vom  Kind 
nicht  vertragen  werde^  Schwächlichkeit,  Blutarmut,  allerhand 
Schmerzen  und  Beschwerden  bei  den  Müttern.  Aber  so  gut 
wie  niemals  kann  man  finden,  daß  seitens  der  Berater  alles 
oder  nur  etwas  getan  worden  wäre,  um  die  Stichhaltigkeit 
dieser  Gründe  zu  prüfen,  die  Menge  der  Muttermilch  durch 
Wägnng  des  Kindes  vor  und  nach  dem  Trinken  zu  bestimmen, 
überhaupt  die  Entwicklung  des  Kindes  durch  Bestimmung  des 
Gewichts  nur  zu  kontrollieren  —  kurz  alles  daran  zu  setzen, 
daß  die  Muttermilch  dem  Kinde  nicht  ohne  zwingende  Not 
entzogen  wird.  Das  erfordert  Ausdauer  und  Geduld  auf  allen 
Seiten:  die  Mutter  soll  auch  in  den  ersten  Tagen,  wenn  alles 
noch  im  Werden  ist  und  gelernt  werden  muß,  trotz  ihres  Schwäche- 
zustandes ausharren,  sollte  auch  das  Kind  nicht  gleich  die  er- 
sehnte Zunahme  zeigen.  Der  Säugling  muß  lernen,  das  Seine 
sich  zu  verschaffen.  In  der  Saugarbeit  soll  er  durch  günstige 
Haltung  und  jedes  mögliche  Entgegenkommen  unterstützt  werden, 
aber  nicht  auf  das  erste  Geschrei  in  seiner  Bequemlichkeit,  die 
er,  wenn  er  erst  einmal  die  Behaglichkeit  der  häufigen  Mahl- 
zeiten und  die  Mühelosigkeit  des  Trinkens  aus  der  Flasche 
gekostet  hat,  so  leichten  Kaufs  nicht  wieder  auffeibt  Das  Pflege- 


^  im    - 

und  Wartpersonal  endlich  soll  bedenken,  wie  rascli  das  kostbare 
6nt  der  mfitterlichen  Brust  verloren  geht,  wenn  es  niclit  von 
Anfang  an  nachhaltig  und  gründlich  beansprucht  wird.  Auch 
der  Arzt  soll  trotz  der  mannigfachen  zu  überwindenden  Schwierig- 
keiten nicht  wegen  Schwächlichkeit  der  Mutter,  geringer  oder 
unkontrollierbarer  Beschwerden,  kleiner  Brustschäden  und  Unter- 
ernährung des  Kindes  die  Darreichung  der  Mutterbrust  unter- 
brechen, so  lange  man  irgend  noch  hoffen  kann,  eine  mütter- 
liche Ernährung  in  Gang  zu  bringen.  Nur  ganz  zwingende 
Gründe,  wie  Tuberkulosegefahr,  schwere  Ernährungsstörungen 
a.  dgl.,  können  ein  Einhalten  gebieten.  Bei  unermüdlicher  Aus- 
dauer ist  oft  noch  nach  langer,  ja  über  Wochen  hingeschleppter 
Erwartung  eine  genügende  Brustnahrung  zu  erzielen  oder  doch 
ein  Allaitement  mixte,  die  Zwienahrung  von  Muttermilch  mit 
ergänzender  künstlicher  Beinahrung,  die  aber  sorgfältigster 
Überwachung  seitens  des  Ai'ztes  bedarf,  wenn  nicht  schließlich 
doch  noch  die  künstliche  Ernährung  mit  allen  ihren  Nachteilen 
vorzeitig  die  Überhand  gewinnen  soll. 

Wenn  man  nach  manchen  Äußerungen  und  Beobachtungen 
aus  der  Praxis  urteilen  wollte,  so  sollte  mai^  meinen,  daß  es 
eine  große  Zahl  von  Mütteiii  gebe,  die  überhaupt  trotz  leid- 
lichen Allgemeinzustandes  von  Haus  aus  unfähig  sind,  ihre 
Kinder  zu  stillen.  Dem  widersprechen  aber  die  nun  doch  schon 
ans  einer  größeren  Zahl  von  gut  geleiteten  Säuglingsheimen 
und  Entbindungsanstalten  von  Finkelstein,  Mesnil,  Marfan 
n.a.  mitgeteilten  Beobachtungen,  nach  denen  man  füglich  annehmen 
kann,  daß  es  eine  wirkliche  Agalaktie  kaum  gibt.  Fast  ausnahms- 
los kann,  wenn  auch  zuweilen  mühsamer  und  schwerer,  jede  Brust 
so  weit  gefördert  werden,  daß  sie  zuletzt  ganz  oder  doch  teil- 
weise die  Ernährung  des  Kindes  zu  übernehmen  vermag.  Wie 
viel  in  dieser  Hinsicht  durch  energische  Nachhilfe  erreicht 
werden  kann,  das  zeigen  Erfahrungen  über  die  Stillfähigkeit 
der  Frauen  in  der  Stuttgarter  Hebammenschule:  dort  stellte 
Herdegen  im  Jahre  1882  fest,  daß  von  den  in  der  Anstalt 
entbundenen  und  nach  der  Geburt  dort  noch  12  Tage  verweilenden 
Frauen  nur  23^/^  imstande  waren,  ihre  Kinder  zu  stillen;  eine 
Zahl,  die  eine  Hauptstütze  bildete  für  die  bekannten  Anschauungen 
Bunges  über  den  zunehmenden  Milchmangel  der  Frauen  durch 
Entartung.     Im  Jahr  1904   konnte  Martin    an    der  gleichen 

11- 


0/ 


.  0 


Anstalt  bei  gleichgeartetem  Material  nachweisen,  daß  fast  100 
der  Frauen  mit  Erfolg  ihr  Kind  an  die  Brust  anlegten. 

Das  eine  ist  sicher:  viele  Frauen,  die  wohl  dazu  fähig 
wären,  stillen  auch  heute  ihre  Kinder  nicht  oder  nicht  lange 
genug  aus  Mangel  an  Einsicht,  aus  Mangel  an  Ausdauer  und 
oft  geradezu  von  ihrer  Umgebung  gegen  den  eigenen  Willen 
zur  künstlichen  Ernährung  gedrängt,  deren  Nachteile  sie  dann 
selbst,  vor  allem  aber  die  Kinder  zu  tragen  und  zu  b.Qßen 
haben. 

Die  Meinung  aber,  daß  die  künstliche  Ernährung  bei  dem 
heutigen  fortgeschrittenen  Stande  der  Wissenschaft  und  Technik 
die  Muttermilch  ersetzen  und  entbehrlich  machen  könne,  darf 
nicht  Geltung  bekommen  und  weiter  Mütter  und  Pflegerinnen 
verleiten. 

Gerade  die  in  den  letzten  Jahren  gemachten  Fortschritte 
lassen  die  Kluft  zwischen  natürlicher  und  künstlicher  bezw.  un- 
natürlicher Ernährung  unüberbrückbar  erscheinen.  Viele  Kinder 
müssen,  wenn  ihnen  die  Mutterbrust  A'ersagt  bleibt,  verderben 
oder  doch  ernstlich  erkranken,  um  so  eher,  je  ungünstiger  die 
äußeren  Verhältnisse  sind,  unter  denen  sie  aufwachsen. 

Immerhin  lassen  sich  die  Gefahren  der  künstlichen  Er- 
nährung einschränken,  wenn  man  sie  kennt.  Da  aber  die  Ver- 
lassenen und  Verwaisten  unter  den  Säuglingen,  die  Unehelichen 
und  Kostkinder  erst  recht  des  Schutzes  bedürfen,  so  muß  durch 
Aufklärung  und  Beihilfe  eine  Verbesserung  der  künstlichen  Er- 
nährung im  weitesten  Umfang  angestrebt  werden  für  alle,  die 
ihrer  bedürfen. 

Die  größte  Gefahr  der  Ersatznahrung  liegt  in  der  Möglich- 
keit einer  Verschleppung  von  Krankheitskeimen  mit  der  Nahrung 
in  den  kindlichen  Körper.  Vielfältig  ist  diese  Möglichkeit  ge- 
boten beim  Bereiten,  Aufbewahren  und  Darreichen  der  Säug^ 
lingsnahrung.  Das  gilt  insbesondere  für  das  Hauptersatzmittel 
der  Muttermilch,  die  Kuhmilch.  Nicht  deren  chemische  Zusammen- 
setzung mit  ihrem  höheren  Kaseineiweißgehalt  und  geringereu 
Fett-.  Zucker-  und  Salzgehalt  veranlaßt  die  größten  Schäden. 
Auch  mit  unverdünnter  frischer  Kuhmilch  ohne  Zusatz  kann 
man  gesunde  Kinder  aufziehen,  kranken  aufhelfen.  Die  Zer- 
setzungen der  Milch  durch  Spaltpilze  und  ihr  Gehalt  an  solchen 
bringt  den  Kindern  vor  allem  Unheil,  ein  Keimgehalt,  der  um  so 


—     165    — 

rascher  und  höher  steigt,  je  höher  die  Außentemperatar  ist: 
daher  die  große  Kindersterblichkeit  in  den  Sommermonaten. 
Unzählig  sind  die  Gelegenheiten  zur  Verunreinigung  der  Milch 
in  diesem  Sinne  auf  dem  langen  Wege  vom  Euter  der  Kuh  bis 
znm  Munde  des  Säuglings;  und  es  kann  nicht  genug  betont 
werden,  daß  die  gefährlichste  Etappe  auf  diesem  Wege  bei  der 
Gewinnung  des  Rohmaterials,  im  Stalle  liegt.  Dort  werden 
von  den  Ausscheidungen  des  nicht  selten  erkrankten  Tieres, 
von  den  unreinen  Händen  der  melkenden  Personen,  von  schlecht 
gereinigten  Auffanggefäßen  und  von  vielen  anderen  Brutstätten 
her  die  Keime  in  der  Milch  versammelt.  Sie  werden  sich  um  so 
lebhafter  in  diesem  vörtreiflichen  Nährboden  breit  machen,  je 
länger  es  bis  zur  endgültigen  Verwendung  dauert  Dann  ist 
die  Milch  durch  die  Lebenstätigkeit  der  Keime  schon  erheblich 
verändert  und  zudem  noch  der  Überbringer  von  gefährlichen 
Krankheiten  geworden,  und  die  peinlichste  Weiterverarbeitung 
vermag  den  durch  die  primäre  Stalleinsaat  anfänglich  gesetzten 
Schaden  nicht  mehr  ganz  gut  zu  machen;  auch  die  nachträg- 
liche Sterilisation  durch  Kochen  nicht.  Theoretisch  und  technisch 
ist  das  Problem  der  hygienischen  Milchgewiunung  unter  Beobach- 
tung größter  Reinlichkeit  und  Kühlhaltung  der  Milch  bis  zum 
Verbrauch  längst  gelöst.  Praktisch  kommt  dieser  Fortschritt 
bisher  nur  sehr  wenigen  Glücklichen  zugute. 

Auch  eine  frische  Kuhmilch  hat  fermentative  Eigenschaften, 
die  beim  Kochen  allerdings  vernichtet  werden.  Aber  sie  bietet 
diese  dem  Säugling  nicht  zum  Vorteil,  er  kann  die  lebenden 
Eigenschaften  der  artfremden  Nahrung  nur  zum  geringsten  Teil 
ausnützen.  So  geht  nach  den  Untersuchungen  Salges  das 
Diphtherieantitoxin  wohl  aus  der  Muttermilch,  nicht  aber  aus 
der  Kuhmilch  in  die  Säfte  des  Säuglings  über.  Neben  den  von 
den  Bakterien  in  der  Milch  erzeugten  Giften  und  den  Einwirkungen 
der  auch  nach  dem  Kochen  in  ihr  verbleibenden  Bakterienleiber 
machen  sich  die  artfremden  Eigenschaften  der  in  der  Kuhmilch 
enthaltenen  Eiweißstoife  als  unnatürliche  Beize  in  dem  empfind- 
lichen Darm  des  Säuglings  geltend.  Sie  machen  das  Kind  krank 
oder  erhöhen  doch  seine  Verdauungsarbeit.  Darin  liegt  die 
Quelle  zu  weiteren  Nachteilen,  die  sich  oft  in  der  Art  eines 
Circulus  vitiosus  entwickeln:  das  künstlich  ernährte  Kind  ist 
unruhiger,  schreit  viel,  vermehrt  damit  seinen  Energieverbrauch 


—     16«     - 

und  die  Wasserabgabe.  Die  natürliche  Folge  ist  ein  gesteigertes 
NahrangsbedOrfnis,  das  in  der  Regel  von  den  besorgten  Ange- 
hörigen nur  zu  rasch  wieder  mit  reichlicherer  Zufuhr  der  un- 
zweckmäßigen Nahiiing  befriedigt  wird.  Aus  solcher  schneller 
Berücksichtigung  der  ungeberdigen  Wünsche  des  schon  leidenden 
Kindes  geht  eine  dann  immer  mehr  steigende  Überfüllung  des 
Verdauungskanals  mit  steigender  Zersetzung  seines  Inhalts  her- 
vor. Bald  folgt  ein  yölliges  Versagen  der  Darmtätigkeit,  der 
Beginn  langdauernder  Leiden.  Es  ist  nicht  leicht,  unter  diesen 
Umständen  die  richtige  Beschränkung  in  der  Nahiiingszufuhr 
einzuhalten. 

Im  täglichen  Leben  ist  das  Endprodukt  aller  Bemühungen 
bei  der  künstlichen  Ernährung  nur  zu  oft  die  Überfütterung 
des  Kindes,  die  keines weges  nur  in  den  begüterten  Familien 
vorkommt,  sondern  quantitativ  bei  freilich  meist  qualitativ  recht 
fragwürdiger  Beschaffenheit  der  Nahrung  auch  in  den  ärmsten 
Kreisen  die  Regel  bildet. 

Fast  mehr  noch  als  durch  die  Sterilisation  der  Milch  hat 
sich  das  Soxhletsche  Verfahren  da  nutzbringend  erwiesen, 
weil  es  durch  die  leicht  zu  überwachende  und  schematisch  durch- 
führbare Einteilung  des  Tagesquantums  in  einzelne  Portionen 
dem  Übermaß  der  Zufuhr  an  Nahrung  zu  steuern  vermag. 

Auch  bei  scheinbar  gut  genährten  Kindern  bleibt  der 
Schaden  der  Übeifütterung  in  den  späteren  Lebensmonaten 
nicht  aus  und  zeigt  sich  in  träger  Darmtätigkeit,  mangelhafter 
Knochenentwicklung,  in  ungenügender  Blutbildung  mit  den 
berüchtigten  Störangen  zur  Zeit  der  Zahnungsperiode,  von  denen 
schon  der  römische  Schriftsteller  Celsus  schreibt,  daß  Ver- 
schwärungen  des  Zahnfleischs,  Fieber,  klonische  Krämpfe  und 
Durchfälle  am  meisten  die  sehr  stark  genährten  und  zur  Ver- 
stopfung neigenden  Kinder  betreffen. 

Dieser  Gefahr  des  quantitativen  Übermaßes  entgeht  man 
auch  nicht  bei  Anwendung  der  besten  Nährpräparate.  Diese 
seitens  der  chemischen  Industrie  in  ihrer  Zusammensetzung  nach 
den  bei  der  Brustnahmng  gewonnenen  Erfahrungen  hergestellten 
und  dem  Energiebedarf  des  Säuglings  angepaßten  Kindermehle 
trifft  jedoch  nicht  der  Vorwurf  der  einseitigen  und  darum  un- 
zweckmäßigen eiweißarmen  Nahrung,  wie  er  mit  Recht  gegen 
die   in  Bayern   vielfach   noch    übliche  Methode   das  Meblmus- 


—    167    — 

Aufpäppelns  erhobeu  wird.  Auch  haben  die  meisten  künstlichen 
Präpai'ate  bei  vorsichtiger  und  reinlicher  Verwendung  vor  der 
in  der  Regel  zur  Verfügung  stehenden  Marktmilch  den  Voi*zug 
relativer  Keimfreiheit. 

Nicht  unerwähnt  soll  aber  bleiben,  daß  sich  die  Kuhmilch 
nach  neueren  Untersuchungen  für  eine  nicht  geringe  Zahl  von 
Kindern  direkt  als  giftig  erweist:  so  in  den  häufigen  Fällen  von 
sogen,  spasmophiler  Diathese.  Diese  äußert  sich  allgemein 
in  einer  erhöhten  Erregbarkeit  des  gesamten  Nervensystems, 
klinisch  in  der  nachweisbar  gesteigerten  elektrischen  und  mecha- 
nischen Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln,  in  Anfällen 
von  Kehlkopfkrampf  und  in  eklamptischen  Krampfzuständen. 
In  diesen  Fällen  geht  fast  regelmäßig  die  Erregbarkeitssteige- 
rung genau  parallel  mit  der  Kuhmilchfütterung,  und  sie  sinkt 
ab  zu  normalen  Verhältnissen  bei  Brustnahrung  oder  bei  Mehl- 
fütterung. Nicht  so  sehr  selten  hat  schon  «in  Kind  den  Ver- 
such, bei  mangelnder  Muttermilch  die  ungenügende  Mehlkost 
durch  Kuhmilchzusatz  wieder  zu  verbessern,  unmittelbar  mit 
einem  tödlichen  Krampfanfall  büßen  müssen.  Pjine  andere  Krank- 
heit ist  hier  anzureihen,  die  auch  bei  vorsichtiger  künstlicher 
Ernährung,  besonders  mit  sterilisierter  Milch,  darum  meist  in 
wohlhabenden  Kreisen,  aber  nie  bei  Brustkindern  vorkommt: 
die  skorbutähnliche  Barlowsche  Krankheit.  Sie  ist  charakteri- 
siert durch  anämische  Erscheinungen,  durch  das  Auftreten  von 
Haut-,  Schleimhaut-  und  Beinhautblutungen  und  durch  eigen- 
artige Störungen  des  Knochenwachstums.  Sie  hat  zwar  viele 
Todesopfer  schon  gefordert,  glücklicherweise  kann  sie  aber, 
wenn  rechtzeitig  erkannt,  durch  eine  entsprechende  Kostände- 
rnng  zur  Heilung  gebracht  werden. 

Überblicken  wir  so  an  wenigen  aus  der  Fülle  der  Schäd- 
lichkeiten herausgegriffenen  Beispielen  die  Gefahren,  die  das 
Kind  in  den  ersten  Monaten  bedrohen,  so  erkennen  wir,  daß 
es  unmöglich  genügen  kann,  wenn  der  Arzt  allein  bei  seinen 
Klienten  durch  Rat  und  Hilfe  tätig  ist,  an  der  Verbesserung 
der  Säuglingsfürsorge  zur  Verminderung  der  Säuglingssterblich- 
keit zu  arbeiten.  Behörden  und  Gemeinwesen  müssen  zur  Mit- 
arbeit aufgerufen  werden  und  die  Gesamtheit  muß  ermuntert 
werden  zur  Beihilfe  an  dem  Werk,  das  der  Gesamtheit,  dem 
Volkswohl  zugute  kommt. 


—        1(3«       - 

Vor  allem  gilt  es,  die  Vorurteile  und  irrigen  Meinungen 
zu  beseitigen,  so  weit  sie  einer  zweckmäßigen  Säuglingspflege 
direkt  im  Wege  stehen.  Das  kann  am  besten  durch  die  Be- 
lehrung derjenigen  Kreise  geschehen,  die  am  nächsten  bei  der 
Einderpflege  beteiligt  sind  und  die  erfabinngsgemäß  einen  großen 
Einfluß  auf  die  Mütter  haben.  Nächst  den  Ärzten  selbst,  denen 
mehr  und  mehr  Gelegenheit  zur  Beobachtung  einwandsfreier 
Säuglingspflege  und  Ernährung  mit  Einschluß  der  natürlichen 
Ernährung  geboten  werden  muß,  kommen  die  Hebammen  in 
Betracht.  Sie  wei*den  gewiß  am  häufigsten  und  zuerst  bei  un- 
gestöitem  Befinden  des  Kindes,  aber  auch  in  Krankheitsfällen 
von  der  Mutter  um  Rat  gefragt.  Im  Hebammenunterricht  bietet 
sich  Gelegenheit,  den  gerade  unter  ihnen  verbreiteten  irrigen 
Meinungen  über  Stillfähigkeit,  Entwöhnung  und  die  Beziehungen 
zwischen  Laktation  und  Wohlbefinden  der  Mutter  vorbauend 
mit  Nachdruck  entgegenzutreten.  Kinderpflegerinnen  und  nicht 
minder  die  mit  der  Beaufsichtigung  der  Kostkinder  betrauten 
freiwilligen  Helferinnen  sollten  die  Befähigung  für  das  verant- 
wortungsvolle Amt  erst  durch  eine  geeignete  Vorbildung  in 
Säuglingsheimen  moderner  Art,  mindestens  in  einem  der  Be- 
deutung der  Frage  angemessenen  ärztlichen  Unterricht  erwerben 
und  erweisen.  Für  die  Mütter  und  Pflegemütter  wird  der  Be- 
such der  auch  zu  praktischen  Unterweisungen  eingerichteten 
Beratungsstellen  unter  ärztlicher  Leitung  nach  Art  der 
französischen  Cousultations  von  Vorteil  sein.  Es  wäre  nur 
zu  begrüßen,  wenn  von  Seiten  der  polizeilichen  Überwachung 
der  Kostkinder  deren  Vorführung  vor  die  als  Berater  berufeneu 
Ärzte  in  bestimmten  Zeiträumen  überall  erzwungen  und  kon- 
trolliert würde.  Auf  diese  Weise  würde  allmählich  der  Erfolg 
auch  die  zaudernd  zurückbleibenden  Kreise  zur  Mitarbeit  an- 
regen. Was  von  Staatswegen  den  mutterlosen  armen  Kindern 
erwiesen  würde,  das  würden  die  Besitzenden  auch  ihren  Kindern 
nicht  vorenthalten  wollen :  die  auch  bei  den  geringsten  Unstimmig- 
keiten nötige  ärztliche  Beratung.  Die  Fürsorge  für  die  notdürftigen 
Wöchnerinnen,  die  heute  noch  vielfach  wenig  mehr  als  eine 
Woche  nach  der  Entbindung  ins  Erwerbsleben  treten  müssen, 
wird  freilich  noch  auf  lange  Zeit  der  privaten  Wohltätigkeit 
überlassen  bleiben,  die  jetzt  schon,  wenn  auch  nur  in  einigen 
größeren  Städten,  Säuglings-,  Mütter-  und  Wöchnerinnenheime 


-     Iß9     - 

zur  Erfüllung  dieser  Aufgabe  eröfiuet  hat.  Krankenkassen  und 
Versicherungskassen  werden  mehr  noch  als  bisher  Einrichtungen 
schaffen  können^  die  der  Mutter,  so  lange  sie  ihr  Kind  stillen 
muß,  die  notwendige  Befreiung  von  der  Arbeit  ohne  fühlbaren 
Entgang  an  Verdienst  gewähren.  Fünf  tägliche  Mahlzeiten  an 
der  Mutterbrust  lassen  sich  für  den  Säugling  recht  gut  bei  einer 
beschränkten  Arbeitsleistung  der  Mutter  durchführen,  zumal 
wenn  dabei  die  Ernährung  der  Mutter  eine  Unterstützung  findet. 
So  lange  die  Neigung  zum  Stillen  noch  eine  so  wenig  aus- 
dauernde ist  wie  in  unseren  Gegenden,  werden  zweifellos 
Stillprämien  an  die  Mütter  Gutes  schaffen,  aber  auch  hier 
wie  bei  allen  derartigen  Maßregeln  wird  man,  wenn  wirklich 
mehr  als  ein  Scheinerfolg  erzielt  werden  soll,  der  ärztlichen 
Obhut  nicht  en traten  können.  Es  ist  selbstverständlich,  daß^ 
dabei  auch  der  Fürsorge  für  die  kranken  Kinder  gedacht 
werden  muß,  von  denen  viele  noch  bei  rechtzeitigem  Eingreifen 
and  bei  sorgsamer  klinischer  Behandlung  gerettet  und  zu  voller 
Gesundheit  durchgebracht  werden  können.  Als  ein  nachahmens- 
wertes Beispiel  können  in  dieser  Hinsicht  die  in  Ungarn  durch 
Gesetz  vom  Jahr  1898  getroffenen  staatlichen  Einrichtungen 
gelten,  wo  jedes  Kind,  das  hilfsbedürftig  ist  oder  von  den  An- 
gehörigen nicht  versorgt  werden  kann,  ein  Recht  auf  öffentliche 
Hilfe  in  Kinderasylen  oder  ärztlich  organisierter  und  überwachter 
Außenpflege  hat,  und  wo  man  es  gewagt  hat,  die  dadurch  an- 
fallenden Kosten  durch  eine  allgemeine  Zusatzsteuer  aufzubringen. 
Sorgt  mau  so  für  eine  verständige  Pflege  und  Belehrung 
der  Mütter,  so  braucht  man  nicht  zu  befürchten,  daß  der  Eifer 
zu  natürlicher  Säuglingsernährung  nachläßt,  wenn  gleichzeitig 
Einrichtungen  dafür  getroffen  werden,  daß  die  künstliche  Er- 
nährung der  unbedingt  darauf  angewiesenen  Kinder  so  gehand- 
habt wird,  wie  es  nach  hygienischen  Regeln  geboten  ist.  Dazu 
gehört  vor  allem  die  Beschaffung  einer  eiwandsfreien  Kinder- 
milch. Sie  ist  nur  möglich  in  Stallungen,  die  von  Grund  aus 
darauf  eingerichtet  sind.  Auch  darin  sind  gioße  Städte  mit 
ihren  ganz  nach  modernen  Prinzipien  eingerichteten  Molkereien 
mit  Kühlanlagen,  Filtern  und  geschultem  Personal  vor  den 
kleineren  Gemeinden  sehr  im  Vorteil.  Wo  nicht  ohne  weiteres 
erwartet  werden  darf,  daß  der  Absatz  dem  Produzenten  die 
verhältnismäßig  großen  Kosten  der  Erzeugung  einer  tadellosen 


-     170    - 

Kindermilch  einbringt,  da  bleibt  es  in  der  Eegel  —  wie  auch 
hier  —  bei  dem  alten  Brauch,  daß  die  Milch  aus  unreiner 
Stallung  auch  in  der  Sommerhitze  ohne  Vorkühlung  und  ohne 
Eis  auf  dem  Wagen  weither  über  Land  als  ein  mehr  oder 
weniger  verseuchtes  und  verdorbenes  Präparat  zum  Verkauf 
gebracht  wird.  Gemeinnützige  Einrichtungen,  Gemeinde  und 
Wohltätigkeitsvereine  werden  da  zugunsten  der  Bedürftigen 
erst  die  Grundlagen  beschaffen  müssen  zur  Gewinnung  einer 
möglichst  unschädlichen  Kindermilch,  die  nach  ärztlicher  Kon- 
trolle gegen  erhöhten  Preis  an  die  Wohlhabenden,  unentgeltlich 
oder  zu  ermäßigten  Preisen  an  die  Bedürftigen  abgegeben 
werden  kann.  Für  die  Verteilung  der  richtigen  Mischungen 
in  abgemesseneu  Einzelportionen,  wiederum  nach  ärztlicher 
Verordnung,  sorgen  manchenorts  schon  die  Stadtverwaltungen, 
wie  in  Halle,  Straßburg,  Köln  u.  a.  Anderwärts  haben  private 
Unternehmungen  oder  klinische  Anstalten  Milchküchen  geschaffen. 
Die  Lieferung  gebrauchsfertig  gemischter  Portionsflascben 
ist  deshalb  nötig,  weil  auch  die  beste  und  kostbai^ste  Milch 
natürlich  durch  nachträgliche  unzweckmäßige  Aufbewahrung 
und  Behandlung  noch  verdorben  werden  kann. 

La  Peyroux  hat  gegen  die  ähnlichen  Einrichtungen  der 
Gouttes  de  lait  in  Frankreich  den  Einwand  erhoben,  daß  die 
Gratismilch  Verteilung  geradezu  einer  Belohnung  des  Nichtstillens 
gleichkomme.  Das  kann  doch  nur  da  Geltung  haben,  wo  man 
wahllos  die  Milch  verteilt.  Gerade  die  Vergünstigung  der  Ab- 
gabe eines  besseren  Präparates  zu  geringerem  Preis  gibt  Recht 
und  Möglichkeit  zu  schärferer  Überwachung  der  Verwendung. 
Zudem  ist  gar  nicht  daran  zu  denken,  daß  die  Brustkinderzahl 
erhöht  werden  könnte,  wenn  man  den  Müttern  die  gute  Kinder- 
milch vorenthält,  die  schon  für  die  Zeit  der  Entwöhnung  und 
für  die  Kinder  im  zweiten  Halbjahr  nach  der  Geburt  unbedingt 
erforderlich  ist. 

Was  gegen  den  Ausfall  der  Ernährung  an  der  Mutterbriist 
geschehen  kann,  das  muß  die  Aufklärung,  und  unermüdliche 
Ermunterung,  die  soziale  Fürsorge  für  die  Armen,  eine  ver- 
nünftige Diätetik  der  zum  Stillen  geneigten  Frauen,  ernste  Er- 
mahnung in  Fällen  von  Tod  und  Krankheit  bei  Säuglingen  und 
nicht  zum  mindesten  das  Beispiel  und  der  Erfolg  der  ver- 
ständigen Mütter  leisten! 


—     171    - 

Sie  sehen,  groß  ist  der  Schaden,  aber  mannigfach  sind  anch 
die  Wege  und  Mittel,  ihn  abzuräumen.  Wenn  auch  vieles  noch 
der  Erforschung  und  Aufklärung  bedarf,  es  ist  genug  Anlaß 
und  Gelegenheit  zum  Einsetzen  der  praktischen  Arbeit  da.  Und 
die  Bekämpfung  der  Säuglingssterblichkeit  scheint  mir  ein  Werk 
zu  sein  nicht  unwürdig  dessen,  daß  wir  es  dem  Protektorat 
und  der  Führung  der  Alma  mater  anheimgeben,  die  allzeit 
bestrebt  war,  das  Beste  zu  erforschen  und  zu  betätigen,  der 
Universitas  litterarum. 


Erscheinungen  bei  der  Elektrolyse  von 
Wismutsalzlösungen. 

Nach  Versuchen  von  L.  Birckenbach^)  und  E.  Bilnz^). 

Mitgeteilt  von  A.  Gutbier. 

Aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  Universität  Erlangen. 

Gelegentlich  der  elektrolytischen  Abscheidung  von  reinem, 
zu  Atomgewichtsbestimmungen  zu  verwendenden  Wismut  wurde 
beobachtet,  daß  sich  die  Anode  beim  Beginne  der  Elektrolyse 
mit  einem  bronzefarbigen  Beschläge  bedeckte,  von  welchem 
sich  bald  kleine,  glänzende  Blättchen  loslösten  und  auf  dem 
Boden  des  Gefäßes  ansammelten,  während  sich  auf  der  Kathode 
metallisches  Wismut  in  schönen  Kristallen  abschied;  im  weiteren 
Verlaufe  der  Elektrolyse  verschwand  der  anodische  Beschlag 
und  die  losgelösten  Teilchen  wurden  von  der  Flüssigkeit  wieder 
aufgenommen. 

Eine  derartige  Beobachtung  ist  an  und  für  sich  nicht  neu: 
schon  Schucht*),  Classen  und  Reiß*),  Classen^),  Deich- 
ler®), Wimmenauer'^),  Brunck^),  Luckow**)  u.  a.  haben 
über  ähnliche  Erscheinungen  bereits  berichtet.  -  Da  aber  alle 
früheren  Arbeiten  lediglich  dem  Auffinden  einer  Methode  zur 
elektrolytischen  Wismutbestimmung  —  bekanntlich  hat  erst 
Brunck  ein  brauchbares  Verfahren  hierzu  geschaffen  — ,  bezw. 


*)  Vgl.  dessen  Dissertation,  Erlangen  1905,  S.  34  ff. 

-)  Vgl.  dessen  Dissertation,  Erlangen  1905,  S.  165  ff. 

»)  Berg-  u.  Hüttenm.-Ztg.  39,  121.  1880. 

*)  Ber.  14,  1626.  1881. 

*)  Ber.  23,  951.  1890. 

•)  Z.  anorg.  Chem.  20,  117.  1899. 

')  Z.  anorg.  Chemie  27,  1.  1901. 

•)  Ber.  35,  1871.  1902. 

•)  Dingl.  pol.  J.  1865,  2:U. 


_-_     173     -- 

zur  Trennung  des  Wismuts  von  anderen  Metallen  gewidmet 
waren,  wurde  die  anodiscbe  Abscheidung  als  höchst  unan* 
genehme  Nebenerscheinung  angesehen;  ohne  daß  man  die  ent- 
stehenden Produkte  einer  näheren  Untersuchung  ffir  wert  hielt, 
suchte  man  vielmehr  ihre  Bildung  nach  Möglichkeit  zu  ver- 
hindern. • 

Da  Schucht  den  anodischen  Beschlag  als  „gelbe  Wis- 
mutsäure'' bezeichnet  hatte,  während  man  später  dafür  immer  den 
Namen  „ Wismutperoxyd **  findet,  und  da  Deichler,  welcher 
zum  ersten  Male  ein  derartiges  Produkt  analysiert  hat,  den 
Beschlag  für  „wasserfreies  Wismuttetroxyd"  hält^),  haben  wir 
im  Verfolge  unserer  Studien  über  die  Peroxyde  des  Wismuts^) 
eine  eingehendere  Untersuchung  über  diese  Erscheinungen  an- 
gestellt. Die  erhaltenen  Resultate  mögen  hier  in  aller  Kürze 
mitgeteilt  werden^). 

a)  Mit  einer  in  100  ccm  10  g  reinstes  Wismut  und  20  g 
freie  Salpetersäure  enthaltenden  Lösung  konnte  unter  Anwendung 
zweier  Elektroden  von  Platinblech  —  mit  einer  Gesamtober- 
fläche von  je  20  qcm  —  bei  den  verschiedensten  Stromdichten 
und  bei  verschiedenen  Temperaturen  kein  anodischer  Beschlag 
hervorgerufen  werden. 

b)  Unter  Verwendung  einer  Lösung  von  20  g  Wismut  in 
200  ccm  Salpetersäure  vom  spezifischen  Gewicht  1,4,  die  mit 
Wasser,  das  in  2  1  300  ccm  konzentriertes  Ammoniak  ent- 
hielt, auf  1500  ccm  verdünnt  war,  bedeckte  sich  die  Anode  bei 
Einschaltung  eines  Stromes  von  1,0  bis  1,5-*  Amp/qcm  mit 
einem  rötlich  gefärbten,  glänzenden,  festhaftenden  Beschläge, 
der  jedoch,  ohne  daß  sich  einzelne  Teilchen  losgelöst  hätten, 
bald  wieder  verschwand  und  sich  auch  bei  weiter  fortgesetzter 
Elektrolyse  nicht  wieder  bildete. 

c)  Da  die  Gegenwart  von  Ammoniumsalzen  sowie  eine 
nicht  allzu  starke  Salpetersäure  die  Bildung  des  Beschlages  zu 

>)  Merkwürdigerweise  hat  Lorch  (Inaugaraldissertation,  MüDchen 
1903)  trotz  aUer  Bemübungen  bei  der  Elektrolyse  von  V^isinutsalzlösnngen 
weder  in  saurer,  noch  in  alkalischer  Lösung  einen  Beschlag  auf  der 
Anode  erhalten. 

=)  Vgl.  A.  Outbier  u.  R.  Bünz.  Z.  anorg.  Chem.  48,  162  und 
294.  )90ö;  49,  432.  1906;  50  210.  1906;  52,  124.  1906. 

')  Die  ausführliche  Schilderung  der  Versuche  findet  man  in  den 
Dissertütionen  meiner  Mitarbeiter. 


—    174     - 

begünstigen  schien,  wählten  wir  diejenigen  Arbeitsbedingungen, 
welche  uns  zuerst  den  Beschlag  geliefert  hatten. 

Eine  Lösung  von  40  g  reinem  Wismut  in  100  com 
65^/oiger  Salpetersäure  wurde  mit  verdünntem  Ammoniak  bis 
zur  Abscheidung  eines  geringen  Niederschlages,  der  sofort 
wieder  durch  einige  Tropfen  Salpetersäure  gelöst  wurde,  ver- 
setzt und,  mit  50  ccra  Salpetersäure  und  etwas  Wasser  ver- 
mischt, bei  40^  bis  50®  der  Elektrolyse  unterworfen.  Sofort 
nach  Einschaltung  eines  Stromes  von  1,2  bis  1,5-*  Amp/qcm 
und  bei  einer  Spannung  von  2,5  bis  3  Volt  trat  die  anodische 
Abscheidung  auf;  der  Beschlag  löste  sich  bald  ab  und  sammelte 
sich  am  Boden  des  Qefäßes. 

Als  sich  die  Menge  des  Produktes  nicht  mehr  zu  ver- 
mehren, sondern  augenscheinlich  zu  verringein  schien,  wurde 
der  Strom  unterbrochen,  die  Flüssigkeit  nach  Entfernung  der 
Elektroden  abgegossen  und  das  Reaktionsprodukt  mit  Salpeter- 
säure von  zunehmender  Verdünnung  ausgewaschen;  als  die  letzten, 
anhängenden  Spuren  von  Salpetersäure  mit  einigen  Tropfen  Wasser 
von  gewöhnlicher  Temperatur  entfernt  werden  sollten,  verschwand 
der  metallische  Glanz  und  die  charakteristische  Form  der  Blätt- 
chen, so  daß  schließlich  eine  geringe  Menge  eines  durchaus 
amorphen,  hellbraun  gefärbten  Pulvers  vorlag. 

Zu  einer  quantitativen  Untersuchung  reichte  die  Menge 
nicht  aus,  doch  konnten  wir  nachweisen,  daß  ein  Peroxyd  vor- 
lag, denn  das  salpetersäurefreie  Präparat  entwickelte  beim  Be- 
feuchten mit  Salzsäure  Chlor  ^);  die  Prüfung  auf  Blei  fiel,  wie 
bei  allen  anderen  darauf  untersuchten  Präparaten,  negativ  aus. 

d)  Um  eine  bessere  und  womöglich  vollständige  Trennung 
des  kathodisch  niedergeschlagenen  Wismuts  von  dem  anodischen 
Beschläge  zu  erzielen,  führten  wir  eine  neue  Elektrolyse  unter 
den  bei  c)  angegebenen  Bedingungen  aus,  umgaben  aber  die 
Kathode  mit  einem  Tondiaphragma. 

Tatsächlich  resultierte  eine  größere  Menge  des  Beschlages, 
der  wieder  mit  Salpetersäure  von  zunehmender  Verdünnung  und 

^)  Allerdings  löste  es  sich  in  der  Salzsäure  beim  £rwärmen  nicht 
vollständig  auf,  sondern  es  blieb  eine  geringe  Menge  von  metallischem 
Wismut  zurück;  diese,  später  nie  wieder  beobachtete  Erscheinung  ist 
darauf  zurückzuführen,  daß  sich  beim  Herausnehmen  der  Elekti'oden  eine 
Spur  von  metallischem  Wismut  von  der  Kathode  abgelöst  hatte. 


—     175       - 

schießlich   mit  etwas   Wasser  ausgewaschen   und  im  Vakuum 
ttber  Phosphorpentoxyd  getrocknet  wurde. 

Die  Analyse  der  Substanz  —  es  wurden  0,75  g  erhalten 
—  ergab: 

0,2490  g:  8,9  ccm  n/lO-Na^S^Oa  =  2,86  <>/o  akt.  0. 

0,2322  g:  0,2253  g  Bi^  =  97,03  «/o  BijOg. 

e)  Die  unter  den  gleichen  Bedingungen  erfolgte  Wieder- 
holung des  Versuches  lieferte  in  einer  Ausbeute  von  0,6  g  ein 
hellbraun  gefärbtes  Reaktionsprodukt,  dessen  Analyse  folgende 
Zahlen  ergab: 

0,1206  g:  3,0  ccm  n/lO-Na^S^Oj  =  1,93  «/o  akt.  0. 
0,1161  g:  0,1137  g  Bi^Og  =  97,93  V^  Bi^O«. 
0,1000  g:  2,5  ccm  n/lO-Na^S^Og  =  2,00  «/o  akt.  0. 

Die  so  entstandenen  Peroxyde  waren,  was  sehr  wichtig 
ist,  bleifrei;  sie  enthalten  keine  Stickstoffverbindungen,  aber 
wohl  einen  geringen  Oehalt  an  Wasser;  dessen  Menge  war 
aber  so  gering,  daß  wir  zu  einer  quantitativen  Bestimmung 
sicher  die  zehnfache  Menge  der  Substanz,  welche  wir  bei  den 
Versuchen  im  ganzen  erhielten,  hätten  anwenden  müssen. 

Tatsächlich  entstehen  also  unter  den  von  uns  gewählten 
Bedingungen  Wismutperoxyde,  wie  sie  auch  Deichler  im 
Gegensatze  zu  Lorch  bereits  erhalten  hat;  nur  scheint  es  uns, 
als  seien  diese  Produkte  nicht  ganz  so  gleichmäßig  zusammen- 
gesetzt wie  das  von  Deich  1er  erhaltene.  Charakteristisch  ist 
für  das  auf  elektrolytischem  Wege  erhaltene  Peroxyd  seine 
Löslichkeit  in  verdünnter  Salpetersäure. 

Wenn  wir  auch  sonst  die  von  De  ich  1er  gegebene  Schilde- 
rung bestätigen  können,  so  vermögen  wir  uns  doch  seiner  An- 
sicht, daß  diese  Produkte  „wasserfreies  Wismuttetroxyd"  dar- 
stellen, nicht  anzuschließen. 


Ober  die  Bildung  des  Formensystems  der  ternären 
biquadratischen  Form. 

Von  Emmy  Noether. 
(Auszug:  aus  der  DiBsertation  der  Verfasserin.) 

Mit  dem  Formensystem  der  ternären  biquadratischen 
Form  beschäftigen  sich  Arbeiten  von  Gordan,  Maisano  und 
Pascal^).  Herr  Gordan  stellt  das  vollständige,  aus  54  Bil- 
dungen bestehende,  Formensystem  der  speziellen  automorphen 
Form:  f  =  Xi'Xj-|-X2%  +  X3*Xi  «nter  Zugrundelegung  ähn- 
licher Prinzipien  auf,  wie  er  sie  fiir  die  Formensysteme  im 
binären  Gebiet  gegeben  hat. 

Bei  Herrn  Maisano  sind  für  die  allgemeine  biquadratische 
Form  die  i'ormen  bis  zur  5.  Ordnung*)  einschließlich  aufge- 
stellt, sowie  einige  Invarianten,  Kovarianten  und  Kontravari- 
anten höherer  Ordnung,  nach  der  von  Herrn  Gordan  in  Band  I 
der  Math.  Annalen  für  die  ternäre  kubische  Form  angewandten 
Methode.    Herr  Pascal  beschäftigt  sich,  unter  Benützung  der 


*)  P.  Gordan,  Ober  das  volle  Formensystem  der  ternären  biqua- 
dratiachen  Form  f  =  x^'x,  -f  x^'x,  +  x,»Xj  (Math.  Annalen  Bd.  XVII,  S.  217 
bis 233.  1880);  G.  Maisano,  1.  Sistemi  com^leti  dei  primi  cioqne  gradi 
della  forma  ternaria  biquadratica  e  degF  inyarianti,  covarianti  e  cootra- 
varianti  di  sesto  grado  (Giom.  di  Battaglini  XIX).  2.  Sui  covarianti  in- 
dipendenti  di  (n^  grado  nei  coefficienti  della  forma  biquadratica  ternaria 
(Rend.  Giro.  Mat.  di  Palermo  I.  1887);  £.  Pascal,  Gontributo  aUa  teoria 
della  forma  ternaria  biquadratica  e  delle  sue  varie  decomposizioni  in 
fattori  (Memoria  premiata  dalla  R.  Accademia  delle  scienze  fisiche  e  mate- 
matiche  di  Napoli.  1905). 

^)  Unter  „Ordnung""  soll  die  Dimension  in  den  Koeffizienten,  unter 
-Grad**  die  in  den  Variablen  verstanden  werden. 


-    177    - 

Mais  an 0 sehen  Resultate  hauptsächlich  mit  der  Frage  nach 
dem  Zerfallen  der  biquadratischen  Form  in  Faktoren^). 

Das  Ziel  meiner  Untersuchungen  ist  die  Auf- 
stellung des  Formensystems  für  die  allgemeine  ter- 
näre  biquadratische  Form;  und  zwar  werden  zunächst 
nnr  die  Hauptgrundlagen  gegeben,  ein  sogenanntes 
^relativ  vollständiges  System"*)  aufgestellt. 

Der  Grundgedanke  der  Systembildung  temärer  Formen  ist 
dei*selbe  wie  im  binären  Gebiet.  Ausgehend  von  einem  ersten 
relativ  vollständigen  System  —  dem  System  der  aus  dem 
Binären  übernommenen  Formen  —  gelangt  man  nach  be- 
stimmter Gesetzmäßigkeit  zu  Systemen  mit  immer  höherem 
Modul,  solange  bis  das  System  eines  Moduls  —  der  Modul  als 
Grundform  genommen  —  endlich  und  bekannt  wird,  oder  auch 
bis  ein  Modul  sich  reduzieren  läßt  auf  Formen,  die  Invarianten 
znm  Faktor  haben.  Durch  Überschiebung  des  relativ  voll- 
ständigen Systems  über  das  System  des  Moduls  entsteht  im 
ersten  Fall  das  absolut  vollständige  System,  während  im  zweiten 
Fall  relativ  vollständiges  und  absolut  vollständiges  System 
identisch  werden.  Infolge  der  durch  Herrn  Hilbert  allgemein 
bewiesenen  Endlichkeit  der  Formensysteme  muß  dies  Verfahren 
notwendig  zu  einem  Abschluß  führen. 

In  unserm  Fall  läßt  sich  der  Modul  (abc)  des  ersten 
relativ  vollständigen  Systems  zurückführen  auf  die  Moduln 
J  =:  (abc)*a3t*bx*Cx*  undy  =  (abu)*;  daraus  ergibt  sich  leicht 
das  relativ  vollständige  System  mod  v.  Als  Reihe  der  Moduln 
wählen    wir   nun    die    Formen:      v;      v(v)  =  {vv{jiy  =  Sx*, 


^)  In  der  zweiten  kurzen  Note  versucht  Herr  Mais  an  o  eine  lineare 
Abhängigkeit  der  3  Kovarianten  6.  Ordnung  und  6.  Grades  nachzu- 
weisen. Im  Gegensatz  zu  diesem  nicht  ganz  vollständigen  Beweis  glaubt 
Herr  Pascal  die  lineare  Unabhängigkeit  der  3  Kovarianten  6.  Ordnung, 
ebenso  wie  diejenige  der  3  Invarianten  9.  Ordnung  bewiesen  zu  haben.  Daß 
aber  in  der  Tat  eine  lineare  Relation  zwischen  den  3  Kovarianten  einer- 
seits, den  3  Invarianten  andererseits  existiert,  hat  sich  im  Laufe  meiner 
Bechnungen  ergeben;  und  zwar  lauten  die  expliziten  Formeln  in  der  Be- 
zeichnungsweise  Pascal's: 

0  =  20^1+  6ß,— 3Ö,  +  4f.  Cj-12f-C,— 4A:^. 
0=:4A»— löA-B  +  SOC-SOD  +  SE. 

')  Fttr  die  Bezeichnung  vgl  Gor  dan-Kers  ebenste  in  er,  Vor* 
lesungen  über  Invariantentheorie,  Bd.  II,  S.  227. 

8ltBiiosib«riohte  der  phyi.-iiMd.  Sox.  89  (1907).  ]^2 


s^l'u^u" 

X     X    a     T 

s,t,        u„u. 

8x«a 

resp.  durch  (stu)        (orx) 

% 

Faltung     I            n 

-    178    — 

v(s)  it=  (s8*u)* . . :  und  adjungieren  als  weitere  Moduln  zwei 
bei  der  Bildung  des  relativ  vollständigen  Systems  mod  s  auf* 
tretende  quadratische  Formen,  u^^  und  t^^  Es  läßt  sich  dann 
zeigen,  daß  der  auf  s  folgende  Modul  (ss'u)*  reduzibel  ist  auf 
den  Modul  (^,  t).  Da  aber  das  simultane  System  zweier  qua« 
dratischer  Formen  endlich  und  bekannt  ist,  ist  damit  der  oben 
gekennzeichnete  Abschluß  erreicht.  Als  relativ  vollständiges 
System  mod  {q,  t)  ergeben  sich  331  Bildungen.  — 

Noch  mache  ich  einige  Angaben  bezüglich  der  angewandten 
Methode. 

Der  Grundprozeß  zur  Erzeugung  von  Formen,  der  ITäl- 
tungsprozeß,  läßt  sich  im  ternären  Gebiet  folgendermaßen 
definieren: 

Ersetzt  man  in  einem  symbolischen  Produkt 

die  Faktorenpaare 

oder  s^u^      t^u^  oder  t^u^ 

oder  s,  t,  oder  t^ 

ni  IV 

ao  sind  die  entstehenden  Formen  durch  Faltung  aus  der  ur- 
sprfinglichen  hervorgegangen^). 

Dabei  kann  noch  stets:    s^  =  o;    t,  =  o  gesetzt  werden. 

Für  den  Zusammenhang  der  einzelnen  Faltungen  gilt  da- 
bei der  Satz: 

Die  Faltungen  I  und  II  sind  Grundfaltungen,  aus 
denen  sich,  unabhängig  von  der  Beihenfolge  der  Zn- 
sammensetzung, die  Faltungen  III  und  IV  zusammen- 
setzen lassen.  In  anderen  Worten:  Um  alle  aus  einem 
gegebenen  Ausdruck  durch  Faltung  entstehenden 
Formen  zu  bilden,  hat  mau  nur  die  Faltungen  lundll 
anzuwenden*). 

Als  „Formen  reihe  "definieren  wir  eine  Anfangsform  mit 
allen  durch  Faltung  in  sich  aus  dieser  hervorgehenden  Formen. 

Nach  dem  Satze  läßt  sich  eine  Formenreihe   s"  t\^nl  in  ein 

rechteckiges  Schema  anordnen.    Man  erhält  beim  Fortschreiten: 

*)  Gordarn;    Math. ' Annalen,  Bch  XVII,  S.  il9. 

*)  Eine  Ausnahme  erieidet  der  Satziln  idem  Fall,  wo  n  und  /i,  resp. 
m  und  V  gleichzeitig  verschwinden ;  die  „ Formenreihe "  rednstert  sich 
dann  auf  das  Diagonalglied. 


-     179     — 

1.  uro  eine  Kolonne  nach  rechts,  alle  darch  Faltung  I  aus 
den  nebenstehenden  Formen  entstehenden  Formen, 

2.  am  eine  Zeile  nach  unten,  alle  dnrch  Faltung  n  aus 
den  obenstehenden  Formen  entstehenden  Formen,  und 
somit  alle  durch  Faltung  entstehenden  Formen. 

Unter  diesen  Voraussetzungen  lassen  sich  die  Sätze  Aber  Be- 
dnzenten  in  ihrer  allgemeinsten  Form  und  unter  der  Definition 

„Ein  Beduzent  ist  eine  reduzible  Formenreihe^ 
so  aussprechen: 

Ist  die  Anfangsform  einer  Formenreihe  re- 
duzibel  dadurch,  daß  eines  ihrer  Glieder  durch 
Faltung  mit  einem  Beduzenten  hervorgegangen 
ist,  und  ist  die  Schlußform  der  Formenreihe  aus 
eben  diesem  Glied  durch  Faltung  entstanden,  so 
ist  die  Gesamtformenreihe  reduzibel. 
Als  weitere  Beduktionsmethoden  sind  zu  nennen: 

1.  Die  sogenannte  „doppelte  Beduktion^;  d.  h.  die  Be- 
duktion  einer  Form  auf  doppelte  Art  zur  Erzielung 
einer  Belation  zwischen  den  höheren  Formen, 

2.  die  „Faltung  mit  zerfallenden  Formen^,  die  teilweise 
den  Charakter  der  Beduktion  durch  Beduzenten,  teil- 
weise den  der  „doppelten  Beduktion"  zeigt. 


12* 


Ober  das  Atomgewicht  des  Palladiums. 

Von  Paul  Haas. 
Aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  Universität  Erlangen. 

Einleitung. 

Obwohl  in  letzter  Zeit,  wie  wir  später  sehen  werden, 
mehrere  Neubestimmangen  des  Atomgewichts  von  Palladiam 
aasgeführt  worden  sind^  ist  diese  wichtige  Konstante  bisher 
doch  noch  nicht  mit  genügender  Sicherheit  festgelegt. 

Die  nachfolgende  Experimentalantersuchung  stellt  sich  die 
Aufgabe,  zur  exakten  Ermittlung  dieser  Eonstante  beizutragen. 

Ehe  ich  auf  die  Beschreibung  meiner  Versuche  eingehe, 
möchte  ich  die  wichtigsten  Methoden  erwähnen,  vermittels  welcher 
das  Palladium  aus  dem  Platinerze  rein  erhalten  werden  kann. 

V.  Schneider^)  empfiehlt  folgendes  Verfahren.  Die  Lösung 
der  Platinmetalle  in  Königswasser  wird  längere  Zeit  mit  einem 
bedeutenden  Überschuß  von  Ätznatron  gekocht,  wodurch  alle 
höheren  Chloride  der  Platinmetalle  mit  Ausnahme  des  Platins 
selbst  in  niedere  Chloride  übergeführt  werden.  Man  säuert  mit 
Salzsäure  an,  fällt  mit  Salmiak  den  größten  Teil  des  Platins 
aus,  und  scheidet  aus  dem  siedendheißen  Filtrat  die  übrigen 
Platinmetalle  durch  Einstellen  eines  Kupferblechs  ab.  Nachdem 
man  durch  Behandeln  mit  Salpetersäure  aus  dem  Metallpulver 
Palladium  und  Kupfer  gelöst  hat,  wird  das  erstere  durch  Schütteln 
mit  Quecksilber  aus  der  Lösung  entfernt. 

Bunsen^)  verfährt  auf  folgende  Weise.  Die  durch  Eisen 
niedergeschlagenen  Platinmetalle  glüht  er  mit  Chlorammonium 
im  hessischen  Tiegel  und  dampft  dann  das  Produkt  mit  dem 
zwei-  bis  dreifachen  Gewichte  roher  Salpetersäure  bis  zur 
Syrupkonsistenz  ein;  aus  der  Lösung,  die  Platin  als  Chlorid, 
Palladium  als  Chlorür  enthält,  fällt  er  Kaliumhexachoro- 
platineat.    In   das   Filtrat  leitet   er   Chlor   bis   zur  Sättigung 

»)  Lieb.  Ann.  Suppl.  5  (1867),  264. 
«)  Lieb.  Ann.  146  (1868),  265. 


—     181    — 

ein,  wodurch  das  Palladium  als  zinnoberroter  Niederschlag 
abgeschieden  wird,  der  noch  mit  geringen  Mengen  Ton 
Platin-,  Rhodium-  und  Iridinmdoppelsalz  gemengt  ist,  daher  in 
in  siedendem  Wasser  gelöst,  mit  Oxalsäure  eingedampft  und 
wieder  mit  Ghlorkaliumlösuug  aufgenommen  wird,  wobei  fast 
reines  Platinsalz  zurQckbleibt.  Aus  dem  braunen  Filtrat  kristalli- 
siert zunächst  Kalium tetrachloi-palladoat;  der  größte  Teil  des 
Palladiums  bleibt  in  Lösung  und  wird  nach  Entfernung  von 
kleinen  Mengen  Eisen  und  Kupfer  mittels  Natronlauge  durch 
vorsichtige  Fällung  mit  Jodkalium  als  schwarzes  Palladojodid 
niedergeschlagen.  Der  Niederschlag  hinterläßt  beim  Erhitzen 
im  Wasserstoffstrom  grauschwarzen,  reinen  Palladiumschwamm. 

Boeßler^)  fällt  aus  der  mit  Chlor  gesättigten  Lösung  der 
Metalle  Platin  und  Palladium  gemeinschaftlich  durch  Kalium- 
chlorid aus.  Nach  Reduktion  der  Chlorosalze  im  Wasserstoff- 
strom wird  durch  Auswaschen  mit  Wasser  das  Ghlorkalium 
entfernt  und  aus  der  Lösung  in  Königswasser  das  Palladium 
durch  Quecksilbercyanid  als  Cyanür  gefällt.  Größere  Mengen 
der  Chlorosalze  werden  durch  Glühen  bei  Luftabschluß  zersetzt, 
die  Rückstände  in  Wasser  gelöst  und  die  Metalle  durch  Zink 
gefällt;  bei  der  Behandlung  mit  Salpetersäure  geht  Palladium 
in  Lösung. 

Eine  ziemlich  einfache  Methode  zur  Reingewinnung  des 
Palladiums  schlug  Wi Im ^)  vor.  Das  Platin  wird  aus  der  Lösung 
durch  Kaliumchlorid  gefällt,  das  Filtrat  mit  ttberschässigem 
Ammoniak  gekocht  und  nach  nochmaligem  Filtrieren  mit  Salz- 
säure gesättigt.  Nach  einiger  Zeit  scheidet  sich  ein  Nieder- 
schlag ab,  der  entweder  —  wenn  rein  gelb  —  aus  fast  reinem 
Palladosamminchloridbesteht,  oder  —  wenn  schmutzig  gelb  — 
noch  durch  geringeMengen  von  Rhodium  verunreinigt  ist.  Durch 
wiederholtes  Behandeln  des  Niederschlages  mit  Ammoniak  und 
Salzsäure  erhält  man  außerordentlich  reines  Palladosammin- 
chlorid,  das,  im  Wasserstoffstrom  geglüht,  reines  Palladium 
binteriäßt. 

Henri  Sainte-Claire  Deville  und  H.  Debray^)  stellten 


»)  RoeBler.  W.  J.  1866,  175. 
«)  Wilm.  Ber.  1880,  1198;  1881,  629;  1882,  241. 
*)  Du  Platine  et  des  Mötaux  qui  raccompagnent.    Ann.  Chim.Phys. 
[33  56  (1850),  386. 


-    182    - 

das  Palladinm  folgendermaßen  rein  dar.  Zunächst  werden  Os- 
minm  und  Iridium  mit  Silber  entfernt  und  dann  aus  der  Lösung 
Platin  und  Iridium  als  Ammoniumchlorosalze  gefällt.  Das  einge- 
dampfte Filtrat;  das  noch  Palladium,  Rhodium;  Gold,  Eisen  und 
Kupfer  enthält,  wird  mit  Schwefelammonium  und  Schwefelblumen 
behandelt  und  nach  dem  Eintrocknen  in  reduzierender  Atmos- 
phäre geglüht,  wobei  die  Edelmetalle  als  solche,  Kupfer  und 
Eisen  dagegen  als  Schwefelverbindungen  erhalteb  werden. 

Palladium,  Kupfer  und  Eisen  werden  in  konzentrierter 
Salpetersäure  bei  70^  gelöst.  Beim  GlUhen  des  BQckstandes  der 
eingedampften  Lösung  erhält  man  die  Oxyde,  aus  denen  sich 
Kupfer  und  Eisen  mit  Salzsäure  extrahieren  lassen,  während 
das  Palladium  zurfickbleibt. 

Cox^)  veröffentlichte  ein  Verfahren,  um  Palladium  aus  dem 
palladiumhaltigen  Golde  zu  isolieren.  Man  schmilzt  den  brasili- 
anischen Goldstaub  mit  dem  gleichen  Gewichte  Silber  und  etwas 
Kaliumnitrat  zusammen,  gießt  die  erhaltene  Legierung  in  Stangen 
und  schmilzt  sie  noch  einmal  im  Graphittiegel  mit  dem  gleichen 
Gewichte  Silber  unter  umrühren  zusammen ;  hierauf  wird  die  Legie- 
rung durch  Granulieren  zerteilt  und  die  feinen  Metallkörner  werden 
mit  verdünnter  Salpetersäure  in  einer  Porzellanschale  erwärmt, 
bis  keine  Einwirkung  mehr  erfolgt  Gold  bleibt  zurück,  während 
aus  der  salpetersauren  Lösung  Silber  mit  Kochsalz  und  Palladium 
nebst  Kupfer  und  Blei  durch  Zink  gefällt  wird.  Hierauf  wird 
das  schwarze  Pulver  wieder  in  Salpetersäure  gelöst  und  das 
Palladium  aus  dieser  Lösung  durch  wiederholtes  Übersättigen 
mit  Ammoniak  und  Salzsäure  als  Palladosamminchlorid  ausge- 
schieden. 

F.  Mylius  und  B.  Dietz  behaupteten  mit  Recht  noch  im 
Jahre  1898,  daß  die  Verwendung  der  Platinmetalle  zu  wissen- 
schaftlichen Zwecken  durch  die  Unreinheit  der  käuflichen  Prä- 
parate wesentlich  erschw-ert  sei,  welche  eine  weitere,  sehr  zeit- 
raubende Reinigung  im  Laboratorium  notwendig  mache.  Dem 
entgegen  möchte  ich  darauf  hinweisen,  daß  das  zu  unseren  Ver- 
suchen dienende  Palladium  sich  durch  größte  Reinheit  auszeichnet, 
daß   aber   auch   die  übrigen  Platinmetalle,  Iridium,  Rhodium, 


^)  Cox.  Phil.  Mag.  23,  16;    Da  mm  er,  Anorgan.  Chemie  3,  875. 
*)  Beiträge  zur  Chemie  der  Platinmetalle.   S.  IQ^.    Porpat  1854. 


-^    188    — 

Batheniam  und  Osmium  fdr  besondere  Zwecke  jetzt  in  höchster 
Reinheit  von  der  Technik  geliefert  werden. 

Leider  ist  es  nicht  möglich,  die  Beindarstellung  des  uns  über- 
lassenen  Materials  zu  schildern,  da  uns  die  Firma  W.  C.  He  raus 
in  Hanau,  der  wir  das  eigens  zu  dem  Zwecke  einer  Atom- 
gewichtsbestimmung  hergestellte  Palladium  verdanken,  mitteilte, 
daß  sie  die  Beindarstellung  der  Platinmetalle  als  Fäbrikgeheimnis 
betrachte. 

Geschichtliches. 

Die  ersten  Versuche,  das  Atomgewicht  des  Palladiums  zu 
bestimmen,  stellteBerzelius^)  an,  der  aus  dem  Verhältnis Pd : S 
im  Jahre  1813  die  Zahl  113,8  und  im  Jahre  1826  das  Atom- 
gewicht 114,3  ermittelte. 

Aus  dem  Verhältnis  Pd :  HgCla  fand  er  im  Jahre  1813 
die  Zahl  112,6. 

Einige  Jahre  später  emeueii;e  er  seine  Versuche  durch  die 
Reduktion  des  Ealiumtetrachloropalladoats  mit  Wasserstoff  und 
berechnete  das  Atomgewicht  aus  dem  Gehalt  des  Salzes  an 
Metall  und  an  Ghlorkalium  zu  106,5. 

Die  nächste  Neubestimmung  wurde  erst  61  Jahre  später 
von  E.  H.  Keiser'"*)  ausgeführt.  Reiser  reduzierte  das 
reine,  gelbe  Palladosamminchlorid  im  Wasserstoffstrom,  ver- 
flüchtigte das  Chlorammonium  durch  stärkeres  Erhitzen  und 
ersetzte  nach  Eniiedrigung  der  Temperatur  das  Wasserstoff- 
gas durch  einen  trockenen  Luftstrom  bis  zum  vollständigen 
Erkalten.  Das  auf  diese  Weise  reduzierte  Palladium  ergab 
das  Atomgewicht  106,54.  Da  die  Verfasser  die  Temperatur, 
bei  der  sie  die  ümwechslung  des  Wasserstoffs  mit  dem 
trockenen  Luftstrom  vornahmen,  nicht  genau  angeben,  so  läßt 
sich  kritisch  aber  ihre  Versuche  nur  wenig  sagen;  immerhin 
wäre  es  denkbar,  daß  diese  Vei*suchsanordnung  größere  Fehler- 
quellen in  sich  einschließt,  als  sie  dem  Fernerstehenden  direkt 
auffallen  möchten. 

Drei  Jahre  später  haben  G.  H.  Bailey  und  Th.  Lamb*) 

>)  BerKelins.  Pogg.  Ann.  13  (1828),  45. 

*)  £.  H.  Keiser.  Amer.Chem.  J.ll  (1889),  398  und  Chem.  News 59 
(1889),  262. 

')  G.  H.  Bailey  und  Tb.  Lamb.  J.  chem.  Soc.  61  (1892),  745  und 
ehem..  News.  66  (1892),  85. 


-    184    - 

ebenfalls  Palladosamminchlorid  zu  Metall  redaziert,  nachdem 
sie  gefunden  hatten,  daß  sowohl  Palladocyanid  als  anch 
Kalinmtetrachloropalladoat  and  andere  Verbindungen  f&r  Atom- 
gewichtsbestimmangen  unbrauchbar  sind.  Sie  stellten  zum 
Zwecke  ihrer  Bestimmung  das  im  Wasserstoffstrom  redu- 
zierte Metall  mit  dem  Schiffchen  in  ein  Porzellanrohr,  welches 
evakuiert  und  dann  in  einem  Holzkohlenofen  auf  Rotglut  er- 
hitzt wurde;  die  Gase,  die  sich  in  dem  Rohr  entwickelten, 
wurden  mit  einer  Pumpe  abgesaugt.  Die  auf  diese  Weise  er- 
haltenen Resultate  wichen  für  eine  Ätomgewichtsbestimmung  zu 
stark  voneinander  ab  und  ergaben  als  Mittel  den  Wert  105,731. 

Noch  im  gleichen  Jahre  publizierten  Harry  F.  Keller 
und  F.  Smith^)  eine  Neubestimmung,  in  der  sie  mit  Hilfe 
einer  elektrolytischen  Bestimmungsmethode  den  Palladiumgehalt 
im  Palladosamminchlorid  ermittelten ;  das  Mittel  aus  ihren  Ver- 
suchen ist  107,191. 

A.  Joly  und  E.  Lei  die*)  erhielten  im  Jahre  1893  durch 
Elektrolyse  der  Ealiumtetrachloropalladoats  als  Mittelwert  von 
nur  vier  Versuchen  die  Zahl  105,709  als  vorläufiges  Ergebnis. 

Edward  H.  Keiser  und  Mary  B.  Breed*)  wiederholten 
im  Jahre  1894  durch  Reduktion  des  Palladosamminchlorids 
Eeisers  frühere  Bestimmungen  mit  der  größten  Sorgfalt  und 
erhielten  im  Mittel  von  fünf  Analysen  fast  genau  den  früheren 
Wert,  nämlich  106,518. 

Willet  Lepley  Hardin*)  analysierte  im  Jahre  1899  das 
Pallado-di-Anilin-Chlorid,  bezw.  -Bromid  und  das  Ammonium- 
tetrabromopalladoat  und  erhielt  im  Mittel  von  16  Versuchen  den 
hohen  Wert  107,014. 

Bevor  ich  nun  des  näheren  auf  die  in  allerneuester  Zeit 
ausgeführten  Versuche  eingehe,  möchte  ich  in  Kurze  auf  einige 
Fehlerquellen  hinweisen,  die  den  Methoden  der  erwähnten 
Forscher  anhaften  und  vielleicht  die  Ursache  bilden  können^ 
daß  die  einzelnen  Werte  der  früheren  Bestimmungen  so  große 
Abweichungen  untereinander  zeigen. 


»)  Harry  F.  Keller  u.  F.  Smith.   Amer.  Chem.  J.  14  (1892),  423. 
*)  A.  Joly  und  £.  Leidiö.  Compt.  rend.  116  (1893),  146. 
')  Edward  H.  Keiser  und  Mary  B.  Breed.    Amer.  chem.  J.  16 
(1894),  20. 

«)  Willet  Lepley  Hardin.   Amer.  Chem.  J.  21  (1899),  943. 


—    185    — 

Da  bekanntlich  Palladiamschwamm  bis  zum  1000  fachen 
seines  Volumens  Wasserstoff  aufzunehmen  vermag,  da  bei  den 
meisten  der  beschriebenen  Versuche  der  Wasserstoff  des  redu- 
zierten Palladiums  durch  einen  Luftstrom  anstatt  durch  ein 
indifferentes  Gas  verdrängt  wurde,  und  da  femer  niemals  ange- 
geben worden  ist,  bei  welcher  Temperatur  der  Wasserstoff  durch 
Luft  ersetzt  worden  ist,  so  könnte  katalytisch  Wasser  gebildet 
und  so  das  Gewicht  des  zurückbleibenden  Palladiums  erhöht 
worden  sein.  Der  überaus  hohe  Wert  von  Hardin  dürfte  viel- 
leicht daraus  %n  erklären  sein,  daß,  worauf  die  im  hiesigen 
Laboratorium  gesammelten  Erfahrungen  hinweisen,  das  Palladium 
durch  Verbrennung  von  organischen  Palladosamminverbindungen 
nicht  absolut  rein  zu  erhalten  sein  wird.  Eine  Hauptursache 
der  großen  Abweichungen  scheint  mir  vor  allem  in  der  Ver- 
schiedenheit der  analytischen  Methoden  zu  liegen;  ferner  gibt 
keiner  der  genannten  Autoren  die  Beinigungs-  und  Darstellungs- 
weise der  benützten  Reagentien  an,  deren  Kenntnis  von  höchstem 
Interesse  für  die  Beurteilung  der  Bestimmungen  wäre. 

In  neuester  Zeit,  im  Jahre  1905,  veröffentlichte  R.Amb er  g^) 
eine  Arbeit  über  das  Palladium,  in  der  er  das  Atomgewicht 
106,7  fand.  Er  ging  vom  Palladosamminchlorid  aus  und  schied 
das  Metall  auf  elektrolytischem  Weg  aus  dieser  Verbindung  ab. 

In  demselben  Jahre  wurde  nun  im  hiesigen  Laboratorium 
von  A.  Gutbier  und  A,  Kr  eil*)  eine  Bestimmung  des  Atom- 
gewichtes des  Palladiums  ausgeführt,  welche  als  Mittelwert 
106,72  ergab. 

A.  Gutbier  und  A.  Krell  benützten  zu  ihren  Unter- 
süchungen  wieder  das  Palladosamminchlorid,  das  im  Wasser- 
stoffstrom reduziert  wurde  und  als  metallisches  Palladium  zur 
Wägung  kam. 

Diebeiden  vonR.Ambergundvon  A.Gutbierund  A*Krell 
erhaltenen  Resultate  zeigen  eine  befriedigende  Übereinstimmung, 
obwohl  sie  mit  ganz  verschiedenem  Ausgangsmaterialien  und 
nach  verschiedenen  Methoden  erhalten  worden  sind. 

A.  Gutbier  nahm  deshalb  am  Anfange  dieses  Jahres  in 
Gemeinschaft  mit  M.  Woernle  eine  weitere  Revision  des  Atom- 


^)  Richard  Am b erg.  Lieb.  Ann.  341  (1905),  235, 
*)  DisBertation  voq  A.  Krell.   Erlangen  1906. 


186 


gewichtes  vor  und  benutzte  za  diesem  Zwecke  dieselbe  Methode 
wie  B.  Amberg  zar  Zerlegang  des  Palladosammincblorids. 

Der  nach  diesen  Verfahren  erhaltene  Wert  106,708  stimmt 
ebenfalls  sehr  befriedigend  mit  den  von  R.  Amberg  und  von 
A.  Gutbier  und  A.  Krell  gefundenen  Werten  nberein. 

Die  Tabelle  gibt  eine  klare  Übersicht  aber  die  bis  jetzt 
erfolgten  Bestimmungen. 


Jahr 

Autor 

Aus  dem  Verhältnis 

H  =     1.008 
0  =  16,00 

1813 

Berzelius 

Pd:8 
Pd :  HgCI, 

113,8 
112,6 

1826 

BerzeliuB 

Pd:8 

114.3 

1828 

Berzelius 

K,PdCl,:Pd 
K,PdCL:CI, 
K^PdCl^iK^Cl, 

106,5 

1889 

Keiser 

Pd(NH,Cl,):Pd 

106.54 

1892 

G.  H.  Bailey  u.  Th. 
Lamb 

Pd(NH,Cl), :  Pd 
Pd(NH,Cl),:Cl, 

105,731 

1892 

Keller  und  Smith 

Pd(NH,Cl), :  Pd 

Maximum 

107,191 

1893 

Joly  uod  E.  Leidig 

K,PdCl,:Pd 

Minimum 
105,709 

1894 

Keiser  und  Breed 

Pd(NH.Cl),:Pd 

106.518 

1899 

W.  L.  Hardin 

Pd(CeH,NH,Cl),:Pd 
Pd(C,H,NH,Br),:Pd 
(NH,),PdBr,:Pd 

107.014 

1905 

R.  Amberg 

Pd(NH,a),:Pd 

106.7 

1905 

A.Gutbieru.A.Krell 

Pd(NH,Cl),:Pd 

106.72 

1907 

A.  Gutbier  und 
M.  Woernle 

Pd(NH,Cl), :  Pd 

106.708 

Um  nun  ein  endgültiges  Urteil  über  die  Richtigkeit  der 
Werte  von  R.  Amberg  und  von  A.  Gutbier,  A.  Krell  und 
M.  Woernle  zu  liefern,  war  mir  von  Herrn  Professor  Dr.  A,  Gut- 
bier die  Aufgabe  gestellt  worden,  das  analoge  Palladosammin- 
bromid  ebenfalls  im  Wasserstoffstrom  zu  reduzieren  und  aus 
dem  Verhältnis  des  verflüchtigten  Bromammoniums  zu  dem  ab- 
geschiedenen Metall  das  Atomgewicht  festzulegen. 


-    187    - 

Die  angewandten  Beagentien. 

Das  zu  vorliegender  Untersuchung  ausschließlich  verwendete 
Wasser  war  auf  folgende  Weise  gereinigt  worden.  Das  destil- 
lierte Wasser  des  Laboratoriums  wurde  in  einer  ca.  8 1  fassenden 
Flasche  ungefähr  eine  Woche  über  reinstem  Kalk  stehen  ge- 
lassen und  dann  in  kleinen  Portionen  aus  einer  sorgfältigst  ge- 
reinigten Platinretorte  destilliert. 

Selbstverständlich  wurde  hierbei  nur  die  mittlere  Fraktion 
aufgefangen.  Dieses  schon  ziemlich  reine  Material  wurde  dann 
mit  etwas  Kaliumpermanganat  in  der  Platinretorte,  die  mit 
einem  eigens  zu  diesem  Zweck  hergestellten  und  nur  zur  Destil- 
lation von  reinstem  Wasser  benutzten  Kühlrohre  aus  reinem 
Quarz  verbunden  war,  zum  zweiten  Male  in  kleinen  Portionen 
destillieii;. 

Das  Kfihlrohr  aus  Quarz  wie  überhaupt  alle  zur  Atom- 
gewichtsbestimmung benützten  Glas-  und  Porzellangeräte  wurden 
vor  jedesmaliger  Benützung  erschöpfend  mit  Wasser  ausgedämpft. 
Überdies  sind  die  benützten  Gefäße,  mit  Ausnahme  des  neuen 
Quarzkühlers,  schon  jahrelang  zu  demselben  Zwecke  im  hiesigen 
Laboratorium  im  Gebrauch. 

Dieses  so  bereitete  Wasser  erwies  sich  chemisch  als  rein 
und  hinterließ,  in  größerer  Menge  verdampft,  nicht  den  geringsten 
wägbaren  Rückstand.  Zur  Aufbewahrung  des  reinsten  Wassers 
wurden  ausgedämpfte,  braune  Flaschen  mit  gut  eingeschliffenen 
Glasstöpseln  verwandt;  selbstverständlich  wurde  das  Wasser 
unmittelbar  vor  dem  Gebrauche  nochmals  destilliert. 

Das  zur  Verwendung  gelangte  Ammoniak  wurde  aus  reinem, 
konzentriertem  Ammoniak  durch  Destillation  gewonnen.  Das  in 
einem  ausgedämpften  Kolben  entwickelte  Gas  leitete  man  durch 
mehrere  mit  Natronkalk  gefüllte  Trockenapparate  und  fing  es 
in  einer  vorgelegten  Flasche,  die  mit  reinstem  Wasser  gefüllt 
war,  auf. 

Die  Darstellung  der  in  großen  Mengen  benötigten  Brom- 
wasserstoffsäure geschah  auf  folgende  Weise.  Es  wurde  zu 
diesem  Zwecke  reines,  von  der  Firma  Merck  geliefertes  Brom 
benützt,  das  zunächst  von  mir  nach  einem  von  G.  P.  Baxter^) 
angegebenen  Verfahren  gereinigt  wurde.    Aus  einem  Teile  des 


>)  G.  P.  Baxter.  Z.  Anorg.  Chem.  50  (1906),  389. 


—    188    — 

Broms  warde  zunächst  mit  Hilfe  von  reinstem  Kalk  und  Ammoniak 
Galciumbromid  dargestellt;  in  welchem  dann  der  Rest  des  Broms 
gelöst  wurde.  Darauf  wurde  die  Lösung  abdestilliert,  das 
Destillat  mit  Wasser  bedeckt  und  durch  Einleiten  von  reinem, 
arsenfreiem  Schwefelwasserstoff  in  Bromwasserstoffsäure  über- 
geführt. Das  zur  Entwicklung  von  reinem  Schwefelwasserstoff 
notwendige  Schwefeleisen  wurde  durch  Fällen  einer  reinen  Fen^o- 
sulfatlösung  mit  reinem  Schwefelamraonium  erhalten;  nachdem 
der  Niederschlag  mit  destilliertem  Wasser  gründlich  ausgewaschen 
worden  war,  zersetzte  man  das  Schwefeleisen  mit  reinster,  ver- 
dünnter Schwefelsäure  und  wusch  das  entweichende  Gas  sorg- 
fältig mit  reinstem  destillierten  Wasser. 

Die  folgende  Figur  veranschaulicht  den  Apparat,  in  dem 
aus  Brom  und  Schwefelwasserstoff  die  Brom  wasserstoffsäure 
dargestellt  wurde;  a  ist  der  Schwefelwasserstoffapparat,  b  der 
Kolben,   in  dem  sich  das  mit  Wasser  bedeckte  Brom  befindet. 


Der  Schwefel,  der  sich  bei  der  Bildung  von  Bromwasser- 
stoffsäure abscheidet,  wurde  durch  wiederholtes  Filtrieren  durch 
doppelte,  säurefeste  Filter  von  der  Säure  getrennt.  Nach  der 
Filtration  vom  gefällten  Schwefel  und  Schwefelbromid  wurde 
die  Säure  unter  gelegentlichem  Zusatz  von.  geringen  Mengen 
Kaliumpermanganat  zur  Entfernung  des  Jods  gekocht,    Endlich 


-    189    — 

wurde  die  Bromwasserstoffsäure  mit  der  äquivalenten  Menge 
yon  kristallisiertem  Permanganat  erhitzt,  wodurch  das  Brom  in 
Freiheit  gesetzt  wurde;  es  wurde  in  einem  mit  Eis  gekühlten 
Kolben  aufgefangen. 

Da  sich  bei  der  ersten,  soeben  beschriebenen  Reinigung  des 
Broms  herausgestellt  hatte,  daß  die  durch  Einleiten  von  Schwefel- 
wasserstoff erhaltene  Säure  nur  sehr  schwer  von  dem  sich  aus- 
scheidenden Schwefel  zu  trennen  war,  so  benützte  man  weiterhin 
folgende  Methode  zur  Beindarstellung  der  Bromwasserstoffsäure. 

In  einem  gut  ausgedämpften  Erlenmeyerkolben  w^urde  eine 
Portion  sorgfältigst  gereinigten,  durch  Erhitzen  dargestellten  roten 
Phosphors  in  unserem  reinstem  Wasser  aufgeschlämmt.  Dann  wurde 
unter  beständigem  Schütteln  des  Kolbens  reinstes  Brom  mittels 
eines  Tropftrichters  hinzugegeben.  Das  Brom  mußte  sehr  vor- 
sichtig und  langsam  zugefugt  werden,  da  die  Einwirkung  spontan 
und  unter  Wänneentwicklung,  ja  sogar  manchmal  unter  Feuer- 
erscheinnng  vor  sich  geht,  wenn  man  zu  rasch  arbeitet.  Trotz  des 
sehr  langsam  erfolgenden  Zusatzes  des  Broms  erhitzte  sich  nach 
längerer  Einwirkung  der  Inhalt  des  Kolbens  so  stark,  daß  eine 
Kühlung  erforderlich  war,  die  man  durch  fließendes  Wasser 
erreichte.  Etwa  entweichender  Bromwasserstoff  wurde  durch 
eine  mit  reinstem  Wasser  gefüllte  Vorlage  aufgenommen. 

Nachdem  die  so  erhaltene  Bromwasserstoffsäure  etwas  ver- 
dünnt worden  war,  wurde  sie  zur  Entfernung  des  überschüssigen 
Phosphors  durch  ein  säurefestes  Filter  filtriert. 

um  die  auf  so  mühsamem  Wege  erhaltene  Bromwasser- 
stoffsäure von  der  noch  mit  in  Lösung  befindlichen  phosphorigen 
Säure  und.  Phosphoi-säure  zu  befreien,  destillierte  man  sie 
aus  dem  Ölbade,  da  bei  der  Verwendung  eines  Asbestdraht- 
netzes infolge  des  starken  Stoßens  der  Flüssigkeit,  das  auch 
durch  die  bekannten  Vorsichtsmaßregeln  nicht  verhindert  werden 
konnte,  ein  Springen  des  Destillationsgefäßes  zu  befürchten  war. 

Natürlich  wurde  auch  jetzt  nur  die  mittlere  Fraktion  des 
Destillats  aufgefangen  und  weiter  destilliert,  nachdem  man  sich 
durch  sehr  sorgfältig  und  von  verschiedenen  Beobachtern  mit 
großer  Geduld  angestellte  Prüfungen  davon  überzeugt  hatte, 
daß  das  Destillat  frei  selbst  von  den  geringsten  Spuren  einer 
Pbosphorverbindung  war  und  außer  Brom  kein  anderes  Halogen 
enthielt. 


-    190    — 

Da  es  jedoch  möglich  gewesen  wäre,  daß  trotzdem  Sparen 
von  Chlor,  die  mit  den  bekannten  Methoden  nicht  mehr  nachzu- 
weisen sind,  in  der  Säure  vorbanden  gewesen  wären,  wurde 
sie  anter  Zugabe  einer  geringen  Menge  einer  Vioo'^^^^^^" 
kaliumpermanganatlösung  nochmals  destilliert,  wobei  wiederum 
nur  die  mittlere  Fraktion  aufgefangen  wurde.  Der  Destillations- 
apparat bestand  aus  einem  großen  Fraktionierkolben  mit  langem 
Halse  und  Tropfenfänger,  um  ein  Überspritzen  von  Flüssigkeit 
in  die  Vorlage  zu  verhindern,  und  aus  einem  Liebigschen  Efihler. 

Der  ganze  Apparat  war  längere  Zeit  mit  Wasser  und  Brom- 
wasserstoffsäure ausgedämpft  worden;  die  Verbindungen  und  Ver- 
schlüsse bestanden  bei  diesem,  wie  beisämtlichen  anderen  Appa- 
raten, nur  aus  gut  schließenden  Olasschliffen  und  Glashähnen. 
Um  eine  Zersetzung  der  heißen  Bromwasserstoffdämpfe  durch 
Licht  zu  verhindern,  waren  sämtliche  Glasteile  des  Apparates 
mit  schwarzem  Papier  in  mehrfacher  Lage  umwickelt. 

Bezüglich  der  Konstante  des  Broms  scheint  irgendwelche 
Unsicherheit  nicht  zu  bestehen.  Denn  Richards,  der  im  Verein 
mit  mehreren  Mitarbeitern  durch  Analyse  von  Bromiden  mehrere 
durch  außerordentliche  Exaktheit  ausgezeichnete  Atomgewichts- 
bestimmungen verschiedener  Elemente  ausführte,  hat  bei  seinen 
vergleichenden  Bestimmungen  immer  einen  mit  der  St  asseben 
Eonstante  identischen  Wert  erhalten,  und  er  selbst  bevorzugt 
jederzeit  die  Analyse  der  Bromide  gegenüber  anderen  Bestim- 
mungsmethoden. 

Die  von  der  Firma  Merck  gelieferte  reinste  Salpetersäure 
zeigte  wieder  als  einzige  Verunreinigung  eine  ganz  minimale  Spur 
Eisen.  Die  Säure  wurde,  um  auch  dieses  zu  entfernen,  in  kleinen 
Portionen  aus  einer  Platinretorte  destilliert,  wobei  nur  die  mittlere 
Fraktion  weitere  Verwendung  fand.  Obwohl  nach  der  Destillation 
nicht  die  geringste  Spur  einer  Verunreinigung  mehr  nachge- 
wiesen werden  konnte,  wurde  die  Säure  nochmals  fraktioniert 
und  schließlich  unmittelbar  vor  dem  Gebrauche  abermals  diesem 
Beinigungsprozeß  unterworfen. 

Darstellung  des  Analysenmaterials. 

Das  Palladium  wurde  auf  dem  Wasserbade  in  einem  sorgfältig 
gereinigten  Erlenmeyerkolben  in  Brom  wasserstoffsäure  unter 
Zugabe  einiger  Tropfen  reinster  Salpetersäure  zu  Palladobromid 


-    191    — 

gelöst  nnd  hierauf  in  einer  ausgedämpften  Porzellanschale  einige 
Male  mit  Bromwasserstoffsäure  abgeraucht,  um  die  noch  vor- 
handene Salpetersäure  vollständig  zu  entfernen.  Das  Palladium 
löste  sich  nach  und  nach  vollständig  auf. 

Das  Abrauchen  der  Säure  nahm  ziemlich  viel  Zeit  in  An- 
sprach, da  sich  die  letzten  Reste  von  Flüssigkeit  auf  dem  Wasser- 
bad nur  schwer  vertreiben  ließen;  eine  höhere  Temperatur  konnte 
aber  naturlich  nicht  zugelassen  werden.  Das  Palladobromid  wurde 
sodann  in  möglichst  wenig  Bromwasserstoffsäure  wieder  gelöst 
and  diese  Lösung  durch  ein  gehärtetes  Filter  direkt  in  eine 
Platinschale  filtriert^  die  reines  Ammoniak  enthielt.  Hierbei 
entstand  ein  rötlich  brauner  Niederschlag,  das  dem  Vauquelin- 
schen  Salz  analoge  Bromid,  das  nach  den  Untersuchungen 
von  Jörgensen^)  als  eiiie  Verbindung  von  Palladodiammin- 
bromid  und  Palladobromid  aufzufassen  ist,  und  dem  die  Formel 
Pd(NH3)4Br2  •  PdBrj  zukommt.  Bei  längerem  Erhitzen  mit 
Ammoniak  auf  dem  Wasserbade  färbte  sich  dieses  Salz  gelb, 
indem  es  in  Palladosamminbromid  überging,-  letzteres  war  in 
Ammoniak  klar  löslich. 

Das  Palladosamminbromid,  das  dieselbe  prozentuale  Zu- 
sammensetzung wie  die  dem  Vauquelin sehen  Salz  analoge 
Bromverbindung  besitzt,  hat  nach  Werner")  folgende  Struktur: 
NHj^ _Br 

^^ 
Br^— \NH3 

Die  schwach  gelb  gefärbte  Lösung  des  Palladosamminbromids 
wurde  in  einen  Erlenmeyerkolben  filtriert,  der  Bromwasserstoff- 
säure enthielt,  wodurch  wiederum  rein  gelbes  Palladosammin- 
bromid gefällt  wurde. 

Nachdem  das  Salz  durch  Dekantieren  mit  Wasser  möglichst 
vom  Bromammonium  befreit  worden  war,  wurde  der  Nieder- 
schlag mittelst  der  Saugpumpe  filtriert  und  des  öfteren  mit 
reinem  Wasser  ausgewaschen.  Der  Lösungs-,  Fällungs-  und 
Auswaschungsprozeß  wurde  dreimal  wiederholt,  um  ein  reines 
Präparat  zu  erhalten. 

*)  Gjnelin-Kraut  3,  1235. 

*)  Werner,  Neuere  Anschauungen  aaf  dem  Gebiete  der  anorgan. 
Chemie.  Brannsehweig,  Yieweg  &  Sohn.  1905. 


—    192    — 

Da  die  zur  Verf&gung  stehenden  Platingefäße  nicht  groS 
genug  waren,  um  die  ganze  Menge  des  Bromids  auf  einmal  zu 
verarbeiten,  wurde  auf  dieselbe  Weise  mit  einer  zweiten  und 
dritten  Portion  des  durch  Auflösen  des  Palladiums  erhaltenen 
Palladobromids  verfahren. 

Das  zuletzt,  d.  h.  nach  dreimaliger  Wiederholung  des 
oben  beschriebenen  Prozesses  gewonnene  Produkt  wurde  durch 
Dekantieren  sorgfältig  gewaschen,  dann  in  kleinen  Portionen 
auf  säurefeste  Filter  gebracht  und  ohne  Anwendung  der  Sang- 
pumpe intensiv  mit  reinstem  Wasser  ausgewaschen,  das  mindestens 
zwanzig  Mal  erneuert  wurde,  um  die  letzten  Spuren  des  Ammo- 
niumbromids  sicher  zu  entfernen.  Der  Niederschlag  wurde 
schließlich  mittels  der  Saugpumpe  möglichst  trocken  gesaugt 
und  dann  mit  einem  ausgeglühten  Platinspatel  in  eine  Platin- 
schale ubergeffihrt,  wobei  natürlich  die  am  Filter  haften 
gebliebenen  Teile  nicht  berücksichtigt  wurden.  Die  Schale 
wurde  dann  in  einen  mit  Schwefelsäure  beschickten  Exsikkator 
gebracht,  wo  sie  längere  Zeit  im  Vakuum  belassen  wurde. 

Darauf  wurde  sie  im  Trockenschrank  noch  einige  Tage  lang  auf 
105^—110®  bis  zur  Gewichtskonstanz  erhitzt,  wobei  natürlich  pein- 
lich darauf  geachtet  wurde,  daß  die  Temperatur  nie  höher  stieg. 

Das  auf  die  geschilderte  Weise  dargestellte  Präparat  war 
äußei*st  rein.  Natürlich  gingen  durch  das  häufige  Auswaschen 
beträchtliche  Mengen  des  Palladosamminbromids  verloren,  doch 
konnten  wir  uns  diese  Verschwendung  infolge  der  relativ  großen 
Mengen  von  Palladium>  die  uns  zur  Verfügung  standen,  gestatten. 

Die  zum  Abfiltrieren  des  Palladosamminbromids  angewandten 
säurefesten  Filter  waren  vorher  längere  Zeit  mit  bromwasser- 
stoffhaltigem,  reinem  Wasser  digeriert  und  dann  quantitativ  mit 
reinstem  Wasser  ausgewaschen  worden. 

Die  Reindarstellung  des  Analysenmaterials  erfolgte  in  einem 
Zimmer^  welches  vollständig  für  meine  Untersuchungen  reserviert 
war;  so  wurde  verhütet,  daß  das  Präparat  mit  Salzsäuredämpfen 
oder  mit  anderen  schädlichen  in  der  Laboratoriumsluft  gewöhn- 
lich sich  findenden  Produkten  in  Berührung  kommen  konnte. 

Wage  und  Gewichte. 

Zur  Wägnng  benützte  ich  die  von  W.  Spoerhase  gelieferte 
Wage,  deren  Einrichtung  hier  kurz  geschildert  werden  möge. 


-    193    - 

Die  Wage  ist  derart  eingerichtet,  daß  die  Auflegang  der 
Gewichte  mittels  eines  Hebels  von  außen  erfolgt,  so  daß  die 
Wage  während  der  Wägung  geschlossen  bleiben  kann.  Zu 
diesem  Zwecke  ist  die  rechte  Schale  der  Wage  durch  ein  Ge- 
hänge ersetzt,  in  dem  fftr  jedes  der  cylinderförmigen  Gewichte 
eine  Auflegestelle  vorhanden  ist.  Die  Gewichte  werden  in 
schwebender  Lage  über  ihren  Auflegestellen  durch  Hebel  fest- 
gehalten. Die  Wage  ist  mit  zwei  Skalen  versehen,  einer 
Makroskala  und  einer  an  der  Zunge  der  Wage  befestigten 
MikroSkala;  an  der  letzteren  erfolgen  die  Ablesungen  durch  ein 
Mikroskop. 

Die  Wage  ist  derart  justiert,  daß  für  10  mg  der  Zeiger 
10  Grad  Ausschlag  gibt,  mithin  für  1  mg  1  Grad.  Für  die 
mikroskopische  Ablesung  ist  jeder  dieser  Grade  wieder  in 
zehn  Teile  geteilt,  so  daß  sich  0,1  mg  direkt  ablesen  lassen; 
da  die  Wägungen  mittels  der  Schwingungsmethode  ausgeführt 
wurden,  konnte  auch  die  fünfte  Dezimale  noch  genau  bestimmt 
werden.  Der  Nullpunkt,  der  während  der  ganzen  Zeit  recht 
konstant  blieb,  wurde  vor  und  nach  jeder  Wägung  ermittelt;  mit 
dem  Durchschnitt  beider  Werte  wurde  gerechnet. 

Das  kostbare  Instrument  steht  in  einem  Wägezimmer  für 
sich  allein,  zu  welchem  niemand  sonst  Zutritt  hat;  die  Gewichte 
sind  von  der  Normaleichungskommission  geeicht. 

Bestimmiing  des  Atomgewiehtes. 

Die  Bestimmungen  wurden  in  derselben  Weise  durchgeführt 
wie  die  von  A.  Krell  und  von  M.  Woernle,  nur  wurde  ein  etwas 
vereinfachter  Reduktionsapparat  benutzt,  der  im  folgenden  kurz 
beschrieben  sei  (s.  die  Figur  auf  der  beigegebenen  Tafel). 

Wasserstoff  wurde  in  einem  mit  Steigröhre  versehenen 
Kippschen  Apparate  (EJ  aus  reinstem  arsenfreien  Zink,  das 
man  vorher  platiniert  hatte,  und  ans  destillierter,  verdünnter 
Schwefelsäure  entwickelt  und  durch  zwei  Waschflaschen  geleitet, 
von  denen  die  eine  mit  reinster  Natronlauge  (Wj),  die  zweite 
mit  Ealiumpermanganatlösung  (W2)  gefüllt  war.  Zwischen  diesen 
beiden  Waschflaschen  und  der  mit  konzentrierter  Schwofelsäure 
beschickten  Trockenflasche  (WJ  war  zur  genaueren  Regulierung 
des  Gasstromes  ein  Glashahn  (QJ  eingeschaltet  worden;  in  die- 
selbe Flasche  ("WJ  mündete  ebenfalls  nach  Zwischenschaltung 

8itsii]isib«riehte  der  phyi.-med.  Sos.  89  (1907).  13 


—    194    — 

eines  Glashahnes  (Q2)  das  vomEohlendioxydentwicklungsapparate 
(E2)  kommende  Gasableitungsrobr. 

Die  Kohlensäure  entwickelten  wir  ans  Marmor,  den  wir 
durch  Auskochen  mit  Wasser  von  Luft  befreit  hatten,  mit 
reinster  verdünnter  Salzsänre  und  wuschen  sie  in  der  Flasche 
(W3)  mit  Natriumbicarbonatlösung. 

Aus  der  mit  Schwefelsäure  beschickten  Waschflasche  (WJ 
trat  das  Gas  in  eine  auf  einem  kleinen  Verbrennungsofen  zur 
Rotglut  erhitzte,  mit  Kupferspiralen  gefüllten  Verbrennungsröhre 
(B)  und  gelangte  von  hier  durch  eine  mit  Palladiumasbest  be- 
schickte Kugelröhre  (P),  durch  ein  Chlorcalciumrohr  (C,)  und 
eine  lange  mit  sorgfältig  gereinigtem  Phosphorpentoxyd  gefüllte 
Röhre  (T)  in  das  Glasrohr  (Re),  in  welchem  die  Reduktion 
vorgenommen  wurde. 

Ein  Chlorcalciumrohr  {G^)  sowie  zwei  mit  Natriumbicar- 
bonatlösung (W5)  und  mit  konzentrierter  Schwefelsäure  (W,) 
beschickte  Waschflaschen  schließen  den  Apparat  ab. 

Mit  Hilfe  aller  dieser  Einrichtungen  war  es  möglich,  je  nach 
Wunsch  Wasserstoff  oder  Kohlendioxyd  durch  den  Apparat  zu 
leiten,  die  Substanz  also  je  nach  Bedaif  in  dem  einen  oder 
anderen  Gase  zu  erhitzen. 

Die  Bestimmungen  selbst  wurden  wie  folgt  ausgeführt. 

Große  und  breite  Porzellanschiffchen  aus  Meißner  Porzellan 
wurden  in  Salpeter-  und  Bromwassersoffsäure  mehrere  Stunden 
ausgekocht,  dann  mit  Wasser  gereinigt  und  schließlich  in  reinem 
Wasser  selbst  nochmals  längere  Zeit  ausgekocht. 

Nachdem  sie  sorgfältigst  mit  einem  seidenen  Tuche  ge- 
trocknet waren,  wurden  sie  je  zehn  Minuten  vor  dem  Gebläse 
geglüht,  dann  nach  kurzem  Erkalten  in  die  bekannten  zu  diesem 
Zwecke  dienenden  Wägeröhrchen,  die  mit  zwei  vorzüglich  ein- 
geschliffenen und  absolut  luftdichten  Glasstopfen  versehen  waren, 
eingeschoben,  zwei  Stunden  an  der  Wage  stehen  gelassen  nnd 
dann  zur  Wägung  gebracht.  Dies  wurde  so  oft  wiederholt,  bis 
dreimal  hintereinander  konstantes  Gewicht  erreicht  wurde. 

In  das  so  vorbereitete  Schiffchen  wurden  ca.  l^^—^^U  S  des 
reinsten  Palladosamminbromids  eingetragen  und  im  Trocken- 
schranke bei  105^  zwei  Stunden  lang  erhitzt;  nach  aber- 
maligem, zweistündigem  Stehen  im  Wägezimmer  wurde  das 
Schiffchen  mit  Substanz  gewogen.    Sobald  konstantes  Gewicht 


—    195    — 

erreicht  war  wurde  das  Schiffchen  nan  vorsichtig  in  das 
Glasrohr  eingeschoben,  die  Apparate  Inftdicht  verbanden  und, 
nachdem  zuvor  zur  Vermeidung  von  Knallgas  alle  Luft  durch 
Kohlensäure  verdrängt  worden  war,  ein  langsamer  Wasser- 
stoffstrom hindurchgeleitet.  Dann  begannen  wir  ungefähr  zwei 
Finger  breit  vor  der  Stelle,  an  der  sich  das  Porzellan- 
schiffchen  befand,  mit  einem  Mikrobrenner  schwach  zu  er- 
wärmen und  führten  durch  fächelndes  Erhitzen  die  Zersetzung 
des  Präparates  herbei.  Diese  Zersetzung  verläuft  außerordent- 
lich ruhig,  indem  sich  das  darcb  Katalyse  gebildete  Brom- 
ammonium langsam  verflüchtigt,  und  sich  teils  auf  dem  umzer- 
setzten Palladosamminbromid,  teils  an  der  Röhre  niederschlägt. 

So  einfach  dieser  Prozeß  aussieht,  so  fanden  wir  trotzdem,  daß 
er  nicht  so  glatt  verläuft,  denn  die  letzten  Beste  des  Bromammoni- 
nms  haften  in  dem  fein  verteilten  Palladiumschwamm  ziemlich 
fest,  so  daß  zu  ihrer  endgültigen  Vertreibung  eine  Steigerung 
der  Temperatur  notwendig  ist.  War  dies  en-eicht,  so  trieb  man 
das  Bromammonium  durch  Erhitzen  in  der  Röhre  weit  von  dem 
Porzellanschiffchen  fort,  um  ein  Zurficksublimieren  in  das  Pal- 
ladium zu  verhindern. 

Bekanntlich  nimmt  nun  ein  derartig  fein  verteiltes  Palla- 
dium, wie  es  hier  vorliegt,  beim  Abkühlen  im  Wasserstoff- 
strom relativ  große  Mengen  von  Wasserstoff  auf,  um  mit 
ihm  das  sogenannte  Wasserstoffpalladium  zu  bilden.  Unser 
eifrigstes  Bestreben  mußte  sein,  die  Bildung  dieses  Produktes 
zu  verhindern,  da  das  mit  Wasserstoff  beladene  Palladium  nicht 
an  die  Luft  gebracht  werden  kann,  ohne  zu  erglühen,  d.  h.  mit 
dem  Sauerstoff  der  Luft  infolge  der  katalytischen  Eigenschaften 
des  Palladiums  Wasser  zu  bilden  und  dieses  auf  seiner  Ober- 
fläche zu  verdichten.  Wir  fanden  allerdings  wieder,  daß  ein  im 
Wasserstoffstrom  genügend  hoch  erhitztes  Palladium  seine  feine 
Verteilung  aufgibt,  sich  in  ein  kompakteres  Produkt  verwandelt, 
das  nun  seinerseits  beim  Herausnehmen  an  der  Luft  nicht  mehr 
erglüht,  aber  daß  auch  ein  derartiges  Produkt  mit  Wasserstoff 
beladen  ist,  da  es  beim  Erhitzen  im  Luftstrom  Wasser  bildet. 

Durch  einen  kleinen  Kunstgriff  ist  es  gelungen,  diese  unan- 
genehmen Erscheinungen  vollkommen  aufzuheben.  Man  fand 
nämlich,  daß  Palladium,  welches,  mit  Wasserstoff  beladen,  im 
Kohlensäurestrom  schwach  (über  150®)  erwärmt  wird,   die  ge- 

13* 


-    196    — 

satnte  Menge  des  Wasserstoffes  abgibt,  ohne  von  der  Kohlen- 
säure in  irgendwelcher  Weise  angegriffen  zu  werden  oder  ohne 
diese  irgendwie  chemisch  zu  verändern.  Durch  die  von  uns 
gewählte  Konstruktion  des  Apparates  war  es  uns  jeden  Augen- 
blick möglich,  die  Gase  (Wasserstoff  und  Kohlensäure)  zu 
wechseln,  ohne  daß  das  Palladium  mit  irgend  einem  anderen 
Gase  oder  mit  Luft  in  Berührung  kam. 

Wir  verfuhren  daher  so,  daß  wir  das  Palladium,  nachdem  es 
durch  Zersetzung  des  Palladosamminbromids  im  Wasserstoffstrom 
erhalten  war,  bis  auf  ungefähr  200®  im  Wasserstoffstrom  abkühlen 
und  dann  Kohlensäure  eintreten  ließen,  unter  welcher  wir  das 
Palladium  nochmals  erhitzen.  Wir  ließen  dann  im  Kohlensäure- 
strom erkalten,  öffneten  den  Apparat  bei  Cj  und  schoben  das  Wäge- 
röhrchen  ein  wenig  in  das  Reduktionsrohr  ein;  dann  führten 
wir  das  Schiffchen  in  das  Wägeröhrchen  über,  verdrängten  aus 
letzterem  die  Kohlensäure  durch  reine,  trockene  und  kohlensäure- 
freie Luft  und  wogen  nach  zwei  Stunden.  Der  ganze  Prozeß  wurde 
hierauf  so  oft  wiederholt,  bis  Gewichtskonstanz  eingetreten  war. 

Um  uns  über  die  Brauchbarkeit  der  Methode  einerseits 
und  über  die  Zuverlässigkeit  der  Resultate  andererseits  zu 
orientieren,  galt  es  für  uns  nachzuweisen,  ob  das  so  erhaltene 
Palladium  nicht  doch  noch  Gase  auf  seiner  Oberfläche  konden- 
siert habe.  Zu  diesem  Zwecke  brachten  wir  das  mit  dem 
reduzierten  Palladium  gefüllte  Schiffchen  in  eine  aus  schwer 
schmelzbarem  Glase  bestehende,  auf  der  einen  Seite  zuge- 
schmolzene Glasröhre  mit  luftdicht  eingeschliffenem  Glashahn, 
welche  wir  mittels  eines  Rückschlagventils,  ferner  einer  mit 
echtem  Blattgold  gefüllten  Kugelröhre  mit  einer  Sprenge  Ischen 
Quecksilberluftpumpe  verbanden.  Sobald  die  Pumpe  Sprengel- 
sches  Vakuum  zeigte,  erhitzten  wir  das  Rohr  ziemlich  stark, 
konnten  aber  weder  die  geringste  Spur  eines  Gases  auspumpen, 
noch  auch  nach  dem  im  Vakuum  erfolgten  Erkalten  eine  Ge- 
wichtsveränderung des  Schiffchens  beobachten.  Unter  den  von 
uns  gewählten  Bedingungen  erhielten  wir  das  Palladium  absolut 
rein  und  frei  von  irgendwelchen  Gasen. 

Das  spezifische  Gewicht  des  Palladosamminbroniids« 

Um  das  Atomgewicht  vollständig  genau  berechnen  zu 
können,  wurden  sämtliche  Wägungen  auf  den  luftleeren  Raum 


-~    197    - 

reduziert;  deshalb  war  es  noch  notwendig,  eine  Bestimmung  des 
spezifischen  Gewichtes  der  Analysensabstanz  vorzunehmen. 

Da  Palladosamminbromid  in  Wasser  etwas  löslich  ist,  mußte 
das  spezifische  Gewicht  mit  einer  Flüssigkeit  bestimmt  werden, 
in  der  unser  Präparat  vollkommen  unlöslich  war.  Als  solche 
wurde  das  Toluol  gewählt.  Ganz  reines  Toluol  des  Handels 
wurde  aus  einem  Ölbade  fraktioniert,  wobei  natürlich  nur  die 
bei  110®  übergehenden  Teile  aufgefangen  und  weiter  benützt 
wurden.    Das  Toluol  besaß  schließlich  die  Dichte  0,89. 

Mit  dieser  Flüssigkeit  ermitteln  wir  das  spezifische  Gewicht 
des  Palladosamminbromides  mit  Hilfe  eines  kleinen  Pyknometers 
und  erhielten  aus  fünf  Bestimmungen  für  die  Dichte  unserer 
Analysensubstanz  im  Mittel  den  Wert  2,55. 

Resultate. 

Alles,  was  für  die  Beurteilung  der  von  mir  ausgeführten 
Atomgewichtsbestimmungen  irgendwie  in  Betracht  kommt,  ist  in 
den  voranstehenden  Ausführungen  angegeben.  Es  folgen  jetzt  die 
erhaltenen  Resultate.  Ich  bemerke  nur  noch,  daß  ich  mich  bei 
der  Vakuumkorrektion  der  gleichen  spezifischen  Gewichte  bedient 
habe  wie  R.  Amberg  und  wie  auch  A.  Gutbier,  A.  Krell 
und  M.  Woernle;  nur  für  die  Dichte  des  Palladosammin- 
bromids  wurde  der  oben  angeführte  neue  Wert  eingesetzt. 

Ich  erhielt  folgende  Zahlen. 


Nr. 

ADgewandt  g 
Pd(NH3],Br, 

Gefunden 
g  Pd. 

Gefunden 

Atomgewicht 
des  Pd. 

1 

2,06470 

0,73274 

35,488 

106,73 

2 

1,73455 

0,61563 

35,492 

106,75 

3 

2,64773 

0,93978 

35,493 

106,76 

4 

1,29106 

0,45821 

35,491 

106,74 

5 

2,26758 

0,80490 

35,495 

106,77 

6 

1,90770 

0,67704 

35,489 

106,74 

7 

1,77729 

0,63()S2 

30,493 

106,76 

Mittel:  106,75 


198    - 


Zar  Berechang  dienten  folgende  Atomgewichtszahlen  : 
Br  =  79,9531),  N  =  14,037«)  and  H  =  1,008. 

Der  Stickstoffwert  14,037  warde  deshalb  angenommen,  weil 
er  der  f&r  das  Atomgewicht  des  Silber  heate  noch  angenommenen 
Zahl  107,930  entspricht;  infolgedessen  waren  wir  aach  darauf 
angewiesen,  mit  dem  von  G.  P.  Baxter  für  das  Atomgewicht 
des  Broms  anfgestellten  Werte  79,953,  welcher  ebenfalls  auf 
Silber  (Ag  =  107,930)  bezogen  ist,  zu  rechnen. 

Aus  diesen  Gründen  kann  das  von  mir  erhaltene  Resultat 
nicht  ohne  weiteres  mit  demjenigen  verglichen  werden,  welches 
A.  Gutbier  in  Gemeinschaft  mit  A.  Krell  and  H.  Woernle 
gewonnen  hatte. 

Herr  Professor  Dr.  A.  Gatbier  hat  mir  freundlichst  die 
folgenden  Tabellen  überlassen,  in  welchen  sich  die  bei  der 
Analyse  des  Palladosamminchlorids  erhaltenen  und  auf  N  =  14,037 
und  Cl  =  35,473  umgerechneten  Werte  finden;  so  ist  es  mög- 
lich einen  Vergleich  zu  ziehen. 

A.  Gutbier  fand  mit  A.  KrelP)  und  M.  Woernle  folgende 
Zahlen. 

I.  Bei  der  Reduktion  von  Palladosamminchlorid  im  Wasser- 
stoffstrome: 


Nr. 

Angewandt  g 
Pd[NH,l,Cl, 

Gefunden 
g  Pd. 

Gefunden 
\  Pd. 

Atomgewicht 
deePd. 

1 

1,73474 

0,87433 

50,401 

106,77 

2 

1,91532 

0,96524 

50,395 

106,74 

3 

3,23840 

1,63175 

50,387 

106,72 

4 

2,94682 

1.48493 

50,391 

106,73 

5 

1,83140 

0,92296 

50,396 

106,75 

n.  Bei  der  elektrolytischen  Bestimmung  der  gleichen  Ver- 
bindung: 


*)  G.  P.  Baxter.    Z.  anorg.  Chem.  50  (1906),  389. 

•)  Tb,  W.  Richards  und  G.  S.  Forbes,  Z.  anorg.  Chem.  55 
(1907),  34. 

')  Hiemit  wird  gleichzeitig  ein  Druckfehler  in  der  Dissertation  von 
A.  Krell  (a.  a.  0.)  berichtigt 


A,    Oß> 


199    — 


Nr. 

ÄDgewaodt  g 
PdrNH,),CI, 

Gefunden 
g  Pd. 

Gefunden 

Atomgewicht 
desPd. 

6 

1,02683 

0.51749 

50,396 

106.75 

7 

1,22435 

0,61708 

50,401 

106,77 

8 

1.46735 

0,73944 

50,393 

106,74 

9 

0,59796 

0,30139 

50.403 

106.77 

10 

'   2,64584 

1,33329 

50,392 

106,74 

Das  Mittel  aus  diesen  Atomgewichtsbestimmangen  beträgt 
somit  106,748,  und  das  ist  ein  Wert,  der  mit  der  von  mir  ge- 
fundenen Zahl  ausgezeichnet  übereinstimmt. 

Diese  vorzfigliche  Übereinstimmung  unserer  Resultate  so- 
wohl unter  sich  wie  mit  den  Resultaten  der  vorher  genannten 
Forscher  beweist  zweifellos,  daß  der  von  der  internationalen 
Atomgewichtskommission  fUr  das  Palladium  festgesetzte  Atom- 
gewichtswert zu  niedrig  ist,  und  daß  die  Zahl  106,75  das  Ver- 
bindnngsgewicht  des  Palladiums  repräsentiert. 


Die  vorliegende  Untersuchung  wurde  im  Sommersemester 
1907  und  im  Wintersemester  1907/08  im  chemischen  Labo- 
ratorium der  Universität  Erlangen  ausgeführt. 

Es  ist  mir  eine  sehr  angenehme  Pflicht,  Herrn  Professor 
Dr.  A.  Gut  hier  für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  meinen 
herzlichsten  Dank  auszusprechen. 


Beiträge 
zur  Geschichte  der  Naturwissenschaften.  XII. 

Von  Eilhard  Wiedemann 

Über  Lampen  und  Uhren. 

Über  die  Uhren  habe  ich  früher  mehrfach  berichtet,  das 
Folgende  enthält  einige  Ergänzungen.  Ansffihrlicher  soll  über 
Lampen  gehandelt  werden,  deren  Konstruktion  ein  Zeugnis  für 
das  große  Geschick  der  islamischen  Techniker  bildet. 

I. 

Zunächst  soll  der  betreffende  Abschnitt  ans  dem  Werk  Wl 
Hijal  der  Benü  Müsä  dem  Inhalt  nach  mitgeteilt  werden,  der  sich 
in  der  Berliner  Handschrift  Nr.  5562  fol.  66 ^ff.  befindet  i).  Es  sind 
im  ganzen  4  Lampen  beschrieben,  die  die  97.— 100.  Proposition 
bilden.  —  Im  Original  ist  die  Reihenfolge  der  Beschreibungen 
1,  2,  4,  3;  wir  haben  dieselben,  um  besser  den  Zusammenhang 
zu  wahren,  umgestellt. 

1.  Herstellung  einer  Lampe  (Siräg),  in  welche  man  [Öl]  ein- 
gießt und  die  stets  voll  bleibt.  So  oft  etwas  [von  dem  Öl] 
schwindet,  tritt  ebensoviel  wieder  ein  und  das  Öl  {Dahn)  er- 
füllt die  Lampe  stets  ganz  und  erfährt  keine  Abnahme.  Wer 
die  Lampe  sieht,  der  meint,  daß  das  Feuer  von  dem  Öl  {Zait) 
nichts  verbraucht^). 


^)  DeD  Herren  Dr.  Ehwald,  Dr.  JnynboU  nod  Prof.  Dr.  Stern, 
die  mir  die  Benützung  von  Gothaer,  Leydener  und  Berliner  Handschriften 
in  hohem  Grade  erleichteit  haben,  sei  anch  an  dieser  Stelle  bestens  ge- 
dankt; ebenso  Herrn  Prof.  Dr.  Jacob  für  viele  freundliche  Ratschläge. 

*)  Die  Dochte  {Faul)  besteben  nach  einer  später  zu  besprechenden 
Schrift  aus  ÄhuH  Qdsim  manchmal  aus  Seide  (Harir)^  manchmal  aus  Baum- 
wolle (Quin).  Zum  Brennen  dient  nach  al  Zarchüri  auch  das  Öl  des 
reinen  Naphta. 


—    201     - 

Auf  einer  Säule  (Manärd)^)  befindet  sich  ein  hohles  Ge- 
fäß B  (Fig.  1),  ähnlich  den  Kürbissen  {Dabbä),  das  oben  eine 


Fig.  1. 

Öffnung  hat,  in  diese  lötet  man  ein  unten  geschlossenes,  oben 
offenes  Bohr  C,  in  diesem  ist  das  Rohr  ab  befestigt,  das  bei  b 
aus  der  Wand  von  ß  austritt.  An  der  Wand  des  Leuchters 
wird  eine  Lampe  L  {Misraga)  von  der  Form,  wie  sie  die  Leute 
verwenden,  angesetzt.  In  die  Wand  zwischen  B  und  L  werden 
zwei  Löcher  o  und  e  angebracht.  An  dem  oberen  ist  das  Rohr 
R  befestigt,  das  untere  o  bleibt  offen.  —  Wir  gießen  in  C  das 
Öl,  dann  fließt  es  durch  ab  in  B,  nachdem  vorher  die  Öffnung  o 
verschlossen  ist,  etwa  durch  ein  von  t  aus  eingeführtes  ge- 
bogenes Rohr,  das  man  nachher  fortnimmt.  Ist  die  gewünschte 
Menge  von  Öl  eingegossen,  so  öffnet  man  o  und  zündet  den 
Docht  D  an.  Nimmt  nun  beim  Verbrennen  das  Öl  ab  und  wird 
das  Loch  e  frei,  so  tritt  Luft  durch  das  Rohr  R  ein  und  eben- 
soviel Öl  tritt  aus,  bis  das  Loch  e  wieder  bedeckt  ist*). 


')  Die  Untergestelle  der  Lampen  sind  in  der  Reproduktion  der  Zeich- 
nungen fortgelassen,  trotsdem  sie  gans  hübsche  Formen  zeigen. 

Die  Konstruktion  entspricht  im  wesentlichen  derjenigen,  welche 
BerzeliuB  bei  seiner  Spiritnslampe  benutzte,  und  die  dann  später  bei 
den  sog.  Schiebelampen  zur  Beleuchtung  mit  Öl  Anwendung  fand. 

*)  Eine  der  ersten  Lampe  ganz  ähnliche  Lampe,  „die  sich  selbst  be- 
dient", beschreibt  ai  Berunia)  im  Anschluß  an  die  Besprechung  von 
Quellen  susammen  mit  einem  Instrument  al  Dahgß),  Es  heißt:  Ihr  nehmt 
einen  Wasserkrug  {Garra)  oder  ein  ölgefaß  {Dabba);  an  mehreren  Stellen 
des  Bandes  oder  der  Lippe  macht  ihr  feine  Schlitze,  und  ihr  bohrt  femer 


a)  alBeruni,ChTono\ogj  (ed. Sachau,  Text  S.264,  Übersetzung  S. 255). 
ß)  Die  Bedeutung  von  aZDaA^ hat  E.  Sachau  nicht  ermitteln  können, 
a.  a.  0.  S.  429). 


202    — 


Diese  Vorrichtung  kann  man  auch  in  anderer  Weise  her- 
stellen.   (Dies  wird  später  beschrieben  (Lampe  Nr.  3).) 

2.  Herstellung  einer  Lampe,  deren  Docht  von  selbst  hervor- 
kommt Die  Lampe  A  ^)  ist  oben  durch  ein  Blech  B  verschlossen, 
in  dem  sich  ein  Loch  a  befindet,  durch  das  das  Öl  eingegossen 
wird.  Bei  t  tritt  der  Docht  aus.  Der  Boden  der  Lampe  ist 
kreisnind.  ss^  ist  ein  kreisförmiger  Stab,  der  leicht  auf  dem 
Boden  der  Lampe  gleitet.  Auf  seiner  oberen  Seite  werden  Zähne 
z  befestigt;  in  das  Ende  s^  wird  ein  Loch  gebohrt,  in  das  der 
Docht  d  eingesetzt  wird.  Wir  nehmen  weiter  einen  Stab  n, 
an  dessen  Ende  sich  zwei  Achsen  befinden,  er  ist  horizontal. 
Auf  dem  Stab  bringen  wir  [eine  Scheibe  K  mit]  Zähnen  z^  an, 
wie  sie  bei  der  Mühle  {Rahä)  oder  dem  Wasserrad  {Dauläb) 
verwendet  werden.    Die  Zähne  z  greifen  in  die  Zähne  z^  ein. 

Auf  der  Achse  n  wird  noch 
eine  Rolle  (Bakra)  R  be- 
festigt; dreht  sich  diese,  so 
dreht  sich  mn,  ferner  der 
Kreis  E  und  der  Stab  ss^ 
wird  verschoben.  Über  die 
Rolle.  R  ist  eine  Schnur 
gelegt  (der  Kreis  R^  ist 
nicht  erwähnt,  er  ist  wohl 
eine  Leitrolle  für  die  Schnur); 
am  einen  Ende  der  Schnur 
befindet  sich  ein  Schwimmer 
S  {Dabba)f  am  anderen  ein  Gewicht  g,  das  als  Spanngewicht 
(Schäqül)  dient*).    Gießt  man  nun  in  a  Öl  ein,   so  steigt  der 

ein  enges  Loch  unterhalb  des  Mundes,  entsprechend  der  Stelle,  bis  zu  der 
ihr  wollt,  daß  das  Wasser  in  dem  Krug  oder  Gefäß  bleibe.  Dann  kehrt 
ihr  den  Krug  in  der  Schale  {Tascht)  oder  das  Gefäfi  in  der  Lampe  um. 
Wasser  und  öl  fließen  dann  ans  den  Schlitzen  aus,  bis  die  Flüssigkeiten 
bis  zu  dem  Niveau  des  Loches  gestiegen  sind.  Ist  dann  so  viel  verbraucht, 
daß  die  Öffnung  frei  wird,  so  tritt  das  dem  Loch  benachbarte  aus.  Und 
es  bleibt  derselbe  Zastand  erhalten. 

*)  Die  Figur  entspricht  fast  ganz  derjenigen  des  Originales.  Zum 
Verständois  ist  zu  beachten,  daß  die  Achse  n  senkrecht  zur  Ebene  der 
Zeichnung  steht  und  das  Loch  a  sich  in  dem  Deckel  B  befindet.  . 

')  Bei  der  Beschreibung  der  Lampe  3  ist  dann  erwähnt,  «und  das 
Gewicht  des  Schwimmers  ist  größer  als  das  Gewicht  g,  trotzdem  schwimmt 
der  Schwimmer  auf  dem  Öl"  [wegen  des  Auftriebes]. 


—    203    — 

Schwimmer  S,  die  Rolle  dreht  sich  unter  dem  Einfluß  von  g 
von  rechts  nach  links,  der  Stab  ss^  wird  nach  rechts  ver- 
schoben.  Zfindet  man  nun  den  Docht  an,  so  nimmt  das  Öl  ab, 
der  Schwimmer  sinkt,  das  Gewicht  steigt  und  durch  die  Drehung 
der  EoUe  wird  der  Stab  sSj  nach  t  hinbewegt  und  der  Docht 
herausgeschoben  ^). 

3.  Eine  Kombination  der  beiden  ersten  Lampen  ist  die  im 
folgenden  beschriebene.    Die  Aufgabe  lautet: 

Herstellung  einer  Lampe,  deren  Docht  von  selbst  hervor- 
kommt und  deren  Öl  von  selbst  hineinfließt.  Jeder,  der  sie  sieht, 
glaubt,  daß  durchaus  nichts  vom  Öl  und  Docht  verzehrt  wird. 
Diese  Lampe  ist  unter  dem  Namen  Lampe  Gottes  (Sirdg  Alldki) 
bekannt 

Die  Lampe  besteht  der  Natur  der  gestellten  Aufgabe  nach 
aus  zwei  miteinander  verbundenen  Teilen  I  und  11,  wie  sie  auch 
in  der  Figur  bezeichnet  sind.  —  Der  Teil  I  entspricht  im  wesent- 
lichen der  zuerst  beschriebenen  Lampe,  die  Öffnung  e  entspricht 
der  Öffnung,  durch  die  o  bei  Rj  geht,  der  Teil  n  der  zu  zweit 
beschriebenen  Lampe.  Aus  Figur  2  ist  die  Leitrolle  R,  nach  rechts 
verschoben,  die  Schnur  o  ist  aus  n  in  I  durch  die  in  Fig.  1 
gezeichnete  Öffnung  o  geführt'). 

Das  Funktionieren  der  Lampe  ist  klar. 

Wohl  voD  einer  Beschreib ung  einer  anderen  Lampe,  die  aber  im 
wesentlichen  auf  demselben  Prinzip  bernfat,  stammt  die  Angabe,  daß  man 
»wischen  I  und  II  ein  Loch  macht,  von  dem  ein  Rohr  zu  einem  Schnabel 
führt,  aas  dem  das  Öl  ausfließt').  Der  Schnabel  steht  natürlich  höher  als 
das  Loch  e  (Lampe  I). 

Von  dieser  Lampe  heißt  es  dann  weiter: 

Die  Lampe  brannten  die  Leute,  die  mit  den  religiösen  An- 
gelegenheiten {Adjän)  zu  tun  haben.   Sie  glauben,  daß  man  in 

^)  In  den  Pneumatika  von  H  e  r  o  n  (Hb.  J,  34,  ed.  W.  S  c  h  m  i  d  t ,  S.  163)  ist 
die  Aufgabe  behandelt,  eine  Lampe  herzustellen,  die  von  selbst  den  Docht 
zur  Tülle  schiebt.  Die  Konstruktion  ist  ähnlich  der  eben  beschriebenen  \ 
man  hat  das  Zabngestänge  z,  die  Zähne  z^;  dagegen  ist  der  Schwimmer 
mit  einer  vertikalen  Zahnstange  versehen,  die  in  die  Zähne  z^  eingreift. 
Der  Docht  ist  bei  Heron  um  das  Gestänge  z  geschlungen,  bei  den  Benü 
Müsä  dagegen  an  dessen  vorderen  Ende  befestigt.  Im  ganzen  dürfte  die 
Anordnung  der  letzteren  zweckmäßiger  sein.  —  Andere  Kandelaber  sind 
bei  Heron  (a.  a.  0.  lib.  II,  S.  265  ff.)  beschrieben. 

*)  Von  dem  Kreis  Kj  und  dem  Stab  p  ist  im  Text  nicht  die  Rede. 

')  Die  Buchstaben  lassen  auch  auf  eine  Interpolation  schnellen. 


—    204 


ihr  eine  ewige  Lampe  habe,    bei  der  das  Feuer  nicht  erlischt, 
und  zwar  brennt  es  ununterbrochen  in  dem  Rohr  des  Feuers, 

das  ist  bei  den  Ma- 
gieren der  Fall  und 
in  der  Kirche,  das 
ist  bei  den  Christen 
der  Fall.  Stellt  man 
den  Leuchter  (den 
Träger  der  Lampe) 
und  den  Ölbehälter 
{Chh4na)  versteckt 
in  der  Wand  auf,  so 
daß  man  nur  die 
Lampe  {Siräg)  sieht,  so  macht  das  auf  den  Beschauer  einen 
schöneren  Eindruck. 

Eingeschoben  ist  noch  eine  Bemerkung,  nach  der  man  diese  Lampe 
auch  als  Uhr  benützen  kann,  sie  lautet  etwa:  Gelegentlich  kann  man 
mittels  dieser  Anordnung  eine  Lampe,  die  die  Stunden  anzeigt,  konstruieren. 
Je  nach  Ablauf  einer  Stunde  fällt  eine  Kugel  (es  ist  dies  wohl  k,  die  aus 
L  herausfällt).  Es  geschieht  dies  ja  freilich  nicht  zur  vollkommenen,  wohl 
aber  zur  angenähert  richtigen  Zeit.  Man  kann  es  auch  so  einrichten,  daß 
je  nach  Ablauf  eines  Tages  der  Schwimmer  bei  seinem  Sinken  eine  Kugel 
(Bunduq)  wirft.  Wollen  dann  die  Menschen  wissen,  seit  wie  lange  die 
Lampe  gebrannt  hat,  so  sehen  sie  nach  der  Zahl  der  Kugeln  und  rechnen 
für  jede  Kugel  einen  Tag. 

i.  Anfertigung  einer  Lampe,  die,  wenn  man  sie  in  heftigen 
Wind  stellt,  nicht  erlischt. 

Auf  einem  Leuchter  ist  zunächst  ein  gebogener  Stab  S  be- 
festigt. Ein  offener  Halbzylinder  H  aus  Kupfer  hat  an  den  beiden 

Endflächen  zwei  Achsen  a^ 
und  aj-,  in  seiner  Höhlung  ist 
die  Lampe  L  befestigt  und 
weiter  an  ihm  ein  dreieckiges 
Kupferblech  b  (oder  ein  an- 
ders gestaltetes)^),  dessen 
Ebene  senkrecht  zur  Hori- 
zontalen steht.  Wird  nun 
die  angezündete  Lampe  in 
den  Wind  gestellt,  so  stellt 

das  Blech  b   oben    an  dem  Gestell  S 


Fig.  4. 

^)  Im  Original    ist   irrtümlich 


angebracht 


—    205    — 

sich  dieä  Blech  b  in  die  Windrichtung.  Zu  dieser  Zeit  ist  die 
Lampe  durch  die  Fläche  des  Hohlzylindei'S  vor  dem  Winde  ge- 
schützt und  erlischt  auch  nicht,   wenn  der  Wind  weht. 

II. 

Von  der  Lampe  in  der  Grkbeskirche,  die  am  Sonnabend  vor 
Ostern  durch  ein  von  oben  kommendes  Licht  entzündet  wird, 
wobei  das  Balsamöl  eine  Rolle  spielt,  wird  vielfach  bei  den 
arabischen  Schriftstellern  gehandelt.  Eine  sehr  ausführliche 
Darstellung  findet  sich  bei  al  Oauba7%  der  im  vierten  Kapitel 
seines  Werkes  die  Betrügereien  der  Mönche  behandelt*).  Nach- 
dem er,  wie  es  für  ihn  als  Muslimen  natürlich  ist,  die  Mönche 
mit  noch  mehr  bösen  Eigenschaften  dargestellt  hat,  als  die  anderen 
Kategorien  der  von  ihm  behandelten  Schwindler,  fährt  er  fort: 
Sie  sind  nach  jeder  Richtung  die  lügnerischsten  Geschöpfe.  Zu 
ihnen  gehören  diejenigen,  welche  für  ein  Kloster  ein  Fest  ver- 
anstalten, bei  dem  sie  dann  irgendeinen  Schwindel  ins  Werk 
setzen^  durch  den  sie  das  Hab  und  Out  der  Christen  verzehren. 
Ich  will  Dir  etwas  hiervon  genau  berichten: 

Wisse,  daß  die  größte  Betrügerei  dieser  Leute  die  Lampe 
in  der  Grabeskirche  ^)  zu  Jerusalem  ist.  Sie  ist  ein  Werk  der 
Mönche  und  alle  Christen,  ihre  Stämme  und  Familien,  haben 
sich  dadurch  düpieren  lassen.  Der  König  al  Miiazzam  Ibn  al 
Malik  al  'Ädil,  (1200—1227  n.  Chr.),  Gott  möge  seinen  Geist 
heiligen,  betrat  die  Grabeskirche  am  Sabbat  des  Lichtes  und  sprach 
zu  dem  Mönch :  Ich  werde  nicht  eher  fortgehen,  ehe  ich  nicht  ge- 
sehen habe,  wie  dieses  Licht  herunterkommt.  Da  sagte  zu  ihm 
der  Mönch:  Was  ist  Dir  lieber,  das  Geld,  welches  Du  aus  diesem 
Anlaß  erhältst  oder  daß  Du  darüber  Klarheit  erlangst.  Hast 
Du  nämlich  sein  Geheimnis  enthüllt,  so  verlierst  Du  diese  Ein- 


')  Mir  haben  zur  VerfttguDg  gestanden  der  Drnck  von  DamaskuB, 
eine  Handschrift  aus  Gotha  (Nr.  1375),  eine  aus  Berlin  Nr.  5563  (Lbg.  117), 
eine  ans  Leyden  Nr.  1222  (Gol.  191).  Ober  Gaubart  hat  de  Goeje  sehr 
ansHlhrlich  gebandelt. 

')  Es  steht  Kanisat  al  Qumdma  Eehrichtkirche,  statt  Kanisat  al 
^jamaAuferstehungskirche,  nach  Le  Strange  S.202  ist  es  eine  absichtliche 
Verdrehung  der  Worte.  'AUvonHerdt  (LeStrange  S.  207)  bemerkt,  daß 
nach  den  Christen  es  al  Qijäma  heißt,  weil  sie  glauben,  daß  dort  der 
Messias  auferstanden  sei*,  der  Ort  heißt  aber  al  Qumäma^  weil  dort  ihr 
Kehrichthaufen  war  u.  s.  w. 


—    206    — 

känfte.  So  lasse  es  denn  verschleiert  and  wohl  behütet  and 
nimm  diese  gewaltigen  Einkünfte  ein.  Als  der  Fürst  das  hörte, 
verstand  er  den  verborgenen  Sinn  der  Rede  des  Mönches;  daher 
ließ  er  die  Sache  aaf  sich  berahen  and  ging  heraas. 

Die  Sache  ist  aber  die,  daß  diese  Lampe  {QandtJ)  die  größte 
Betrügerei  ist,  welche  die  Alten  hergerichtet  haben.  Sie  besteht 
in  folgenden:  Am  obersten  Ende  der  Kappel  ist  daza  eine  eiserne 
Büchse  (flw^g)  angebracht;  die  Angel  (/2a;t^a,  die  Berliner  Hand- 
schrift hat  Ruxxa)  des  Drahtes  (Kette  8ilsila\  an  dem  sie  (die 
Büchse)  aufgehängt  ist,  ist  in  dem  Halbmond  der  Kappel  sorg- 
fältig befestigt^)  (in  den  Handschriften  muhajidam).  Und  nar 
der  Mönch  weiß  über  sie  Bescheid;  für  den  Draht  ist  in  der 
Büchse  ein  Hohlraam.  In  der  Nacht  des  Sabbat  des  Lichtes  steigt 
der  Mönch  za  der  Büchse  and  tut  in  sie  ein  Schwefelpräparat 
{Matbüh  al  KibrU)  ähnlich  dem  Teig  {Sanbüsaky)\  er  macht 
unter  ihr  ^)  Feuer  an,  das  auf  die  Stande  berechnet  ist,  zu  der 
das  Licht  herantersteigen  soll ;  dann  wird  der  Draht  mit  Balsamöl 
bestrichen.  Ist  die  Zeit  gekommen,  und  ist  das  Feuer  angezündet, 
so  ergießt  sich  die  Paste  reichlich  über  die  Angel  der  Kette 
in  dieser  sorgfältig  angeordneten  Büchse,  so  daß  sich  von  diesem 
Punkt  das  Balsamöl  erstreckt;  es  wandert  längs  des  Seiles  zu 
der  Lampe;  das  Feuer  hängt  sich  an  den  Docht  der  Lampe, 
der  zuerst  mit  dem  Balsamöl  getränkt  wird. 

Einige  weitere  orientalische  Nachrichten  über  die  Lampe 
sind  folgende: 

Jaqüt  (Bd.  4,  S.  174)  ist  von  einem  muslimischen  Beamten 
berichtet  worden,  er  habe  sich  in  der  Kirche  nach  dem  Feuer, 
dessen  Erscheinen  sich  verzögerte,  erkundigt  und  als  der  Priester 
Ausflüchte  machte  und  wünschte,  daß  er  sich  entferne,  gesagt: 
Jetzt  will  ich  sicher  sehen,  was  Du  anstellst.  Denn  siehe,  ich 
habe  in  einem  Werke  über  Zauberei  {Ntrangijät)  gefunden,  daß 
man  der  Lampe  (Qandil)  eine  Wachskerze  nähert,  so  daß  sie 
plötzlich  an  ihr  befestigt  ist;  da  das  Volk  das  weder  sieht  noch 


')  Die  Handschriften  haben  muhandam,  der  Druck  muhandis, 

*)  Sahbüsak  ist  pätisserie  und  Maibuh  eigentlich  das  Gekochte,  maii 

hat  wohl  eine  durch  Znssmmenerhitzen  von  Fett  und  Schwefel  hergestelltes 

Präparat. 

')  Die  Handschrift  in  Berlin  hat  „in  ihr!*. 


—    207    — 

weis,  so  sehen  sie  es  als  einen  wunderbaren  Vorgang  an,  der  vollen 
Glauben  verdient 

Qaxmtnt  (Bd.  2,  S.  109)  gibt  keine  Angabe  über  das  An- 
zünden der  Lampe. 

Zu  dem  Licht  in  der  Grabeskirche  findet  sich  eine  Stelle 
im  Bar  Hebraeus  {Abu'l  Farag)  Chronicon   syriacum;   es   heißt  I 

dort  bei  der  10.  Dynastie  (in  der  Übersetzung  von  Bruhns  und  j 

Kirsch  S.  220):  Es  hatte  jemand  dem  Chalifen  Häkim  (um  1000) 
erzählt,  daß  wenn  die  Christen  um  das  Paschafest  in  Jerusalem 
vereint  wären,  die  schlauen  Vorsteher  der  Kirche  den  eisernen 
Draht,  an  dem  der  Kandelaber  über  dem  Grabe  aufgehängt 
war,  mit  Balsamöl  bestrichen  und,  nachdem  der  arabische  Präfekt 
die  Türen  verschlossen,  oben  am  Dach  am  obersten  Ende  des 
Drahtes  Feuer  entzündeten,  das  dann  zum  Lampendocht  herab- 
fließe und  diesen  entzündete. 

Die  älteste  Erwähnung  des  heiligen  Feuers,  das  von  den  Grieehen 
ins  apostolischö  Zeitalter  verlegt  wird,  findet  sich  im  9.  Jahrhundert  bei 
dem  Mönch  Bernhard. 

Eine  historische  Darstellung  über  die  Geschichte  des  Feuers,  das  die 
Lampen  in  der  Grabeskirche  anzündet,  gibt  K.  v.  Rau  me r ,  ohne  sich  aber 
auf  den  Vorgang  selbst  einzulassen.  (E.v.  Raumer,  Palästina.  4.  Auflage. 
Leipsig  1860,  S.  825  ff.) 

.  Weitere  Literatur  findet  sich  bei  Tob  1  e r,  Golgatha  (1851),  S.  460 ff.  — 
Sehr  ausführlich  handelt  über  die  Grabeskirche  G.  Le  Strange,  Palästina 
u.  a.  w.  1890,  S.  202.  (Den  Hinweis  auf  diese  Stellen  verdanke  ich  Herrn 
Prof.  Dr.  H.  Guthe  in  Leipzig.) 

Den  jetzigen  Verlauf  schildert  Bädecker  folgendermaßen:  Am  Sonn- 
abend vor  Ostern,  um  2  Uhr  nachmittag,  geht  eine  Prozession  der  hohen 
Geistlichkeit  um  das  Grab  herum,  nachdem  alle  Lampen  vor  den  Augen 
des  Volkes  ausgelöscht  worden  sind.  Einige  Glieder  der  hohen  Geistlich- 
keit begeben  sich  in  die  Grabkapelle;  das  Volk  ist  in  Spannung,  die 
Priester  beten;  endlich  wird  das  vom  Himmel  gefallene  Licht  ans  einer 
Lücke  des  heiligen  Grabes  herausgereicht,  und  nun  gibt  es  einen  un- 
beschreiblichen Tumult,  da  jedermann  als  der  erste  sein  Kerzenbttndel 
anzünden  will. 


In  dem  Kapitel,  das  sich  an  dasjenige  über  die  Lampe  in  der  Grabeskirche 
anschließt,  wird  von  al  Gaübari  ein  in  der  Luft  schwebendes  Götzen- 
bild geschildert,  eine  Schilderung,  die  auf  einer  Überschätzung  der  mag- 
netischen Wirkungen  beruht.  Da  die  Beschreibung  solcher  schwebender 
Figuren,  die  sich  auch  sonst  vielfach  wiederholt,  bei  Gaubari  ziemlich  aus- 
führlich ist,  so  sei  sie  etwas  gekürzt  mitgeteilt,  und  zwar  nach  der  Berliner 
und  Leydener  Handschrift,  die  weit  ausführlicher  sind  als  der  gedruckte  Text. 


—    208    - 

Es  beißt  etwa:  ^Zn  ihren  (der  Mönche)  Geheimnissen  gehört  das  Kloster 
des  Götzenbildes  {Dair  al  Sanam),  Dies  ist  berühmt  und  gehört  zu  den 
Wundern  der  Dinge.  Es  ist  ein  eisernes  Götzenbild  in  der  Kuppel  zwischen 
dem  Boden  und  der  Luft,  es  fallt  nicht  zur  Erde  nnd  steigt  nicht  nach 
oben,  es  neigt  sich  weder  nach  rechts  noch  nach  links,  noch  nach  hinten 
noch  nach  vorn.  Die  Franken,  Rumaer  (Byzantiner),  Griechen  und  alle 
Christen  Völker  werden  durch  dasselbe  düpiert.  Dies  Bild  ist  ein  Werk  der 
Weisen  JablünuSy  (Apollonius  von  Tyana).  Dazu  baute  er  eine  Kuppel 
aus  Magnetstein  und  konstruierte  das  Götzenbild  nnd  stellte  es  auf 
mit  Klugheit,  entsprechend  der  Größe  der  Wirkung  von  jeder  Seite 
und  des  oberen  Endes  der  Kuppel.  Der  obere  Teil  der  letzteren  ließ  es 
nicht  herabsteigen  und  die  Seitenwände  es  sich  nicht  neigen,  indem  sie  es 
gleichmäßig  anzogen.  Es  blieb  in  der  Mitte  stehen,  stieg  nicht  hinauf 
und  nicht  hinab  und  neigte  sich  nicht.  Das  gehört  zur  Schlauheit  and 
zur  List. 

Hierher  gehört  auch  das  Kloster  des  Handgelenkes  {^fi'sam),  nämlich 
der  Hand  und  des  Handgelenkes;  auch  dieses  besteht  aus  Eisen.  — 

Einen  Bericht  von  einem  solchen  schwebenden  Götzenbild  aus  Indien 
gibt  auch  Qaewini  (Bd.  2,  S.  68);  einen  Auszug  desselben  enthält  die 
Chrestomathie,  die  von  den  Beyrnter  Jesuiten  herausgegeben  worden  ist 
{Magdni  al  Adab  Bd.  3,  S.  241),  dem  ich  im  wesentlichen  folge,  da  er 
nur  für  uns  unwesentliches  ausläßt.    Es  heißt: 

Zu  den  Wunderdingen  in  der  Stadt  Sümända^)  gehört  ein  Tempel 
mit  einem  Götzenbild,  das  in  der  Mitte  des  Gebäudes  seine  Lage  bei- 
behält, ohne  daß  es  von  unten  gestützt  oder  von  oben  her  aufgehängt 
ist.  Dies  Götzenbild  stand  bei  den  Indem  in  hohem  Ansehen  und  wer 
es  in  seiner  unveränderlichen  Lage  sah,  staunte,  gleichgültig  ob  er  Musel- 
mann oder  Ungläubiger  war.  Die  Inder  wallfahrten  zur  Zeit  der  Mond- 
finsternis zu  ihm  und  brachten  ihm  als  Opferspenden,  was  es  nur  an 
Kostbarkeiten  gab.  Als  fromme  Stiftungen  {Wafq)  besaß  es  mehr  als 
10000  Ortschaften»  An  Tempeldienern  hatte  es  1000  Biahmanen,  um  den 
Gottesdienst  zu  versehen  und  die  Brandopfer  zu  besorgen.  Das  Haus 
war  auf  56  Säulen  errichtet,  die  aus  mit  Zinn  {Rasäst  auch  Blei)  belegtem 
Teakholz  bestanden.  Die  Kuppel,  in  der  das  Götzenbild  sich  befand,  war 
finster;  ihr  Licht  kam  von  den  Leuchtern  des  ausgezeichneten  Juwels. 
Bei  ihm  befand  sich  eine  goldene  Kette  von  100  Mann  (ca.  200  Pfund); 
sobald  ein  Teil  der  Nacht  vergangen  war,  wurde  sie  in  Bewegung  gesetzt; 
es  ertönten  die  Glocken  und  ein  Teil  der  Brahmanen  erhob  sich  zum 
Gebet.  Man  berichtet,  daß,  als  der  Sultan  Jamin  al  Baula  Mahmud  Ihn 
Sebuktekin*)  in  Indien  (410  d.  H.  1025  n.  Chr.)  eindrang  und  das  Götsen- 


^)  Sümdnäa  lag  in  der  Gegend  des  heutigen  Balbhi,  der  Hauptstadt 
der  Halbinsel  Guzerate;  dort  landeten  zuerst  die  Schiffe  aus  Aden  (vgl. 
Gildemeister,  Scriptorum  araborum  de  rebus  indicis  etc.,  S.  44;  in 
diesem  Werk  ist  auch  die  Stelle  aus  Qazwint  S.  205—207  übersetzt). 

*)  Dieser  Sultan  regierte  861—421  d.  H.,  (972—1031)  n.  Chr. 


—    209    — 

bild  sah,  ihn  das,  was  mit  ihm  zusammenfaiDg,  in  Erstaunen  setzte 
und  daß  er  zu  seinen  Gefährten  sprach:  Was  meint  Ihr  zu  diesem  Götzen- 
bild und  darüber,  daß  es  unbeweglich  in  der  Luft  und  ohne  eine  Auf- 
hängevorrichtung schwebt  Einige  sagten,  daß  es  aufgehängt  sei,  die 
Aufhängevorrichtung  aber  vor  dem  Blicke  verborgen  angebracht  sei. 
Einer  der  Anwesenden  sagte,  ich  meine,  die  Kuppel  besteht  aus  Magnet- 
stein and  das  Götzenbild  aus  Eisen ;  der  Künstler  hat  sich  bestrebt,  sein 
Werk  sehr  sorgfaltig  auszuführen  und  sorgfältig  beachtet,  daß  sich  die 
Kraft  des  Magnetsteines  auf  den  verschiedenen  Seiten  entspricht.  Einzelne 
stimmten  ihm  bei,  andere  widersprachen.  Als  er  zwei  Steine  von  dem 
oberen  Ende  der  Kuppel  fortnahm,  neigte  sich  das  Götzenbild  nach  der 
einen  Seite.  Als  er  dann  einen  Stein  nach  dem  anderen  fortnahm,  sank 
das  Götzenbild  herab,  bis  es  auf  den  Erdboden  aufstand. 

Von  der  Kirche  in  Palermo  (Baiarm)  wird  von  verschiedenen 
Autoren  berichtet,  daß  dort  Aristoteles  in  einem  Holzsarg  zwischen  Himmel 
und  Erde  aufgehängt  sei;  doch  ist  dabei  nicht  gesagt,  ob  der  Sarg  frei 
schwebt;  von  einem  Magneten  ist  auch  nicht  die  Rede  (vgl.  IbnHauqal, 
Geogr.  arab.  Bd.2,  S.82);  andre  Stellen  beiM.  Amari,  Biblioteoa  arabo- 
«cula  S.  4,  72,  106,  127,  140). 

Die  Vorstellung  von  einem  unter  dem  Einfluß  eines  Magneten  frei- 
schwebenden Bildnis  geht  schon  auf  die  Antike  zurück.  Plinius  berichtet, 
(Lib.  XXXVI 14,  §  147)  der  berühmte  Baumeister  Timochares  habe  auf  Befehl 
des  K($nigs  Ptolemäus  Philadelphus  II.  (f  264  v.  Chr.)  angefangen  einen 
Tempel  zu  Alexandria  aus  Magnet  zu  wölben,  zu  Ehren  der  königlichen 
Schwester  und  Gattin  Arsinoe,  um  das  eiserne  Bildnis  derselben  darin 
frei  in  der  Luft  schweben  zu  lassen;  der  Bau  sei  aber  durch  den  Tod 
des  Baumeisters  unterbrochen  worden.  Spätere  lassen  den  Bau  vollendet 
sein  und  statt  des  Königs  einen  Cupido,  einen  Sonnengott,  eine  Quadriga 
schweben.  Ich  teile  nach  G.  A.  Palm  (Programm  Maulbronn  1867)  die 
Zitate  für  die  Stellen  mit.  Isidorus  Orig.  16,  21.  Augustinus  de  civ. 
Dei  XXI,  6.  Kufinus  bist.  eccl.  II,  33.  Prosper  Aquitanus  de  promis- 
sione  Dei  III,  88,  3.  Suidas  bei  ,Magnetes'.  Zenobius,  Corpus  paroemiogr. 
graee.  Tom.  I,  4,  22. 

Nach  dem  Talmud  soll  die  Krone  des  ammonitischen  Königs  2.  Sam.  12 
und  Jerobeams  goldenes  Kalb  durch  einen  Magneten  schwebend  erhalten 
werden.  Nach  abendländischen  Berichten  wurde  auch  der  Sarg  Muham- 
meds  in  Medina  in  ähnlicher  Welse  in  der  Luft  schwebend  erhalten  (vgl. 
ebenfalls  G.  A.  Palm  a.  a.  0.  Dort  finden  sich  die  Angaben  der  Alten 
über  den  Magnet  gesammelt). 

in. 

In  dem  Werk  von  al  Zarckürt  (ca.  1400  n.  Chr.)  über  die 
mechanische  Taschenspielerei  ^)  ist  eine  ganze  Beihe  von  Lampen 
beschrieben^  die  zu  Eunststttcken  u.  s.  w.  dienen. 

^)  Die  einzige  bekannte  Handschrift  ist  in  Leyden  (Nr.  1235  Katalog 

SltBnngsberiehte  der  phys.-med.  Soz.  39  (1907).  14 


—    210    - 

Einmal  wird  ein  Leuchter  {Qandil)^)  beschrieben,  der  im 
Wasser  in  einem  Becken,  Brunnen  oder  Fluß  anhaltend  brennt 
und  nicht  erlischt.  Dazu  bringt  man  auf  dem  oberen  Ende  des 
Leuchters  ein  rundes  Himmelsgewölbe  [Falka)  an*),  das  auf 
seinem  Kreise  befestigt  ist.  Dann  durchbohrt  man  es  [oben]  und 
setzt  in  dieses  Loch  ein  hohles  Rohr,  ähnlich  der  Zarbatäna^) 
(Blasrohr),  mit  welcher  man  auf  die  Sperlinge  schießt.  Sein 
oberes  Ende  ist  oberhalb  des  Wassers  befestigt.  Aus  dem  Bohr 
tritt  der  Bauch  aus,  und  der  Leuchter  erlischt  nicht  und  das 
Wasser  tritt  nicht  aus  ihm  aus.  (Der  Verfasser  hat  offenbar 
den  Versuch  so  nicht  angestellt,  da  er  sonst  gesehen,  daß  das 
Licht  bald  erlischt.) 

Eine  Lampe  (Sirdg),  die  durch  Wasser  brennt,  übergehen 
wii\  Dann  wird  eine  Lampe  beschrieben,  in  die  man  Wasser 
gießt,  das  sich  in  Öl  verwandelt.  Diese  Lampe  ist  „wundervoll*' 
konstruiert.  Ihr  Fuß  (lies  Manära  statt  Manäna)  ist  hohl  und 
mit  Öl  gefüllt.  Unterhalb  des  Henkels  befindet  sich  ein  Bohr, 
das  bis  in  den  Fuß  hinabgeht.  Nimmt  das  Öl  ab,  so  gießt  man 
Wasser  in  die  Lampe.  Dieses  fließt  in  die  Höhlung  im  Fuß 
und  das  Ol  steigt  in  die  Höhe,  bis  das  Öl  aus  dem  Fuß  aus- 
geleert ist. 

Dann  wird  eine  Wachskerze  (Schanfa)  beschrieben,  deren 
Feuer  geschmückt  (mutawwas)  ist  (d.  h.  eine  farbige  Flamme 
zeigt).  Dazu  nimmt  man  eine  Wachskerze  und  schabt  sie  ab, 
bis  der  Docht  sichtbar  wird.  Dann  streicht  man  rings  um  diesen 
die  zu  erwähnenden  Chemikalien.  Sie  brennt  geschmückt  grün 
und  blau.  Die  Chemikalien  sind  Grünspan,  Indigo  je  ein 
Teil,  Schwefelarsen  V2  Teil,  ebensoviel  Schwefel  und  Salpeter 


Bd.  3,  S.  182);  einiges  wenige  aus  derselben  hat  M.de  Goeje  (Z.  D.  M.  G. 
Bd.  20,  S.  507.  1866)  mitgeteilt.  Ich  selbst  habe  daraus  veröffentlicht 
Abschnitte  über  Alchemie  (Journal  für  praktische  Chemie  Bd.  76,  S.  86. 
1907)  und  über  den  Kompas  (Verhandlungen  der  deutschen  physikalischen 
Gesellschaft  1907,  S.  764). 

^)  Qandil  bedeutet  hier  einen  Leuchter,  aber  auch  ein  zylindrisches 
Gefäß,  ferner  eine  Lampe. 

*)  Man  hat  wohl  eine  Halbkugel,  die  unten  durch  eine  ebene  Fläche 
begrenzt  ist.  In  der  Mitte  ist  diese  durchbohrt  und  auf  dem  Leuchter 
befestigt. 

*)  Zarbtäna  statt  Zäbafäna  ist  SarbacanCf  das  Blasrohr,  mit  dem  ; 
Vögel  tötet. 


-    211    — 

{Bärüd).  Dies  alles  wird  zasammengerieben,  außer  dem  Schwefel 
und  dem  Schwefelarsen,  die  fttr  sich  gerieben  werden.  Dann 
vereinigt  man  sie  alle  durch  Reiben  und  bringt  sie  rund  herum 
auf  der  erwähnten  Wachskerze  an.  (Das  Farbengebende  ist  der 
Grünspan  und  der  Schwefel,  Indigo  ist  wegen  seiner  blauen 
Eigenfarbe  zugesetzt.) 

In  diesem  Abschnitt  sind  weiter  einige  physikaliscfae  Experimente  mit- 
geteilt, die  z.  T.  auch  jetzt  noch  gezeigt  werden  und  die  auf  ältere  Quellen 
zurückgehen. 

Zunächst  ist  gegeben  eine  Beschreibung  der  Flüssigkeiten,  die  über- 
einander ohne  Scheidewand  aufgehängt  (geschichtet)  sind:  Und  wisse, 
daB  kein  Mensch  diese  Methode  kennt,  sie  ist  erstaunlich  im  Entwurf^ 
wunderbar  in  der  Ausführung.  Sie  besteht  darin,  daB  Du  in  einem  engen 
Leuchter  (Qandil)  oder  ßecher  (Qadah)  fünf,  sechs  oder  mehr  oder  auch 
weniger  Farben  übereinander  schichtest  und  zwar  ohne  Scheidewände.  Die 
Methode  der  Ausführung  besteht  darin,  da£  Du  ein  Schreibrohr  aus  Wästt 
(in  Mesopotamien)  von  der  Länge  des  GefäBes,  in  dem  Du  den  Versuch 
anstellst,  nimmst.  Dann  gießt  Du  in  das  Rohr  Wasser.  Fließt  es  wie  ein 
einziger  Strahl  aus,  so  verengere  das  Rohr  mit  dünnen  Strohhalmen,  bis  das 
Wasser  aus  ihm  tropfenweise  austritt.  Dann  bringe  an  ihm  einen  Trichter 
aus  Wachs  an.  Dann  gieße  in  den  Leuchter  die  erste  Farbe  [sc.  die  in 
reinem  Wasser  gelöst  ist].  Dann  wäge  in  der  zweiten  Farbe  einen  Birham 
(ca.  3,1  g)  Salz  ab,  das  köstlich  an  Farbe  (d.  h.  rein  weiß)  ist,  die  Du  dadurch 
beschwerst;  in  der  dritten  wägst  Du  2  Birham  ab  und  so  fort  für  jede 
nächste  Farbe.  (In  einer  Figur  ist  ein  Rechteck  2  cm :  8,8  cm  durch  fünf 
horizontale  Linien  in  sechs  Teile  geteilt  und  in  diese  von  oben  nach  unten 
gesehrieben  1,  2,  8  ...  6  Farbe.)  (Die  einzelnen  Schichten  haben  ver- 
schiedene spez.  Gewichte.) 

Bei  dem  Versuch  mit  den  durcheinander  geschüttelten  Flüssigkeiten 
befinden  sich  drei  Flüssigkeiten  in  einem  Becher  oder  einem  Leuchter, 
dann  werden  sie  durcheinander  geschüttelt,  bis  sie  sich  gemischt  haben, 
dann  sondert  sich  wieder  eine  jede  ab.  —  Eine  der  Flüssigkeiten  ist 
Wasser,  die  andere  Sesamöl  {8chira§),  die  letzte  Sand,  feingepulvertes 
Qlas  oder  Quecksilber,  dies  ist  die  in  der  Höhlung  des  Gefäßes  ruhende 
Flüssigkeit. 

Dann  wird  ein  gefüllter  Leuchter  beschrieben,  der  umgekehrt  ist 
und  ans  dem  doch  nichts  ausfließt:  Das  kommt  vor,  wenn  Du  mit  einem 
wettest,  daß  Du  ihm  einen  mit  Wasser  oder  öl  gefüllten  Leuchter  zeigen 
willst,  der  umgekehrt  ist,  so  daß  sein  Boden  sich  oben  und  sein  oberes 
Ende  sich  unten  befindet,  ohne  daß  jemals  etwas  aus  ihm  ausfließt.  Das 
machst  Du  so,  daß  Du  einen  mit  öl  und  Wasser  gefüllten  Leuchter  nimmst 
und  ihn  neben  ein  Becken  mit  Wasser  stellst.  Dann  erscheint  sein  Bild 
{Chajdla)  umgekehrt,  wie  ich  Dir  gesagt.  —  Das  gehört  zu  den  Witzen. 

Ferner  wird  von  einem  Leuchter  erzählt,  der  gefüllt  ist  und  aus  dem, 
wenn  auch  das  Glas  zerbricht,  nichts  ausfließt.    Die  Flüssigkeit  wird  in 

14* 


—  .212    — 

eine  Schcafsblase  oder  Pergament  getan,  die  das  Glas  innen  aasfulleD.  Zer- 
bricht dann  das  Glas,  so  bleibt  das  Wasser  in  der  erwähnten  Blase. 

Zahlreiche  (36)  Lampen  anderer  Art  sind  beschrieben  in 
einem  Werk,  Quellen  der  Wahrheiten  und  deutliche  Auseinander- 
Setzung  der  \yege  von  Abu'l  Qäsim  Ahmed  al  'Iräqt;  (Berlin 
Ahlwardt,  Katalog  Bd.  5,  Nr.  5567);  sie  ist  963/1556  ge- 
fertigt, also  hat  der  Verfasser  sicher  früher  gelebt.  Zunächst 
beschreibt  Abu'l  Qäsim  eine  große  Anzahl  von  Lampen,  die 
Visionen  hervorrufen  sollen  oder  andere  Wirkungen  ausüben. 
Man  soll  beim  Brennen  der  einen  das  Haus  mit  Schlangen  oder 
Skorpionen  erfüllt  sehen  (dem  Fett  wird  Schlangenhaut  oder 
gestoßene  Skorpione  beigemischt),  oder  mit  fliegenden  Vögeln, 
oder  sich  selbst  mit  einem  Hunds-  oder  Eselskopf,  mit  einem  Toten- 
gesichte, man  erscheint  schwarz  tätowiert,  mit  verkrümmten  Hals. 
Eine  Lampe  ruft  Schweigen  der  Frösche  hervor,  eine  läßt  das 
Meer  so  erscheinen,  als  ob  es  überströmt.  Eine  andere  ruft 
Blähungen  hervor,  daß  der  Boden  erzittert.  Eine  Lampe  soll 
durch  Wasser,  eine  andere  in  demselben  brennen.  Man  hat  es 
wohl  durchweg  mit  alten  magischen  abergläubischen  Vorechriften 
zu  tun.  Einen  wirklichen  Sinn  hat  keine  derselben,  nach  den 
Titeln  konnte  man  z.  T.  zunächst  an  farbige  Flammen  denken. 
Am  Schluß  wird  endlich  eine  Lampe,  die  vier  Lampen  anzündet, 
beschrieben.  Dazu  benetzt  man  sie  mit  gutem  Öl  und  stellt  je 
eine  Lampe  in  die  Ecken  des  Hauses,  nimmt  einen  dünnen 
Faden,  den  man  mit  Schwefel  der  Zarräq  (der  die  Naphta 
schleudernden  Feuerwerker),  dem  Balsamöl  beigemischt  ist,  be- 
streicht. An  jeden  Docht  macht  man  einen  Knoten,  bei  dem 
sich  viel  Öl  befindet.  Dann  zündet  man  eine  Lampe  an  und 
alle  entzünden  sich.  —  Dies  Verfahren  erinnert  an  die  in  der 
Grabeskirche  befindliche. 

Über  eine  bei  Nacht  leuchtende  Laterne,  die  ein  Ismaeliten- 
fürst  in  Alamüt  bei  Eaj  konstruiert  hatte,  berichtet  al  Diinaschqt 
(Text  S.  185,  Übersetzung  S.  250).  Er  nahm  einen  viereckigen 
länglichen  Kasten  {Sandüq),  dessen  Seiten  er  je  mit  einer  Reihe 
von  Papierschichten,  die  aneinander  geklebt  waren,  bedeckte. 
Außer  aus  dem  äußersten  Papierblatt  waren  aus  allen  anderen 
Schriftzüge  ausgeschnitten.  Das  äußerste  wurde  an  der  der  Schrift 
entsprechenden  Stelle  mit  Sesamöl  bestrichen.    In  den  Kasten 


—    213     ~ 

wurde  bei  Nacht  eine  Lampe  gestellt  und  derselbe  an  einer 
Lanze  oder  an  einem  erhöhten  Punkt  aufgehängt.  Wer  dies  aus 
der  Ferne  sah,  glaubte  daß  es  eine  leuchtende  Schrift  sei.  Es 
wurde  nur  bei  Nacht  ausgehängt,  bei  Tage  aber  gelöscht. 

Einzelne  Beleuchtungsvörrichtungen  sind  auch  in  besonderen 
Schriften  behandelt,  so  enthält  eine  Handschrift  in  Beirut  (vgl. 
alMaschHq  Bd.  9,  S.  19.  1906)  eine  Abhandlung  von  einer  Seite 
mit  dem  Titel:  Herstellung  eines  Kronleuchters  (Turajjd),  auf 
dem  12  Lampen  {Qandil)  brennen,  den  IbnJünus^)  aus  Ägypten 
konstruiert  hat. 

In  den  verschiedensten  Werken  werden  Lampen  und  Leuchter, 
die  in  Moscheen  und  sonst  Verwendung  fanden,  vielfach  erwähnt. 

IV. 

Von  al  Zarchurt  wird  eine  Wachskerzenuhr  {Scham'a) 
beschrieben,  mit  etwa  folgenden  Worten :  Beschreibung  einer  Kerze, 
die  dafür  eingerichtet  ist,  bestimmte  Stunden  der  Nacht  anzuzeigen. 
Bei  dieser  Kerze  kommen  zwei  Kerzen  zur  Verwendung.  Sie 
hat  eine  Schüssel  aus  schönem  Kupfer  und  brennt  in  ihr.  So 
oft  eine  Stunde  der  Nacht  verflossen  ist,  fällt  aus  ihr  eine  Kugel 
in  die  Mitte  dieser  kupfernen  Schale.  Um  diese  Vorrichtung 
herzustellen,  machst  Du  zwei  Kerzen  aus  Wachs  oder  Fett,  die 
oben  und  unten  gleich  dick  sind.  Dann  zündest  Du  die  eine 
an  und  kehrst  die  Uhr  ^)  um;  ist  die  Stunde  abgelaufen,  so  mißt 
Du  mit  dem  Zirkel,  wieviel  von  der  Kerze  verbraucht  ist.  Ent- 
sprechend  diesem  Stück  teilt  man  an  der  zweiten  Kerze  zwölf 
Stücke  ab,  von  denen  jedes  einer  Stunde  entspricht.  Dann  bringt 
man  Kugeln  aus  Blei  oder  Kupfer  an  den  für  die  Stunden  be- 
zeichneten Orten  an.  Das  Gewicht  einer  Kugel  sei  5  Dirham 
(=  ca.  15,5  g).  Dann  brennt  die  Kerze  bis  zur  Kugel  ab.  das  Wachs 


')  Über  einen  Mediziner  und  Mathematiker  Ishdq  Ihn  Jünus  vgl. 
E.W.  Ibn  alHaitam.  Festschrift  für  Prof.  Rosenthal,  S.  175.  —  AWl 
Hasan  'Ali  Ihn  Jünus  war  ein  großer  Astronom,  der  sich  auch  mit  anderen 
Wissenschaften  befaßte;  von  ihm  rühren  die  Häkimitischen  Tafeln  her 
(vgl.  Snter  S.  77,  Nr.  178). 

•)  Die  Uhr  heS^t  Minkäh,  vielleicht  ist  statt  dessen  5mÄ:dm  zu  lesen; 
man  hat  es  offenbar  mit  einer  Sanduhr  zu  tun.  In  dem  Codex  arab. 
Dresden  210  findet  sich  die  Abbildung  einer  Sanduhr  mit  der  Beischrift 
al  Mindkab,  d.  h.  die  Uhr  {al  Sä'ä). 


—    214    - 

schmilzt  und  sie  fällt  in  die  Enpferschale  unter  ihr  und  diese 
erklingt,  und  aus  der  Zahl  der  Engeln,  die  in  die  Schale  ge- 
fallen sind,  erfährt  man,  wieviel  von  der  Nacht  verflossen  ist 
Und  verstehe  es!  und  es  ist  eine  wundervolle  Methode*). 

V. 

Am  Schluß  der  Leydener  Handschrift  Nr.  1026,  die  das 
Werk  von  al  Oaxart  enthält,  wird  auch  eine  Reihe  von  Wasser- 
uhren beschrieben. 

Es  heißt  dort:  Lob  sei  Gott.  Von  dem  Scheck  Schams  al 
Din  Ihn  Abt  al  Fath^),  Beschreibung  eines  Instrumentes,  aus 


^)  Derartige  Kerzennhren  kommen  vielfach  bei  verschiedeneu  Völkern 
und  zn  verschiedenen  Zeiten  vor.   Interessant  ist  die  Art  der  Eichung. 

*)  Die  <U  (ra;?arthand8chrift  (Leyden  1026)  ist  von  einem  Muhammad 
al  Jehüdi  im  Jahre  969  d.  H.  (1561/62)  abgeschrieben  worden,  nnd 
zwar  ans  einer  Abschrift  des  Scheich  Schams  al  Din  Ihn  Ahu*l  Fath  al 
Süß.  Daraus  geht  hervor,  daB  sie  abgeschrieben  ist  aas  einer  in  der 
Bodleiana  zu  Oxford  befindlichen  (Nr.  886  Uri-Ms.  Grad  27).  Diese  Ab- 
schrift wurde  nach  dem  Schlußsatz  der  Oxforder  Handschrift  geschrieben 
von  Muhammad  Ihn  (unter  der  Linie  Ahu^  Fath)  Muhammad  Ihn  'Isd 
la  Süf%\  sie  fährt  dann  fort  Lob  sei  Gott.  Von  dem  Schreiber  (d.  h.  der 
Abschrift)  Beschreibung  u.  s.w.  —  (Herrn  A.  Cowley  in  Oxford,  der 
so  gütig  war,  die  Oxforder  Handschrift  noch  einmal  zu  vergleichen,  sage 
ich  auch  an  dieser  Stelle  den  besten  Dank.). 

Wir  sehen  daraus,  daß  der  Schams  al  Din,  der  die  Handschrift  ab- 
schrieb, auch  der  Verfasser  des  Zusatzes  ist. 

Ein  Muhammad  Ihn  Ahü^l  Fath  Schams  al  Din  <il  Suft  al  Misri 
starb  ca.  900  (1494/95,  vgl.  Suter  Nr.  447,  S.  186),  er  hat  über  Sonnen- 
uhren geschrieben  und  über  den  Gebrauch  des  Instrumentes  genannt  Sandüq 
al  Jawdqit  (die  Edelsteinschachtel,  Berlin  5845);  das  Instrument  hat  zu 
astronomischen  Beobachtungen  gedient.  Da  unsere  Gazari  Handschrift,  wie 
erwähnt,  ans  einer  im  Jahre  891  geschriebenen  stammt,  so  kann  sehr 
wohl  dieser  Schams  al  Din  in  Frage  kommen. 

Das  von  Schams  al  Din  beschriebene  Instrument  rührt  von  'Alä  al 
Din  Ihn  Schätir  al  Dimaschqi  her.  Es  hat,  wie  die  Handschrift  (Ahl- 
wardt  Katalog  Nr.  5845)  ergibt,  die  Gestalt  eines  Kastens,  auf  dessen 
Seiten  z.  T.  Yorsprünge  angebracht  sind.  In  dem  Deckel  befindet  sich  das 
Bild  Qiw^^Mihrab  (Gebetsnische).  Es  besteht  aus  einer  Platte  aus  gelbem 
Kupfer,  in  die  zwei  Säulen  eingeritzt  sind,  zwischen  denen  das  Mihrdh 
sich  befindet,  in  seiner  Mitte  (im  Bilde)  ist  an  einer  Kette  eine  Lampe 
aufgehängt.  Je  nach  den  beabsichtigten  Beobachtungen  gibt  man  dem 
Kasten  verschiedene    Lagen.     Besonders    erwähnt    werden    solche    für 


—    215 


Fig.'  5. 


dem  man  die  Stunden  kennen  lernt.    Man  nimmt  (Fig.  5*)  ein 

Faß  A  (Chäbia)  aus  gepichtem  Holz  und  macht  an  seinem  Bodeq 

ein  kleines  Loch  o.  Auf  den  Durchmesser  des  Fasses  legt  man 

eiu   in   der   Mitte   durchbohrtes  Lineal  1.     In  dasselbe  setzt 

man  einen  geraden  Holzstab  h,   der 

in  Stunden  geteilt  ist  und  befestigt 

ihn  auf  dem  Schwimmer  S.    Fließt 

das  Wasser  aus  dem  Loch  aus,  so 

siukt  der  Schwimmer  und  mit  ihm 

der  Stab;  an  seiner  Teilung  erkennt 

man,  wieviel  Stunden  bleiben  oder 

vorübergegangen   sind.     Man   kann 

auch  von  unten  Wasser  in  das  Faß 

leiten  und  der  Schwimmer  steigt  in 

die  Höhe   und   der   Stab    erscheint 

mit  seiner  Teilung.    Daraus  erfährt 

man  die  Zeit  ( Wagt). 

Ein  anderes  Instrument  (Fig.  5*»),  durch  das  man  ebenfalls 
die  Stunden  kennen  lernt,  ist  das  folgende:  Man  nimmt  ein 
hölzernes  Lineal  1  (Misfar)  und  fertigt  für  dasselbe  ein  hölzernes 
Futteral  f(ÖiM/);  in  das  Lineal  bohrt  man  kreisförmige  Öffnungen, 
von  denen  eine  jede  eine  Kupferkugel  aufnehmen  kann.  Die 
Öffnungen  sind  nach  unten  geneigt,  damit  die  Engeln  nicht  in 
ihnen  festhängen.  Dann  bringt  man  in  jede  Höhlung  eine  Kugel 
und  führt  das  Lineal  mit  den  Kugeln  in  das  Futteral  ein.  Das 
letztere  befestigt  man  auf  dem  auf  dem  Wasser  befindlichen 
Schwimmers;  feraer  stellen  wir  eine  Rolle  r  hoch  an  der  Decke 
des  Gemaches  auf.  Von  ihr  läßt  man  zwei  Schnüre  herab  (die 
oben  verbunden  sind).  Das  Ende  der  einen  Schnur  ist  an  dem 
Lineal,  das  des  anderen  an  dem  Futteral  befestigt.  Fließt  das 
Wasser  aus  dem  Loch  o  aus,  so  sinkt  das  Futteral  und  das 
Lineal  steigt  und  die  Kupferkugel  rollt  (du^irag)  in  eine  Schale 
aus  Kupfer  oder  etwas  ähnliches.  Man  hört  dann  einen  heftigen 
Schall  und  weiß  darum  die  Zeit.  (Die  Zeichnung  ist  nicht  ganz 
genau.) 

Bei  einer  anderen  Uhr  (vgl.  hierzu  Fig.  6)  nimmt  man  eine 
Rolle  R  von  großem  Durchmesser  und  wickelt  auf  sie  einen  Faden, 

DamaskuB,  Aleppo  u.  s.  w.  —  Auf  die  Einzelheiten  einzugehen  würde  zu 
weit  führen. 


—    216    ~ 


der  sich  aus  einzelnen  gefärbten  Stttcken*)  zusammensetzt,  die 
Länge  eines  jeden  Fadens  entspricht  einem  Umfang  der  Rolle.  Das 
eine  Ende  des  ganzen  Fadens  befestigt  man  am  Schwimmer, 
wie  das  oben  beschrieben  ist,  das  andere  Ende  ist  mit  einem 
Senkel  a  (Schdqül)  beschwert.  Sowie  der  Schwimmer  nach  unten 
sinkt,  erscheinen  die  Farben  entsprechend  den  verflossenen  und 
übrig  bleibenden  Stunden.  —  Man  kann  auch  die  [große]  Rolle 
für  den  Schwimmer  und  die  kleine  für  die  Farben  verwenden; 
dies  ist  für  die  Arbeit  der  Hand  anzuempfehlen,  um  die  Schnellig- 
keit und  Langsamkeit  kennen  zu  lernen.  Der  Arbeiter  führt 
dies  aus  entsprechend  dem,  wie  es  die  umstände  verlangen. 
Zweckmäßiger  benutzt  man  die  große  Rolle  für  die  Farben, 
wie  dies  in  der  Figur  gezeichnet  ist,  da  dann  die  Farben  für 
jede  Stunde,  die  sie  messen,  länger  sind. 


cö: 


y 


^ 


o 


M* 


"1 
Fig.  6. 


Fig.  7. 


Anschließend  an  die  Uhren  ist  noch  angegeben :  Beschreibung 
des  Kastens  (Sanduq\  aus  dem  man  den  Ton  der  Harfe  {Sanfir) 
und  den  Schlag  der  Trommeln  (Küs)  hört  und  zwar  mittelst  einer 


^)  Die  einzelnen  Stücke  sind  wie  im  Original  durch  yerschieden 
dicke  Striche  angedeutet.  Man  hat  drei  Konstruktionen,  in  einem  Fall 
geht  die  in  Abschnitten  gefärbte  Schnur  vom  Schwimmer  zur  Rolle,  um 
diese  einigemal  herum  und  dann  zum  Senkel;  im  zweiten  und  dritten 
Fall  sind  zwei  Schnüre  verwendet,  im  zweiten  Fall  ist  die  eine  ungefärbte 
um  eine  große  Rolle  geschlungen  und  gehört  zum  Schwimmer,  die  andere 
gefärbte  ist  um  eine  kleinere  Rolle  (eventuell  die  Achse)  gelegt,  im  dritten 
Fall,  der  auch  gezeichnet  ist,  ist  das  umgekehrte  der  Fall 


—    217     — 

Schnur  {Habl)j  die  um  Rollen  gewickelt  ist.  —  Die  Beschreibung 
ist  nicht  gegeben,  wohl  aber  die  beistehende  Figur  (Fig.  7).  Aus 
ihr  geht  hervor,  daß  eine  Schnur  zwei  Achsen  A  und  B  bewegt; 
auf  A  ist  eine  Rolle  r^  mit  drei  Stiften  befestigt,  die  auf  ein 
Saiteninstrument  i  wirken.  Auf  der  anderen  Achse  befinden  sich 
zwei  Rollen  t^  r,  mit  je  vier  Stiften,  die  je  drei  Hämmer  h 
( Oükdn)  ^)  bewegen,  von  denen  die  einen  auf  eine  Trommel  k  {Küs\ 
die  anderen  auf  eine  ebensolche  t  von  anderer  Konstruktion  {Tahl) 
wirken. 

Zu  den  Uhren  ist  folgendes  nachzutragen: 

Auf  sehr  intereBBante  chineBische  Berichte  aus  dem  10.  iNid 
41.  Jahrfaandert  über  eine  Uhr  in  Antiochia  hat  H.  Prof.  Dr.  F.  Hirth 
mich  aüfmerkBam  gemacht,  Bie  lauten  etwa  folgeDdermafien:  Im  oberen 
Stockwerk  doB  zweiten  Tores  haben  sie  einen  großen  goldenen  Maßstab 
(8c<üe)  aufgehängt.  An  dem  Stab  desselben  sind  12  goldene  Kugeln  auf- 
gehängt, durch  welche  die  zwölf  Stunden  des  Tages  angezeigt  werden.  Eine 
menschliehe  Figur  ganz  aus  Gold  von  der  Höhe  eines  aufrecht  stehenden 
HeuBchen  ist  angefertigt;  auf  ihre  Seite  fällt,  wenn  eine  Stunde  ge- 
kommen ist,  eine  der  Kugeln.  Der  klingende  Ton  derselben  macht  die 
Teile  des  Tages  ohne  den  geringsten  Irrtum  bekannt.  —  Hirth  hält 
das  Ganze  für  eine  Wasseruhr.  (F.  Hirth,  China  and  the  Roman  Orient 
p.  213,  Leipzig  1885.) 

Eine  Uhr,  die  an  die  eben  beschriebene  erinnert,  hat  dl  Chdzini 
beschrieben.  Ich  hoffe  bald  die  kurze  Angabe  in  Ehanikoffs  Arbeit 
(J.  Am.  oriental.  for  Bd.  6,  S.  105),  durch  eine  Übersetzung  des  ganzen 
Stückes  ergänzen  zu  können. 

Zu  Uhren  Binkäm  und  zu  Manganün  u.  s.  w.  iBt  zn  vergleichen 
L.Fleischer,  Leipziger  Berichte  Philol.-hist.  Klasse  Bd.  38,  S.  90.  1886. 

Die  Uhren  mit  Schwimmern  gehen  bekanntlich  auf  Uhren  der  Antike 
zurück,  Ygl.  z.  B.  die  Abbildungen  in  Bailly,  Histoire  de  1' Astronomie 
moderne.  Paris  1779,  Bd.  1,  S.  61. 

Über  Wasseruhren,  wie  sie  N.  yonCusa  benutzte,  vgl.  S.  Günther, 
Abh.  s.  Gesch.  d.  Math.  Heft  9,  S.  148.  1899. 

Bei  H.  Ch.  (I,  S.  346  u.  891,  vgl.  auch  VII,  S.  1171,  Nr.  6412)  wird 
ein  Muhji  al  Bin  AhuH  Mdäli  Murtaf  Ihn  Hasan  al  8ä*dt%,  der  Uhr- 
macher, erwähnt,  er  schrieb  über  das  Astrolab. 

Zu  V,  S,  419  (1).  Zu  einer  indischen  Uhr,  die  unten  eine  Öffnung  hatte 
und  ins  Wasser  gesetzt  wurde,  wobei  sie  zunächst  langsam  und  dann 
plötzlich  unter  hörbarem  Zusammenklappen  des  Wassers  untersank,  vgl. 
Cantor,  Gesch.  der  Math.,  3.  Auflage,  Bd.  1,  S.  39. 


^)  Gukän  ist  ein  am  Ende  umgebogener  Stock,  der  bei  Geridspiel 
benatzt  wird;  vgl.  G.  Jacob,  Sultan  Soliman  des  Großen  Diwan,  S.  18, 
Anm.  1. 


—    218    — 

420.  Die  Verse  in  der  Enzyklopädie  des  JVbtraiVI  stehen  inKusehdgim 
Btwdn  (p.  82,  BeyrÜt  1313). 

ZnX,  S.  349.  Antike  Wasseruhren  kommen  z.B.  vor  bei  H.Schöne, 
Markellinos  Pulslehre,  Festschrift  z.  49.  Vers,  deutscher  Philologen.  Basel 
1907. 

Nachträge. 

Zu   den   früheren  Beiträgen  seien  hier   einige  Nachträge  gegeben. 

Beiträge  IL 

S.  318 ff.  Einige  weite  Notizen  über  die  elektrischen  Fische 
(Ba^^äda  Erschütterer  oder  Zitternmacher)  sind  die  folgenden. 

Die  Stelle  in  Heron,  Pneumatiks  26,20,  wo  vdQxrj  vorkommt  und  die 
heißt:  „Ja,  es. dringt  sogar  durch  Kupfer,  Eisen  und  alle  anderen  Körper 
ähnlich  wie  der  Schlag  des  Zitterrochens  sich  durch  alle  Körper  über- 
trägt, geht  nach  W.  Schmidt  auf  Straten  von  Lampsakos  zurück, 
also  auf  das  4.  Jahrh.  vor  Christus. 

Nach  dem  unmittelbar  Vorhergehenden  müBte  man  eigentlich  unter 
„es"  das  Licht  verstehen,  da  das  aber  sachlich  nicht  möglich  ist,  so  ist 
wohl  von  der  vorigen  Seite  (24,  24)  ^  ^sg/Aorije  (die  Wärme)  zu  ergänzen. 

Zu  elektrischen  Fischen  findet  sich  eine  Reihe  von  Verweisungen  bei 
Immanuel  Low  (Nöldeke,  Festschrift  I,  S.  664). 

Sehr  ausführlich  über  den  Malapterurus  electricus  sind  die  An- 
gaben bei  "^Ahd  dl  Lauf  (Relation  de  PEgypte  ed.  S.  de  Sacy),  ebenso 
die  dort  gegebenen  literarischen  Nachweise.  (Die  Stelle  steht  in  der 
Ausgabe  von  P  a  u  1  u  s  S.  46/47.  Die  Übersetzung  bei  S.  d  e  S  a  c  y  S.  145/ 146 
und  Note  S.  167.) 

Ein  anderer  Name  für  Zitterrochen  ist  auch  BcTaach, 

Von  den  Härraniem  berichtet  cd  Beruni  (Chronology,  Text  205, 
Übersetzung  S.  188)  daß  einige  von  ihnen  nicht  erlauben  Fische  zu  essen, 
aus  Furcht,  daß  es  ein  elektrischer  Fisch  {Ra"ädä)  sei. 

Unter  den  Wundem  Ägyptens  erwähnt  auch  al  Faqih  (S.  252)  den 
Zitterrochen. 

Ausführlicher  äußert  sich  Ihn  Eusteh  (S.  70).  Im  Nil  ist  ein  Fisch 
mit  Namen  al  Ea'^dda;  wer  ihn  berührt ,  der  fühlt  eine  Betäubung  in  seiner 
Schulter,  Hand  und  Arm,  so  lange  der  Fisch  lebt,  und  wenn  er  wartet, 
so  nimmt  dies  zu,  bis  seine  Hand  und  sein  Oberarm  heftig  zittern,  und 
sein  Herz  pocht  und  schlägt  und  er  ihn  überhaupt  nicht  halten  kann.  Dies 
ist  durch  den  Bericht  von  einem,  der  es  selbst  erprobt  hat,  sicher  gestellt 
Und  man  sagt,  daB  wenn  der  Fisch  in  das  Netz  des  Fischers  (Jägers)  ge- 
fallen ist,  so  erzittert  seine  Hand,  falls  sie  im  Netze  ist.  Wenn  er  einen 
Stab  nimmt  und  dessen  eines  Ende  auf  dieses  Netz  stellt  und  das  andere 
mit  seiner  Hand  berührt,  so  erzittert  sie  ebenfalls. 

Edrisi  (ed.  Dozy  und  de  Goeje  S.  17  des  Textes  und  S.  21  der 
Übersetzung)  berichtet:  Die  Ed'äda  ist  ein  Fisch  rund  wie  eine  Kugel; 
er  hat  eine  rauhe  Haut  und  ist  so  giftig,   daß  wenn  jemand  ihn  berührt, 


-    219    — 

dessen  Hand  eine  starke  Erschütterung  erführt,  so  daß  er  ihn  fallen  läßt. 
Er  behält  die  Eigenschaft,  so  lange  er  lebt.  Ist  der  Fisch  aber  tot,  so 
verhält  er  sich  wie  die  übrigen  Fische. 

S.  834  ff.  Angaben  über  die  Zeit  des  Yerschwindens  der  Abend- 
dämmening  {Schafaq)  und  des  Erscheinens  der  Morgenröte  (Fagr)  ent- 
hält das  astronomische  Werk  von  äl  MarraqÜ8ch%  (Bd.  1  S.  295)',  Dort 
heißt  es:  ^Al  ScTutfaq*  ist  nach  den  malekitischen  und  schafeitischen 
Imamen  die  Röte,  welche  im  Westen  nach  dem  Sonnenuntergang  bleibt, 
und  „cU  Fagr*  ist  der  weiße  Schein,  der  im  Osten  des  Horizontes  erscheint. 
Die  beiden  Farben  sind  durch  die  Reflexion  der  Sonnenstrahlen  an  der 
Erdsphäre  hervorgerufen. 

Zu  dem  Subh-i-sädiq  teilt  mir  Prof.  Jacob  mit,  daß  bei  FugiUi, 
Hadtqat  <ü  su'adä  (ed.  Büldq  1253  H.  S.  144  Z.  1)  der  sterbende  'AU  den 
Suhh-Üsädiq  anruft,  ihm  bei  Gott  zu  bezeugen,  daß  er  regelmäßig  zum 
Gebet  erschienen  sei. 

Über  die  Morgen-  und  Abendröte  und  die  hierher  gehörigen  Farben 
handelt  sehr  ausführlich  J.  Goldziher  in  Mythus  bei  den  Hebräern,  1876, 
S.  176 ff.    Vgl.  auch  E.  Wiedemann.  Eders  Jahrbuch  1908. 

Nach  arabischen  Quellen  gibt  Frey  tag  an  (Bd.  3,  S.  307):  Danabai 
Sirhdn,  Schwanz  des  Wolfes,  so  heißt  die  Morgendämmerung,  welche 
unsere  Hoffnung  täuscht,  wenn  wir  das  Morgenrot  erwarten,  sie  heißt 
auch  Fagr  Kädib,  ihr  steht  gegenüber  Fagr  sädiq,  die  Dämmerung,  die 
gerade  dem  Morgenrot  vorausgeht. 

J.  W.  Redhouse  behandelt  (Journ.  Roy.  Asiatic  Society  Bd.  10, 
S.  344.  1878  u.  Bd.  12,  S.  327.  1880)  sehr  eingehend  al  Fagr  al  hddib 
und  will  ihn  mit  dem  Zodiakallicht  identifizieren. 

Nach  P.  Hörn  kommt  in  FirdausVs  Schänäme  nie  eine  Morgenröte 
vor  und  nur  einmal  eine  Abendröte  —  die  Sonne  geht  hier  immer  gelb 
auf  und  unter;  nur  von  der  „Morgenhelle  oder  Weisse''  ist  die  Rede. 
Nach  Mitteilungen  eines  Astronomen  kann  es  im  Orient  wegen  der  großen 
Äqnatornähe  und  der  reinen  Luft  sehr  schwer  zur  Rötebildung  kommen. 

S.  337.  Mit  der  Anschauung,  daß  das  Sehen  vom  Auge  ausgeht, 
dürfte  nach  Prof.  Jacob  die  Erzählung  von  EvUja  (türk.  Text  Bd.  2,  S.  181) 
zusammenhängen,  nach  der  er  von  einem  Augenleiden  durch  eine  Wunder- 
kur befreit  wurde  und  seine  Augen  darauf  wie  eine  arabische  Fackel 
leuchtend  wurden. 

Beiträge  V. 

S.  396.  In  bezug  auf  die  Einteilung  der  Wissenschaften  in  Zweigwissen- 
schaften ist  folgendes  zu  beachten:  Für  die  verschiedenen  religiösen 
Richtungen  gilt  das  dem  Propheten  selbst  zugeschriebene  traditionelle 
Wort :  Die  Meinungsverschiedenheit  in  meiner  Gemeinde  ist  (ein  Zeichen) 
göttlicher  Barmherzigkeit.  —  Der  Ausdruck  einer  entschieden  liberalen 
Anschauung!  Danach  werden  alle  aus  den  gemeinsamen  Grundlagen  {üsül 
Wurzeln)  emporgewachsenen,  in  den  abgeleiteten  Fragen  {FurtC  Zweigen) 
untereinander  verschiedenen  Schulsysteme  trotz  dieser  Abweichungen  als 


-     220    - 

in  gleicher  Weise  orthodox  bezeichnet.    (J.  6  dl  dz  i  her  in  Die  Eultar 
der  Gegenwart  I,  S.  103/104.) 

S.  898.  Von  Zirkeln  und  Linealen  handelt  Hihhat  Allah  Ihn  al  Huaain 
(Qifti  S.  223,  Z.  20). 

S.  401.  Bei  EdriH  werden  zweimal  Spiegel  (Mirdt),  ganz  ähnlich 
denen  im  Liyre  des  merveilles  beschrieben:  £8  heiBt  einmal  (S.  145  des 
Textes,  S.  174  der  Obersetzang) : 

In  Tannür  al  Fir'aun  (Ofen  des  Pharaos)  (auf  dem  Muqatfam)  befand 
»ich  ein  Spiegel,  der  sich  mittelst  einer  Schraube  {Lauiah)  drehte.  Ging 
der  König  aus  einer  der  beiden  Städte  (Memphis  oder  ^Ain  Schams),  so 
ließ  er  dorthin  einen  Mann  gehen,  der  den  Spiegel  so  stellte,  daß  der 
König  stets  sein  eigenes  Gesicht  sehen  konnte  und  keinen  Augenblick 
die  Würde  seiner  Bewegungen  vergaß. 

Ferner  (Text  S.  183,  Obers.  S.  222) :  In  Merida  befand  sich  im  Süden 
der  Stadtmauern  ein  kleiner  Turm,  auf  dem  der  Spiegel,  in  dem  die 
Königin  von  Merida  ihre  Gestalt  betrachtet,  stand;  er  hatte  einen  Umfang 
von  20  Zoll.    Der  Spiegel  drehte  sich. 

S.  421,  Anm.  2.  Ober  die  beabsichtigte  Abfassung  dieses  Buches 
spricht  al  Beruni  selbst  (Chronology  Text  S.  230,  Übersetzung  8.  217). 

S.  424,  Z.  8  von  oben  heiBt  es  „von  den  Lampen  [SurugY  statt  „von 
dem  Freilassen  {SarhY,  nach  der  Gothaer  Handschrift. 

S.  427,  Anm.  3.  Statt  Älät  al  guztja  ist  nach  der  Gothaer  Handschrift 
zu  lesen  al  harbija,  d.  h.  statt  Teilinstrumente  Kriegsinstrumente,  was 
der  Einteilung  von  al  Afkdni  {al  Sachdwi)  entspricht. 

S.  427,  Anm.  6.  Taqwim  ist  nach  Nallino  astronomische  Bestimmung 
der  Lage  einer  Stadt,  Bestimmung  der  geographischen  Koordinaten. 

S.  432.  Von  einem  großen  Erdbeben  245  d.  H.  (859/860)  berichtet 
al  Tahari  Bd.  IU„  S.  1439. 

Und  in  diesem  Jahre  fand  in  den  westlichen  Ländern  ein  Erdbeben 
statt,  so  daß  die  Burgen,  Häuser  und  Brücken  {Qantara)  von  Grund  aus  zer- 
stört wurden.  Mutawakkil  befahl  3  Millionen  Dirbam  an  diejenigen  zu 
verteilen,  welche  an  ihren  Wohnungen  Schaden  gelitten  hatten.  Ein  Erd- 
beben erfuhr  auch  das  Lager  des  Mahdi  ^)  in  Bagdad  und  Madäin 
(Ktesiphon). 

S.  432.  Über  die  Meteorologie  u.  s.  w.  bei  den  verschiedensten 
Völkern  berichtet  sehr  ausführlich  al  Beruni  (Chronology  Text  S.  242, 
Übersetzung  S.  231  und  427). 

B.  433.  Die  meteorologischen  Erscheinungen  sowie  zahlreiche 
meteorologische  Ausdrücke  sind  sehr  eingehend  bei  Ihn  al  ^Auwätn  be- 
handelt (Bd.  2,  S.  435). 

Die  Schriften  von  al  Ahahh  und  Sahl  Ihn  Bischr  behandeln  astro- 
logische Fragen  und  stehen  mit  der  ßQovTo?,oyta  des  griechischen  Astrologen 
in  Zusammenhang. 

')  ^Askar  al  Mahdi  ist  ein  Quartier  von  Bagdad,  es  heißt  später  <ü 
Busäfa  (Chaussee),  vgl.  Le  Strange  (Bagdad  S.  42,  Nr.  189). 


—    221    — 

Über  die  Altweibertage  (7  Tage  yom  26.  Februar  an)  und  ihre  Kälte 
bandelt  sehr  ausführlich  alBeruni  (Chronology  Text  S.  2ö5,  Obersetzuog 
S.  244).  Eine  dem  Auftreten  der  Kälte  analoge  Erscheinung  beobachtet 
man  nach  ihm  auch  für  die  Hitze.  Er  vergleicht  die  Erscheinung  mit  dem 
Aufflackern  des  Lichtes  vor  dem  Erlöschen  und  der  scheinbaren  Besserung 
fiebernder  Kranken  vor  dem  Tode: 

Der  von  al  Kindi  angegebene  Grund  ist  nach  al  Berüni,  daß  die 
Sonne  dann  die  Quadratur  ihres  Apogaeum  erreicht,  den  Ort  aller  Ver- 
änderungen, und  daß  die  Wirkung  der  Sonne  auf  die  Atmosphäre  größer 
ist  als  diejenige  von  irgend  etwas  anderem  u.  s.  w. 

'Ahd  AUäh  Ihn  *Ali  der  Mathematiker  in  Buchara  übertrug  diese 
Tage  entsprechend  der  Progression  des  Apogaeums.  Sie  heißen  daher 
auch  die  Tage  des  alten  Weibes  von  *Abd  Alldh. 

S.  442.  Zu  Bü  al  Qurnain  vgl.  vor  allem  äl  Berüni  (Chronology 
Text  S.  36,  Übers.  S.  43  u.  Anm.). 

S.  452.  Ober  die  magischen  Zahlen  hat  Tdbit  Ihn  Qurra  eine  Disser- 
tation geschrieben  (Qifti  S.  119,  Z. 2).  Behandelt  hat  sie  E. Leföbure  in 
Le  miroir  dienere  dans  1a  magie  arabe  (Eevue  africaine  Bd.  49,  S.  205. 
Alger  1905).  Magische  Kreise  hat  Franklin  angegeben.  Sie  kommen  auch 
bei  den  Japanern  vor  (Bibl.  Math.  Bd.  5,  S.  347.  1905).  Zu  al  W(rfq  vgl. 
aueh  Cantor,  Gesch.  der  Math.  2.  Aufl.,  Bd.  1,  S.  697. 

Beiträge  VI. 

S.  2.  Zu  den  Musikinstrumenten  ist  nachzutragen,  daß  zunächst 
drei  Beschreibungen  von  solchen  von  Cheikho  im  Maschriq  (Bd.  9,  S.  18') 
veröfTentlicht  worden  sind  nämlich:  Beschreibung  des  Instrumentes,  welches 
Müristos  hergestellt  hat,  dessen  Ton  60  Meilen  reicht.  Herstellung  der 
Gesamtorgel  fär  alle  Töne,  Herstellung  des  Gulgul,  aus  dem,  wenn  es 
bewegt  wird,  verschiedene  harmonische,  einschmeichelnde  Töne  austreten, 
ob  statt  „Müristos''  „Ariston"  zu  lesen,  erscheint  nicht  sicher.  —  Nur  bei 
der  ersten  dieser  Abhandlungen  ist  der  Verfasser  angegeben,  doch  ist  es 
möglich,  daß  die  anderen  von  demselben  Mann  herrühren.  Sie  scheinen 
sicher  aus  dem  Griechischen  zu  stammen*,  von  dem  Übersetzer  ist  nichts 
bekannt,  vielleicht  ist  es  einer  der  Benü  Müsä  oder  Honain  Ibn  Ishäq. 

Über  Müristos  sei  noch  auf  zwei  Stellen  hingewiesen.  Bei  Qtfti 
heißt  es  (S.  322)  Murtos,  er  heißt  auch  MürstoSf  ein  griechischer  Weiser, 
besaß  Praxis  und  Geschicklichkeit.  Zu  seinen  Werken  gehört  das  Werk 
über  das  tönende  Instrument,  das  die  trompetende  Orgel  heißt  und  über 
die  flötende  Orgel,  die  auf  60  Meilen  hin  gehört  wird.  Fast  wörtlich 
ebenso  heißt  es  bei  Abu'l  Fidä   (Hist.  anteisl.   ed.  Fleischer   S.  156). 

S.  3.  Fast  dieselbe  Beschreibung  der  Orgel  wie  in  den  Mafätth 
findet  sich  bei  H.  Chalfa  (Bd.  6  S.  258).  H.  Cb.  meint,  daß  Aristoteles 
eine  solche  Orgel  konstruiert  hat^  und  zwar  im  Abschnitt  über  die  Wissen- 
schaft der  Musik. 


^)  Vgl.  E.  W.,   Mitteilungen  zur  Geschichte,  Bd.  VII,  S.  54  ff.    und 
die  Amarifes^chrift. 


-    222    — 

Bei  Maaüdi  (Pariser  Anegabe  Bd.  8,  S.  91)  heißt  es:  Zu  den  Masik- 
instrumenten  der  Byzantiner  gehören  dl  Urgan,  auf  ihr  befinden  sich 
12  Saiten;  ihr  Ton  erstreckt  sich  weit,  sie  haben  femer  dl  Urganün  (die 
Orgel);  sie  hat  Blasebälge  aus  Fellen  und  [Röhren]  aus  Eisen.  (Die  Vo- 
kale der  arabischen  Worte  sind  nicht  sicher.) 

S.  36.  Das  Wort  Filin  ist  nach  einer  Mitteilung  von  Franke I 
identisch  mit  FdlUn  =  Kork  (Do  zy ,  Suppl.  Bd.  2,  S.  281,  wo  aueh  Stellen 
angegeben  sind),  man  gewinnt  ihn  von  dlBdllüf  al  faHtni,  d.h.  der  Kork- 
eiche. Das  Wort  heißt  wahrscheinlich  tpiXXivog,  das  Adjektiv  von  ipsXXog 
Kork. 

S.  37.  Bei  Bauten  kommt  auch  das  Wort  ^marsüa*'  fUr  „festgefQgt* 
vor,  so  bei  den  Manem  von  Jßims  (Emessa)  {Ibn  Crubair^)  S.  2ö8,  11  nnd 
S.  249,  2),  dort  sind  aach  gewaltige  eiserne  Tore  erwähnt,  ebenso  bei 
denen  von  Harrdnj  wo  es  heißt:  erbaut  aus  Steinen,  behauen  {manhüt), 
zusammengepaßt 

S.  54.  Die  verschiedenen  Quellen  zu  der  Kette  im  Hafen  von  Tyrus 
sind  bei  G.  Le  Strange,  Palestine  etc.  S.  342 ff.  zusammengestellt. 

Ibn  Gubair  sagt  bei  der  Beschreibung  des  Hafens  von  Tyrus  {Sur), 
Zwischen  den  beiden  Türmen  zu  den  beiden  Seiten  der  Einfahrt  spanot 
man  eine  gewaltige  Kette  (Silsild)  aus,  die  die  Schiffe  an  der  Ein-  und 
Ausfahrt  hindert;  sie  kommen  nur  hindurch,  wenn  sie  gehoben  wird.  An 
der  Einfahrt  stehen  Wächter  und  Beamte,  und  keiner  kann  ein-  und  aae- 
fahren,  ohne  daß  er  von  diesen  gesehen  wird.  {Ibn  Gubair  Text  S.  308, 
Übersetzung  S.  301.) 

Beiträge  VIII. 

S.  170.  Zu  'Omar  al  Chajidmx  ist  folgendes  nachzutragen:  In  einer 
Festschrift  dl  Muzaffarije  für  Baron  V.  Bösen  hat  V.  Schukowski 
'Omar  Chajjäm  behandelt.  Einen  sehr  ausführlichen  Auszug  gibt  E.  Roß, 
J.  Roy.  Asiatic.  Society  1898,  S.  349.  —  Aus  einem  Auszug  der  Welt- 
geschichte«) Tarich'i'Alß  (vgl.  dazu  Iranischer  Grundriß  Bd.  2,  S.  316/357) 
teilt  er  folgende  Stelle  mit. 

Eine  seiner  Abhandlungen  mit  dem  Titel  ^Mizän  dl  Hikme^  Wage 
der  Weisheit,  über  die  Prüfung  des  Wertes  von  Gegenständen,  die  mit 
Edelsteinen  besetzt  sind,  ohne  die  Steine  fortzunehmen,  erlangte  eine 
gewisse  Berühmtheit,  ebenso  eine  andere  Abhandlung  „Bedürfnisse  der 
Orte",  die  von  der  Definition  der  vier  Jahreszeiten  handelt  und  der 
Ursache  der  Veränderungen  der  klimatischen  Bedingungen  in  den  ver- 
schiedenen Städten  und  Gegenden. 

Aus  den  meisten  seiner  Schriften  geht  hervor,  daß  ^Omar  an  die 
Seelenwanderang  glaubte. 


^)  Ausgabe  von  de  Goeje. 

•)  Tarich-i'Alß  wohl  Abc  der  Weltgeschichte.  Iranischer  Grundrifi 
Bd.  2,  S.  356/357.  Das  Werk  ist  ausführlich  besprochen  von  Elliot  in 
Bibliographical  Index  pp.  143—162.  —  History  of  India  V,  pp.  150—176. 


-    223    — 

Die  Schrift  saoht  'Omar  nach  jeder  Richtung  hin  gerecht  zu  werden ; 
seine  Persönlichkeit  ist  yiel  umstritten  gewesen  und  sehr  verschieden 
beurteilt  worden. 

Beiträge  X4 

S.  309.  Die  Erledigung  eines  Gesuches  um  Einregistrierung  Ton 
drei  Bewässerungskanälen  und  ihren  Schöpfrädem  findet  sich  bei  Kara- 
barek  (Führer  Nr.  984). 

Pingdn  geht  in  letzter  lostanz  auf  das  griechische  Jtiva^  in  der  Be- 
deutung Schüssel  zurück.  (Nöldeke,  Persische  Studien  II,  38,  Wiener 
Sitznngsber.  Phil,  hist  Klasse  Bd.  126,  Nr.  12.) 

S.  310.  Maüah  hängt  nicht  mit  dem  arabischen  Milh  zusammen, 
das  nie  Meer,  wie  im  Griechischen  o^^,  bedeutet.  Das  Wort  stammt  aus 
dem  Babylonischen.  Es  hat  zunächst  den  Schiffer  auf  dem  Euphrat  und 
Tigris  bedeutet  und  ist  erst  gelegentlich  auf  den  Seeschiffer  angewendet 
worden  (Mitteilung  von  Nöldeke,  Praetorius,  u.  a.). 

S.  310,  Nr.  15  ist  Silsila  besser  als  Kette  zu  übersetzen. 

S.  314.  Ober  Abu  Jüsuf  findet  sich  ein  interessanter  Aufsatz  von 
Rieder,  Deutsche  Rundschau  Mai  1907. 

S.  315.  Zu  Brunnen,  Flüssen,  Bewässerung  ist  auch  das  von  JnynboU 
herausgegebene  Buch  der  Jahjä  Ihn  Adam  (f  205  d.  H.)  über  den  Charäg 
zu  vergleichen. 

S.  820  unten.  Die  Schrift  Nr.  5798  rührt  von  Umajja  Ihn  'Abd  dl 
'Aztz  Ihn  Abu  Salt  al  Andälüst  Abu  Salt  (f  528/1134)  her. 

S.  322.  Eine  großartige  Wasseranlage  rührt  von  Mutatoakkil  her, 
vgl.  al  Tabari  (Bd.  III,  S.  1438).  Dort  heiBt  es:  Er  befahl  im  Jahre 
245/859,  daB  ein  Kanal  gegraben  werde.  Der  Kanal  wurde  nicht  fertig, 
er  kostete  sehr  viel  Geld,   20000  Menschen   wurden  bei   ihm  verwendet. 

S.  325.    Nach  Nöldeke  entspricht  Barnösch  dem  J^amen  BaXsQiavog, 

S.  328.  Auch  die  Marmorsteine  der  Innenbekleidung  des  Brunnen 
Zamzam  in  Mekka  waren  mit  Blei,  das  zwischen  sie  in  die  Fugen  ge- 
gossen war,  verbunden.    {Ibn  Gubair  Text  S.  87,  Übersetzung  S.  61.) 

8.  336.  Da  Holz  fast  im  ganzen  Orient  selten  ist,  so  haben  wir 
unter  Dahv  zunächst  immer  einen  Ledereimer  zu  verstehen. 

S.  837,  Z.  40  unten  bemerkt  Nöldeke:  Bei  Ibn  Busteh  handelt  es 
sieh  allem  Anschein  nach  um  die  Erfindung  der  einfachen  Handmühle, 
denn  das  bedeutet  Bahä  zunächst,  wenn  nicht  der  Znsammenhang  auf 
ein  kunstvolleres  Instrument  führt.  Interessant  ist  die  Marginal note  zu 
Ibn  B.u8teh8  Stelle  Basti  Äsi-ab  bedeutet  Wassermühle,  aber  dann,  da 
man  nicht  auf  die  Zusammensetzung  achtet,  „Mühle**  schlechthin,  so  daß 
hier  .Hand''-(Wasser)-Mühle  nichts  weiter  ist,  als  das  uralte  Instrument 
ans  zwei  Steinen. 

S.  338.  Zu  den  Mühlen  am  Berg  Karmel  vgl.  Graf  von  Mülinen 
Z.  S.  d.  D.  P.  y.  Bd.  30,  S.  156  u.  s.  f.  Dort  ist  auch  vom  Badd  und 
den  Weinpressen  Midbiseund  Ma'sira  geliandelt.  Zu  dem  Baqqds  d.  h.  einer 
Schelle,  die  mit  der  Mühle  verbunden  ist,  und  tönt,  so  lange  Getreide  im 


—    224    — 

Trichter  ist,  vgl.  Muhammad  Bei  Otmän  GaJM  ed.  F.  Kern,  Leipzig 
1908,  S.  144.  "  ' 

S.  338,  Z.  2  von  unten  lies:  White  statt  Wright.  Z.  3  von  unten 
lies:  Relation  statt  Description. 

S.  339.  Auf  eine  interessante  Stelle  über  den  Bau  des  Hafens  von 
*Akka  war  Herr  Prof.  Fraenkel  in  Breslau  so  freundlieh,  mich  anf- 
merksam  zu  machen.  Sie  bX%\it  Muqaddast  ^,  162/163.  Jaqüt  Bd.  4,  S.  107 
und  Qazwint  Bd.  2,  S.  148.  Nach  der  ersten  Stelle  hat  auch  6.  Le 
Strange,  Palestine  S.  328  eine  Übersetzung  mitgeteilt. 

Die  Übersetzung  lautet  etwa:  Abu 'Abd  Allah  Muhammad  Ibn  Ahmed 
Ihn  AM  Bekr  dl  Bannä  (der  Baumeister)  dl  Baschscharl  *).  ^Akka  ist 
eine  große  wohlbefestigte  Stadt;  sie  wurde  in  dieser  Weise  erst  stark  be- 
festigt, als  Ibnfülün^)  zu  ihr  kam.  Er  hatte  vorher  Tyrus  gesehen  and 
die  Ringmauer  um  dessen  Hafen.  Er  wollte  einen  ähnlichen  Hafen  für 
'AJcka  bauen ;  da  versammelte  er  die  Handwerker  von  weit  und  breit  und 
setzte  ihnen  seinen  Plan  auseinander.  Da  sagte  man  ihm,  in  der  Jetzt- 
zeit hat  keiner  den  Weg  zum  Bauen  im  Wasser  gefunden;  darauf  wurde 
ihm  unser  Großvater  (d.  h.  der  des  berichtenden  Abu  'Abd  Aüäh)  Abu 
Bekr  al  Bannä  genannt,  und  man  sagte  ihm,  wenn  einer  in  diesen  Sachen 
bewandert  ist,  so  ist  er  es.  Da  schrieb  Ibn  Jvlün  an  ihn,  ließ  ihn  kommen 
und  legte  ihm  die  Sache  vor.  Der  sah  die  Sache  als  etwas  Leichtes  an 
und  verlangte,  daß  man  ihm  grobe  (galiz)  Balken  (falaq)  aus  Sykomo- 
renholz  herbeischaffe.  Als  dies  geschehen,  stellte  er  sie  auf  der  Wasser- 
oberfläche, entsprechend  der  Größe  des  Landkastelles  nebeneinander 
und  verband  sie  untereinander;  an  der  Westseite  machte  er  einen  großen 
Durchlaß.  Auf  den  Balken  baute  er  dann  Steine  und  Mörtel  {Schid)  auf. 
Beim  Bauen  machte  er  stets  fünf  Konstruktionen  (Damu^)'},  welche  er 
durch  dicke  Säulen  verband,  um  den  Bau  zu  festigen.  So  oft  die  Schiffe 
beschwert  wurden,  sanken  sie  unter.  Merkte  er,  daß  sie  auf  dem  Sand 
festsaßen,  so  machte  er  sie  zu  einer  vollständigen  Scheidewand,  so  daß 
sie  sich  nicht  rilhrten.  Dann  baute  er  da  weiter,  wo  er  aufgehört  hatte, 
und  so  oft  der  Bau  zu  der  vorher  hergestellten  Wand  kam,  fügte  er  ihn 
in   diese   ein   und   vernähte   (verband)   ihn    mit  ihr*).    Dann  machte  er 


^)  Es  ist  dies  natürlich  nicht  der  bekannte  Mathematiker  Ibn 
al  Bannä  (1258—1339)  (Suter,  Nr.  399,  S.  102). 

')  Ibn  Tülün  (835—883)  ist  der  Stammvater  der  Tulüniden  und  der, 
Erbauer  der  Ibn  Tülün  Moschee  (vgl.  E.K.  Gorbet,  The  life  and  works 
of  Ahmad  Ibn  Tülün.  Jouro.  of  the  Roy.  Asiat.  Society,  Bd.  28,  S.527 
1891,  der  Bau  in  'Akka  ist  nicht  erwähnt. 

')  Zu  Dämüs  vgl.  Dozy  Suppl.  Bd.  1,  S.  460. 

*)  Da  unter  Falaq  Balken  zu  verstehen  sind,  so  hat  man  wohl 
anzunehmen,  daß  aus  diesen  Flöße  gebildet  wurden,  dann  deren  Ober- 
fläche vollkommen  abgedichtet  wurde  und  dann  gleichsam  hohle,  wasser- 
dichte Steinkästen  aufgeführt  wurden,  die  langsam  untersanken.  £0 
entspräche   dies   auch   gewissen   Bedeutungen   von   Dämüs.     Bei   einem 


—    225    — 

Aber  die  Öffnang  eine  hochgespannte  Brücke  (Qantara).  Die  Schiffe 
fahren  jede  Nacht  in  den  Hafen  (Bau).  Zwischen  ihm  und  dem  offenen 
Meer  wurde  eine  Kette  gespannt,  wie  in  Tyms.  Ibn  Julün  gab  ihm 
1000  Dinare  (oa.  10000  Mk.)  außer  den  Ehrenkleidern  und  den  Reittieren 
nnd  sein  Name  steht  bis  anf  den  heutigen  Tag  darauf  geschrieben. 

S.  347  sei  folgendes  angefflgt:  Bei  Besprechung  eines  Werkes, 
das  durch  Hamga  Ihn  äl  Hasan  dl  Isfahäni  von  Muh.  Ihn  Müaä  Ihn 
Schdkir  herrührt,  sagt  al  Berüni:  Das  Buch  wird  Tdhit  Ihn  Qurra  zuge- 
schrieben, da  er  der  Protögö  dieser  Leute  war,  vollständig  in  ihnen  auf- 
ging und  weil  er  es  war,  der  für  sie  ihre  wissenschaftliche  Werke  „po- 
lierte''  (sauber  ausarbeitete),  (cd  Berüni,  Chronology  ed.  Sachau  Text 
8.  ^53,  Übersetiung  S.  61.)  Auch  sonst  finden  sich  in  der  Chronology 
mancherlei  Bemerkungen  über  die  Benü  Müsä  nnd  Täbit  Ihn  Qurra. 

S.  353.  Zu  Zauberbechem  etc.  vgl.  G.  de  Vau  x,  Apropos  des  mer- 
veilles  de  la  möcanique  ancienne  (Mitteilungen  Bd.  3,  S.  478.   1904). 

S.  355.  Zu  Meteorologie.  Die  Anwd  sind  nur  gewisse  Gestirne, 
die  meteorologisch  wirksam  sind.  Zu  ihnen  und  den  meteorologischen 
Verhältnissen  überhaupt  vgl.  al  Berüni,  Chronology  ed.  Sachau  (Text 
S.  242,  Übersetzung  S.  231).  Dort  finden  sich  auch  zahlreiche  Bemer- 
kungen über  die  Anschauungen  der  verschiedenen  YOlker  nach  dieser 
Riebtang. 


massiven  Bau  wäre  das  Ganze  gleich  gesunken.  Wenn  die  Flöße  auf  dem 
Boden  aufsahen,  wurden  die  Hohlräume  ausgefüllt  und  die  Zwisobenräome 
zwischen  den  einaelneii  Bauten  untereinander  verfestigt  Die  Möglichkeit 
dieser  Art  des  Bauens  ergibt  sich  aus  dem  relativ  seichten  Wasser,  wie 
aus  der  folgenden  Angabe  von  Ihn  Oühair  folgt.  Er  sagt  vom  Hafen 
von  *Ahkat  da0  er  nach  Lage  und  Gestalt  dem  Hafen  von  l'yrus  gleicht, 
aber  nicht  wie  dieser  Schiffen  von  großer  Tragkraft  zugänglich  ist;  da- 
her ankern  diese  vor  dem  Hafen,  und  nur  die  kleinen  fahren  ein  (Text 
8.  308,  Übersetxung  S.  801). 


Sltsnngsberlohte  der  med.-phys.  Soz.  89  (1907).  15 


Beiträge 
zur  Geschichte  der  Naturwissenschaften.  XIII. 

Von  Eilhard  Wiedemann. 

Über  eine  Schrift  ron  Ihn  al  Haitam  ,,Über  die 
Beseliaffeiilieit  der  Sehatten^^  ^). 

Unter  den  Physikern  des  Islam  ragen  zwei  Gelehrte  ganz 
besondere  hervor,  al  Berünt  nnd  Ihn  al  Haitam.  Während  wir 
vom  ersteren  vor  allem  ein  Werk  über  spezifische  Gewichts- 
bestimmnngen  besitzen,  verdanken  wir  dem  letzteren  eine  größere 
Anzahl  kleiner  optischer  Arbeiten,  die  nach  verschiedenen  Rich- 
tungen sein  Hauptwerk  „de  aspectibus"  ergänzen,  welch  letzteres 
in  ganz  hervortagender  Weise  die  Entwicklung  der  Optik  bis 
auf  Kepler  beeinflußt  hat  2). 

Die  folgenden  Seiten  sollen  sich  mit  Ibn  al  Haitams  Schrift 
über  die  Beschaffenheit  der  Schatten  befassen,  in  der  er  nach 
seiner  Aussage  als  erster  nachweist,  daß  neben  dem  lichtlosen 
Kernschatten  noch  ein  zweiter  Schatten  existiert,  dem  Licht 
beigemischt  ist.  Behandelt  sind  die  drei  möglichen  Fälle,  daß  der 
leuchtende  Körper  ebenso  groß  ist  wie  der  schattengebende  Körper, 
kleiner  oder  größer  als  dieser.  Im  letzten  kompliziertesten  Fall 
wird  auch  noch  die  Lichtverteilung  für  verschieden  weit  von 
dem  schattengebenden  Körper  abstehende  Ebenen  eingehend 
untersucht.  Augewandt  werden  die  Entwicklungen  auf  die  Lehre 
von  der  Mondfinsternis.  Die  Theorie  ist  so  weit  geführt,  als 
dies  ohne  Berücksichtigung  der  Abnahme  der  Intensität  mit  der 


^)  Herrn  Prof.  Dr.  Beiger,  der  so  freundlich  war  Alles  nachza- 
kontrollieren,  sage  ich  an  dieser  Stelle  den  besten  Dank. 

')  Eine  möglichst  vollständige  Übersicht  über  die  Leistungen  von  J^n 
al  Haitam  habe  ich  in  der  Festschrift  für  Prof.  Rosen tha4  gegeben. 


-    227    — 

Entfernung  and  des  Einflusses  des  Austritts  winkeis  möglich  ist^). 
Von  besonderem  Interesse  ist  die  Abhandlung  dadurch,  weil  in 
systematischer  Weise  die  erhaltenen  theoretischen  Resultate  ge- 
prüft werden  und  deren  Übereinstimmung  mit  der  Beobachtung 
nachgewiesen  wird. 

Ich  habe  nicht  eine  vollständige  Übersetzung  gegeben, 
sondern  den  Text  zum  Teil  gekürzt  und  das  Wesentliche  heraus- 
zuheben gesucht.  Wie  auch  sonst  bei  Ibn  al  Haifam,  so  ist 
auch  hier  die  Darstellung  eine  sehr  breite  und  bewegt  sich  viel- 
fach in  Wiederholungen,  besonders  da,  wo  neue  und  dem  Ver- 
fasser  besonders  interessierende  Resultate  gewonnen  werden. 
Das  ist  wohl  auch  der  Grund,  warum  schon  von  Kamäl  al  Dtn 
Abu'l  Hasan  al  Färist  [(f  1320)  ein  Auszug  {Tahrir)  aus  der 
obigen  Schrift  verfaßt  wurde.  Sie  ist  mit  dem  Tanqth  al  Manä:^r^ 
einem  Auszug  nebst  Kommentar  der  großen  Optik  und  anderen 
bedeatenden  Werken  Ibn  al  Haitams,  in  Leyden  (Eod.  1011) 
vorhanden. 

Mir  standen  zur  Bearbeitung  einmal  von  mir  vor  Jahren 
hergestellte  Photographien  des  Leydener  Textes  zur  Verfügung, 
sowie  dank  der  Güte  von  Herrn  Prof.  Dr.  Stern  eine  Berliner 
Handschrift  (Berlin  Katalog  6019).  Die  letztere  ist  ziemlich  gut 
geschrieben,  aber  leider  nicht  sehr  korrekt;  die  Figuren  lassen 
vielfach  zu  wünschen  übrig,  haben  aber  alle  Buchstaben.  Da- 
gegen sind  die  Figuren  im  Leydener  Kodex  sehr  gut  und  sauber 

')  Von  neueren  Arbeiten  seien  erwähnt  H.  Seeliger.  Abh.  d«  k. 
bayer.  Akademie  d.  Wiss.  München,  IL  Klasse  19,  II.  Abt.,  S.  395.  1898; 
Himmel  n.  Erde  9,  S.  276.  1897;  H.  Paschen.  Inang.-Dissert.  Marburg. 
1907. 

Eine  eingebende  Besprechung  der  Kenntnisse  von  den  Sonnen-  und 
Mondfinsternissen  ist  Yon  F.  Bo  11  in  Pauly-Wissowa,  Realencyklopädie 
Bd.  6,  unter  Finsternisse  gegeben. 

Auf  eine  Beihe  von  Stellen  bei  antiken  Schriftstellern,  an  denen  Über 
Schatten  gehandelt  wird,  so  Aristoteles  Problemata  XV.,  5.  9.  10.  10,  Me- 
teorologie I,  8,  6,  Ptolemaios  an  verschiedenen  Stellen,  war  Herr  Professor 
Heiberg  so  freundlich  mich  aufmerksam  zu  machen,  doch  habe  ich  dort 
nichts  von  dem  Schlagschatten  gefunden,  ebensowenig  in  Euklids  Optik, 
vgl.  besonders  die  Rezension  von  Theon. 

Auch  Qiufwini  erwähnt  bei  der  Besprechung  der  Mond*  und  Sonnen- 
fiüBteniis  (Obersetzung  von  Ethe  S.  38  n.  52)  nichts  vom  Schlagschatten. 
(Nach  Ethe  könnte  es  scheinen,  als  ob  von  der  Erde  Strahlen  ausgehen, 
daa  würde  aber  ans  dem  Text  selbst  nicht  folgen.)    Ebensowenig  finden 

15* 


-    228    - 

ausgef&hrt,  bei  zwei  derselben  fehlen  aber  die  Bnchstaben.  Vou 
der  Handschrift  gilt  das  im  Leydener  Katalog  gesagte  ^charac- 
tere  minntissimo  et  interdnm  lectu  difficiliori  exaratae,  cnm  figg 
quam  nitidissimis^.  Bei  der  Benützung  beider  Texte  ließ  sich 
der  Inhalt  des  Ganzen  vollkommen  sicher  stellen. 

Aus  dem  Inhalt  folgt  ohne  weiteres,  daß  es  sich  weder  um 
Tangenten  nnd  Kotangenten,  wie  Wöpcke  meinte,  noch  am 
Schattenwerfang  (im  astrologischen  Sinn)  handelt. 

Abhandlung  Ton  dl  Has€in  Ibn  al  Hu8ain  Ihn  al  Haitam 
Über  die  Beschaffenheit  der  Schatten^). 

Eine  *)  der  Grundlagen,  auf  die  man  sich  in  der  Astronomie 
stützt;  ist  die  Bewegung  der  Sonne  und  des  Mondes  und  die 
Kenntnis  der  Zeiten  und  der  Beträge  der  Stunden  und  der  Lage 
der  Sonne  zu  jeder  Zeit  des  Tages.  Die  wissenschaftliche  Grund- 
lage für  die  Verdunkelungen  des  Mondes  und  die  Beträge  der 
Zeiten  [zu  denen  sie  stattfinden]  bildefi  die  Schatten  der  dichten 
Körper,  wenn  auf  sie  das  Licht  fällt  und  zwar  nur  von  einer 
Seite.  Die  Gestalt  der  Schatten  ist  je  nach  den  Größen  der 
leuchtenden  und  der  verfinsternden  Körper  verschieden.  Sie 
unterscheiden  sich  weiter  nach  Stärke  und  Schwäche  entsprechend 
der  Größe  und  dem  Licht  der  leuchtenden  Körper.  —  Wir  fanden, 
daß  alle,  welche  über  die  Schattenlehre  gehandelt  und  die 
Schatten  benutzt  haben,  ohne  Unterschied  eine  und  dieselbe 
Methode  bei  der  Feststellung  der  Gestalt  des  Schattens  befolgten. 
Als  wir  nun  unser  Augenmerk  gerichtet  hatten  auf  die  Veri- 
fizierung der  Beschaffenheit  der  Schatten  und  auf  die  genaue 
Prüfung  der  Unterschiede  in  ihrer  Gestalt,  Stärke  und  Schwäche, 
da  fanden  wir,  daß  der  Weg,  den  die  Vertreter  der  Schatten- 
lehre und  derer,  die  die  Schatten  anwandten,  eingeschlagen 
hatten,  nicht  genau  untersucht  und  gründlich  studiert  war.  Wir 
fanden,  daß  jeden  Gegenstand,  den  sie  mittelst  der  Schatten  zu 
ergründen  suchten,  ein  Irrtum  trübte  (fehlerhaft  erscheinen  ließ), 

flieh  bei  al  Battdni  (ed.  Nailino)  and  al  Fargäni  (ed.  60 lins),  Angaben  über 
den  Schlagschatten. 

')  Der  Kommentar  gibt  an  „sie  besteht  in  6  Hauptstücken;  von 
ihnen  sind  im  Text  nur  ö  bezeichnet;  da,  wo  wohl  das  sechste  beginnt, 
steht  in  der  Obersetzung  6*. 

*)  Den  ersten  Abschnitt  bezeichnet  der  Kommentator  als  »Einleitung*. 


-    229    — 

weil  sie  die  genaue  Untersachung  der  Beschaffenheit  und  der 
Form  des  Schattens  nachlässig  behandelt  hatten.  Daher  be- 
absichtigten wir,  diesen  Gegenstand,  d.  h.  die  Gestalt  des  Schattens 
knrz  and  bündig  zn  erörtern  and  seine  Beschaffenheit  nach  Stärke 
und  Schwäche  eingehend  and  sorgfältig  zu  prüfen,  damit  dadarch 
alles,  was  man  in  der  Astronomie  and,  was  damit  zusammenhängt, 
durch  den  Schatten  za  ergründen  sacht,  sicher  gestellt  werde 
und  dadarch  alles  ergänzt  werde,  in  dem  sich  eine  Lücke  bei 
den  früheren  Erörterungen  fand. 

Ich  sage,  daß  der  Schatten  im  Fehlen  von  irgend- 
welchem Lichte  an  dem  Ort  des  Schattens  besteht;  dies 
rührt  daher,  daß  jeder  dichte  Körper,  falls  Licht  auf  ihn 
fällt,  die  hinter  ihm  liegenden  Gegenstände  gegen  dies  Licht 
schirmt.  Nimmt  man  den  dichten  Köii>er  fort,  so  beleuchtet  ihn 
wiederum  dies  Licht,  das  vorher  abgeschnitten  war.  Bringt 
man  den  dichten  Körper  an  seinen  ursprünglichen  Ort  zurück, 
so  wird  der  ursprünglich  beschattete  Ort  wieder  beschattet. 
Hieraus  geht  hervor,  daß  der  Schatten,  der  sich  an  dem  gegen 
das  Licht  verhüllten  Ort  befindet,  in  dem  Fehlen  des  auf  den 
dichten  Körper  ausgestrahlten  Lichtes  an  dem  Orte  des  Schattens 
besteht.  —  Strahlt  auf  den  Ort  des  Schattens  Licht  von  einer 
oder  von  mehreren  Seitenf  so  bleibt  dieser  Ort  doch  noch  im 
Schatten,  falls  ihm  Licht  fehlt,  das  dem  Ort  des  Schattens 
irgendein  Licht  zusenden  kann.  Finsternis  entsteht  aber, 
wie  im  Innenraum  der  Häuser,  falls  die  Türen  geschlossen  sind 
und  in  Höhlen  und  in  Brunnen,  falls  in  sie  gar  kein  Licht  ge- 
langen kann. 

Die  Finsternis  {Ziilma)  besteht  im  vollkommenen  Fehlen 
des  Lichtes,  der  Schatten  besteht  im  Fehlen  von  irgendwelchem 
Liebt.  Jede  Finsternis  ist  Schatten,  aber  nicht  jeder  Schatten 
Finsternis.  Ein  Ort,  der  von  zwei  oder  mehreren  Seiten  be- 
schattet wird,  und  auf  den  das  Licht  von  einer  oder  mehreren 
anderen  Seiten  strahlt,  ist  ebenfalls  „Schatten^  aber  nicht 
„Finsternis*. 

Man  nennt  auch  einen  Ort  mit  wenig  Licht  einen  ver- 
finsterten, doch  nur  in  bildlicher  und  nicht  in  strenger  Weise, 
ebenso  nennt  man  einen  Ort  mit  vielem  Licht,  wenn  er  gegen 
ein  geringes  Licht  geschirmt  ist,  einen  leuchtenden  und  nicht 
einen  Schatten,  wenn  man  nämlich  den  Schatten,  der  sich  dort 


—    230    - 

befindet,  nicht  bemerkt.  An  einem  gegen  irgendein  Licht  ge- 
schirmten Ort,  auf  den  das  Licht  der  Sonne  fällt,  sieht  man 
den  Schatten  nicht,  der  auf  ihm  liegt,  und  man  weiß  nicht,  daß 
dort  sich  ein  Schatten  befindet.  Dieser  Ort  heißt  nicht  beschattet, 
sondern  hell.  Auf  ihm  befindet  sich  aber  doch  ein  Schatten. 
Streng  genommen  besteht  die  Finsternis  inr  vollkommenen  Fehlen 
von  Licht  und  der  Schatten  darin,  daß  eine  bestimmte  Menge 
Licht  fehlt,  zugleich  aber  auch  dem  Schatten  beigemischtes 
Licht  vorhanden  ist.  Dieser  Schatten  kann  wahrnehmbar  oder 
nicht  wahrnehmbar  sein,  unter  veränderten  Umständen  besteht 
der  Schatten  in  dem  [vollkommenen]  Fehleü  von  Licht  an  dem 
Schattenort.    Schatten  nennt  man  nur  den,  den  man  bemerkt 

Der  Schatten  pflanzt  sich  in  gerader  Richtung  auf  ge- 
dachten geraden  Linien  fort,  zwischen  dem  leuchtenden  Körper 
und  dem  Schatten;  dies  rührt  daher,  daß  alles  Licht  sich  von 
dem  leuchtenden  Körper  auf  den  Richtungen  {Samt)  von  geraden 
Linien  ausbreitet.  Das  tut  auch  das  Licht,  das  vom  leuchtenden 
Körper  zu  dem  Schatten  geht,  wenn  man  den  beschattenden 
Körper  fortnimmt.  Der  Versuch  beweist,  daß  der  Schatten  auf 
entsprechenden  Linien  fortschreitet.  Ist  der  schattengebende 
Körper  begrenzt,  so  schreitet  das  Licht,  welches  gerade  an  der 
Umgrenzung  vorbeigeht,  in  gerader  Richtung  weiter  und  gelangt 
hinter  den  schattengebenden  Körper.  Dieses  Licht  bildet  den 
Umfang  des  Schattens  hinter  dem  schattengebenden  Körper. 

Von  diesem  den  Schatten  begrenzenden  Licht  findet  man 
durch  den  Sinn  (Hass),  daß  er  auf  geraden  Linien  fortschreitet. 
Hierdurch  ist  bewiesen,  daß  der  Schatten  und  die 
ihn  begrenzenden  Lichtstrahlen  in  gerader  Richtung 
fortschreiten. 

1.  Wir  sagen,  daß  jeder  dichte  Körper,  wenn  auf  ihn  Licht 
von  einem  leuchtenden  Körper  gestrahlt  wird,  hinter  sich  Schatten 
erzeugt,  die  verschieden  nach  Stärke  und  Schwäche  sind;  sie 
hängen  insgesamt  zusammen  und  schreiten  in  gerader  Richtung 
hinter  dem  schattengebenden  Körper  fort;  sie  erstrecken  sich 
in  die  Ferne,  indem  sie  sich  erweitern,  jedesmal  wenn  sie  sich 
von  dem  dichten  Körper  entfernen,  werden  sie  weiter  (d.  h. 
breiter,  von  größerem  Querschnitt). 

Als  Beispiel  diene  das  folgende:  Der  leuchtende  Körper 
sei  ab,  der  dichte  Körper  sei  dg,   auf  dem  Umfang  von  dg 


—    231    — 

nehmen  wir  einen  beliebigen  Pankt  g  an.  Wir  denken  uns  non 
dui-ch  g  eine  Ebene  gelegt,  die  die  beiden  Körper  ab  and  gd 
schneidet,  dies  geschehe  in  den  Punkten  a  und  b  bezw.  g  und  d. 
Wir  ziehen  nun  ab  und  gd  und  ferner  ag  und  bd  und  verlängern 
letztere  in  gerader  Richtung.  Die  Linien  ag  und  bd  können 
nun  parallel  sein  oder  sich  im  Körper  ab  oder  im  Körper  gd 
schneiden  (d.  h.  oberhalb  von  ab  oder  unterhalb  von  gd). 

Sie  seien  zunächst  parallel  (d.  h.  ab  und  gd  mögen  gleich 
groß  sein)  (Fig.  1).  Wir  verlängern  ag  nach  e  und  bd  nach  r.  Durch 


den  Punkt  e  ziehen  wir  eine  Gerade  her^^),  die  der  Geraden 
gd  parallel  ist  Wir  verbinden  die  Punkte  b  und  g  und  verlängern 
die  Linie  bg;  sie  schneidet  h^  im  Punkte  h,  ebenso  zieht  man 
ad,  sie  schneidet  h^  in  i9.  Die  Linien  bg  und  ad  schneiden  sich 
im  Raum  zwischen  ab  und  gd  im  Punkte  k.  Auch  von  jedem 
Teil  eines  leuchtenden  Körpers  geht  das  Licht  in  geraden  Linien 
aus;  ein  solcher  Teil  sei  al.  Wir  ziehen  lg  und  verlängern  es 
bis  zn  he,  es  schneidet  he  in  m.  Alle  von  al  ausgehenden  und 
g  berührenden  Linien  schneiden  die  Linie  em.  Die  Linie  em 
erhält  also  Licht  von  dem  Teil  al.  Von  jedem  Punkte  aber  von 
ab,  dessen  Verbindungslinie  mit  einem  Punkt  von  em  durch  gd 
geschnitten  wird,  gelangt  kein  Licht  nach  em,  also  z.  B.  nicht 
von  Ib.  Ist  al  ein  relativ  kleiner  Teil  von  ab,  so  ist  auf  em  weit 
mehr  Schatten  des  leuchtenden  Körpers  als  zugestrahltes  Licht. 


^)  Statt  des  arabischen  t  ist  ^  gesetzt. 


—    232    - 

Wir  wollen  nun  In  =  al  ^)  machen,  wir  ziehen  femer  ng,  es 
treffe  dh  in  a^).  Das  Licht  von  al  trifft  auch  auf  am,  so  daß 
die  Linie  am  durch  das  Licht  der  beiden  Teile  al  In  beleuchtet 
ist,  dagegen  erhält  sie  kein  Licht  von  dem  StQck  nb.  Demnach 
ist  das  Licht  auf  der  Strecke  ma  stärker  als  das  auf  der  Strecke 
em,  und  der  Schatten  auf  ma  ist  schwächer  als  der  auf  der 
Strecke  em. 

Hieraus  folgt,  daß  sich  auf  der  Linie  eh  ein  kontinuierlicher 
Schatten  befindet,  der  aber  an  verschiedenen  Stellen  verschieden 
ist.  Nahe  am  Punkt  e  ist  er  stark,  nahe  am  Punkt  h  schwach, 
ebenso  [aber  umgekehrt]  ist  es  mit  dem  Licht.  Der  Schatten  ist 
verschieden  stark  längs  der  Linie,  er  ist  gradweise  abschattiert, 
und  ein  Teil  ist  nicht  gegen  den  anderen  getrennt,  d.  h.  die 
Dunkelheit  ändert  sich  allmählich. 

Ganz  dieselben  Betrachtungen  kann  man  für  den  Teil  rd 
anstellen. 

Wir  haben  also  zwischen  e  und  r  vollkommenen  Schatten, 
dem  nicht  übergelagert  ist  irgendwelches  Licht  von  dem 
Körper  ab,  und  die  beiden  nach  außen  gradweise  abnehmenden 
Schatten.  —  Ebenso  ist  es  auf  der  ganzen  Fläche  oder  und  den 
an  sie  angrenzenden  Stücken. 

Ziehen  wir  also  parallel  zu  h^  eine  Linie,  sei  es  näher  an 
gd;  sei  es  weiter  von  ihr  fort  als  hi9,  so  tritt  auf  ihnen  ein 
Schatten  auf,  der  dasselbe  Bild  bietet  wie  der  Schatten  auf  h#. 
Ferner  ergibt  sich,  daß  die  Linien  gh  und  d^  den  Schatten  auf 
beiden  Seiten  begrenzen.  Die  Linien  gh  und  d^  treffen  sich  bei 
Punkt  k.  Schreiten  sie  nach  der  Seite  von  hd  fort,  so  wird  ihr 
Zwischenraum  größer,  und  mit  ihnen  schreitet  der  Schatten  fort 
Aus  diesen  Darlegungen  folgt,  daß  der  Schatten  des  Körpers  gd 
fortschreitet,  und  zwar  indem  er  sich  erweitert. 

Sobald  der  Schatten  sich  von  dem  Körper  gd  entfernt, 
entsteht  an  seinen  Seiten  ein  mit  Licht  gemischter  Schatten, 
er  ist  abgestuft,  in  der  Mitte  des  Schattens  enthält  er  kein  bei- 
gemischtes Licht,  und  seine  beiden  Ränder  sind  in  den  der  Mitte 
zu  gelegenen  Teilen  schwächer  als  an  den  entfernteren,  und 
das  wollten  wir  beweisen. 


')  Die  ZeicbnuDg  ist  nicht  ganz  richtig. 
*)  a  ist  für  das  arabische  'Ain  gesetzt, 


233    — 


k 


Fig.  2. 


2.  Die  beiden  Linien  ag  und  bd  mögen  sich  im  Körper  ab 
ti-efien  (Fig.  2),  und  zwar  in  1,  d.  h.  der  leuchtende  Körper  sei 
kleiner  als  der  schattengebende.  Wir  verlängern  ag.  Durch  den 
Punkt  e  von  ag  ziehen 
wir  eine  zu  gd  parallele 
Linie  hei-*  (C).  Wir 
ziehen  bg  und  ver- 
längern sie,  bis  sie  die 
Linie  C  in  h  schneidet, 
wir  ziehen  weiter  ad, 
sie  treffe  die  Linie  G 
in  d.  Die  Linien  bg 
und  ad  schneiden  sich 
im  Punkt  k.  Nun  sei 
an  ein  Teil  von  ab. 
Wir  ziehen  ng,  die  die 
Linie  C  in  a  trifft. 

Es  wird  nun  genau  so  wie  früher  gezeigt,  daß  ein  vollkommen 
dunkler  Schatten  in  dem  Räume  zwischen  ge  und  dr  und  deren 
Verlängerungen  entsteht,  daß  in  den  beiden  verlängerten  Drei- 
ecken hge  und  rd*  sich  mit  Licht  gemischter  Schatten  findet, 
dessen  Dunkelheit  von  innen  nach  außen  abnimmt,  und  daß  die 
Schatten  sich,  indem  sie  weiter  werden,  in  die  Ferne  erstrecken. 
Den  Schatten  begrenzen  die  in  k  sich  schneidenden  Linien  gh 
und  dii>. 

3.  Die  beiden  Linien  ag 
und  bd  mögen  sich  auf  der 
Seite  von  gd  schneiden  (Fig.  3), 
und  zwar  im  Punkte  e  auf 
der  zu  gd  parallelen  Linie  reh. 
Aus  dem  Vorhergehenden  er- 
gibt sich,  daß  längs  er  und 
eh  die  Schatten  und  Lichter 
verschieden  stark  sind  und 
auch  deren  Verteilung.  Wie 
auf  der  Linie  er  verhält  es  sich 
auf  jeder  Linie  zwischen  hr 
und  gd.  In  dem  Dreieck  gde  ist  nur  Schatten  vorhanden. 
Diesen  Schatten  allein  haben  die,   die  sich  bisher  mit 


-    234    — 

den   Schatten   abgaben,   behandelt;    sie  gingen   nicht 
über  ihn  hinaas  and  erwähnten  keinen  anderen  als  ihn^). 

Nun  wendet  sich  Ibn  al  Haitarn  zu  der  Betrachtung  der 
Schattenverteilung  auf  Linien,  die  weiter  als  rh  von  gd  abliegen. 

Wir  zeichnen  hinter  und  parallel  zu  rh  eine  Linie  fq, 
wir  ziehen  femer  ae  und  be,  bis  sie  fq  in  s  und  n  treffen.  Wir 
verbinden  ng  und  sdund  verlängern  sie,  bis  sie  ab  in  a  und  a^) 
schneiden.  Da  nun  fs  in  dem  Baum  zwischen  den  beiden  Linien 
seg  und  grf  liegt,  so  ist  der  Schatten  auf  ihr  in  derselben  Weise 
verteilt  wie  auf  er,  wie  in  den  beiden  vorhergehenden  Kapiteln 
gezeigt  ist,  wobei  das  Licht  von  aa  nach  sn  gelangt.  Dasselbe 
ist  fär  das  Licht  auf  ab  der  E'all.  Die  Linie  sn  empfängt  also 
Licht  von  aa  und  ab,  freilich  nicht  von  jedem  Punkt  von  aa 
und  ab,  denn  sn  liegt  zwischen  den  Linien  gn  und  gs  bezw. 
zwischen  den  Linien  dn  und  ds. 

Man  denkt  sich  nun  sn  sowie  aa  und  ab  je  in  eine  gleiche 
Anzahl  von  Teilen  geteilt,  dann  empfängt  der  n  anliegende  erste 
Teil  nur  das  Licht  von  einem  Teil,  der  an  a  anliegt,  der  zweite 
Teil  das  Licht  von  zwei  Teilen  u.  s.  w.  gradweise,  dasselbe  gilt 
für  die  an  b  anliegenden  Teile. 

Nun  werden  gesondert  die  Fälle  untersucht,  daß  die  beiden 
Linien  nga  und  sda  parallel  sind  oder  sich  schneiden. 

Sind  sie  parallel,  so  gelangt  von  ao  kein  Licht  nach  nn, 
wie  bei  Figur  1.  Um  die  Verteilung  in  ns  zu  diskutieren, 
wird  nun  sn  in  10  Teile  geteilt  und  ebenso  aa  und  ba  und  ge- 
zeigt, daß  die  Summe  der  Belichtungen  von  aa  und  ba,  die  sn 
erhält,  stets*  die  gleiche  ist,  so  daß  der  Schatten  gleich  und 
ähnlich  ist.  Unterscheiden  sich  die  Linien  aa  und  ba  nicht 
wesentlich  voneinander,  so  ist  auch  in  diesem  Falle  der  Schatten 
ein  gleichmäßiger.  Auf  den  Strecken  nf  und  sq  dagegen  ändert 
sich  der  Schatten  stufenweise. 

Schneiden  sich  (Fig.  3)  die  Linien  nga  und  sda  auf  der  Seite 
von  ns,  so  ist  die  Linie  ns  gegen  ao  verdunkelt  und  ao  ist 
größer  als  für  den  Fall,  daß  an  und  sa  parallel  sind,  und  es  ge- 
langt kein  Licht  von  ao  auf  ns. 


^)  Das   bezieht  sich   auf  die  Einleitung   und   zeigt,  worin   Ihn  cd 
Haitam  über  die  Früheren  hinausging,  so  über  al  Kindi  (vgl.  w.  u.). 
*)  a  ist  für  8  genommen. 


-     235    — 

Schneiden  sich  (Fig.  3)  nga  and  sda  auf  der  Seite  nach  ab  zu,  so 
kommen  drei  Fälle  in  Betracht,  entweder  schneiden  sie  sich 
zwischen  ab  und  gd  oder  anf  ab  selbst  oder  hinter  ab. 

Schneiden  sich  die  beiden  Linien  hinter  ab^  so  ist  die  Sache 
wie  wir  dies  früher  auseinandergesetzt  haben,  d.  h.  ns  empfängt 
kein  Licht  von  aa,  diese  Strecke  ist  kleiner,  als  wenn  die  Linien 
parallel  verlaufen. 

Liegt  der  Schnittpunkt  der  beiden  Linien  auf  ab,  so  werden 
die  beiden  Punkte'  a  und  a  zu  einem  einzigen,  und  die  beiden 
Teile  aa  und  ab  stoßen  in  diesem  Punkte  zusammen,  und  auf 
die  Linie  ns  kommt  Licht  von  der  ganzen  Linie  ab,  d.  h.  es 
gibt  keinen  Punkt  auf  ab,  von  dem  nicht  Licht  auf  ns  gelangte. 

Treffen  sich  (Fig.  4)  nga  und  sda  unterhalb  der  Linie  ab 
in  t  (entspricht  dem  *  der  früheren  Figuren),  so  ist  aa  den 
beiden  Teilen,  durch  welche 
sn  beleuchtet  wird,  gemein- 
sam. Man  erhält  in  der 
Mitte  auf  ns  wieder  einen 
gleichmäßigen  Schatten;  auf 
nf  und  sq  dagegen  Licht 
und  Schatten,  die  beide  ab- 
gestuft sind,  und  zwar  in  der 
früher  geschilderten  Weise. 

Im  ganzen  erhalten  wir 
also  einen  lichtlosen  Schat- 
ten, der  nach  e  zu  immer 
schmäler  wird,  jenseits  von 
e  haben  wir  einen  schwachen  Schatten,  der  in  der  Mitte  gleich- 
mäßig hell  ist  und  dann  nach  außen  sich  abschwächt.  Er 
tritt  in  den  verlängerten  Dreiecken  rge  und  edh  auf  und  ist 
an  den  Rändern  ge  und  de  kräftiger  als  nach  außen. 

Dieselben  Entwicklungen  gelten  nun  für  jede  andere  durch  die 
beiden  Körper  ab  und  gd  gelegte  Ebene,  und  man  erhält  einen 
körperlichen  Schatten,  den  Ibn  al  Haifam  sich  auch  so  gebildet 
denkt,  daß  er  (Fig.  3)  von  d  nach  der  Mitte  von  ab  eine  Linie 
zieht  und  um  diese  die  ganze  Figur  rotieren  läßt.  Die  eine 
Grenze  des  Schattens  ist  durch  gd  gebildet,  die  andere  durch 
den  von  den  verlängerten  Linien  *g  und  M  erzeugten  Kegel- 
mantel 


—    236    - 

Die  Ergebnisse  werden  noch  einmal  etwa  folgendermaßen 
zusammengefaßt.  Ist  der  leuchtende  Körper  gleich  dem 
schattengebenden  Körper,  so  ist  der  lichtlpse  Schatten  an  Dicke 
gleich  dem  schattengebenden  Körper.  Ist  der  leuchtende  Körper 
kleiner  und  zwar  beliebig  kleiner  als  der  schattengebende,  so 
ist  der  lichtlose  Schatten  ein  sich  in  die  Ferne  erstreckender 
und  sich  erweiternder  Kegel.  Ist  aber  endlich  der  leuchtende 
Körper  größer  als  der  schattengebende,  so  erstreckt  sich  der 
lichtlose  Schatten  bis  zu  einer  Spitze  (er  bildet  einen  Kegel); 
was  über  diese  Spitze  binausliegt  ist  ein  Schatten,  der  sich  bei 
dem  Fortschreiten  fortwährend  erweitert  und  dem  überall  Liebt 
beigemischt  ist. 

Diese  ganze  prinzipielle  Erörterung  gilt  für  jede  Form  des 
leuchtenden  und  für  jede  Form  des  schattengebenden  Körpers. 
Denn  das,  was  wir  entwickelt  haben,  hängt  weder  von  der 
Gestalt  des  leuchtenden,  noch  derjenigen  des  beschattenden 
Körpers  ab.  Aus  alledem  eben  entwickelten  geht  hervor, 
daß  jeder  dichte  Körper,  auf  den  Licht  von  einem  leuchtenden 
Körper  fällt,  hinter  sich  einen  sich  erweiternden  und  sich  in  die 
Feme  erstreckenden  Schatten  erzeugt,  mag  nun  der  leuchtende 
Körper  gleich,  kleiner  oder  größer  als  der  schattengebende  sein. 

Nun  wird  noch  im  Anschluß  an  die  Licht-  und  Schatten- 
verteilung auf  der  Linie  fq  geschildert,  wie  ganz  entsprechend 
auf  einem  den  Schatten  schneidenden  Körper  die  Licht-  nnd 
Schattenverteilung  erscheint,  und  wie  sich  dieselbe  beim  Entfernen 
dieses  Körpers  von  gd  ändert.  Dabei  werden  immer  wieder 
die  nach  den  Seiten  hin  abgestuften  Schatten  betont.  Betont 
wird  noch,  daß  dies  nur  für  Körper  gilt,  auf  die  Licht  nur  von 
einer  Seite  und  nicht  zugleich  von  anderen  fällt. 

Dann  werden  die  Resultate  experimentell  geprüft  und 
dabei  folgendermaßen  fortgefahren. 

Wir  sagen,  daß  diese  Resultate  auch  mit  dem  Sinn  gefunden 
werden,  und  zeigen,  wie  dies  geschieht,  und  legen  kurz  dar  eine 
Versuchsmethode,  mittelst  deren  man  diese  Resultate  mit  dem 
Sinn  erzielt.  Wir  sagen,  daß,  wenn  der  Beobachter  das,  was 
wir  gesagt,  vollständig  beobachten  will,  er  eine  Lampe  mit 
einem  dicken  Docht  aufstellt,  sie  mit  Ol  füllt  und  anzündet;  er 
stellt  sie  auf  einen  von  der  Erde  sich  erhebenden  Leuchter.  Er 
stellt  sie  in  das  finstere  Haus  in  der  Nacht,   weder  im  Hans 


-    237    — 

noch  in  der  Nähe  des  Hauses  darf  ein  Licht  außer  dem  der 
Lampe  sein.  Auch  darf  in  dem  Hause  kein  Wind  (Zug)  sein, 
falls  er  zur  Zeit  des  Windes  beobachtet.  Die  Wände  des  Hauses 
sollen  staubfarbig  sein  oder  schwach  gefärbt  {munkaschafa  dl 
Laun)\mA  nicht  weiß  von  strahlendem  Weiß,  denn  das  Weiß 
verdeckt  den  feinen  (zarten  raqiq)  Schatten.  Dann  stellt  der 
Beobachter  auf  einen  dünnen  Stab  ('  Üd)  wie  einen  Zahnstocher 
{Ckaläla)  oder  etwas,  was  entsprechend  dttnn  ist,  und  nähert  den 
Stab  der  Vorderseite  der  Lampe.  Die  Lampe  steht  von  der 
Wand  des  Hauses  ab,  aber  nicht  beliebig  weit,  sondern  zwischen 
ihr  und  der  Wand  sollen  2  Ellen  oder  weniger  liegen.  Denn 
der  Schatten  wird,  wenn  er  sehr  weit  entfernt  ist,  dünn  und 
ist  verborgen  (den  Blicken  entzogen).  Der  dünne  Stab  wird 
zwischen  die  Lampe  und  die  Wand  gestellt,  und  zwar  quer  zu 
dem  „Feuer''  der  Flamme,  und  man  betrachtet  das,  was  auf  der 
Wand  von  dem  Schatten  des  Stabes  zu  sehen  ist.  Man  findet 
auf  der  Wand  einen  Schatten;  seine  Breite  ist  viel  größer  als 
die  Breite  des  Stabes.  —  Wir  nahem  den  Stab  der  Lampe, 
dann  erweitert  sich  der  Schatten  nach  der  Breite,  und  wenn  man 
ihn  von  der  Lampe  entfernt,  so  wird  er  schmal.  —  Wenn  man 
die  Ränder  des  Schattens  untersucht,  findet  man  sie  zart  (d.  h. 
aufgehellt),  und  seine  Mitte  ist  dunkel.  So  oft  man  sich  von 
der  Mitte  entfernt,  wird  der  Schatten  schwächer. 

Der  Stab  sei  nun  dünn,  das  Feuer  in  der  Lampe  lebhaft 
(hell)  und  die  Länge  der  Flamme^)  vielmal  größer  als  die  Breite 
des  Stabes.  Wir  denken  uns  zwei  gerade  Linien,  die  von  den 
Enden  der  Flamme  nach  den  beiden  Seiten*)  des  dünnen  Stabes 
ausgehen,  dann  treffen  sie  sich  in  der  Nähe  des  Schattens.  Wäre 
nun  der  Schatten  eben  derjenige,  welchen  die  beiden  Linien,  welche 
von  dem  Umfang  des  leuchtenden  Körpers  zu  dem  des  schatten- 
gebenden gehen,  einschließen,  so  müßte  man  den  Schatten  in 
der  Nähe  des  Stabes  und  in  einem  kleinen  Abstand  hinter  ihm 
schneiden^),  und  zwar  insbesondere,  wenn  man  den  Stab  der 


>)  Der  Berliner  Text  hat  Nor  Feuer,  der  Leydener  Kommentar  Dubala 
Kersendocht,  Kerzenflamme. 

*)  Der  Kommentar  hat  „von  dem  oberen  Ende  zu  der  oberen  Seite 
and  von  dem  unteren  Ende  zu  der  unteren  Seite."  « 

*)  Die  Entwicklungen  sollen  wohl  zeigen,  daß  die  Betrachtungen  der 
Alten,  die  nur  den  lichtlosen  Schatten  behandelten,  nicht  stichhaltig 


—    238    - 

Lampe  nähert.  Das  Verhältnis  der  Entfernung  a  der  Spitze 
des  Schattens  von  der  Lampe  zu  dem  Abstand  b  der  Spitze 
von  dem  Schattengeber  ist  gleich  dem  Verhältnis  der  Breite 
der  Flamme  f  zu  der  Breite  des  Stabes  s.  Ist  der  dänne  Stab 
nahe  an  der  Flamme,  so  ist  der  Abstand  b  (die  Länge  des 
Schattens)  eine  kleine  Größe;  nähert  man  den  Stab  sehr  der 
Flamme,  so  reicht  die  nach  der  Spitze  sich  erstreckende  Dunkel- 
heit nicht  bis  zu  der  Wand  und  nähert  sich  ihr  auch  nicht. 
Der  sich  nach  der  Spitze  hin  erstreckende  Schatten  ist  ein 
durchweg  gleicher,  lichtloser  Schatten.  Erblickt  man  auf  der 
Wand  einen  Schatten  des  Stabes,  der  viel  breiter  als  der  Stab 
und  die  Flamme  ist,  so  ist  der  auf  der  Wand  sichtbare  Schatten 
nicht  der  spitz  zulaufende  Schatten,  sondern  der  sich  ausdehnende 
Schatten,  dabei  sind  seine  Ränder  matt  und  seine  Mitte  dunkel. 
Es  entspricht  dies  den  Ausführungen  der  dritten  Proposition. 

Entsprechende  Beobachtungsresultate  erhält  man,  wenn  der 
Stab  so  breit  oder  breiter  als  die  Flamme  ist. 

Hiernach  ist  es  möglich,  die  Beschaffenheit  des 
Schattens,  den  das  Licht  der  Flamme  erzeugt,  zu 
untersuchen  und  mittelst  des  Sinnes  Übereinstim- 
mendes mit  dem   zu  finden,   was  früher  erläutert  ist. 

Wir  müssen  noch  die  Beschaffenheit  des  Schattens  im  sehr 
kräftigen  Sonnenlicht  beobachten,  von  dem  schon  eine  kleine 
Menge  einer  großen  Lichtmenge  entspricht,  daher  bleiben  die 
feinen  Ränder  dem  Sinne  verborgen.  Zur  Beobachtung  stellt 
man  einen  dünnen  Stab  gegenüber  der  Sonne  auf,  wenn  diese 
«üf  die  Erde  scheint.  Man  wählt  eine  Stelle  der  Erde  von 
staubiger  Farbe  aus  und  stellt  den  Stab  quer  gegenüber  der 
Sonne  auf.  Dann  findet  man  den  Schatten  des  Stabes  auf  der 
Erde  mitten  im  Licht  der  Sonne,  seine  Breite  ist  größer  als 
diejenige  des  Stabes.  Erhebt  man  den  Stab  von  der  Erde,  so 
nimmt  die  Schattenbreite  zu.  Doch  ist  die  Zunahme  klein,  daher 
sieht  man  die  Erweiterung  des  Schattens  nur,  wenn  die  Ent- 
fernung des  Stabes  von  dem  Schattenort  beträchtlich  ist.  „Über 
die  Feinheit  und  Schwäche  dieses  Schattens  werden  wir  im  Ver- 
lauf dieses  Kapitels  handeln^. 


sind.    Dafür  spricht,  daB  der  Satz  mit  „wäre"  mit  laa,  dem  irrealen  ein- 
geleitet wird. 


-     239 


Die  Betrachtungen  über  das  Verbalten  sehr  breiter  Stäbe 
übergehen  wir. 

Fällt  der  Schatten  des  dünnen  Stabes  auf  eine  senkrechte 
Wand,  und  ist  der  Abstand  zwischen  Stab  und  Wand  und  Erd- 
oberfläche gleich  groß,  so  ist  der  Schatten  auf  der  Wand  weiter 
Qnd  breiter  als  auf  der  Erdobei'fläche,  und  zwar  weil  der  Schatten- 
kegel gegen  die  Wand  stärker  als  gegen  die  Erdoberfläche  ge- 
neigt ist,  daher  ist  die  den  Schatten  schneidende  Fläche  größer. 
—  Beobachtet  man  bei  Lampenlicht,  und  stellt  die  Lampe  auf 
den  Boden  und  läßt  den  Schatten  auf  eine  senkrechte  Wand 
fallen,  so  findet  man  ihn  breiter. 

Das  Ganze  wird  dann  noch  einmal  zusammengefaßt  und 
betont,  daß  man  einen  sich  ausdehnenden  Schatten  hat,  da  die 
Sonne  weit  größer  als  irgendein  irdischer  Körper  ist. 

Diese  Entwicklungen  werden  nun  noch  einmal  speziell  an 
der  Sonne  etwa  in  folgender  Weise  numerisch  durchgeführt^). 

Ptolemaios  hat  im  5.  Buch  des  Almagest  bewiesen,  daß 
der  Abstand  der  Sonne*)  vom  Erdmittelpunkt  gleich  1210  Erd- 
radien ist,  und  daß  der  Sonnenradius  gleich  b^j^  Erdradien,  der 
Sonnendurchmesser  also  11  Erdradien  ist.  Ist  dies  so,  so  liegt 
die  Spitze  des  lichtlosen  Kegels  in  der  Nähe  des  dichten  Körpers; 
was  hinter  ihr  liegt,  enthält  Licht,  dem  etwas  Schatten  bei- 
gemengt ist. 

Die  Breite  des  Stabes  sei  (Fig.  5) 
ab,  der  zu  ab  parallele  Sonnendurch- 
messer sei  dg,  der  Schnittpunkt  von 
db  und  ga  sei  e.  Der  Sonnenmittel- 
punkt sei  r.  Wir  ziehen  re,  es 
schneide  ab  im  Punkt  h.    Dann  ist 

eh  :  ab  =  er  :  gd. 
Der  Punkt  e  liegt  aber  dem  Sonnen- 
mittelpunkt näher  als  der  Erdmittel- 
punkt, da  die  Beobachtung  oberhalb  der  Erdoberfläche  geschieht, 
daher  ist  er  <  1210  Erdradien,  also  ist  er :  gd  <  1210  :  11, 
d.  h.  <  110 : 1  und  damit  ist 
eh  :  ab  <  110  : 1. 

^)  Im  Kommentar  heißt  es  besonders  „Ein  anderer  Beweis**. 
')  Die  Entfernung  der  Sonne  von   der  Erde  findet  sich  Ptolemäus 
SyntaxisV,  15,  die  relative  Größe  ibid.V,  16  ed.  Heiberg  I,  S.42öu.4ää. 


Fig.  5. 


—    240    — 


Ist  die  Breite  ab  des  dünnen  Stabes  etwa  eine  ScMtra,  so 
ist  die  Länge  he  kleiner  als  110  ScMira;  dies  entspricht  aber 
noch  nicht  einer  Elle^),  so  daß  also  die  Linie  eh  kleiner  als 
eine  Elle  ist.  Bei  Abständen  größer  als  2  Ellen  liegt  der  Schatten- 
ort außerhalb  des  Punktes  e  u.  s,  w. 

Nach  diesen  Ausführungen  muß  auch  der  Schatten  der 
Erde,  der  das  Licht  der  Sonne  abblendet,  ein  sich  erweiternder 
Schatten  sein,  der  um  so  breiter  ist,  je  weiter  er  von  der  Sonne 
absteht. 

Der  Schatten,  den  der  Kegel  begrenzt,  welcher  die  Sonne 
und  die  Erde  berührt,  ist  der  lichtlose  sich  zuspitzende  Schatten; 
er  befindet  sich  in  der  Mitte  des  sich  erweiternden  Schattens, 
dem  Licht  beigemischt  ist;  die  Teile  des  letzteren,  die  dem 
lichtlosen  näher  liegen,  sind  kräftiger  als  die  entfernteren;  das 
soll  nun  (Fig.  6)  näher  erläutert  werden. 


Fig.  6. 

Der  leuchtende  Körper  sei  ab,  der  schattengebende  gd.  ab 
sei  größer  als  gd.  Durch  ab  und  gd  legen  wir  eine  Ebene,  die 

^)  Nach  dem  Kommentar  ist  1  Elle  =  144  ScMira  oder  Gerstenkörner; 
vgl.  al  Muqaddasi  ed.  de  Goejel,  S.  65,  vgl.  auch  Saavaire.  J.  asiat. 
(8),  Bd.  8,  S.  490.  1886. 


-    241    - 

die  beiden  Körper  in  ab  und  gd  schneidet.  Wir  ziehen  ag  und 
bd,  sie  mögen  sich  in  e  schneiden.  Wir  verlängern  sie  und 
ziehen  durch  sie  zwei  zu  gd  parallele  Linien,  rhi^k  und  Imnn. 
Die  Lage  der  einzelnen  Punkte  ergibt  sich  aus  der  Figur. 

Wir  verbinden  hg  und  mg  und  verlängern  sie,  bis  sie  ab 
in  f  und  s  schneiden,  und  ebenso  ^d  und  nd,  bis  sie  ab  in  q 
und  0  schneiden.  Bewiesen  ist,  daß  hi9  Licht  empfängt  von  af 
und  bq  und  beschattet  wird  gegen  bf  und  aq.  Ebenso  wird  mn 
belichtet  von  as  und  ho  und  beschattet  gegen  bs  und  aa.  Die 
Linien  as  und  ha  sind  größer  als  af  und  bq  und  sb  und  oa 
kleiner  als  fb  und  aq.  Daher  strahlt  auf  mn  mehr  Licht  als 
auf  h^,  und  der  Schatten  mn  ist  zarter  als  der  Schatten  hd. 

4.  Nun  wird  betont,  daß  man  nicht  den  ganzen  Schatten  hr 
wahrnimmt,  vor  allem  nicht  im  Sonnenlicht,  da  an  den  an  r  an- 
stoßenden Teilen  viel  Licht  sich  findet  und  nur  wenig  Schatten 
sich  findet;  man  sieht  daher  nur  den  Schatten  auf  dem  an  h 
anstoßenden  Teil  u.  s.  w. 

Weiter  wird  die  Lichtverteilung  auf  verschieden  weit  von 
gd  befindlichen  und  dazu  parallelen  Ebenen  in  folgender  Weise 
entwickelt: 

Ich  sage,  daß  der  Schatten  des  Teiles  x  von  ml  für  den 
X :  mn  =  wh :  hi?^)  zarter  ist  als  der  Schatten  von  wh. 

Beweis: 

Wir  ziehen  ew  und  verlängern  es,  bis  es  ml  in  j  trifft,  dann 
ist  jm^):  mn  =  wh  :  h^.  Wir  ziehen  wg  und  gj.  Sie  schneiden 
ab  ins  und  i;  i  ist  von  a  weiter  entfernt  als  s,  daher  ist  ai>>as 
und  ib  <  sb,  mj  empfängt  Licht  von  ai  und  ist  gegen  ib  be- 
schattet, dagegen  empfängt  wh  Licht  von  as  und  ist  gegen  sb 
beschattet.  Daraus  folgt,  daß  das  Licht  aut  mj  stärker  ist  als 
das  auf  wh,  und  daß  der  Schatten  auf  mj  schwächer  ist  als  auf 
wh.  Ganz  dieselbe  Betrachtung  kann  man  auf  der  anderen 
Seite  der  Figur  anstellen. 

So  oft  man  sich  von  dem  verdunkelnden  Körper  entfernt,  ist 
dieser  Schatten  zarter,   falls  nämlich  die  Fläche,  auf  der  man 


^)  w  bedeutet  irgendeineo  Punkt  auf  kr  und  nicht  nur  den  speziellen 
in  der  Figur,  den  Schnittpunkt  von  mg  mit  rk.  Ibn  al  Haitam  denkt  sich 
eine  besondere  Figur  gezeichnet,  darauf  bezieht  sich  das  Spätere.  «Wir 
stellen  die  ursprüngliche  Figur  wieder  her.* 

')  jm  entspricht  x. 

SitBiincsberidhte  der  med.-phya.  Sos.  39  (1907).  16 


-    242    — 

den  Schatten  beobachtet,  entfernter  vom  schattengebenden  Körper 
ist,  als  die  Spitze  des  Keiiischattens. 

5.  Wir  stellen  die  ursprungliche  Figur  (Fig.  7)  wieder  her. 
Auf  der  Linie  ge  nehmen  wir  einen 
Punkt  r,  wie  wir  das  früher  fest- 
gesetzt; durch  den  Punkt  r  ziehen 
wir  zu  gd  eine  Parallele  hn9k. 
Femer  sei  an  der  kleinere  Teil,  von 
dem  Licht  ausgeht.  Wir  ziehen  ng 
und  verlängern  es  bis  m.  Nach 
mr  gelangt  nur  Licht  von  an,  das 
äußei*st  klein  ist,  und  es  ist  beschattet 
gegen  bn.  Es  sei  ab  die  Sonne,  und 
die  Linie  an  möge  unmerklich  klein 
im  Verhältnis  zu  nb  sein,  dann  wird 
mr  beschattet  gegen  den  ganzen 
Sonnenkörper,  außer  gegen  einen  im  Verhältnis  zu  ihm  unmerklich 
kleinen  Teil  desselben.  Auf  der  Linie  mr  sieht  man  kein  Licht  ^), 
sondern  nur  einen  Schatten,  wenn  sie  nämlich  einem  dichten  Körper 
begegnet;  dasselbe  gilt  für  die  Teile  von  mh,  die  an  mr  anstoßen, 
bis  man  zu  den  Teilen  kommt,  auf  welche  eine  Lichtmenge 
strahlt,  die  merklich  ist  im  Verhältnis  zu  der  übrigen  Licht- 
menge. Hierbei  ist  es  möglich,  daß  man  auf  diesen  Teilen 
keinen  Schatten  sieht.  Aus  dieser  Erläuterung  folgt,  daß  den 
sich  zuspitzenden  lichtlosen  Schatten  unter  den  wechselnden 
Umständen  ein  kräftiger,  dem  Sinn  wahrnehmbarer  Schatten 
umgibt. 

6.*  Kehren  wir  zur  Behandlung  des  Schattens  der  Erde  zurück, 
so  ergibt  sich  als  notwendige  Konsequenz  der  obigen  Ausführungen, 
daß  der  Erdschatten  ein  zu  einer  Spitze  zustrebender  Schatten 
ist,  den  ein  kräftiger  Schatten  begrenzt,  so  daß  er  für  den  Sinn 
wahrnehmbar  ist,  wenn  er  auf  einen  dichten  Körper  Tällt  Daher 
findet  die  Mondverfinsterung  nicht  nur  durch  den  sich  zuspitzenden 
lichtlosen  Schatten,  sondern  durch  ihn  und  den  ihm  benachbarten 
sich  erweiternden  Schatten  mit  beigemischtem  Licht  statt.  Aus  der 
Beschaffenheit  dieses  Schattens  folgt,  daß  ein  Teil  des  Schattens, 
welchen  der  Mondkörper  schneidet,  ein  zarter  Schatten  ist,  auf 


^)  D.  h.  Licht,  das  sich  stark  dem  Sinne  aufdrängt. 


-    243    - 

dem  man  beigemischtes  Licht  sieht.  Durch  die  BeobachtnDg 
wird  daS)  was  wir  gesagt,  bestätigt.  Beobachtet  man  den  Mond 
sorgfältig  zur  Zeit  der  Finisternis  {Ktisuf)  und  der  Verdunkelung 
(Inkasdf)  eines  Teiles,  so  ist  ein  Teil  von  ihm  sehr  schwarz; 
die  Ränder  dieser  schwarzen  Partie,  welche  die  übrigen  Teile  des 
Mondes  berühren,  sind  zarter  und  weniger  schwarz;  weiter  findet 
man,  daß  diese  Schwärze  stufenweise  schwächer  wird.  Ist  ferner 
der  vom  Mond  übrig  bleibende  Teil  klein,  so  findet  man,  daß  er 
von  gebrochener  {munkasif}  Farbe  und  nicht  sehr  hell  ist. 

Aus  diesen  bei  der  Mondfinsternis  gefundenen  Tatsachen 
geht  klar  und  sicher  hervor,  daß  der  Erdschatten  sich  in  die 
Weite  erstreckt,  und  daß  der  sich  zuspitzende  Schatten  lichtlos 
ist,  und  ferner  daß,  was  von  diesem  mit  Licht  gemischten  Schatten 
dem  lichtlosen  zugespitzten  Eegel  nahe  ist,  kräftiger  ist  als 
das  entferntere.  Ferner  ergibt  sich,  daß  von  den  verfinsterten 
Teilen  diejenigen  mit  tiefer  Schwärze  im  Innern  des  zugespitzten 
Kegels  liegen,  und  daß  die  Stellen  von  zarter  Schwärze  auf  dem 
sich  erweiternden  Eegel  liegen,  welcher  den  zugespitzten  umgibt. 

Wir  haben  die  Beschaffenheit  sämtlicher  Schatten  der  dichten 
Körper  dargelegt,  und  das  erstrebten  wir  in  dieser  Abhandlung. 

Diesen  Ausführungen  fügt  der  Kommentator  folgende  inter- 
essante Bemerkung  bei:  „Ich  selbst  habe  eine  vollständige 
Mondfinsternis^)  beobachtet;  die  Zeit,   während  deren  sie  ver- 


>)  Herr  Alfred  Gaggell,  geprüfter  Lebramtskaodidat  und  Volontfir- 
assistent  an  der  von  Herrn  Prof.  Dr.  £.  Hartwig  geleiteten  Remeis- 
Stemwarte  in  Bamberg,  war  so  sehr  gütig,  die  astronomischen  Betrach- 
toogen  and  Rechnungen  über  die  in  Frage  kommenden  Finsternisse 
durchzuführen  und  mir  mitzuteilen.  Betrefifen,  wie  wohl  sicher  anzunehmen, 
die  Bemerkungen  im  arabischen  Text  eiue  von  aJ  Fdrisi  selbst  beobachtete 
Mondfinsternis,  so  kommen  nur  zwei  Finsternisse  in  Betracht,  nämlich 
1302  I  14  und  1909  VIII  21.  Die  Rechnungen  sind  für  den  Meridian 
42*  Ostlich  von  Qreenw.  durchgeführt;  wären  die  Beobachtungen  weiter 
östlich  etwa  in  Bagdad,  TabrU,  Schirde  u.  s.  w.  angestellt,  so  würden  die 
Zeiten  etwas  früher  anzusetzen  (etwa  V«  his  '/4  Stunden)  sein,  ohne  daß 
aber  das  Wesentliche  der  Resultate  berührt  wird. 

Man  kann  folgende  genauere  Angaben  machen: 
[Alle  Zeitangaben  sind  mittlere  bürgerliche  Ortszeit  des  Meridianes  42^ 
östlich  von  Greenw.] 
1802  I  14. 
Die  Finsternis  überhaupt  begann:  I  14.,  23i^  17™; 
Die  Totalität       „      :  I  14.,  23^  47«; 

16* 


—    244    - 

weilte,  war  länger  als  eine  gleichförmige  Stande;  Und  sie  fand 
in  der  Nähe  des  Knotens  statt,  so  daß  die  Mitte  der  Nacht  der 
Erde  die  Mitte  der  Nacht  war  (d.  h.  die  Mondfinsternis  fand  um 
Mitternacht  statt).  Falls  die  Mitte  der  Verfinsternis  kupfer- 
farbig*) ist,  so  wendet  sie  sich  nicht  nach  dem  Schwarz.  Vor- 
her und,  nachdem  sie  kupferfarbig  war,  erschien  sie  an  den 
Rändern  abschattiert.  Daraus  folgt,  daß  dies  nicht  ein  voll- 
kommener Schatten  ist,  sondern  ein  dem  Licht  beigemengter  ist'' 
Die  anschließenden  Betrachtungen  über  den  Grund  der 
Eupferfarbe  sollen  später  mitgeteilt  werden. 


Mitte  der  Totalität:  I  15.,    Ob  12m; 
Die  Totalität  schloß:  I  15.,    (ß^  37»; 
Die  Finsternis  überhaupt       ,     :  I  15.,    1^    8»; 
Inmitten  der  Totalität   stand   der  Mond   dem  Orte   X  =  42«  Ostlich 
von  Greenw.    und  9?  =  -f-^O«  1<Q  Zenith.      Die  Finsternis   war    also   im 
ganzen  Territorium  sichtbar  (d.  h.  zwischen  Ägypten  und  Persien). 

1309  VIII  21. 
Die  Finsternis  überhaupt  begann:  VIII  21.,  231"  46»; 
Die  Totalität       ^      :  VIII  22.,    0^  16«  •, 
Mitte  der  Totalität:  VIII  22.,    Ol'  41»; 
Die  Totalität  schloß:  VIII  22.,    li'    6»; 
Die  Finsternis  überhaupt      „      :  VIII  22.,    l^"  36». 
Inmitten   der  Totalität   stand   der  Mond   dem  Orte   X  =  32®  östlich 
von  Greenw.   und   ip  =  -~l(f  im   Zenith.      Auch    diese   Finsternis   war 
also  zweifellos  im  ganzen  Territorium  gut  sichtbar. 

Um  die  obigen  Zeitangaben  von  mittlerer  in  wahre  Ortsseit  des 
42^  Längengrades  östlich  von  Greenw.  zu  verwandeln  (und  nach  dieser 
beobachtete  der  ßerichterstatter  zweifellos),  hat  man  von  allen  Angaben 
der  ersten  Finsternis  9»,  von  allen  der  zweiten  3»  in  Abzug  zu  bringen. 
Die  scheinbar  etwas  sonderbare  Bemerkung  über  den  Knoten  rührt 
vielleicht  daher,  daß  der  Berichterstatter  vermutlich  nur  seiner  Ver- 
wunderung darüber  Ausdruck  geben  wollte,  daß  er,  obwohl  er  durch 
Breitenmessungen  des  Mondes  während  der  Finsternis  dessen  Knoten- 
durchgang  während  der  Mitte  der  Verfinsterung  konstatiert  hatte,  den 
Mond  während  der  Verfinsterungsmitte  doch  nicht  völlig  schwarz,  d.  b, 
nahe  unsichtbar  fand. 

^)  Die  rote  Färbung  des  verfinsterten  Mondes,  der  z.  B.  wie  glühende 
Kohlen  aussieht,  war  schon  den  Alten  bekannt  (vgl.  hierzu  F.  Boli, 
Finsternisse  a.  a.  0.). 


—    245    - 

2.  Aus  Ol  Kindis^)  Optik. 

Eine  ziemlich  eingehende  Behandlung  der  Schatten')  findet 
sich  in  der  noch  nicht  veröffentlichten  Optik  (liber  de  aspectibus) 
von  al  Kindt.  Herr  Dr.  Björnbo  in  Kopenhagen  war  so 
gütig,  mir  seine  Abschriften  und  Kollationen  der  lateinischen 
Übersetzung  dieses  Werkes  zur  Verfügung  zu  stellen,  wofür  ich 
ihm  auch  an  dieser  Stelle  bestens  danke. 

In  der  Einleitung  spricht  al  Kindt  zunächst  die  Absicht 
aus,  die  „artes  doctrinales"  ^)  zu  vervollständigen,  das,  was  die 
Alten  uns  mitgeteilt,  darzulegen  und  das,  was  sie  begonnen,  zu 
vermehren.  Dann  gibt  er  an,  daß  aus  der  Beobachtung  der  sich  aus- 
dehnenden Grenzen  der  Schatten  der  Körper  und  der  in  die  Fenster 
eintretenden  Lichter  mit  Sicherheit  folgt,  daß  das  Fortschreiten 
der  von  leuchtenden  Körpern  ausgehenden  Strahlen  längs  gerader 
Linien  stattfinden;  denn  wenn  die  Strahlen  nicht  auf  geraden 
Linien  fortschritten,  so  würden  diese  Erscheinungen  nicht  den  be- 
obachteten entsprechen.  Wir 
sehen,  daß  leuchtende  Gegen- 
stände die  Ursache  des  Be- 
leucbtens  der  Körper  und  des 
Entwerfens  der  Schatten  jener 
Körper  sind.  Befindet  sich  die 
Sonne  gegenüber  einem  Körper, 
so  beleuchtet  sie  ihn,  und  der 
Schatten  tritt  auf  der  Oberfläche 
von  anderen  der  Sonne  gegen- 
überliegenden Körpern  auf. 
Ähnliches  bewirken  die  Kerzen 
(Lampen,   candela)   auf  ihnen  '  ^ig.  8. 

gegenüberliegenden     Körpern ; 
wir  sehen   von  ihnen  Schatten  ausgehen. 


1V_^ 


CZI2 


»)  Zu  al  Kindt  y  gl  S  Vit  er  S.  23,  Nr.  45.  Björnbo,  Bibl.Math.  1903. 
Bd.  3,  S.  330 f.  Hoffentlich  beschenkt  uns  Herr  Björnbo  bald  mit  einer 
Ausgabe  von  al  Kindis  Optik.    Vgl.  auch  E.  W.,  Beiträge  V,  S.  401. 

')  Die  Ausftthrnngen  al  Kindis  entsprechen  fast  wörtlich  denen,  die 
sich  am  Anfang  in  der  Rezension  der  Optik  des  Euklid  durch  Theon 
finden  (ed.  Heiberg  S.  144ff.);  daraus  würde  folgen,  daß  diese  Schrift  den 
Arabern  bekannt  war. 

»)  Vgl.  E.  W.,  Beiträge  XI. 


—    246    — 

Diese  Schatten  sind  entweder  ebenso  groß  wie  die  leachtenden 
Körper  oder  größer  oder  kleiner  (Fig.  8). 

Wir  sehen,  daß  Körper  Schatten  liefern,  die  ebenso  groß 
sind  wie  sie  selbst  und  die  beleuchtenden  Körper  (Fig.  81).  Die 
Grenzen  dieser  Schatten  bestehen  in  parallelen  Linien,  auch  wenn 
sie  noch  so  weit  sich  erstrecken  n.  s.  w.  Beispiel:  Der  leuchteDde 
Körper  sei  vom  Kreis  abg  umschlossen  und  der  Körper,  auf  den 
das  Licht  fällt,  vom  Kreis  ned,  und  der  Durchmesser  ag  sei 
gleich  dem  Durchmesser  dn.  Wir  beobachten  den  Schatten 
zwischen  den  beiden  parallelen  Linien  adz  und  gnh  ^).  Wir  finden 
nämlich,  daß  die  Lote  zwischen  den  beiden  Linien  dz  und  nh 
gleich  den  beiden  Linien  dn  und  ag  sind.  Der  Schatten  liegt 
also  zwischen  den  Bogen  ned  und  den  Linien  dz  und  nh.  Und 
das  ist,  was  wir  beweisen  wollten. 

Schatten,  die  kleiner  sind  als  die  Körper,  sehen  wir,  wenn 
die  beleuchtenden  Kerzen  größer  als  die  schattengebenden  Körper 
sind.  Die  Schattengrenzen  sehen  wir  sich  nähern,  bis  sie  zu- 
sammenlaufen, die  Schatten  bilden  eine  Kegelgestalt  (figura 
pinealis).     Die  Grenzlinien  sind  nicht  parallel. 

Der  leuchtende  Körper  sei  (ITig.  811)  ab,  der  schattengebende 
dg,  zn  ist  eine  zu  dg  parallele  Linie,  e  ist  die  Spitze  des  Kegels. 
Der  Schluß  lautet:  Die  Figur  des  Schattens  ist  also  kegelförmig, 
wie  die  Figur  gde. 

Wir  sehen  auch  Schatten,  die  größer  sind  als  die  Körper, 
wenn  die  beleuchtenden  Kerzen  kleiner  sind  als  jene.  Die 
Grenzlinien  der  Schatten  entfernen  und  trennen  sich  um  so  mehr, 
je  weiter  sie  verlängert  werden. 

Dies  wird  an  der  Figur  8 III  erläutert,  wo  wieder  ab  und  gd 
die  frühere  Bedeutung  haben  und  gezeigt  wird,  daß  ez  >  hn  ist 
Geschlossen  wird:  Der  Schatten  ist  von  dem  Bogen  gd  und  den 
beiden  Linien  eg  und  zd  eingeschlossen.  Das  würde  nie  ge- 
schehen, wenn  nicht  die  Strahlen  der  Kerzen  längs  gerader 
Linien  fortschritten. 

Hieran  anschließend  führt  al  Kindt  aus,  daß,  wenn  ein 
säulenförmiger  Körper  von  mehreren  Lichtern  auf  verschiedenen 
Seiten  umgeben  ist.   Schatten   entsprechend   der  Zahl  der  be- 


^)  Die  verschiedenen  Handschriften  haben  bald  n  bald  u,  letzterer 
Buchstabe  kommt  aber  selten  bei  den  arabischen  Figuren  vor. 


-    247     - 

leuchtenden  Lichter  entstehen.  In  der  Figur  sind  um  die  Säule 
i  solcher  Lichter  angeordnet.  Über  die  Beleuchtung  des  von 
einem  Licht  entworfenen  Schatten  durch  die  anderen  ist  aber 
keine  Rede. 

Dann  wird  der  Satz  bewiesen,  daß,  wenn  Körper  durch 
Lichter  beleuchtet  werden,  die  höher  stehen  als  die  Enden  der 
ersteren,  dann  das  Verhältnis  der  Schattenlänge  zur  Höhe  der 
Körper  gleich  ist  dem  Verhältnis  des  Abstandes  des  Schatten- 
endes vom  Fuß  des  Leuchters  zu  der  Höhe  des  Lichtes  Aber 
der  Grundfläche  (vgl.  Euklid,  Optik,  18.  Ausgabe  von  Heiberg 
S.  26). 

Endlich  wird  noch  der  Strah-  ^  -       ^ 

lengang  von  einem  leuchtenden 
Köi*per  abg  durch  eine  ÖflEhung 
zu  einer  Tafel  ht  untersucht  und 
so,  wie  es  die  Figur  9  zeigt,  ent- 
wickelt. 

Die  anschließenden  Betrach-  ^«-  ^• 

tungen  über  die  Lehre  vom  Sehen 

können  hier  nicht  behandelt  werden;  al  Kindt  kommt  zu  dem 
Schluß,  daß  von  dem  Betrachtenden  zu  den  betrachteten  Dingen 
eine  „Virtus"  fortschreitet,  welche  letztere  aufnimmt. 

Später  werden  die  Gestalten  der  Schatten  noch  benutzt, 
um  zu  zeigen,  daß  nicht  etwa  von  verschiedenen  Stellen  eines 
leuchtenden  Körpers  nur  parallele  Strahlen  ausgehen. 

Wie  aus  dem  Obigen  hervorgeht,  hat  al  Kindt  nur  den 
lichtlosen  Schatten  behandelt,  und  er  dürfte  zu  den  früheren 
Gelehrten  gehören,  welche  nach  Ihn  al  Haitam  nicht  den  mit 
Licht  gemischten  Schatten  untersucht  haben. 


Mit  dem  Werk  von  äl  Kindt  nVerbesserung  von  Euklids  Optik  Mäh 
al  ManäziT*  hat  das  Vorliegende  nichts  zu  tun.  Wohl  einer  der  letzten 
Abschnitte  desselben  ist  mehrfach  dem  entsprechenden  Werk  von  Nasir 
al  Din  al  Tüsi  angehängt  und  behandelt  einen  in  der  Optik  des  al  Kindi 
nicht  behandelten  Gegenstand.  Mir  haben  zwei  Berliner  Handschriften 
(Katalog  von  Ahlwardt  Nr.  6017)  vorgelegen  sowie  eine  Pariser  Handschrift. 
Der  Text  der  Handschrift  Mq  559  reicht  nicht,  wie  der  Katalog  angibt, 
von  117*--119%  sondern  nur  von  fol.  111^—111^.  Daran  schließt  sich  die 
Abhandlung  von  al  Tust  über  die  Reflexion  und  Umbiegung  der  Strahlen, 
die  ich  in  Eders  Jahrbuch  1907  mitgeteilt  habe. 


—    248    — 


Der  Text  in  der  Pariser  Handschrift  2467,  der  nach  dem  Katalog 
vonSlane  Tonfol.56^^68'  incl.  reichen  loll,  nmfaßt  nar56^,  die  anderen 
Seiten  67'  nnd  57^  enthalten  den  Schluß  von  (ü  Ma'chüddi  (Wahlsätze 
Lemmata)  von  Archimedes.  Der  Anfang  fehlt.  Herrn  Blechet,  der 
mir  den  Text  photographieren  ließ,  sei  bestens  gedankt. 

Von  den  drei  Handschriften  hat  allein  ein  Text  (Berlin  Mq  559)  die 
zugehörigen  Figuren. 

Wie  aus  dem  Text  selbst  hervorgeht,  und  daraus,  daß  in  den  Original- 
fignren  (s.  Fig.  10  u.  11)  Buchstaben  stehen  und  Linien  angegeben  sind, 
anf  die  in  der  Ausführung  nicht  Rücksicht  genommen  ist,  folgt,  daß  wir 
es  mit  einem  Auszug  lu  tun  haben. 

Die  Ausführungen  von  dlKindi  schließen  sich  an  die  50.  Proposition 
in  der  Heibergschen  Ausgabe  der  Euklidischen  Optik,  die  in  der  Redaktion 
von  al  JHiH  der  57.   entspricht.    Die  Nummerierung  von  ai  Tüsl  ergibt 
sich  aus  der  Berliner  Handschrift. 
Die  Stelle  lautet  etwa: 

Es  sagt  Abu  Jusüf  Jdqub  Ben  Ishäq  al  Kindt  in  seiner  Ver- 
besserung der  Optik  in  der  65.  ^)  (?)  Proposition.  Es  bewegen  sich  (Fig.  10) 

zwei  Größen  ab  und  gd  auf  zwei  parallelen 
Linien  b^  und  dj,  die  das  von  dem  Auge 
ausgehende  Lot  senkrecht  schneiden;  dann 
sieht  man  die  dem  Auge  nähere  Größe,  näm- 
lich ab,  sich  manchmal  schneller  als  die  ent- 
ferntere bewegen,  falls  sie  sich  su  dem  Lote 
hin  bewegen,  manchmal  bewegt  sie  sich  ebenso 
schnell  wie  jene,  falls  die  vorderen  Teile  snm 
Lot  gelangt  sind,  und  zuletzt  schneller  *),  wenn 
sie  an  dem  Lot  vorübergeht.  Dann  verweilt 
er  {dl  Kindt)  lange  in  der  Sicherheit  seiner  Be- 
hauptung, obgleich  sie  nach  der  Figur  klar 
ersichtlich  ist  und  sich  aus  der  Proposition  57 
ohne  weiteres  ergibt. 

Er  {al  Kindi)  sagt  ferner  in  [Proposition] 
61:  Zeichen,  dieauf  einer  geraden  Linie  liegen 
wie  ab  (Fig.  11),  sieht  man,  falls  das  Auge  g 
sich  in  der  Richtung  auf  die  Linie  ab  zu  be- 
wegt, in  verschiedener  Anordnung;  man 
sieht  nämlich  das  dem  Auge  nähere,  d.  h.  a,  manchmal  vor  dem  ent- 
fernteren vorangehen  und  manchmal  nachfolgen. 

^)  Die  Zahl  der  Propositionen  muß  bei  al  Kindi  eine  andere  als  bei 
dem  griechischen  Euklid,  der  58  hat,  und  bei  al  Ttisiy  der  64  hat,  ge- 
wesen sein.  Zu  der  Optik  des  Nasir  al  Bin  vgl.  E.  W.,  Beiträge  V, 
S.  440. 

*)  In  allen  drei  Texten  steht  statt  „schneller"  »langsamer**;  möglieb, 
daß  schon  im  Original  ein  Lapsns  calami  vorhanden  war. 


Fig.  10. 


Fig.  11. 


über  einige  elektrochemische  Apparate  und 
Zersetzungen  aus  dem  Gebiete  der  organischen 

Chemie. 

Von  Adolf  Herzog. 
Ans  dem  chemiBchen  Institut  der  Universität  Erlangen. 

Einleitung. 

Die  sukzessive  Reduktion  der  aromatischen  Nitrokörper  wurde 
von  Bamberger^)  völlig  aufgeklärt.  Es  gelang  ihm,  bei  der  Re- 
duktion von  Nitrobenzol  als  Zwischenphasen  Nitrosobenzol,  Phenyl- 
hydroxylamin,  Azooxybenzol,  Azobenzol  etc.  zu  fassen.  Während 
nun  Bamberger  auf  chemischem  Wege  diese  Reduktionen  aus- 
führte, haben  Oattermann,  Elbs,  Haber,  Hänssermann  u.a. 
die  Reduktion  von  Nitrokörpem  in  saurer  wie  in  alkalischer 
Lösung  auf  elektrochemischem  Wege  studiert.  In  schwach  saurer 
alkoholischer  Lösung  läßt  sich  Nitrobenzol  bis  zum  Anilin 
reduzieren. 

CeHj, .  NOa  +  6H  =  CeHg  •  NH^  +  2H2O. 

In  stark  saurer  Lösung  geht  die  Reduktion  nur  bis  zum 
Phenylhydroxylamin,  das  sich  dann  unter  dem  Einfluß  der 
konzentrierten  Säure  zu  p-Aminophenol  umlagert  und  so  nicht 
mehr  weiter  reduziert  werden  kann. 

C.H,.N0,+4H  =  H,0  +  C,H,.NH0H->C,H,/^^»||J. 

In  alkalischer  Lösung  geht  die  Reduktion  bis  zum  Nitroso- 
benzol und  Phenylhydroxylamin,  die  sich  dann  unter  dem  Einfluß 
der  Natronlauge  zu  Azooxybenzol  chemisch  umsetzen. 

CeHs .  NO  +  CgHs  •  NHOH  =  C^H^  •  N  -  N  •  CeH^  -f  H^O. 

\o/ 

')  Berichte  30,  2278. 


250    - 


Das  nea  gebildete  Azooxybenzol  wird  nun  weiter  reduziert 
zu  Hydrazobenzol,  welches  sich  mit  noch  vorhandenem  Nitro- 
benzol  rasch  zu  Azobenzol  und  Azooxybenzol  umsetzt.  Außerdem 
wird  Hydrazobenzol  auch  durch  den  Luftsauerstoff  zu  Azobenzol 
oxydiert. 

3CeH5 .  NH  -  NH .  CeH,  +  2CeH,  •  NO^  = 

3CeH3.N  =  N.CeH,  +  CeH,.N-N.C.H5  +  3H,0 

C,H, .  NH  -  NH .  CeH,  +  0  =  CeH,  •  N  =  NC.H,  +  H,0. 

F.  Haber  hat  nun  die  verschiedenen  Zwischenphasen  durch 
spezifische  Reaktionen^)  festgestellt  und  nachgewiesen,  daß  — 
wie  auch  zu  erwarten  —  alle  diese  Zwischenstufen  auch  bei 
der  elektrochemischen  Reduktion  des  Nitrobenzols  sich  bilden. 
Je  nach  den  Versuchsbedingungen,  Reduktion  in  saurer  oder 
alkoholischer  Lösung,  lassen  sich  die  einen  oder  anderen  Pro- 
dukte festhalten.  Ffir  den  Reduktionsverlanf  in  diesen  beiden 
Fällen  hat  er  die  beiden  folgenden  Schemata  aufgestellt^). 
Und  zwar  bedeuten  die  senkrechten  Pfeile  die  elektrochemischen 
Prozesse,  die  schrägen  die  rein  chemischen  Umsetzungen. 

Alkalisch-alkoholische  Lösung: 

CeH,.NO, 


CeH,.N-N.CeH, 


(CeH,.N=N.CeH,) 


CeH3.NH-NH.CeH5 


CeH5.NO 


CeHj.NHOH 


CeH^.NH^ 


*)  Ibid.,  509. 

')  Zeitschr.  f.  Elektrochemie  4,  508;  4,  509. 


-    261 


Alkoholisch-saure  Lösung : 
CeH,.NO, 


CeH^.NO 


CeH^.NHOH 


CeH,.NH, 


^0^ 
CeH,.N-N.CeH, 


CeH^.NH-NH.CeH^ 


NHa-CeH^— CeH^.NHa 


L 
Apparatur  und  Versuchsanordnung. 

Es  wurde  mir  nun  die  Aufgabe  gestellt,  eine  Anzahl  von 
Körpern,  die  Henrich  und  seine  Schüler^)  bei  ihren  Arbeiten 
über  Nitro-  und  Nitrosophenole  erhalten  hatten,  der  Elektro- 
reduktion  nach  der  einen  oder  anderen  Methode  zu  unterziehen. 

Da  wir  besonders  durch  die  hervorragenden  Arbeiten  Taf  eis 
in  der  Lage  sind,  den  Verlauf  und  das  Ende  der  Elektroreduktion 
messend  zu  verfolgen  sowie  die  Stromausbeute  zu  bestimmen, 
so  suchte  ich  diese  Arbeitsmethoden  auch  auf  die  Reduktion 
der  erwähnten  Nitrokörper  zu  übertragen. 

Tafel*)  schreibt  über  seine  Arbeitsmethode:  „Für  diese 
Untersuchung  (Reduktion  von  Kaffein  u.  a.)  habe  ich  mir  ein 
Verfahren  konstruiert,  welches  Eintreten  oder  Nichteintreten 
einer  Reduktion  und  dann  den  zeitlichen  Verlaut  derselben  be- 
quem und  unter  den  gleichen  Versachsbedingungen  zu  beobachten 
gestattet,  unter  welchen  die  elektrochemische  Reduktion  als 
präparative  chemische  Methode  zweckmäßige  Anwendung  findet." 

Tafel  schaltet  in   demselben  Stromkreis  die  Reduktions- 


>)  Monatshefte  f.  Chemie  18,  150,  159. 
*)  Zeitflchr.  f.  physik.  Chemie  34,  187  ff. 


-    262    — 

zelle  und  ein  Knallgasvoltameter  hintereinander  und  mißt  den 
ans  den  Kathodenzellen  ent  «reichenden  Wasserstoff  za  gleicher 
Zeit.  Dnrch  den  Vergleich  der  beiden  Volnmina  gewinnt  er 
dann  Einblick  in  den  Verlauf  der  Reduktion  und  kann  die 
momentane  Stromausbeute  berechnen. 

Man  stellt  gewöhnlich  die  Stromausbeute  als  Kurve  graphisch 
dar,  indem  man  in  einem  rechtwinkligen  Koordinatensystem  als 
Abszissen  die  Ablesungszeiten,  als  Ordinaten  den  zur  Reduktion 
verbrauchten  Teil  des  Wasserstoffs  in  Prozenten  aufträgt. 

Ist  V  das  Volumen  des  Wasserstoffs  im  Vergleichsvolta- 
meter;  z  das  Volumen  des  entweichenden  Wasserstoffs  aus  der 
Versuchszelle,  so  ist  der  verbrauchte  Wasserstoff  in  Prozenten 

_  (v_z)100 
~~  V 

Da  mir  nun  der  Tafeische  Apparat  wegen  seiner  Kost- 
spieligkeit nicht  zur  Verfügung  stand,  so  konstruierte  ich  mir 
eine  andere  Vorrichtung,  die  die  Messung  des  in  einer  be- 
stimmten Zeit  aus  Reduktionszelle  und  Vergleichsvoltameter 
entweichenden  Wasserstoffs  mit  einer  für  unsere  Zwecke  hin- 
reichenden Genauigkeit  gestattete. 

In  der  Hauptsache  besteht  der  Apparat  aus  der  Reduktions- 
zelle  I,  dem  Voltameter  II  und  dem  adaptierten  Azotometer  ni. 

Die  Reduktionszelle  I  ist  zusammengestellt,  wie  folgt:  Die 
Tonzelle  A  ist  durch  den  Gummistopfen  B,  der  drei  Bohrungen 
besitzt,  gasdicht  verschlossen. 

Durch  die  mittlere  geht  die  Kathode  C  aus  chemisch  reinstem 
Blei  oder  Platin,  durch  die  zweite  das  T-Rohr  D,  das  durch  den 
Hahn  E  geschlossen  werden  kann.  Eine  dritte  Bohrung  führt  ein 
Thermometer  in  das  Innere  der  Zelle. 

Außen  befindet  sich  die  zylindrische  Bleianode  F,  die  durch 
die  Glas  Winkel  GG  von  der  Tonzelle  in  bestimmter  Entfernung 
gehalten  wird. 

Die  Voltameterzelle  II  ist  genau  so  konstruiert  wie  die 
Zersetzungszelle,  mit  Ausnahme  der  Thermometerbohrung  und 
der  Elektrolysierflüssigkeit,  welche  hier  durch  verdünnte  Schwefel- 
säure 1 : 3  gebildet  wird.  Auch  hier  kann  das  T-Rohr  durch 
den  Hahn  H  geschlossen  werden. 

Die  beiden  T-Rohre.  von  I  und  11  stehen  durch  eine  dick- 


\  -^  \  -^ 


—    255    — 

wandige  Schlauchleitung  mit  dem  abgeänderten  Azotometer  ni 
in  Verbindung.  Die  Leitung  von  I  kann  durch  den  Quetsch- 
hahn J,  die  von  II  durch  den  Hahn  K  abgespeiTt  werden. 

Das  Azotometer  III  wurde  für  unsere  Zwecke  folgender- 
maßen adaptiert:  Das  unten  befindliche  Gaseinleitungsrohr  wurde 
abgesprengt  und  die  Öffnung  zugeschmolzen.  Über  dem  Hahn  L 
wurde  ein  T-Rohr  angesetzt^  das  durch  ein  Stück  Oummischlauch 
und  den  Hahn  M  ebenfalls  verschlossen  werden  konnte.  Die 
Sperrflüssigkeit  war  Wasser.  Der  obere  Euhepunkt  der  Niveau- 
birne war  derartig  angebracht,  daß  beim  Einhängen  das  Wasser 
genau  bis  zur  Bohrung  des  Hahnes  L  stieg. 

Sollte  nun  eine  Vergleichsmessung  gemacht  werden,  so  wurde 
der  aus  den  beiden  Zellen  pro  60  Sek.  entweichende  Wasser- 
stoff direkt  hintereinander  aufgefangen  und  gemessen. 

Die  Ausführung  einer  solchen  Messung  geschah,  wie  folgt: 

Zuerst  wurde  der  bei  Zelle  I  entweichende  Wasserstoff 
gemessen : 

Beim  Azotometer  III  wurden  L  und  M  geöffnet  —  das 
Wasserniveau  stand  ja  durch  die  Lage  der  Niveaubirne  genau 
auf  0  — j  bei  II  wurde  K  geschlossen  und  H  geöffnet.  Dann 
wurde  bei  I  J  geöffnet  und  E  geschlossen. 

Der  entweichende  Wasserstoff  strömte  jetzt  durch  die  Schlauch- 
leitung zum  Azotometer  lU,  wo  er  beim  geöffneten  Hahn  M 
entweichen  konnte.  Der  in  Zelle  II  zu  gleicher  Zeit  entwickelte 
Wasserstoff  konnte  durch  den  offenen  Hahn  H  entweichen. 

Nun  wurde  bei  einem  genauen  Zeitpunkt  M  geschlossen 
und  mit  der  Niveaubime  dem  sinkenden  Niveau  in  III  gefolgt. 
Dadurch  wurde  jeder  Unter-  und  Überdruck  vermieden,  was 
ein  gelegentlich  auf  I  gesetztes  Manometer  bestätigte. 

Nach  dem  Verlauf  von  60  Sek.  wurde  L  geschlossen  und 
M  geöffnet.  Nach  dem  Ablesen  wurde  der  Hahn  L  wieder 
geöffnet  und  die  Niveaubime  aufgehängt,  wodurch  das  Wasser 
wieder  bis  zum  Nullpunkte  stieg. 

Dieselbe  Messung  wurde  jetzt  mit  dem  Vergleichsvolta- 
meter  n  durchgeführt: 

Bei  I  wurde  E  geöffnet  und  J  geschlossen,  bei  II  H  ge- 
schlossen und  E  geöffnet^  das  Azotometer  III  war  schon  vorbereitet. 

Auch  hier  wurde  nach  Verlauf  von  60  Sek.  L  geschlossen 
und  M  geöffnet. 


-    256    - 

Bei  einiger  Übung  sind  die  beiden  Messungen  nnd  die  Um- 
schaltung  in  2Vs  Min.  leicht  auszuführen. 

Wenn  auch  hier  einzuwerfen  ist,  daß  die  beiden  zum  Ver- 
gleich gezogenen  Wasserstoffmengen  nicht  zu  genau  derselben 
Zeit  der  Apparatur  entnommen  sind,  so  kann  doch  entgegnet 
werden,  daß  der  Verlauf  der  Reduktionen  derart  gleichmäßig 
war,  daß  ein  Zeitintervall  von  90  Sek.  zwischen  den  Ab- 
lesungen eine  Störung  in  der  Stromausbeutekurve  nicht  ver- 
ursacht hat. 

Es  war  ja  auch  nicht  der  Zweck,  absolut  genaue  Messungen 
vorzunehmen,  sondern  nur  Aber  den  Verlauf  der  Reduktion  ein 
Bild  zu  bekommen. 

Um  auch  zu  verhindern,  daß  eine  bestimmte  Stromstärke 
überschritten  wurde  durch  bessere  Leitfähigkeit  der  Elektrolysier- 
flüssigkeit  infolge  von  Temperatursteigerung  oder  durch  Aus- 
fallen eines  Reduktionsproduktes,  wurde  in  den  Stromkreis  ein 
automatischer  Ausschalter  mit  eingeschlossen,  der  auf  jede  be- 
liebige Stromstärke  eingestellt  werden  konnte. 

Auch  erwies  er  sich  bei  vielen  Versuchen  als  Schutz  fOr 
das  Amperemeter,  wenn  der  Widerstand  der  Elektrolysierflüssig- 
keit  sehr  gering  war  und  der  Regulierwiderstand,  auch  wenn 
er  vollständig  eingeschaltet  war,  nicht  ausreichte,  so  daß  ein 
zu  starker  Stromstoß  in  die  Leitung  geschickt  wui*de. 

In  solchen  Fällen  arbeitete  der  automatische  Ausschalter 
sehr  exakt  und  ersetzte  so  die  Sicherung  vollständig. 

Das  Prinzip  dieses  Apparates  war,  daß  ein  in  den  Strom- 
kreis geschalteter  Elektromagnet  einen  durch  eine  Feder  ver- 
stellbaren Anker  bei  einer  gewissen  Stromstärke  anzog. 

Hierdurch  konnte  durch  Auslösung  einer  Sperrvorrichtung 
und  Hebelflbersetzung  der  Stromkreis  unterbrochen  werden,  oder 
es  wurde  zur  Erhöhung  der  Empfindlichkeit  dieser  Elektro- 
magnet aus  einem  Relais  konstruiert,  das  durch  einen  zweiten, 
vom  ersten  unabhängigen  Stromkreis  den  ersten  durch  einen 
Ausschalter  unterbrach. 

Der  Automat  bestand  in  der  Hauptsache  aus  dem  Relais  I 
und  dem  Ausschalter  II.  Der  in  den  Hauptstromkreis  geschaltete 
Elektromagnet  A  zog  den  Anker  B  an,  der  um  die  Achse  C 
beweglich  war  und  durch  die  Stellfeder  E  auf  verschiedene 
Stromstärken  eingestellt  werden  konnte. 


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Sitsungsberlehte  der  phyB..med.  Soe.  39  (1907). 


17 


-    25Ö    -- 

Floß  nun  ein  zu  starker  Strom  darch  den  Magneten  A,  so 
Würde  B  angezogen.  Dadurch  stieß  der  Platinkontakt  G  der 
Feder  F  an  die  Platinspitze  der  Schraube  H,  wodurch  der 
zweite  Stromkreis  geschlossen  wurde. 

Die  Entfernung  GH  konnte  durch  die  unten  sitzende  Schraube 
H'  reguliert  werden,  die  eine  isolierende  Ebonitspitze  besaß. 

Durch  den  Stromschluß  bei  GH  wurde  nun  bei  11  der 
Elektromagnet  J  erregt  Dieser  zog  den  Anker  K  an  und  löste 
durch  die  Arretierung  L  den  Hebel  M  aus,  der  durch  die 
Feder  Q  sehr  rasch  herabgezogen  wurde. 

Hierdurch  wurde  der  Eupferbügel  P  aus  den  beiden  Queck- 
silbemäpfen  NN  gerissen,  wodurch  der  Hauptstromkreis  unter- 
brochen wurde. 

Durch  diese  Konstruktion  als  Belaisauschalter  konnte  eine 
Empfindlichkeit  bis  auf  0,05  Amp.  erzielt  werden. 

Der  ganze  Apparat  wurde  auf  einem  größeren  Schaltbrett 
montiert;  wobei  er  auch  durch  einen  Stöpselausschalter  kurz 
geschlossen  werden  konnte. 

Die  ganzen  Armaturteile  des  Apparates  stammten  von  alten 
Telephonrelais'  und  Elappensigualen,  wie  sie  bei  den  k.  b.  Tele- 
graphenwerkstätten um  billiges  Geld  zu  haben  sind. 

Im  vorhergehenden  ist  beschrieben,  wie  der  Automat  bei 
einer  bestimmten  Maximalstromstärke  aasschaltete. 

Mit  einer  Abänderung  kann  er  auch  als  Minimalausschalter 
benutzt  werden.  Er  schaltet  dann  selbsttätig  aus,  wenn  die 
Stromstärke  bis  zu  einem  gewissen  Betrag  gesunken  ist. 

Zu  diesem  Zwecke  wird  an  dem  Ankerhebel  eine  kleine 
Änderung  vorgenommen:  Der  Eontaktteil  von  der  Schraube  F' 
ab  wird  umgedreht,  wobei  natürlich  die  Schraube  D  wieder 
gedreht  werden  muß  (siehe  Zeichnung),  dann  werden  die 
Schrauben  H  und  H'  vertauscht  und  die  Stellfeder  E  etwas 
nachgelassen. 

Der  Unterschied  gegen  die  vorherige  Anordnung  ist  nun, 
daß  der  Anker  B  bei  Stromschluß  stets  angezogen  ist.  Der 
jetzt  unten  befindliche  Platiukontakt  G  steht  über  der  Schraube  H. 

Sinkt  nun  aus  irgend  einem  Anlaß  die  Stromstärke,  so  wird 
durch  die  Feder  E  der  Anker  weggezogen,  das  Platinblättchen  G 
stößt  an  den  Eontaktstift  von  H,  und  der  zweite  Stromkreis  ist 
geschlossen. 

17* 


—    260    - 

Dieser  schaltet  dann  den  Haaptstromkreis  durch  den  Elektro- 
magneten J  wie  vorher  aas. 

Natürlich  muß  dann  die  Stromstärke  im  ersten  Stromkreis 
sofort  wieder  anf  den  bestimmten  Betrag  einregnliert  werden, 
da  sonst  der  Elektromagnet  J  ständig  unter  Strom  bleibt. 


IL 
Reduktion  von  Nitro-  und  Nitrosophenolen. 

Es  standen  mir  folgende  Nitro-  und  NitrosoköiT)er  zur  Ver- 
fügung: 

OH 
I. 

Nitrosoorcin. 


OH 

ONO 


*   a-Nitroorcin. 


OH 


III. 


OH 


CH,l      JoH 


/J-Nitroorcin. 


A 


NO, 


IV. 


OH 


OH 


«-Nitro  resoroin. 


XO, 


261     — 


OH 


V. 


NO2   a-Nitroorcinmoiiomethyl- 
äther. 


VI. 


NO    Nitrosoorcinmonomethyl- 
äther. 


Reduktion  Ton  Nitrosoorcin  mit  Platinelektroden. 

Afl.  Schwefelsäure  1:1. 

Kfl.  3-1  g  Nitrosoorcin,  gelöst  in  34  com  reiner  konzen- 
trierter Schwefelsäure  und  10  Tropfen  Wasser  zugegeben,  dann 
auf  42-0  ccm  mit  reiner  konzentrierter  Schwefelsäure  aufgefüllt. 

Da  =  Dk  =  4-5  Arap.  auf  lOO  cm«  =  1-5  Amp. 


GasmeBsuDg 

Menge  des  zur 

Stromaus-  Gasmessung 

Menge  des  zur 

Stromaus- 

nach Verlauf 

Redukt.  verbr. 

beute  in  i,  nach  Verlauf 

Redukt.  verbr. 

beute  in 

von  Stunden 

H  in  ccm 

Prozenten' 

__      _  1 

40,0 

von  Stunden 

H  in  ccm 

Prozenten 

0 

5,2 

6^, 

0,9 

7,1 

V*                   3,7 

28,5      '         7   " 

0,7 

5,6 

^/,                   3,1 

23,5               8 

0,7 

5,5 

•/*          1         2,8 

21,4      1         9 

0,6 

5,3 

VU         '         2,8 

21,4             10 

0,5 

4,0 

!•/* 

2,8 

21,4 

11 

0,4 

3,7 

'^*/4 

2,7 

20,6 

12 

0,4 

3,2 

3 

2,2 

17,0 

12V, 

0,2 

3,1 

4                      1,3 

10,7             13 

0,1 

0,9 

5                       1,2 

10,3             14 

0,0 

0,0 

5N', 

1,1 

8,9 

Die  Reduktion  wurde  mehrmals  durchgeführt  und  ergab 
ähnliche  Kurven.  Jedoch  bestand  das  Reduktionsprodukt  aus 
einem  schwarzbraunen  Körper,  von  dem  sich  mit  kochendem 
Wasser  nur  eine  geringe  Menge  eines  lachsfarbenen  Produktes 
extrahieren  ließ.  Es  schien,  als  ob  der  bei  der  Reduktion  ge- 
bildete Körper  im  Innern  des  Kathodenraums  sofort  wieder 
oxydiert  würde.    Dies  konnte   nur  dadurch  möglich  sßin,   daß 


—    262     - 

durch  Eataphorese  ans  dem  Anodenranm  Saaerstoif  mit  in  das 
Innere  der  Tonzelle  gerissen  worden  war.  Es  wurde  daher, 
nm  dies  zu  verhindern,  eine  Versnchsanordnnng  anfgebaat,  bei 
der  ein  ziemlich  weites  Becherglas  als  Badranm  verwendet 
wurde,  so  daß  zwischen  Tonzelle  und  Anode  ca  3  cm  Abstand 
waren. 

Das  Bednktionsprodukt  bei  dieser  Anordnung  war  ein  heller 
Eristallbrei,  der  sofort  über  Asbest  abgesaugt  und  auf  Ton 
getrocknet  wurde. 

Aus  Wasser  umkristallisiert,  resultierten  lichtbraune  Kri- 
stalle. 

Diese  wurden  nach  der  Vorschrift  von  Henrich^)  azetyliert 
und  ergaben  ein  lachsfarbenes  Azetylderivat;  das  aus  Alkohol 
und  Wasser  zu  gleichen  Teilen  in  langen  Prismen  vomSchmp.  217®, 
Sinterung  schon  bei  206^  kristallisierte.  Die  Analyse  ergab 
folgende  Resultate: 

I.  01540  g  Substanz  gaben  6*4  ccm  N  bei  20<»  u.  738  mm  Druck 
IL  01256  g        „  „      0-2803  g  CO,  u.  0-0631  g  H^O. 


Berechnet  für 

Gefunden: 

Triazetylamidoorcin. 

Ci,H„0»N 

I           n 

C  =  58-85 

61-45 

H  =    5-67 

-           5-62 

N  =    5-30 

6-4            — 

Zum  Vergleich  wurden  3  g  Amidoorcin  mit  4*5  g  ent- 
wässertem Natriumazetat  und  30  g  Essigsäureanhydrid  azetyliert. 
Das  entstandene  Triazetylamidoorcin  kristallisierte  in  dünnen 
farblosen  Blättchen  aus  Alkohol  vom  Schmp.  98 — 99®. 

Die  Mutterlauge  des  umkristallisierten  Reduktionsproduktes 
wurde  stark  alkalisch  gemacht  und  an  der  Luft  stehen  gelassen. 
Es  bildete  sich  jedoch  nur  eine  Braunrotfärbung,  während  eine 
zum  Vergleich  angesetzte  alkalische  Amidoorcinlösung  intensiv 
blauviolette  Färbung  zeigte. 

Die  Analyse  des  Azetylderivates  und  das  Verhalten  der 
alkalischen   Lösung   des  Reduktionsproduktes   gegen  Luftoxy- 

»)  Berichte  30,  1107. 


—    263    - 

dation  zeigen  also,  daß  bei  der  elektrolytischen  Reduktion  von 
Nitrosoorcin  in  schwefelsaurer  Lösung  an  Platinelektroden  kein 
Amidoorcin  entsteht. 


— 

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^ 

—    264    — 


Reduktion  tod  Nitrosoorcin  mit  Bleielelttroden. 

Afl.  Schwefelsäure  1:1. 

Kfl.  3-1  g  Nitrosoorcin  in  40  ccm  reiner  konzentrierter 
Schwefelsäure  und  10  Tropfen  Wasser. 

Da  =  Dk  =  4-5  Amp.  auf  100  cm^  =  1-5  Amp. 

Hier  wurden  statt  Platinelektroden  solche  von  Blei  in  den 
gleichen  Abmessungen  verwendet.  Die  Kathode  war  vorher 
nach  der  Tafeischen  Vorschrift  präpariert  worden. 


GasmeesuDg 

Menge  des  zur 

Stromaus- 

Gasmessung 

Menge  des  zur 
Hedukt.  verbr. 

Stromaus- 

Dach  Verlauf 

Redukt.  verbr. 

beute  in 

nach  Verlauf 

beute  in 

von  Stundeo 

H  in  com 

Prozenten 

von  Stunden 

H  in  ccm 

Prozenten 

0 

10,5 

87,5 

2'/* 

1,5 

11,2 

'U 

10,4 

86,2 

3 

1,1 

9,2 

'U 

9,8 

76,5 

3V, 

0,7 

5,5 

1 

8,6 

67,2 

4 

0.5 

3,5 

1V4 

6,1 

47,6 

4V. 

0,3 

2.3 

IV. 

5,1 

40,0 

5 

0.1 

1,2 

2V. 

2,0 

15,4 

5V. 

0.0 

0,0 

Die  Efl.  war  ein  Kristallbrei  in  dunkelgrüner  Mutterlauge, 
die  sich  beim  Verdünnen  mit  Wasser  gelbrot  färbte.  Die  Kri- 
stalle wurden  über  Asbest  abgesaugt,  auf  Ton  getrocknet  und 
aus  Wasser  umkristallisiert. 

Hieraus  kamen  sie  in  winzigen  Nädelchen  von  der  gleichen 
Form  wie  das  zum  Vergleich  dargestellte  Sulfat  des  )8-Amidooixins. 

Zur  Identifizierung  wurden  die  nachstehenden  Reaktionen 
nebeneinander  durchgeführt. 


Eisenchloridlösung:  1  Tropfen 

Bichromatlösung:    1  Tropfen 
u.  2  Tropfen  Schwefelsäure 

Natronlauge:  2  Tropfen 


Sulfat  des  /^-Amido- 
ordns 


Braungelbe  Färbung 
Dunkelgelbe  Färbung 

Braunfärbung,    die   all- 
mählig  dunkler  wird 


Elektrolytisches  Bedak- 
tionsprodukt 


Braungelbe  Färbung 

Gelbe  Färbung,  die  dann 
dunkler  wird 

Gelbbraun,  dann  braun, 
später  dunkelbraun  in 
derselben  Nuance. 


Die  übereinstimmenden  Identitätsreaktionen  zeigen  also, 
daß  bei  der  elektrochemischen  Reduktion  von  Nitrosoorcin  an 
Bleielektroden  Amidoorcin  entsteht. 


265 


Redaktion  toh  /3-Nitroorcin  an  Platinelektroden. 

Afl.  Schwefelsäure  1:1. 

Kfl.  31  g  ^-Nitroorcin  in   40  ccm  reiner  konzentrierter 
Schwefelsäure  und  10  Tropfen  Wasser. 

Da  =  Dk  =  4-5  Amp.  auf  100  cm»  =  1-5  Ämp. 


Gasmessoiig 

Menge  des  zur 

Stromaus     GasmessuDg 

Menge  des  zur 

Stromaus- 

nach Verlauf 

Reduktverbr. 

beute  iD 

;  nach  Verlauf 

Reduktverbr. 

beute  in 

von  StuDdeD 

H  in  ccm 

Prozenten 

von  Stunden 

Hin  ccm 

Prozenten 

0 

0,4 

3,2 

1          4V, 

0,5 

4,0 

2/ 

11 

1,1 

8,0 

7 

0,3 

2,8 

IVs 

1,0 

8,6 

8V, 

0,2 

2,4 

2 

0,7 

5,5 

10 

0,1 

1,3 

3 

0,6 

4.9 

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Fig.  4. 


—    266    — 

Die  Efl.  schien  nach  Beendigung  des  Versuches  unverändert, 
auch  beim  Verdünnen  mit  Wasser  fiel  nichts  aus.  Hierauf 
wurde  unter  Eisküblung  alkalisch  gemacht,  worauf  nach  längerem 
Stehen  an  der  Luft  nur  eine  helle  Braunrotfärbung  auftrat 

Redaktion  Ton  j3-Nitroorcin  mit  Bleielektroden. 

Afl.  Schwefelsäure  1:1. 

Kfl.  31  g  ^-Nitroorcin  in  40  ccm  reiner  konzentrierter 
Schwefelsäure  und  10  Tropfen  Wasser. 

Da  =  Dk  =  4-5  Amp.  auf  100  cm»  =  1-5  Amp. 


GasmessuDg 
Dach  Verlauf 
von  Stunden 


Menge  des  zur 

Beduktverbr. 

H  in  ccm 


Stromaus- 
beute in 
Prozenten 


Gasmessung 
nach  Verlauf 
von  Stunden 


Menge  des  zur 

Bedukt.verbr. 

H  in  ccm 


StromauB- 
beute  in 
Prozenten 


0 

1 


11,0 
7,9 
6,8 
5,8 
5,2 


96,5 
69,9 
60,1 
50,9 
45,5 


2V, 

3V, 
5 

6V. 

8V. 


2,4 
0,8 
0,6 
0,3 
0,0 


21,2 
7,9 
5,0 
2,9 
0,0 


Die  Efl.  war  ein  Eristallbrei  in  einer  grfinen  Mutterlauge. 
Er  wurde  über  Asbest  abgesaugt  und  aus  Wasser  umkristalli- 
siert, woraus  feine  Nädelchen  kamen,  deren  Form  mit  der  des 
^-Amidoorcinsulfates  identisch  war. 

Mit  den  beiden  Sulfaten  wurden  die  nachstehenden  Vergleichs- 
reaktionen durchgeführt. 


Helle  Braungelbfärbung 
Dunkeigeibe  Färbung 


Eisenchloridlösung:  1  Tropfen 

Bichromatlösung:    1  Tropfen 
+  2  Tropfen  H^SO^ 

Natriumnitrit:    1  Tropfen  -|- ^^bf ärbung 
2  Tropfen  Salzsäure 

Natronlauge:  3  Tropfen 


Sulfat  des  ^-Amido- 
orcins 


Elektrolytisches  Beduk- 
tionsprodokt 


LiangsameOxyd.  Braun- 
färbung,  die  allmählich 
dunkler  wird. 


Helle  Braungelbfärbong 
Dunkelgelbe  Färbung 

Gelbfärbung 

Langsame  Oxyd.  Braun- 
f ärbungfdie  allmählich 
dunkler  wird. 


Es  ist  also  der  bei  der  elektrochemischen  Reduktion  von 
j3-Nitroorcin  in  schwefelsaurer  Lösung  mit  Bleielektroden  ent- 


—    267    — 

staodene  Körper  identisch  mit  dem  Salfat  des  ^-Amidoorcins. 
Also  geben  /3-Nitroorcin  und  Nitrosoorcin  bei  der  Redaktion  an 
Bleielektroden  das  gleiche  )9-Amidoorcin. 


Reduktion  Ton  a-Nitroorein  mit  Platinelektroden. 


Afl.  Schwefelsäure  1 : 1. 
Kfl.  3'1  g  a-Nitroorcin   in  40  ccm 
Schwefelsäure  und  10  Tropfen  Wasser. 
Da  =  Dk  =  4-5  Amp.  auf  100  cm*  = 


reiner  konzentrierter 


1.5  Amp. 


Gasmeesung 

Menge  des  zur 

Stromaus- 

Gasmeseung 

Menge  des  zur 
Beduktverbr. 

Stromaus- 

nach Verlauf 

Redukt  verbr. 

beute  in 

nach  Verlauf 

beute  in 

▼OD  Stunden 

Hin  ccm 

Prozenten 

von  Stunden 

H  in  ccm 

Prozenten 

0 

83 

69,1 

2'/. 

4,4 

35,0 

'/4 

8,3 

64,3 

3 

2,8 

21,4 

•/. 

8,3 

65,3 

3V. 

2,4 

18,1 

IV4 

83 

70,4 

5 

1^ 

9,4 

1'/. 

9,6 

77,4 

6 

0,4 

3,0 

2 

6,2 

50,0 

7 

0,0 

0,0 

2'/« 

4,9 

39.0 

Die  Kfl.  war  ein  dunkelgrüner,  mit  weißen  Kristallen  durch- 
setzter Kristallbrei.  Dieser  wurde  abgesaugt,  aus  Wasser  um- 
kristallisiert, worauf  das  Reduktionsprodukt  in  schönen  grau- 
violetten, zu  Büscheln  vereinigten  Nadeln  kam.  Hiervon  wurden 
0-6  g  sofort  azetyliert.  Doch  schied  sich  nach  dem  Abdestillieren 
des  Essigsäureanhydrids  durch  Wasserzusatz  nichts  ab^  sondern 
das  Reduktionsprodukt  löste  sich  darin.  Auch  durch  Ausäthem 
der  Lösung  konnte  nichts  gewonnen  werden. 

Zum  Vergleich  wurden  3  g  a-Nitroorcin  reduziert^)  und  ein 
Azetylderivat  dargestellt. 

3  g  Nitrokörper  wurden  in  30  ccm  Alkohol  gelöst  und  all- 
mählich zu  einer  Lösung  von  18  g  Zinnchlorür  in  40  ccm  kon- 
zentrieiiier  Salzsäure  gegeben.  Es  mußte  ziemlich  lange  gekocht 
werden,  bis  die  Reaktion  vollendet  war.  Nun  wurde  der  Al- 
kohol weggekocht  und  die  Reaktionsflüssigkeit  mit  Wasser  ver- 
dünnt und  mit  Schwefelwasserstoff  entzinnt.  Das  so  gewonnene 
Salz  wurde  durch  Umkristallisieren  aus  konzentrierter  Salzsäure 
gereinigt  und  bildete  lange  Nadeln. 


0  Berichte  36,  888. 


-     268    — 

0-5  g  dieses  Produktes  wurden  azetyliert,  fast  alles  Anhydrid 
im  Vakuum  abdestilliert  und  der  Rest  in  Wasser  gegossen. 
Es  schied  sich  sofort  das  Azetylderivat  aus,  das  in  langen 
Prismen  vom  Schmp.  107®  kristallisierte.  Die  Elementaranalyse 
stimmte  auf  ein  Triazetylderivat. 

I.  0-2063  g  Substanz  gaben  0-4443  g  COj  und  01065  g  H^O 
II.  01708  g        „  „      0-3669  g  CO^  und  00902  g  H^O. 

Berechnet  für:  Gefunden: 

C^H^OjNCCOCHg),  I  n 

C  =  58-85  58-73         5861 

H  =    5-67  5-78  5-93 

Trotzdem  das  Nitroorciu  reduziert  worden  war,  konnte  es 
nicht  als  Amidoorcin  identifiziert  werden.  Aus  Mangel  an 
Material  konnte  eine  weitere  aufklärende  Untersuchung  nicht 
mehr  durchgeführt  werden. 


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Fig.  5. 


269 


Beduktion  yon  a-Nitroresorcin  mit  Platinelektroden. 

Nach  der  Vorschrift  von  Kauf f mann ^)  wurde  eine  größere 
Menge  a-Nitroresorcin  dargestellt.  Wenn  man  den  Nitrokörper 
nach  diesem  neuen  Verfahren  darstellt,  so  erhält  man  ihn  in 
10  fach  größerer  Ausbeute,  als  wenn  man  ihn  analog  dem  Ver- 
fahren zur  Gewinnung  von  a-  und  j8-Nitroorcin  herstellt. 

Afl.  Schwefelsäure  1:1. 

Kfl.  3-1  g  a-Nitroresorcin  in  40  ccm  reiner  konzentrierter 
Schwefelsäure  und  10  Tropfen  Wasser. 

Da  =  Dk  =  4-5  Amp.  auf  100  cm«  =  1-5  Amp, 


Gasmeeaung 

Menge  des  zur 

Stromaus-  Gasmeesung 

Menge  des  zur 

Stromaus- 

nach  Verlauf 

Reduktverbr. 

beute  in    nach  Verlauf 

Bedakt.yerbr. 

beute  in 

TOD  Standen 

H  in  ccm 

Prozenten  von  Standen 

H  in  ccm 

Prozenten 

0 

7,1 

53.4               6'/, 

1,6 

13,0 

'/. 

2,7 

21,1                8'/, 

1,3 

10,0 

';', 

3,6 

27,9              10 

1,1 

8,8 

1 

3,8 

30,4              10 

3,8 

28,3 

1'/, 

3,6 

28,6              11 

0,6 

6,4 

2 

3,1 

23,0              12 

0,4 

3.0 

2'/. 

2,5 

20,5              13 

0,2 

2,1 

3'/4 

2,3 

17,6              14 

0,0 

0,0 

5'/. 

2,0 

16,0 

Nach  ] 

Beendigung 

der  Reduktion   war 

die  Kfl.  ein  grau- 

grüner  Eristallbrei,  der  über  Nacht  in  der  Kälte  stehen  gelassen 
wurde.  Dann  wurde  er  über  Asbest  abgesaugt,  auf  Ton  ge- 
trocknet und  aus  Wasser  umkristallisiert 

Von  den  weißen  Kristallen  wurden  0-7  g  azetyliert.  Hier 
bildete  sich  anscheinend  wie  beim  a-Nitroorcin  kein  Azetyl- 
derivat,  denn  nach  dem  Abdestillieren  des  Essigsäureanhydrids 
im  Vakuum  löste  sich  der  Rückstand  in  Wasser  und  auch  durch 
Ansäthern  konnte  nichts  gewonnen  werden. 

Zum  Vergleich  wurden  1-6  g  Nitroresorcin  in  Alkohol  ge- 
löst und  in  eine  Lösung  von  10  g  Zinnchlorür  in  25  ccm  kon- 
zentrierter Salzsäure  eingetragen.  Die  Lösung  entfärbte  sich 
nach  1^2  Std.  fast  vollkommen ;  sie  wurde  eingeengt,  wobei  sich 
das  Chlorhydrat  in  schönen  Blättchen  abschied. 

Hiervon  wurde  ein  Teil  sofort  abgesaugt  und  azetyliert. 
Nach  dem  Abdestillieren  des  überschüssigen  Essigsäureanhydrids 
schied  sich   auf  Wasserzusatz  ein  weißer  flockiger  Körper  aus, 

*)  Berichte  37,  725. 


—    270    — 


der  ans  Petroläther  umkristallisiert  wurde.    Unterm  Mikroskop 
waren  glänzende  weiße  Prismen  zu  sehen.   Die  Analyse  stimmte 
auf  ein  Triazetylderivat,  das  noch  nicht  dargestellt  war. 
0-2026  g  Substanz  gaben  9-2  ccm  N  bei  20«  und  737  mm  Druck. 

Gefunden: 
N  =  5-3  5-13 


Berechnet  fBr  CiaHiaOgN: 


3 


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£: 

1 



271    — 


Bednktion  toh  a-Nitroresorein  mit  Bleielektroden. 

Äfl.  Schwefelsäure  1:1. 

Kf  1.  31  g  a-Nitroresorcin  in  40  ccm  reiner  konzentrierter 
Schwefelsäure  und  10  Tropfen  Wasser. 

Da  =  Dk  =  4-5  Amp.  auf  100  cm»  =  1-5  Amp. 


GasmeseuDg 

Menge  des  zur 

Stromaus- 

nach Verlauf 

Redukt.  verbr. 

beute  in 

von  Stunden 

Hin  ccm 

Prozenten 

0 

11,0 

98.2 

'U 

10,9 

98,2 

V, 

10,8 

97.2 

IV* 

10,7 

94,7 

2 

5.6 

48,4 

2V. 

1,7 

14.5 

^^ 

0,4 

3.8 

ft/l 

0.0 

0,0 

Die  Kfl.  war  nach  Beendigung  des  Versuchs  eine  grau- 
grüne Eristallmasse,  die  über  Asbest  abgesaugt,  auf  Ton  ge- 
trocknet und  aus  Wasser  unter  Zusatz  von  etwas  Tierkohle 
umkristallisiert  wurde. 

Da  bei  diesem  Nitrokörper  die  Parastellung  unbesetzt  war, 
so  ließ  sich  erwarten,  daß  hier  die  Eeduktion  nur  bis  zum 
Hydroxylaminderivat  gegangen  war,  das  sich  dann  unter  dem 
Einfluß  der  starken  Säure  zu  einem  Para-amidophenol  umge- 
lagert hätte. 

OH 


Dieses  Reduktionsprodukt  würde  somit  ein  Aminophloro- 
glncin  sein. 

Da  dieser  Körper  jedoch  noch  nicht  dargestellt  war,  so 
konnten  mit  dem  elektrolytischen  Reduktionsprodukt  keine 
Identitätsreaktionen  durchgeführt  werden. 

Es  gab  folgende  charakterische  Reaktionen: 


-    272    - 


Elektrolytisches  KeduktioDsprodnkt 


EisenchloridlösuDg:  1  Tropfen 

Natriamnitrit :  1  Tropfen  4-  3  Tropfen 
Salzsäure 

Ammoniak.    Silberlösung 


BichromaÜösmig:   1  Tropfen  4- 
3  Tropfen  Schwefelsaure 

Eonz.  Salpetersäure:  1  Tropfen 

Natronlauge:  1  Tropfen 


Rotfärbung,  die  langsam  dunkler  wird 

Gelbfärbung,  auch  bei  weiterem  Zu- 
sätze bleibend 

Starke  Reduktion,  braungrün,  später 
braun 

Dunkelbraune  Färbung  ohne  Trübung 

Hellgelbe  Färbung 

Zuerst  weiße  Fällung.  Dann  von  oben 
oben  her  langsame  Oxydation  bis 
schwarzbraune  Färbung. 


Eine   spätere   Untersuchung   muß    noch    zeigen,    welches 
Beduktionsprodukt  hier  vorliegt. 


Im  Verlaufe  der  vorliegenden  Untersuchungen  wurden 
noch  zwei  interessante  Beobachtungen  gemacht,  die  jedoch  nicht 
mehr  näher  studiert  worden  sind. 

Bei  den  Löslichkeitsversuchen  von  a-  und  )3-Nitroorcin  in 
konzentrierter  Schwefelsäure  verwandelte  sich  bei  höherer 
Temperatur  die  braungelbe  Lösung  der  beiden  Körper  unter 
lebhafter  Reaktion  in  einen  schwarzen  Brei.  Dieser  war  in 
Wasser  unlöslich  und  gab  nach  dem  Absaugen  und  Trocknen 
eine  amorphe  glänzende  Masse,  die  mit  tiefbrauner  Farbe  in 
Alkalien  löslich  war. 

Die  zweite  Beobachtung  wurde  beim  Umkristallisieren  von 
Nitrosoresorcin  aus  Alkohol  gemacht.  Hierbei  wurde  anscheinend 
zu  stark  erhitzt.  Die  Lösung  begann  plötzlich  aufzusieden,  und 
das  gelbe  Nitrosoresorcin  verwandelte  sich  in  einen  schwarz- 
braunen Körper.  Die  Reaktion  war  so  lebhaft,  daß  sie  nicht 
einmal  durch  Einstellen  des  Kolbens  in  Eiswasser  gemäßigt 
werden  konnte.  Das  entstandene  schwarzbraune  Produkt  hatte 
die  gleichen  Eigenschaften  wie  ,,Lakmoid." 


—    273    - 

Reduktionen  In  alkaliseher  Losung. 

Bei  der  Nitrierung  von  Orcinmonomethyläther  war  seiner 
Zeit  als  Nebenprodukt  ein  flüchtiger  Nitrokörper  abgefallen,  der 
mir  in  relativ  großer  Menge  zur  Verfügung  stand.  Nach  den 
Untersuchungen  von  N  ac  h  ti  ga  1 1  ^)  mußte  ihm  folgende  Struktur- 
formel zukommen. 

OCH, 


Ich  machte  zunächst  den  Versuch,  ihn  in  alkalischer  Lösung 
zu  reduzieren,  um  zu  einem  Azooxykörper  zu  gelangen.  Nach 
den  Versuchen  von  Gattermann*)  und  neuerdings  von  Vor- 
länder') entstehen  durch  die  Reduktion  para-substituierter 
N^trophenoläther  zu  Azooxykörpein  Substanzen,  die  in  einer 
anisotrop  flüssigen  Phase  aufzutreten  vermögen.  Es  stand  mir 
der  vorerwähnte  Körper  zur  Verfügung,  in  dem  eine  Methoxyl- 
gruppe  sich  zur  Nitrogruppe  in  Parastellung  befand. 

Obwohl  hier  in  Orthosteilung  noch  eine  freie  Hydroxyl- 
gruppe war,  versuchte  ich  doch  eine  Reduktion  in  alkalischer 
Lösung. 

Ich  führte  den  Versuch  aus,  und  schon  während  der  Reduk- 
tion schied  sich  auf  der  Oberfläche  der  Kathodenflttssigkeit  ein 
intensiv  rot  gefärbter  Körper  aus,  während  bei  einem  Azooxy- 
körper kein  so  intensiv  gefärbtes  Derivat  zu  erwarten  war. 

Es  wurde  noch  weiter  beobachtet,  daß  die  Reduktions- 
flüssigkeit  durch  Oxydation  durch  den  Luftsauerstoff  noch  mehr 
von  dem  roten  Körper  abschied,  und  damit  war  die  Erklärung 
für  diese  Erscheinung  gefunden. 

Der  Nitrokörper  wurde  bis  zum  Amin  reduziert.  Dieses 
Amin  mußte  identisch  sein  mit  dem  Reduktionsprodukt  jenes 
Körpers,  den  man  aus  Nitrosoorcin  durch  Esterifizierung  mit 
Salzsäure   und  Methylalkohol   erhalten   hatte,   und   dem    nach 


^)  J.  prakt.  Ghem.  1904,  385. 
*)  Berichte  34,  1738. 
*)  Berichte  89,  803. 

Siteungsberiebte  der  pbys.-med.  Sos.  39  (1907).  18 


—    274    — 

Henrichs  Untersuchungen  die  nebenstehende  Eonstitntion  oder 
eine  t-antomere  Foimel  zukommen  muß. 


OCH, 


CHj'v  yoH 

NO 

Henrich^)  zeigte  zuerst  allein,  dann  in  Gemeinschaft  mit 
seinen  Schülern,  daß  dieses  Beduktionsprodukt  bei  der  Oxyda- 
tion in  alkalischer  Lösung  einen  Phenoxazinkörper  nach  den 
folgenden  Gleichungen  gibt: 

CHj  CHj 


'  +0=CH,OH  + 

CH3O-II  j-OH  0: 


'\=NH 
—OH 


CH, 

I        I +  Ö 

/\^NIH H| 


OCH, 

1 


0  = 


X^   oiiff ;;;;;;;;;;;;  Hol'"  \/ 

NH, 
CH,  OCH, 


-CH, 


N 


2H,04- 


/\,/\/\ 


0=1 


-CH, 


NH, 

War  die  von  mir  ausgeführte  Reduktion  also  bei  dem 
Nitrokörper  bis  zum  Amin  gegangen,  so  mnßte  dieser  rote 
Körper,  der  sich  durch  die  Luftoxydation  gebildet  hatte,  iden- 


>)  Berichte  30,  1107. 


-    275    - 

tisch  sein  mit  jenem,  den  Henrich  und  Schierenberg^)  durch 
Oxydation  des  Amidoorcinmonomethyläthers  erhalten  hatten. 

In  der  Tat  zeigte  der  Körper,  der  sofort  in  größerer  Menge 
dargestellt  wurde,  Übereinstimmung  in  Eristallform;  Schmelz- 
punkt und  sonstigen  Eigenschaften. 

Damit  ist  ein  neuer  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Kon- 
stitution des  flüchtigen  (a)-Nitroorcinmonometh7läthers  erbracht. 

Dieser  Phenoxazinkörper  von  Henrich  und  Schieren- 
berg  war  im  allgemeinen  langwierig  darzustellen,  da  die  Oxy- 
dation an  der  Luft  ziemlich  lange  Zeit  erforderte. 

Ich  kam  nun  auf  den  Gedanken,  diesen  Phenoxazinkörper 
durch  aufeinanderfolgende  elektrolytische  Reduktion  und  Oxy- 
dation darzustellen. 

Bedoktion  yon  a-Nitrooreinmonomethyiather  in  alkalischer 

Lösung. 

Zur  Verfögung  stand  eine  relativ  große  Menge  des  Nitro- 
körpers,  jedoch  in  unreinem  Zustande. 

Als  bestes  Kristallisationsmittel  zeigte  sich  Ligroin.  Hier- 
aus kam  er  in  langen  gelben  büschelartig  angeordneten  Nadeln 
vom  Schmp.  103«— 104^ 

Da  von  dem  Körper  erst  nur  eine  N-Bestimmung  vorlag, 
so  wurde  eine  vollständige  Analyse  durchgeführt. 
L  0,2132  g  Substanz  gaben  0,4105  g  00^  u.  0,1007  g  H^O. 
IL  0,2347  g  Substanz  gaben  0,4526  g  CO2  u.  0,1113  g  H2O. 

III.  0,1290  g  Substanz  gaben  9,1  ccm  N  bei  W  u.  737  mm  Druck. 

IV.  0,2143  g  Substanz  gaben  14,9  ccm  N  bei  19«  u.  735  mm  Druck. 

Gefunden: 

n.         m.        IV. 

52,60  -  — 

5,30  —  — 

—  7,81         7,86 

A  f  1. :  20  g  NajSO^,  100  ccm  Wasser,  10  ccm  Schwefelsäure  1:4. 
Kfl.:  5  g  a-Nitroorcinmonomethyläther   in  soviel  S^/^iger 
Natronlauge^  als  Lösung  eintrat. 
Kathode  =  Nickeldrahtnetz. 
Anode  =  Bleiblech. 


Berechnet  fttr 

CgEjO^N: 

I. 

C  =  52,43 

52,51 

H=    4,95 

5,28 

N=    7,67 

— 

*)  J.  prakt.  Chemie  1904,  865. 

18« 


—    276    — 

Es  warden  zar  Redaktion  and  Oxydation  2,5  Amp.  Strom- 
stärke angewendet. 

Während  der  Redaktion  schied  sich  aaf  der  Oberfläche  der 
Efl.  eine  rote  Hant  aus.  Nach  5^2  Amp.-Standen  zeigte  eine 
starke  Wasserstoffentwicklang  den  Schluß  der  Reduktion  an. 
Hierauf  wurde  vor  der  Zelle  Polwechsel  vorgenommen  und  noch- 
mals 5  Amp.-Stunden  zugeführt. 

Es  schied  sich  bei  der  Elektrooxydation  der  rote  Körper 
in  dichten  Flocken  aus,  die  abgesaugt  und  umkristallisiert  wurden. 

In  Benzol,  Xylol  und  Alkohol  löste  er  sich  in  der  Kälte 
schwer,  in  der  Wärme  leicht  auf,  und  kristallisierte  hieraus  in 
bflschelförmig  vereinigten  Nadeln  vom  Schmp.  252^.  Eisessig 
und  Essigäther  lösten  ihn  schon  in  der  Kälte  auf. 

Die  Analyse  stimmte  auf  den  von  Henrich  und  Schieren- 

berg  erhaltenen  Phenoxazinkörper. 

I..  0,1924  g  Substanz  gaben  0,4704  g  CO^  und  0,0919  g  HjO. 

IL  0,1857  g  Substanz  gaben  0,4540  g  CO,  und  0,0877  g  HjO. 

IIL  0,1662  g  Substanz  gaben  15,8  ccm  N  bei  22«  u.  747  mm  Druck. 


m. 


Berechnet  für 

Gefnnden 

C.sHuO.N,: 

I. 

n. 

C  =  66,62 

66,67 

66,68 

H=    5,22 

5,34 

5,28 

N=  10,64 

— 

— 

10,81. 


Reduktion  von  Monomethylnitrosoorein  in  alkaliselier 

Lösung. 

Afl.:  Kalt  gesättigte,  angesäuerte  Natriumsulfatlösung. 

Kfl.:  5g  Monomethylnitrosoorein  in  soviel  3 ^/oiger  Natron- 
lauge, bis  alles  gelöst  war. 

Hier  zeigte  sich  schon  nach  Zufuhr  von  4  Amp.-Stunden 
die  starke  Wasserstoffentwicklung.  Dies  geht  ja  daraus  her- 
vor, daß  die  Nitrosogruppe  4,  die  Nitrogruppe  6  Wasserstoff- 
atome benötigt,  um  in  die  Amidogruppe  überzugehen. 

Dann  wurde  auf  Oxydation  umgeschaltet  und  der  ausge- 
schiedene Körper  abfiltriert.  Lösungsvermögen,  Kristallform 
und  Schmelzpunkt  waren  genau  die  gleichen  wie  beim  vorher- 
gehenden Phenoxazinkörper. 

Ein  Versuch   wurde  unter  Rühren  durchgeführt,  um  die 


—    277    — 

Ausbeute  zu  bestimmeu.  Hiezu  stand  die  Kathode  mit  einem 
über  der  Zelle  rotierenden  Exzenter  in  Verbindung,  wodurch 
sie  ruckweise  gehoben  und  gesenkt  wurde. 

Die  sonstigen  Versuchsbedingungen  waren  genau  wie  vor- 
her. Der  Phenoxazinkörper  wurde  abgesaugt  und  kräftig  mit 
Wasser  durchgewaschen,  um  das  Alkali  zu  entfernen.  Dann 
wurde  bei  90®  getrocknet. 

Aus  5  g  Monomethylnitrosoorcin  waren  1,7  g  Rohprodukt 
des  Phenoxazinkörpers  entstanden. 

Zum  Vergleich  wurde  nun  auch  der  Phenoxazinkörper  auf 
chemischem  Wege  dargestellt^). 

„Ein  Grammolekttl  des  salzsauren  Amidoorcinmonomethyl- 
äthers  wurde  in  der  zehnfachen  Menge  Wasser  gelöst,  mit 
2  Mol.  Ätzkali  versetzt  und  eine  Woche  lang  Luft  durch  die 
Flüssigkeit  geleitet  Es  schieden  sich  rötliche  Flocken  aus, 
während  eine  dunkel  gefärbte  Mutterlauge  zurflckblieb.  Der 
rote  Körper  wurde  mit  Wasser  gewaschen  und  mit  Benzol  so 
lange  extrahiert,  als  noch  etwas  in  Lösung  ging. 

Aus  der  Benzollösung  schied  sich  die  Verbindung  in  roten 
filzartig  verwachsenen  Nädelchen  aus,  die  nach  mehrmaligem 
Umkristallisieren  bei  256—260®  (unkorr.)  schmelzen". 

Der  nach  dieser  Vorschrift  hergestellte  Körper  mußte  drei- 
bis  viermal  umkristallisiert  werden,  um  konstanten  Siedepunkt 
zu  bekommen,  während  bei  den  elektrolytischen  Produkten  dies 
nur  ein-  bis  zweimal  nötig  war. 

Mit  den  beiden  reinen,  auf  elektrolytischem  Wege  und 
chemisch  gewonnenen  Phenoxazinkörpem  wurden  folgende  Iden- 
titätsreaktionen ^)  durchgeführt. 

1.  Konzentrierte  Schwefelsäure  löst  die  Verbindung  mit 
dunkelroter  Farbe,  welche  einen  Stich  ins  Gelbliche  hat.  Beim 
Verdünnen  fällt  der  Phenoxazinkörper  unverändert  aus. 

Chem.  Produkt:  Elektrolyt.  Produkt. 

Übereinstimmend.  Übereinstimmend. 

2.  Konzentrierte  Salzsäure  löst  zuerst  mit  gelbroter  Farbe. 
Nach  kurzer  Zeit  findet  Abscbeidung  eines  dunkel  gefärbten 
Chlorhydrates  statt,   das  in  kleinen    lanzettförmigen  Kristallen 


»)  J.  prakt.  Chem.  1904,  267. 

«)  J.  prakt  Chem.  1904,  368-,  Berichte  30,  1107. 


—    278    - 

anschießt    Darch  Wasser  wird   es  wieder  in  seine  ursprüng- 
lichen Bestandteile  znrückzerlegt. 

Chem.  Produkt:  Elektrolyt.  Produkt: 

Übereinstimmend.  Übereinstimmend,  Kristalle 

besser  ausgebildet. 

3.  Eine  bemerkenswerte  Reaktion,  die  noch  nicht  näher 
studiert  ist,  gibt  der  Körper  mit  salpetriger  Säure.  Übergießt 
man  ihn  mit  mäßig  konzentrierter  Salzsäure  und  tropft  unter 
Kühlung  Natriumnitrit  zu,  so  entsteht  eine  intensiv  dunkelblaue 
Farbe.  Diese  verschwindet  nach  einiger  Zeit,  und  es  scheidet 
sich  ein  brauner  Körper  ab,  der  noch  nicht  näher  studiert  ist 

Chem.  Produkt:  Elektrolyt.  Produkt: 

Übereinstimmend.  Übereinstimmend,  Färbung 

intensiver. 

4.  Beim  Übergießen  mit  konzentrierter  Salpetersäure  tritt 
eine  dunkelrote  Färbung  auf,  die  beim  Verdünnen  mit  Wasser 
in  eine  blaue  Farbe  umschlägt  und  dann  verschwindet. 

Chem.  Produkt:  Elektrolyt.  Produkt: 

Übereinstimmend.  Übereinstimmend. 

5.  Beim  Kochen  mit  Essigsäureanhydrid  bildet  sich  beim 
Abkühlen  das  schwerlösliche  Azetylderivat.  Bei  beiden  Ver- 
suchen wurde  abfiltriert,  auf  Ton  getrocknet  und  der  Schmelz- 
punkt bestimmt. 

Chem.  Produkt:  Elektrolyt.  Produkt: 

Bei  ca.  210«  tritt  Gelbfär-  Gelbfärbung  bei  208^ 

bung  ein.  Schmp.  256— 257o.  Schmp.  257^ 

Bei  beiden  Körpern  zeigten  sich  unterm  Mikroskop  durch- 
aus gleichartige  Kristallaggregate. 

Nachdem  es  also  nicht  gelungen  war,  diesen  Nitrokörper 
zu  einem  Azooxykörper  zu  reduzieren,  suchte  ich  auch  die  noch 
freie  Hydroxylgruppe  zu  ätherifizieren  und  diesen  Dimethyl- 
äther  der  Reduktion  zu  unterwerfen. 

Da  ein  solcher  Dimethyläther  noch  nicht  bekannt  war, 
stellte  ich  ihn  in  folgender  Weise  dar: 

Darstellung  des  a-Nitroorcindimethyläthers. 

13,5g  a-Nitroorcinmonomethyläther  wurden  in  SOccm  Alkohol 
gelöst,  mit  einer  alkoholischen  Lösung  von  4,5  g  Ätzkali  ver- 
setzt und  das  Gemisch  abgekühlt.   Sofort  entstand  ein  Brei  von 


—    279    — 

rotgelben  Kristallen,  die  nach  einiger  Zeit  abgesaugt  wurden. 
Unterm  Mikroskop  waren  lange,  radial  angeordnete  Nadeln  zu 
sehen. 

Von  dem  so  erhaltenen  Natriumsalz  wurden  ca.  0,5  g  bei 
120^  bis  zur  Gewichtskonstanz  getrocknet.  Hievon  wurde  ein 
Teil  im  Platintiegel  mehrmals  mit  reiner  konzentrierter  Schwefel- 
säure abgeraucht  und  dann  noch  einigemale  unter  Zusatz  von 
Ammoniumnitrat  bis  zur  Gewichtskonstanz  geglüht. 

0,3084  g  Substanz  gaben  0,1100  g  NaaSO^. 

Berechnet  für  C^HgO^NNa:  Gefunden: 

Na  =11,23.  11,56. 

12,5  g  dieses  Natriumsalzes  wurden  in  Wasser  gelöst,  im 
Dunkeln  mit  einer  Lösung  von  11,7  g  Silbemitrat  in  50  ccm 
Wasser  versetzt  und  das  gefällte  Silbersal^  nach  einiger  Zeit 
möglichst  unter  Lichtabschluß  abgesaugt,  ausgewaschen  und  im 
Vakuum  getrocknet. 

Dieses  Silbersalz  bildet  eine  hellrotgelbe  Masse,  die  sich 
nach  einiger  Zeit,  besonders  in  feuchtem  Zustande,  dunkel  färbt. 
Es  wurde  scharf  getrocknet  und  staubfein  zerrieben. 

17  g  dieses  Silbersalzes  wurden  in  absolutem  Methylalkohol 
suspendiert  und  mit  9  g  frisch  destilliertem  Jodmethyl  versetzt. 

Die  sofort  eintretende  Reaktion  wurde  durch  Kühlung  ge- 
mäßigt. Die  Beaktionsflüssigkeit  wurde  noch  eine  Stunde  lang 
unter  Rückfluß  erhitzt  Dann  wurde  vom  Jodsilber  abfiltriert 
und  dieses  sowie  das  Filter  noch  zweimal  mit  je  30  ccm  abso- 
luten Methylalkohols  extrahiert  und  diese  Auszüge  mit  dem 
ersten  Filtrat  vereinigt.  Nachdem  der  größte  Teil  der  Lösung 
verdunstet  war,  kristallisierten  ungefähr  5  g  eines  braunen 
Salzes  aus,  das  nach  dreimaligem  Umkristallisieren  den  Schmelz- 
punkt 100—101«  zeigte. 

Unterm  Mikroskop   waren   lange  Prismen   zu  sehen^    Die 
Analyse  stimmte  auf  den  Dimethyläther. 
L  0,1940  g  Substanz  gaben  0,3891g  CO^  und  0,1005  g  H2O. 
IL  0,2181g  Substanz  gaben  13,8  ccm  N  bei  19<>  u.  739  mm  Druck. 
Berechnet  für  Gefunden: 

C,H,iO,N:  L  n. 

C  =54,79  54,70  — 

H=  5,62  5,74  - 

N=  7,12  —  7,19 


—    280    — 

Die  aus  der  Matterlauge  erhaltenen  Kristallisationen  wurden 
ebenfalls  zum  konstanten  Schmp.  100^  aus  Methylalkohol  ge- 
bracht und  mit  der  ersten  Portion  vereinigt. 

Beduktlon  von  a-Nltrooreindimethyläther  in  alkalischer 

Losung. 

Afl.  Kalt  gesättigte  Sodalösung. 

Kf  1.  4^2  g  Nitroorcindimethyläther  in  so  viel  S^/^iger  Natron- 
lauge, daß  Lösung  eintrat. 

Die  Versuchsbedingungen  waren  die  gleichen  wie  bei  den 
vorhergehenden  Keduktionen. 

Auch  hier  bildete  sich  während  der  Reduktion  auf  der 
Oberfläche  der  Kfl.  eine  rote  Haut,  die  sich  immer  mehr  ver- 
stärkte. 

Es  war  also  hier  ebenfalls  kein  Azooxykörper,  sondern  ein 
Amin  entstanden,  das  zur  Bildung  des  roten  Phenoxazinkörpers 
Anlaß  gegeben  hatte. 

Nach  dem  Stehen  über  Nacht  war  die  Kfl.  mit  roten  Flocken 
erfüllt,  die  abfiltriert  und  aus  Alkohol  umkristallisiert  wurden. 

Sie  zeigten  genau  die  gleiche  Eristallform  und  den  Schmp. 
252  bis  253^  wie  der  ans  dem  Monomethyläther  erhaltene  Phenox- 
azinkörper. 

Mit  dem  neu  gebildeten  Körper  wurden  nun  die  gleichen 
Identitätsreaktioneu  wie  vorher  durchgeführt: 

1.  Er  gab  mit  konzentrierter  Salzsäure  ein  blaues  Hydro- 
chlorat,  das  in  lanzettförmigen  Blättchen  kristallisierte. 

2.  Beim  Kochen  mit  Essigsäureanhydrid  bildete  sich  das 
das  schwer  lösliche  Azetylderivat,  das  auf  Ton  getrocknet,  bei 
25V  schmolz. 

8.  Mit  Salzsäure  und  Natriumnitrit  trat  eine  dunkelblaue 
Färbung  auf,  die  unter  Abscheidung  eines  braunen  Körpers 
verschwand. 

4.  Mit  konzentrierter  Salpetersäure  wurde  eine  rote  Färbung 
erhalten,  die  beim  Verdünnen  mit  Wasser  verschwand. 

Der  durch  elektrolytische  Reduktion  und  Luftoxydation  des 
a-Nitroorcindimethyläthers  in  alkalischer  Lösung  gewonnene 
Körper  ist  also  völlig  identisch  mit  dem  Phenoxazinkörper  ans 
dem  a-Nitroorcinmonometbyläther. 


~    281    - 

Demnach  scheint  also  bei  der  Elektrolyse  eine  OCH,-Gruppe 
abgespalten  und  durch  die  OH-Gruppe  ersetzt  worden  zu  sein. 

Eine  bemerkenswerte  Reaktion,  die  aber  noch  nicht  näher 
studiert  worden  ist,  wurde  bei  dem  Phenoxazinkörper  beob- 
achtet. Wenn  man  ihn  in  einem  ßohre  ausbreitete  und  Dämpfe 
von  salpetriger  Säure  darüber  leitete,  ;so  wurde  er  feucht,  und 
sublimierte  unter  Entwicklung  von  Gasblasen  im  Rohre  fort. 
Das  Rohr  wurde  auf  ein  kleines  Eölbchen  mit  wenig  siedendem 
Alkohol  aufgesetzt.  Durch  die  sich  kondensierenden  Dämpfe 
wurde  das  Reaktionsprodukt  herabgespült.  Es  löste  sich  in 
Alkohol  vollständig  auf,  und  nach  dem  Eindampfen  erhielt  man 
ein  schwarzes  glänzendes  Produkt,  das  sich  in  konzentrierter 
Schwefelsäure  mit  dunkelvioletter  Farbe  und  in  Wasser  mit 
karminroter  Farbe  löste. 

ni. 

Die  Elektrolyse  der  Kaliumsalze  der  Glutakonsäure, 
der  Citra-,  Ita-  und  Mesakonsäure. 

Im  Jahre  1849  stellte  Kolbe^)  durch  Elektrolyse  von  essig- 
saurem Natrium  Äthan  dar.  Damit  war  der  Anstoß  zu  einer 
großen  Reihe  von  Untersuchungen  auf  diesem  Gebiete  gegeben. 

1864  veröffentlichte  KekuI6^)  seine  Resultate  über  die 
Elektrolyse  von  zweibasischen  organischen  Säuren,  worunter 
auch  die  Bildung  von  Azetylen  bei  der  Zersetzung  derMalein- 
und  Fumarsäure  konstatiert  war.  Eekule  erwähnte  noch: 
„Aus  der  mit  Fumarsäure  homologen  Itakonsäure  habe  ich  bis 
jetzt  kein  dem  Azetylen  ähnliches  Gas  (AUylen)  erhalten  können.^ 

Dagegen  zeigte  1872  Aarland^)  bei  der  Elektrolyse  von 
Itakonsäure,  daß  er  einen  Kohlenwasserstoff  erhalten  habe,  den 
er  als  AUylen  charakterisiert  hätte.  Aarland  ging  bei  der 
Elektrolyse  der  drei  isomeren  Säuren:  Citrakon-,  Itakon-  und 
Mesakonsäure  darauf  aus,  drei  isomere  Allylene  darzustellen. 

Er  führte  nun  in  seiner  Arbeit  aus,  daß  er  bei  Citrakon- 
säure  ein  AUylen  mit  einem  gegen  Metall  austauschbaren  Wasser- 
stoffatom und  Kohlensäure  erhalten  habe.    Bei  Itakonsäure  sei 


0  Ann.  69,  261. 
«)  Ann.  131,  79. 
•)  J.  prakt.  Chem.  6,  256:  7,  146, 


—    282    — 

Ällylen  und  Kohlensäure  entstanden.  Das  Allylen  sei  jedoch 
von  ammoniakalischer  Silberlösung  nicht  gefällt  worden,  dagegen 
sei  es  von  Brom  absorbiert  worden.  Mesakonsäure  gebe  Allylen, 
das  durch  ammoniakalische  Silberlösung  gefällt  werde,  und 
Eohlensäare. 

Alle  drei  Allylene  seien  jedoch  verschieden  gewesen. 

Dagegen  konstatierte  B6hal^),  daß  bei  der  Elektrolyse 
von  Itakonsäure  nur  sehr  geringe  Mengen  eines  Kohlenwasser- 
stoffes sich  bildeten,  und  daß  dieses  Gas  unrein  sei. 

Er  bezweifelte  überhaupt  die  Existenz  eines  Kohlenwasser- 
stoffes von  der  Struktur:  CHj  =  C  =  CHg  und  behauptete,  es 
sei  unmöglich,  aus  der  Itakonsäure  ein  Allylen  von  der  obigen 
Struktur  zu  erhalten. 

Theoretisch  war  es  allerdings  möglich,  daß  derartige  Zer- 
setzungen stattfinden  konnten,  da  am  — Pol  das  Metall  abge- 
schiedenwurde, am+Pol  die  Abspaltung  von  Kohlensäure  erfolgte, 

Gitrakonsaures  Kalium: 


CH3 



CH3 

1 

C  -  :C00 

K 

—   C       +  2C( 

II     :::::: 

CH— iCOO 

K 

ÜH 

Allylen. 

iires  Kaliam: 

4- 

— 

CH, 

II         

c  —    coc 

1  K 

=   C     +2C0j 

1     .::.:::. 

CHj-  coc 

>K 

CH, 
Allen. 

Mesakonsanres  Kaliam: 


E 


+ 

CH3 

1 

cöö! 



1 

c 

H 

— 

iL 

;cöö 

CH, 

I 
=   C      +  2  CO, 

K        Ih 
Allylen. 


')  Ann.  de  Ghem.  et  de  Pbys.  1889,  367. 


—    283    - 

Da  mir  nun  die  Aufgabe  gestellt  war,  die  jenen  Sänren 
isomere  Glntakonsäure  auf  ihre  elektrolytische  Zersetzung  in 
konzentrierter  Lösung  zu  prüfen,  so  unterwarf  ich  auch  noch 
unter  analogen  Bedingungen  die  Gitra-,  Mesa-  und  Itakonsäure 
der  elektrolytischen  Zersetzung. 

Bei  der  Elektrolyse  wandte  ich  den  Kunstgriff  an,  den 
Cr  um  Brown  und  Walker^)  in  bezug  auf  die  Stromdichte 
an  der  Anode  benutzt  hatten.  Diese  Forscher  hatten  als  Anode, 
an  der  ja  die  Zersetzung,  bezw.  die  Bildung  des  Kohlenwasser- 
stoffes stattfand,  einen  Platindraht  von  nur  geringer  Oberfläche 
benutzt  und  damit  eine  sehr  große  Stromdichte  erzielt. 

Ich  fahrte  die  Elektrolysen  in  einem  Apparate  aus,  der  im 
Prinzip  dem  nachgebildet  ist,  den  Elbs  in  seinem  Werke: 
Übungsbeispiele  für  die  elektrolytische  Darstellung  chemischer 
Präparate,  S.  54  beschreibt. 

Der  Apparat  bestand  aus  dem  hohen  Glase  A,  das  durch 
den  Oummistopfen  B  verschlossen  war.  Durch  die  Mitte  ging 
das  Glasrohr  C,  das  sich  unten  zur  Glocke  D  erweiterte.  Über 
dem  Gummistopfen  war  das  Gasableitungsrohr  E  angesetzt. 
Durch  das  Glasrohr  C  ging  die  Glasfiihrung  der  Platindraht- 
anode F,  die  unten  mit  dem  Glase  verschmolzen  und  weiter 
oben  an  den  Zuleitungsdraht  G  angelötet  war.  Diese  Glasftthrung 
schloß  durch  die  Gummidichtung  H  den  Anodenraum  ab. 

Durch  den  Gummistopfen  ging  noch  das  Bohr  J  in  den 
Kathodenraum,  um  den  entwickelten  Wasserstoff  entweichen 
zu  lassen. 

Die  Kathode  K  war  ein  Nickeldrahtnetz.  Die  ganze  An- 
ordnung stand  in  dem  Glastrog  L,  der  fortwährend  von  Kühl- 
wasser durchströmt  war. 

Das  Gasableitungsrohr  E  führte  direkt  zu  einem  Azotometer, 
das  entweder  mit  Wasser  oder  irgend  einer  Absorptionsflüssig- 
keit gefüllt  war. 

Durch  den  oberen  Hahn  konnte  bequem  jede  Gasmenge  zur 
Analyse  entnommen  werden. 

Der  Verlauf  der  sämtlichen  Elektrolysen  wurde  gasanalytisch 
verfolgt.  Die  Analysen  wurden  mit  Hempelschen  Büretten 
durchgefühii,  die  mit  Kalilauge,  alkalischer  Pyrogallollösung 
und  ammoniakalischer  Kupferchlorürlösnng  gefüllt  waren. 

*)  Ann.  861,  107. 


—    284    - 

Die  Stromstärke  bei  den  Elektrolysen  betrag  durchschnitt- 
lich 3  Amp.  Es  wurde  darauf  geachtet,  daß  die  Elektrolysier- 
flttssigkeit  stark  alkalisch  blieb,  weshalb  von  Zeit  zu  Zeit  festes 
Ealiumkarbonat  zugegeben  wurde.  Die  besten  Resultate  wurden 
im  allgemeinen  mit  hohen  Stromdichten  erhalten. 

A.  Elektrolyse  der  Glntakonsäure. 

Schon  früher  hatte  Herr  Thomas  im  hiesigen  Institute  in 
einem  ähnlichen  Apparate  glutakonsaures  Kalium  elektrolysiert 
und  dabei  ein  Gas  bekommen,  das  in  ammoniakalischer  Silber- 
lösung einen  explosiveren  Niederschlag  erzeugte  als  das  Anoden- 
gas der  Citrakonsäure.  Ich  übernahm  diese  Arbeit  und  führte 
sie  in  folgendem  aus. 

13  g  Glntakonsäure  wurden  auf  dem  Wasserbad  in  20  ccm 
Wasser  gelöst  und  18  g  Ealiumkarbonat  in  10  ccm  Wasser  zu- 
gegeben. 

Hieraus  wurde  jedoch  nur  ein  Geroenge  von  Kohlensäure, 
Kohlenoxyd,  Sauerstoff  und  Wasser  erhalten. 

Die  Konzentration  wurde  daher  verstärkt  und  noch  6,5  g 
Glntakonsäure  und  10  g  Kaliumkarbonat  in  10  ccm  Wasser  zu- 
gegeben. 

Während  der  ganzen  Dauer  der  Elektrolyse  wurde  in  den 
Kathodenraum  Kohlensäure  eingeleitet,  um  das  frei  werdende 
Kalium  zu  binden. 

Das  Anodengas  wurde  in  Portionen  von  je  100  ccm  auf- 
gefangen und  analysiert. 


Nr. 

'lo  CO, 

^0 

Vo  Rest 

1 

34,8 

46,4 

18,8 

2 

52,0 

34,4 

13,6 

3 

40,4 

40,0 

19,6 

4 

56,0 

32,0 

12,0 

5 

71,8 

18,1 

10,1 

Der  Kohlensäuregehalt  ist  natürlich  sehr  schwankend,  da 
das  überschüssige  freie  Alkali  einen  Teil  der  Kohlensäure  als 
Bikarbonat  bindet. 

Der  unter  der  Rubrik  „Rest"  von  1  und  2  gesammelte 
Kohlenwasserstoff  brannte  mit  leuchtender  rußender  Flamme. 
Von  21,1  ccm  wurden  16,8  ccm  in  der  ammoniakalischen  Kupfer- 


Fig.  7. 


-    287    — 

cblorfirlösung  unter  Bildung  eines  rotbraunen  Niederschlages 
absorbiert.  Der  Rest  brannte  mit  blaßblauer  Flamme,  war  also 
Wassei*stoff.  Sein  Vorkommen  ist  wahrscheinlich  dadurch  zu 
erklären,  daß  bei  den  Niveauschwankungen  im  Anoden-  und 
Eathodenraum  Wasserstoffbläschen  von  der  Kathode  weg  in 
den  Baum  der  Glocke  gesaugt  wurden  und  sich  so  dem  Anoden- 
gase beimengten. 

3^  4  und  5  brannten  ebenfalls  mit  leuchtender  Flamme. 
Von  ammoniakalischer  Kupferchlorttrlösung  wurden  von  20,4  ccm 
Gas  15,3  ccm  absorbiert  unter  Bildung  eines  rotbraunen  Nieder- 
schlags. Der  Rest  brannte  ebenfalls  mit  blaßblauer  Flamme, 
also  auch  hier  Wasserstofi. 

Ffir  die  weiteren  Eupferfällungen  wurde  die  Kuprolösung 
von  Nagy-Ilosva^)  verwendet^  um  das  unangenehme  Arbeiten 
mit  der  ammoniakalischen  Eupferchlorürlösnng  zu  umgehen :  1  g 
kristallisiertes  Kupfersulfat  wurde  in  einem  50  ccm  Kölbchen 
in  wenig  Wasser  gelöst,  4  ccm  20  ^/^  Ammoniak  zugegeben  und 
3  g  Hydroxylaminchlorhydrat  zugeffigt. 

Dann  wurde  tüchtig  durchgeschüttelt  und  mit  Wasser  auf 
50  ccm  aufgefttUt. 

In  dieser  Lösung  gab  das  von  Kohlensäure  befreite  Anoden- 
gas zuerst  eine  rosenrote  Färbung,  dann  eine  prächtige^  dunkel- 
karminrote Fällung. 

Es  wurde  nun  eine  größere  Menge  des  Niederschlags  dar- 
gestellt, um  daraus  durch  Zersetzung  den  Kohlenwasserstoff 
möglichst  rein  zu  gewinnen. 

Femer  wurde  nach  der  Vorschrift  von  Gattermann''')  aus 
Natriumalkoholat  und  Äthylenbromid  Azetylen  dargestellt,  das 
in  einem  mit  gesättigter  Kochsalzlösung  gefüllten  Gasometer 
aufbewahrt  wurde.  Dieses  Azetylen  gab  den  gleichen  Nieder- 
schlag wie  das  Anodengas. 

Inzwischen  wurden  der  Elektrolysierflüssigkeit  5  ccm  ent- 
nommen, angesäuert  und  5  mal  mit  je  40  ccm  Äther  ausgeäthert 

Die  Auszüge  wurden  mit  Chlorkalzium  getrocknet  und  dann 
der  Äther  abdestilliert.  Der  Rückstand  wurde  aus  Alkohol  um- 
kristallisiert und  zeigte  unterm  Mikroskop  die  gleiche  einheit- 


0  Berichte  32,  2697. 
«)  Ann.  178,  111. 


-    288    - 

liehe  Xristallform  —  zn  sternförmigen  Aggregaten   vereinigte 
Prismen  —  wie  frisch  umkristallisierte  Glutakonsäure. 

Ebenso  waren  die  Schmelzpunkte  übereinstimmend,  beide 
waren  bei  130—131«. 

Später  schied  sich  ziemlich  viel  Bikarbonat  ans,  das  ab- 
flltriert  wurde.  Dabei  wurde  die  ganze  Elektrolysierflüssigkeit 
mit  je  50  ccm  4  mal  ausgeäthert,  um  etwaige  Polymerisations- 
produkte des  gebildeten  Kohlenwasserstoffs  zu  bekommen.  Der 
ätherische  Auszug  wurde  nach  dem  Trocknen  mit  Kalziumchlorid 
abdestilliert,  wobei  jedoch  kein  Rflckstand  blieb. 

Es  wurde  auch  noch  untersucht,  ob  sich  keine  Essigsäure 
und  damit  Äthan  gebildet  habe.  Das  von  Kohlensäure  befreite 
Anodengas  wurde  mit  Pyrogallol  und  Kuprolösung  behandelt, 
der  Rest  brannte  jedoch  mit  blaßblauer  Flamme,  also  kein 
Äthan.  Somit  hat  bei  der  Elektrolyse  keine  Essigsäurebildung 
stattgefunden. 

Es  wurde  nun  ein  Teil  des  Kupferniederschlags,  der  durch 
Einleiten  von  Anodengas  in  Kuprolösung  entstanden  war,  durch 
mehrmaliges  Dekantieren  bis  zum  Verschwinden  der  Chlorreaktion 
gereinigt. 

Ebenso  wurde  mit  chemisch  dargestelltem  Azetylen  in  Kupro- 
lösung ein  Niederschlag  erzeugt  und  in  gleicher  Weise  gereinigt. 

Die  beiden  Kupferverbindungen  wurden  nebeneinander  in 
folgender  Weise  analysiert: 

Der  Niederschlag  wurde  in  gewogene  Filtrierröhren  ein- 
filtriert, mehrmals  durchgewaschen,  das  Wasser  zuletzt  durch 
Alkohol  ersetzt,  dieser  schließlich  durch  Äther  verdrängt,  und 
dann  wurde  bei  60®  bis  zur  Gewichtskonstanz  getrocknet. 

Hierauf  wurde  gewogen,  die  Kupferverbindung  mit  Salpeter- 
säure zersetzt  und  samt  dem  Asbest  aus  dem  Böhrchen  in  ein 
Becherglas  gespült.  Dann  wurde  auf  dem  Wasserbad  eine  Stunde 
erwärmt,  um  allen  Kohlenwasserstoff  wegzutreiben  und  schließ- 
lich filtriert.  In  dieser  salpetersauren  Lösung  wurde  das  Kupfer 
dann  elektrolytisch  bestimmt. 

A.  Kupferverbindung  aus  dem  Anodengas: 

I.  0,0580  g  Substanz  gaben  0,0391  g  Cu, 
n.  0,0901  g  Substanz  gaben  0,0609  g  Cu; 

B.  Azetylenkupfer: 

III.  0,0828  g  Substanz  gaben  0,0560  g  Cu. 


-    289    -^ 

Gefunden.' 

I.      n.      m. 

Ca- Verbindung  des  Anodengases  Cu  =  67,42    67,59       — 
Azetylenkupfer  Cu=   —         —        67,63 

Aus  dem  durch  Einleiten  des  Anodengases  in  Euprolösung 
erhaltenen  Niederschlage  wurde  nun  in  folgender  Weise  der 
reine  Kohlenwasserstoff  dargestellt: 

Ein  Eölbchen  mit  dreifach  durchbohrtem  Stopfen  stand  mit 
einem  Eohlensäureapparat,  der  luftfreie  Kohlensäure  lieferte, 
in  Verbindung.  Durch  die  zweite  Bohrung  ging  ein  Tropf  trieb  ter, 
und  in  der  dritten  Bohrung  saß  ein  Gasableitungsrohr,  das  zu 
einem  Azotometer  führte.  In  das  Kölbchen  wurde  nun  die 
Kupferverbindung  gebracht,  und  das  Azotometer  wurde  mit  50  ^/o 
Kalilauge  gefüllt.  Nachdem  dann  wie  bei  einer  N-Bestimmung 
sämtliche  Luft  aus  dem  Apparate  durch  Kohlensäure  verdrängt 
war^  warde  durch  den  Tropftrichter  langsam  Salzsäure  ein- 
getropft und  dadurch  die  Verbindung  zersetzt.  Hatte  sich  eine 
klare  Lösung  gebildet,  so  wurde  schließlich  noch  erwärmt  und 
durch  einen  weiteren  Kohlensäurestrom  alles  Gas  in  das  Azoto- 
meter getrieben.  Dieser  Apparat  wurde  später  auch  zu  quanti- 
tativen Bestimmungen  benutzt. 

Im  gleichen  Apparate  wurde  unter  gleichen  Bedingungen 
Azetylenkupfer  zersetzt  und  dadurch  sehr  reines  Azetylen  dar- 
gestellt. 

Mit  jedem  dieser  beiden  Gasvolumen  wurde  in  frisch  be- 
reiteter Kuprolösung  ein  Niederschlag  dargestellt,  der  in  je 
zwei  Hälften  geteilt  wurde. 

Mit  der  einen  wurde  eine  Kupferbestimmung  durchgeführt, 
die  andere  Hälfte  wurde  abgesaugt,  im  Vakuumexsikkator  ge- 
trocknet und  der  Azetylengehalt  im  obigen  Apparate  bestimmt. 

A.  Kupferverbindung  aus  dem  Anodengas: 

I.  0,9237  g  Substanz  gaben  0,6248  g  Cu; 

B.  Azetylenkupfer: 

II.  0,7493  g  Substanz  gaben  0,5064  g  Cu. 

Gefunden : 
I.  II. 

Cu- Verbindung  des  Anodengases  Cu  =  67,64  — 

Azetylenkupfer  Cu  =    —         67,58 

Sitaan^iberlohte  der  phyi.-inad.  So».  89  (1907).  19 


—    290     - 

Bestimmung  der  Gasmengen  aus  den  getrockneten  Kupfer- 
verbindungen : 

A.  Kupferverbindung  aus  dem  Anodengas: 

I.  0,2436  g  Substanz  gaben  20,8  ccm  Gas  bei  22»  u.  741  mm  Druck. 

B.  Azetylenkupfer: 

II.  0,1648  g  Substanz  gaben  14,1  ccm  Gas  bei  21^  u.  741  mm  Druck. 

Gefunden : 

I.  IL 

Cu- Verbindung  des  Anodengases;   Gas  =8,93        — 

Azetylenkupfer:    C^H^=  —        8,97 

Die  letzten  Analysen  sowie  die  sonstigen  Reaktionen  be- 
weisen also,  daß  der  bei  der  Elektrolyse  von  Glutakonsäure 
gebildete  Kohlenwasserstoff  vollständig  identisch  ist  mit 

Azetylen. 

Nachdem  die  Elektrolysiei^flüssigkeit  einige  Tage  lang  fort- 
während unter  Strom  gestanden  war,  wurde  sie  dünnflüssig  and 
farblos.  Eine  vorgenommene  Analyse  zeigte  einen  Sauerstoff- 
gehalt von  fast  100  ®/o. 

Die  Lösung  wurde  nun  sofort  mehrmals  ausgeäthert,  der 
Äther  getrocknet  und  abdestilliert.  Es  blieb  nicht  der  geringste 
Rückstand. 

Hierauf  wurde  stark  angesäuert  und  nochmals  ansgeäthert 
Die  Auszüge  hinterließen  nach  dem  Trocknen  und  Abdestillieren 
nur  einen  ganz  minimalen  Rückstand. 

Der  salzsaure  Rückstand  wurde  am  Wasserbad  zur  Trockne 
verdampft.  Die  zurückbleibende  Kristallmasse  erwies  sich  als 
rein  anorganisch. 

Die  Glutakonsäure  ist  also  vollständig  zersetzt  worden. 

B.  Elektrolyse  der  Citrakonsftare. 

26  g  Citrakonsäure  wurden  in  25  ccm  Wasser  gelöst,  sodann 
allmählich  32  g  Kaliumkarbonat  zugegeben.  Es  bildete  sich 
zunächst  das  anscheinend  schwer  lösliche  saure  Kaliumsalz,  das 
sich  bei  weiterem  Zusatz  von  Karbonat  wieder  auflöste.  Dann 
wurden  noch  8  g  Kalinmkarbonat  zugefügt  und  die  Lösung  am 
Wasserbad  auf  ^0  ccm  eingedampft. 

Das  entweichende  Anodengas  wurde  ebenfalls  in  Mengen 
von  je  100  ccra  aufgefangen  und  analysiert. 


—    291    — 


Nr. 

°/o  CO, 

•/oO 

Vo  Rest 

Nr. 

Vo  CO. 

^0 

«/.  Rest 

1 

27,8 

12,8 

59,4 

6 

47,2 

13,5 

39,3 

2 

27,6 

14,0 

58,4 

7 

56,6 

8,1 

35,3 

3 

3S,4 

11,0 

55,6 

8 

55,2 

8.0 

36,8 

4 

29.2 

13,6 

57,2 

9 

57,8 

7^ 

35,0 

0 

43,2 

.      10,4 

46,4 

10 

58,6 

7,8 

33,6 

Mit  den  anter  „Rest^  gesammelten  Gasen  wurden  folgende 
Untei-snchnngen  durchgeführt: 

1.  Es  brannte  mit  hell  leuchtender  rußender  Flamme. 

2.  Es  erzeugte  nach  Kutsch  er  off  beim  Einleiten  in  al- 
kalische Lösung  von  Quecksilberjodid  in  Jodkalium  einen  flockigen 
Niederschlag,  der  aus  Alkohol  in  langen  glänzenden  Nadeln  von 
knoblauchartigem  Geruch  kristallisierte. 

3.  Beim  Einleiten  in  Sublimatlösung  entstand  ein  dichter 
Niederschlag,  der  sich  beim  Erhitzen  zusammenballte. 

4.  Von  Enprolösung  wurde  das  Gas  fast  vollständig  unter 
Bildung  eines  gelben  Niederschlags  absorbiert.  Von  40,4  ccm 
wurden  38,6  ccm  absorbiert.  Der  Rest  brannte  mit  blaßblauer 
Flamme,  also  Wasserstoff.  Sein  Auftreten  wird  auf  dieselbe 
Weise  wie  bei  der  Glutakonsäure  zu  erklären  sein. 

Nachdem  duixh  diese  Untersuchungen  der  an  der  Anode 
entstehende  Kohlenwasserstoff  als  AUylen  identifiziert  war,  wurde 
weiter  elektrolysiert  und  das  Anodengas  durch  Brom  geleitet, 
bis  dieses  fast  entfärbt  war.  Das  überschüssige  Brom  wurde 
mit  Soda  weggenommen  und  die  Lösung  mehrmals  ausgeäthert. 
Hiebei  machte  sich  eine  stark  reizende  Wirkung  der  Dämpfe 
auf  die  Augenschleimhaut  bemerkbar,  wie  dies  schon  Oppen- 
heim*) erwähnt  hat. 

Die  ätherische  Lösung  wurde  mit  Kalzinmchlorid  getrocknet 
und  abdestilliert,  wobei  ein  schwach  gelbgefärbtes  Öl  zurück- 
blieb. Das  Bromid  wurde  der  fraktionierten  Destillation  im 
Vakuum  unterworfen.  Nach  Oppenheim  soll  das  Tetrabromid 
bei  10  mm  Druck  zwischen  110  und  130^  übergehen. 

Es  gingen  auch  hier  bei  10  mm  Druck  bis  zu  115®  nur  ge- 
ringe Mengen,  zwischen  116  und  119®  die  Hauptmenge  über. 

Das  Bromid  war  eine  farblose,  ölige  Flüssigkeit  von  deut- 
lich kampherartigem  Geruch. 


*)  Ann.  132,  124. 


19* 


—    292    — 

Die  Analyse  stimmte  auf  ein  Tetrabromid. 
0,3775  g  Substanz  gaben  0,7849  g  AgBr. 

Berechnet  für  CsH^Br^:  Gefunden: 

Er  88,89.  88,48. 

C.  Elektrolyse  der  Mesakonsäure. 

26  g  Mesakonsäure  wurden  mit  15  ccm  Wasser  übergössen 
und  zu  diesem  Brei  allmählich  32  g  Kaliumkarbonat  zugegeben. 
Bei  weiterem  Zusatz  von  15  ccm  Wasser  löste  sich  alles  beim 
Erwärmen  am  Wasserbad.  Sodann  wurden  noch  8  g  Kalium- 
karbonat zugegeben.  Beim  Abkühlen  schied  sich  mesakonsanres 
Kalium  aus,  so  daß  also  die  Lösung  ihre  Höchstkonzentration  er- 
reicht hatte. 

Um  Vergleiche  anstellen  zu  können^  wurde  die  gleiche 
Apparatur  zur  Elektrolyse  von  Citrakonsäure  aufgestellt  und 
nach  Bedarf  in  Betrieb  gesetzt. 

Auch  hier  wurde  das  Anodengas  in  Portionen  von  je  100  ccm 
aufgefangen  und  analysiert. 


Nr. 

Vo  CO. 

^0 

•/o  Rest 

1 

36,4 

14,5 

49,1 

2 

46.8 

19,2 

34,0 

3 

47.6 

20,4 

32,0 

4 

47,4 

20,6 

32,0 

5 

47,2 

20,4 

32,4 

6 

49,0 

18,9 

32.1 

Zur  Vergleichung  wurden  ebenfalls  die  unter  „Rest"  ver- 
zeichneten Volumina  den  folgenden  Reaktionen  unterworfen: 

1.  Der  Kohlenwasserstoff  brannte  mit  hell  leuchtender,  rußen- 
der Flamme  und  hatte  den  typischen  Geruch  des  Allylens. 

2.  Von  15,0  ccm  wurden  in  der  Kuprolösung  14,4  ccm  unter 
kanariengelber  Fällung  absorbiert,  der  Rest  brannte  mit  bläu- 
licher kaum  sichtbarer  Flamme,  also  Wasserstoff.  Sein  Auf- 
treten ist  wie  bei  der  Glutakonsäure  zu  erklären. 

3.  In  alkalischer  Quecksilberjodidjodkaliumlösung  entstand 
ein  flockiger  Niederschlag,  der  aus  Alkohol  in  langen  glänzenden 
Nadeln  kam,  die  denselben  unangenehmen  Geruch  wie  der  mit 
dem  Anodengas  der  Citrakonsäure  erzeugte  Niederschlag  hatten. 


-    293    — 

Die  Eapferverbindang  ist  sehr  voluminös  und  verglimmt  in 
trockenem  Zustande  lebhaft  beim  Erhitzen.  Sie  wurde  in  ana- 
loger Weise  wie  beim  Azetylenkupfer  analysiert. 

Zugleich  wurde  mit  dem  Allylen  aus  der  Citrakonsäure  die 
Eupferverbindung  dargestellt  und  die  Analysen  nebeneinander 
ausgeffihrt. 

A.  Eupferverbindung  aus  dem  Anodengas  der  Mesakonsäure: 

I.  0,0729  g  Substanz  gaben  0,0457  g  Cu, 
n.  0,0531  g  Substanz  gaben  0,0331  g  Cu; 

B.  Eupferverbindung  aus  Allylen: 

ni.  0,1532  g  Substanz  gaben  0,0954  g  Cu, 
IV.  0,0868  g  Substanz  gaben  0,0543  g  Cu. 
Gefunden : 

I.  IL  ni.  IV. 

Eupferverbindung  aus 

Mesakonsäure  Cu  =  62,60       62,34  —  — 

Allylenkupfer  Cu=f    —  —         62,27        62,56. 

Das  weiterhin  dargestellte  Anodengas  wurde  in  Brom  ge- 
leitet, bis  dieses  entfärbt  war.  Dann  wurde  das  gebildete  Bromid 
genau  so  weiter  behandelt  wie  bei  der  Citrakonsäure.  Auch  hier 
machte  sich  der  die  Augen  reizende  Geruch  bemerkbar. 

Bei  der  fraktionierten  Destillation  im  Vakuum  ging  bei 
10  mm  Druck  und  zwischen  110  und  120®  die  Hauptmenge  des 
Bromids  über.  Es  wurde  nochmals  fraktioniert  und  diesmal  bei 
10  mm  Dnick  die  zwischen  117  und  119®  übergehende  Fraktion 
aufgefangen.  Die  Analyse  stimmte  auf  ein  Tetrabromid. 
0,5559  g  Substanz  gaben  1,1580  g  AgBr. 
Berechnet  für  Gefunden: 

CsH.Br,: 

Br  =  88,89  88,64. 

Durch  die  vorstehenden  Analysen  ist  die  Identität  der  Eupfer- 
und  Bromverbindungen  sowie  der  Gase,  welche  diese  Ver- 
bindungen erzeugten,  nachgewiesen. 

D.  Elektrolyse  der  Itakonsänre. 

26  g  Itakonsäure  wurden  in  25  ccm  Wasser  gelöst  und  in 
kleinen  Portionen  in  eine  Lösung  von  32  g  Ealiumkarbonat  in 
25  g  Wasser  gegeben.    Sodann  wurden  der  hellgelben  Lösung 


-    294    - 

noch  8  g  Ealiumkarbonat  zngefttgt  und  das  Ganze  filtriert.  Von 
dem  entweichenden  Kathodengas  wurden  wie  bei  den  vorher- 
gehenden Analysen  je  100  ccm  aufgefangen  und  elektrolysiert 


Nr. 

Vo  CX). 

•/oO 

•/p  Reet 

1 

2ö^ 

51,0 

19,8 

2 

32,8 

56,0 

11^ 

3 

27,4 

49,2 

23,4 

4 

27,4 

48,0 

24,6 

5 

26,4 

49,6 

24,0 

Der  von  1—5  gesammelte  „Rest"  brannte  mit  nicht  leuch- 
tender^  blauer  Flamme  und  wurde  von  Kuprolösung  ohne  Nieder- 
schlag zum  größten  Teil  absorbiert.  Der  Rest  brannte  mit 
schwach  bläulicher  Flamme,  also  Wasserstoff. 

Für  die  folgende  Elektrolyse  wurde  eine  stärkere  Konzen- 
tration gewählt.  Es  wurden  noch  40  g  Kaliumkarbonat  und 
26  g  Itakonsäure  zugegeben. 

Als  Reaktionen  auf  etwa  gebildetes  AUylen  wurden  die 
charakteristischen  Fällungen  in  alkalischer  Merkurijodidjodkalium- 
iGsung  und  Kuprolösung  benutzt 


Nr. 

Vo  CO, 

•/oO 

•/.  Kest 

6 

73,4 

22,1 

4,5 

7 

623 

31,0 

6^ 

8 

56,6 

L      34,8 

8,6 

9 

52,0 

^      35,8 

12,2 

10 

50,0 

32,8 

17,2 

11 

45,4 

27,4 

27,2 

12 

41,0 

22,4 

36,6 

Der  von  6 — 12  gesammelte  „Rest"  brannte  mit  sehr  schwach 
leuchtender  Flamme.  Von  Kuprolösung  wurden  von  81  ccm 
unter  Bildung  eines  minimalen  gelben  Niederschlags  62  ccm  ab- 
sorbiert. Der  Rest  brannte  mit  blaßblauer  Flamme.  Das  Gas 
bestand  also  aus  einer  Spur  Allylen,  Kohlenoxyd  und  Wassei-stoff 

Die  Bildung  desAlIylens  ist  nach  Aarland^)  in  der  Weise 
zu  erklären,  daß  sich  etwas  Itakonsäure  durch  die  Einwirkung 
des  Stromes  in  Citrakonsäure  umgelagert  hatte,  die  dann,  eben- 
falls elektrolysiert,  Allylen  bildete. 

^)  J.  prakt.  Chem.  6,  267. 


295 


Um  nun  zu  konstatieren,  ob  bereits  eine  Umlagerung  statt- 
gelinden  hätte,  wurden  5  ccm  der  bereits  elektrolysierten  Lösung 
mit  Salzsäure  angesäuert,  mehrmals  ausgeäthert,  der  Auszug 
getrocknet  und  abdestilliert.  Der  Rückstand  wurde  mit  Benzol 
extrahiert  und  ergab  nur  eine  ganz  geringe  Menge  von  recht- 
eckigen Prismen,  während  Citrakoqsäure  aus  Benzol  in  lanzett- 
förmigen Blättchen  kristallisierte. 

Der  Bückstand  wurde  nun  aus  Alkohol  umkristallisiert  und 
ergab  durchaus  gleichartige  rechteckige  Prismen. 

Der  gleiche  Versuch  wurde  mit  5  ccm  noch  nicht  elektro- 
lysierter  Flüssigkeit  durchgeführt.  Hier  ergab  der  Benzolauszug 
die  gleiche  minimale  Kristallmenge  von  derselben  Form  wie 
vorher,  und  ebenso  war  die  Kristallform  des  Rückstandes  aus 
Alkohol  vollständig  identisch  mit  der  des  vorhergehenden  Rück- 
standes. 

Somit  ist  nachgewiesen,  daß  durch  den  Alkalizusatz  allein 
keine  Umlagerung  stattgefunden  hatte.  Ebenso  war  noch  keine 
Umlagerung  während  der  Elektrolyse  eingetreten. 


Nr. 

*^/o  CO, 

^0   0 

'U  Rest  1 

Nr. 

°/o  CO, 

^0 

%  Rest 

13 

43,0 

38,2 

18,8 

21 

52,0 

29,2 

18,8 

14 

40,6 

40,2 

19,2 

22 

31,0 

39,0 

30,0 

15 

45,2 

36.8 

18,0 

23 

32,4 

37,6 

30,0 

16 

45,0 

36,2 

18,8 

24 

43,8 

29,8 

26,4 

17 

48,0 

34,6 

17,4 

25 

44,6 

29,2 

26,2 

18 

46,8 

35,6 

17,6 

26 

44,4 

28,6 

27,0 

19 

51,4 

30,4 

18,2 

27 

51,2 

20,8 

28,0 

20 

50,8 

30,0 

19,2 

Zwischen  21  und  22  wurden  der  Elektrolysierflüssigkeit 
4  ccm  entnommen  und  in  der  gleichen  Weise  wie  vorher  geprüft. 
Es  ergaben   sich   jedoch  nur    einheitliche  Itakonsäurekristalle. 

13  ergab  ein  Gas,  das  mit  schwach  leuchtender  Flamme 
brannte.  Um  nun  das  Allylen  von  eventuell  gebildetem  Allen 
zu  trennen,  wurde  bei  den  15  obigen  Analysen  das  unter  „Rest" 
stehende  Gas  noch  in  die  Kuprolösung  gegeben,  wo  es  jedesmal 
bis  auf  2 — 3  ccm  unter  Bildung  eines  minimalen  gelben  Nieder- 
schlags absorbiert  wurde. 

Hieraus  wurde  es  wieder  gesammelt  und  brannte  mit  sehr 
schwach  leuchtender  Flamme.  Nach  Demjanoff^)  erzeugt  Allen 

»)  J.  prakt  Chem.  38,  202. 


-    296    — 


in  Sublimatlösung  einen  Niederschlag.  Hierin  wurden  von 
33,4  com  Gas  0,4  ccm  unter  Bildung  einer  schwachen  Trübung,  die 
auch  nach  dreitägigem  Stehen  keinen  Niederschlag  gab,  ab- 
sorbiert. Das  in  die  Bürette  zurückgefttUte  Gas  brannte  mit 
kaum  sichtbarer  Flamme,  es  war  also  Wasserstoff. 

Diese  0,4  ccm  Gas,  die  als  Allen  anzusehen  sind,  stammen 
von  15  Analysen  k  100  ccm  und  bedeuten  also  ca.  0,026  ®/o 
Allen  im  Anodengas  der  Itakonsäure. 

Bei  den  folgenden  Analysen  wurde  kein  Allen  mehr  er- 
halten, sondern  nur  Spuren  von  AUylen  bei  28—32. 


Nr. 

Vo  CO, 

^0 

Vo  Rest 

Nr. 

Vo  CO, 

^0 

'lo  Best 

28 

44.1 

29,9 

26,0 

38 

64,0 

21,2 

14,8 

29 

45,1 

30.0 

24,9 

39 

48,8 

41,4 

9,8 

30 

52,0 

24,0 

24,0 

40 

36,4 

43,4 

20,2 

31 

53,0 

21,6 

25,4 

41 

31,4 

53,8 

143 

32 

57,0 

23,0 

20,0 

42 

30,0 

53,4 

16,6 

33 

38,4 

55,6 

6,0 

43 

56,0 

20,0 

24,0 

34 

61,6 

31,2 

7,2 

44 

47,6 

32,2 

20,2 

35 

68,2 

22,6 

9,2 

45 

48,3 

34,1 

17,6 

36 

75,2 

16,6 

8,2 

46 

50,0 

30,7 

19,3 

37 

71,6 

21,1 

7,3 

47 

46,4 

38,2 

15,4 

Der  von  28—32  aufgesammelte  Best  brannte  mit  ganz 
schwach  leuchtender  Flamme.  Von  38,6  ccm  wurden  in  der 
Kuprolösung  34,7  ccm  absorbiert,  der  Rest  brannte  mit  blaß  bläu- 
licher Flamme,  also  Wasserstoff. 

33—42  ergaben  ein  Gas,  das  mit  nichtleuchtender  Flamme 
brannte.  Von  11,2  ccm  wurden  8,3  ccm  in  Kuprolösung  absorbiert, 
der  Rest  war  Wasserstoff. 

Bei  43 — 47  wurde  eine  derartige  Konzentration  angewendet, 
daß  das  itakonsaure  Kali  bereits  auskristallisierte.  Die  5  Rest- 
volumina wurden  einzeln  analysiert. 


Nr. 

Flamme 

Vol. 

Id  Kuprolösung 
absorbiert 

Rest 

Flamme 

43 

NichtleuchteDd 

19.2 

15,8 

3,4 

Nichtleuchtend 

44 

»» 

18.4 

15,8 

2.6 

11 

45 

t» 

15.7 

11,9 

3,8 

46 

„ 

16.0 

13,5 

2.5 

,, 

47 

tt 

12.3 

9.3 

3.0 

»» 

—    297    - 

Das  AnodengasbestaDd  also  bei  den  5  letzten  Analysen  aas: 

1.  Kohlensäure  ca.  50®/o, 

2.  Sauerstoff      ca.  30  •/o, 

3.  Kohlenoxyd  ca.  11  ^j^, 

4.  Wasserstoff  ca.    S%. 

Die  Resultate  der  elektrolytischen  Zersetzung  der  4  Isomeren 
Citra-,  Mesa-,  Ita-  und  Glutakonsäure 

CH3  — C.COOH  =  CH.COOH  Citrakonsäure, 
CH3— COOHC  =  CH.COOH  Mesakonsäure, 
CH2  =  C-C00H  —  CHj.COOH  Itakonsäure, 
COOH  —  CH2  —  CH  =  CH  -  COOH  Glutakonsäure, 
können  folgendermaßen  zusammengefaßt  werden:  Citrakon-  und 
Mesakonsäure '  bildeten  Allylen. 

Bei  Itakonsäure  wurde  unter  unseren  Versuchsbedingungen 
in  Übereinstimmung  mit  B^haP)  und  im  Gegensatz  zu  Aar- 
land*) kein  Allen  nachgewiesen.  Die  Zersetzung  erfolgte  derart, 
daß  überhaupt  nur  minimale  Mengen  eines  brennbaren  Kohlen- 
wasserstoffes nachgewiesen  werden  konnten. 

Glutakonsäure  lieferte  Azetylen.  Wie  diese  Bildung  zu 
erklären  ist,  müssen  spätere  Untersuchungen  zeigen. 


Vorstehende  Experimentaluntersuchung  wurde  im  chemischen 
Laboratorium  der  Universität  Erlangen  auf  Veranlassung  des 
Herrn  Professor  Dr.  F.  Henrich  ausgeführt. 

Es  sei  mir  gestattet,  diesem  meinem  hochverehrten  Lehrer 
auch  an  dieser  Stelle  für  die  liebenswürdige  Unterstützung,  die 
er  mir  bei  der  Durchführung  der  Arbeit  zuteil  werden  ließ, 
meinen  heralichsten  Dank  auszusprechen. 


')  Ann.  de  Chim.  et  de  Phys.  1889,  367. 
•)  J.  prakt.  Chem.  7,  146. 


Zur  Erinnerung  an  Henri  Moissan. 

Von  A.  Gutbier. 
In  der  Sitzung  vom  19.  November  1907  gehaltene  Gedächtnierede. 

Reiche  Ernte  hat  der  Tod  im  Laufe  des  jetzt  zu  Röste 
gehenden  Jahres  unter  den  hervorragenden  Chemikern  gehalten: 
Beilstein,  Mendelejeff  und  Berthelot  sind  nicht  mehr! 

Und  mitten  in  der  Vollkraft  seiner  Jahre  und  von  dem 
Höhepunkte  seines  Schaffens,  eben  erst  ausgezeichnet  mit  dem 
Nobelpreise  für  Chemie,  ist  vorzeitig  aus  diesem  Leben  ein 
Mann  abberufen  worden,  dessen  Name  weit  über  den  engeren 
Kreis  der  Chemiker  wohlbekannt  und  hochberfihmt  war:  Henri 
Moissan  ist  am  20.  Februar  dieses  Jahres  den  Folgen  einer 
Blinddarmentzündung,  die  erst  günstig  zu  verlaufen  schien, 
erlegen ! 

„Die  Geschichte  eines  Gelehrten  ist  die  Geschichte  dessen, 
was  er  gelehrt  hat.  Nur  in  wenigen  Fällen  berichtet  sie  von 
seltsam  verwickelten  Lebensschicksalen,  von  gewaltigen  Be- 
gebnissen, welche  die  Phantasie  mächtig  bewegen.  Je  ernster 
ein  Leben  dem  Dienste  der  Wissenschaft  geweiht  ist,  um  so 
einfacher  gestaltet  es  sich  in  seinem  äußeren  Verlaufe." 

Diese  Worte  August  Wilhelm  von  Hofmanns,  mit 
denen  Otto  Brunck^)  seinen  warm  empfundenen  Nachruf  auf 
den  deutschen  Meister  der  anorganischen  Chemie,  Clemens 
Win  kl  er,  einleitet,  passen  in  gleich  vortrefflicher  Weise  ant 
das  Leben  Henri  Moissans,  des  franzosischen  Meisters  der 
anorganischen  Chemie. 

Der  äußere  Lebensgang*)  des  Forschers  ist  mit  wenigen 
Worten  geschildert. 

Ferdinand  Marie  Frederic  Henri  Moissan  wurde  am 
28.  September  1852  als  Sohn  sehr  einfacher  Eltern  zu  Paris  ge- 
boren. Der  Vaterbezog  als  Eisenbahnbeamter  nur  einen  geringen 
Gebalt,   und  so  war   die  Mutter,   um  drückende  Sorgen  abzo- 


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-    299    - 

halten,  daraaf  angewiesen,  als  Schneiderin  Geld  mityerdienen 
zu  helfen. 

Die  Familie  Moissan  siedelte  bald  nach  Meaux,  der  kleinen 
Hauptstadt  des  Arrondissement  Meaax  und  der  Brie  Ghampe- 
noise,  fiber,  nnd  hier  besuchte  der  junge  Henri  das  College. 

Wohl  war  der  Knabe  sehr  aufgeweckt  und  wissensdurstig, 
aber  den  römischen  und  griechischen  Klassikern  konnte  er, 
wie  einst  auch  Justus  Liebig^),  keinen  Geschmack  abgewinnen; 
Naturwissenschaften  und  Mathematik,  das  waren  die  Fächer, 
die  ihn  begeisterten. 

Und  wie  einst  Justus  Liebig,  so  finden  wir  auch  Henri 
Moissan  bald  als  Lehrling  in  einer  Apotheke,  und  zwar  in  Paris, 
wieder ;  so  konnte  er,  was  ihm  sonst  der  vorzeitig  abgeschlossenen 
Schulbildung  zufolge  unmöglich  gewesen  wäre,  Chemie  studieren. 

1872  bezog  Moissan  die  Universität  seiner  Vaterstadt, 
um  seine  Studien  am  museum  d'histoire  naturelle  in  dem  rühm- 
lichst bekannten  Institute  von  Edmond  Fremy  zu  beginnen. 
Dieses  Institut  bot,  wie  wir  von  unserem  verdienten  Geschichts- 
forscher auf  dem  Gebiete  der  Chemie,  Ernst  von  Meyer*), 
erfahren,  damals  in  Paris  neben  dem  von  Henri  Sainte-Claire 
Deville  geleiteten  Laboratorium  der  6cole  normale  supferieure 
Studierenden  die  einzige  Gelegenheit,  chemischen  Unterricht 
genießen  zu  können. 

Von  1873  bis  1879  arbeitete  Moissan  in  dem  von  Joseph 
Decaisne  und  P.  P.  Deherain  geleiteten  Laboratorium,  und 
unter  Dehferains  Leitung  entstand  die  erste  Experimental- 
untersuchung  des  jungen  Forschers,  die  ihm  1874  zur  Er- 
langung des  baccalaureat  diente. 

Nachdem  Moissan  sich  1877  die  Würde  eines  licencife  er- 
worben hatte,  promovierte  er  auf  Grund  einer  von  Henri 
Sainte-Claire  Deville  und  Henri  Debray  inspirierten  Ar- 
beit 1880  zum  docteur  ds  sciences. 

Im  Jahre  1879  war  Moissan  als  maitre  de  Conferences  et 
Chef  des  travaux  pratiques  de  chimie  an  der  6cole  superieure  de 
pharmacie,  der  er  bis  1900  angehört  hat,  angestellt  worden, 
und  von  1879  bis  1880  war  er  zugleich  als  r^pfetiteur  de  phy- 
sique  am  Institut  agronoraique  tätig;  im  Jahre  1883  erfolgte 
seine  Ernennung  zum  professeur  agrfeg6  und  1887  auf  ein- 
stimmigen Vorschlag  des  couseil  de  Tecole  superieure  de  pharmacie 


—    300    — 

diejenige  zum  professeur  de  la  toxicologie  an  Stelle  des  ver- 
storbenen Bouis.  Bis  1899  hat  Moissan  als  Professor  der 
Toxikologie  gewirkt  nnd  dann  erst  seine  Stelle  gegen  den  Lehr- 
stuhl für  anorganische  Chemie  ausgetauscht;  nebenbei  wurde  er 
im  Jahre  1895  zum  Mitgliede  des  conseil  d'hygifene  und  1898 
zum  Mitgliede  des  comite  consultatif  des  arts  et  des  manu- 
factures  ernannt. 

Im  Jahre  1900  endlich  trat  er  die  Nachfolgeschaft 
Louis  Troosts  als  professeur  de  chimie  k  la  faculte  des 
Sciences  an  der  Sorbonne  an  und  hat  in  dieser  Stellung  bis  zu 
seinem  Tode  eine  glänzende  Wirksamkeit  entfaltet. 


Beinahe  33  Jahre  einer  fast  beispiellos  emsigen  Forscher- 
tätigkeit liegen  vor  uns^  die  wir  das  weit  ausgedehnte  Arbeits- 
gebiet Henri  Moissans  zu  tiberblicken  versuchen  wollen: 
über  400  Originalabhandlungen ^),  mit  dem  Namen  Moissan 
geziert,  legen  Zeugnis  ab  von  der  bewunderungswürdigen 
Schaffensfreude  und  Schaffenskraft  dieses  Mannes! 

Zu  der  Zeit,  da  Moissan  in  Paris  mit  eigenen  Unter- 
suchungen auf  anorg  an  i  seh -chemischem  Gebiete  begann,  hatte 
die  organische  Chemie  die  führende  Rolle  in  unserer  Wissen- 
schaft übernommen;  unter  dem  Genius  Liebigs  mächtig  auf- 
geblüht und  von  einer  Schar  auserlesener  Männer  gepflegt,  feierte 
die  organische  Chemie  überall  die  größten  Triumphe  und  ti*at 
somit  naturgemäß  auch  an  Deutschlands  meisten  Hochschulen 
in  den  Vordergrund. 

Der  Begründer  der  Strukturchemie,  August  Kekule, 
lehrte  seit  1865  in  Bonn;  in  Berlin  hatte  im  gleichen  Jahre 
August  Wilhelm  Hofmann  als  Nachfolger  Eilhard  Mit- 
scherlichs  seine  überaus  ersprießliche  Tätigkeit  begonnen, 
und  ebenfalls  1865  war  Hermann  Kolbe  von  Marburg  nach 
Leipzig  berufen  worden,  wo  er  mit  größtem  Erfolge  wirkte. 

Als  am  18.  April  1873  der  größte  Chemiker  des  19.  Jahr- 
hunderts, Justus  Liebig,  in  München  seine  Augen  für  immer 
schloß,  konnte  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  daß  sein  Nach- 
folger nur  unter  den  führenden  organischen  Chemikern  zu  suchen 
sei.  Adolf  Baeyer  trat  1875  die  Nachfolgeschaft  Liebigs 
in  München  an,  wo  er  noch  heute  zu  unser  aller  Stolz  nnd 
Freude  in  voller  Frische  des  Geistes  und  des  Körpers   seine 


—    301     — 

überaus  glänzende  und  ersprießliche  Tätigkeit  als  Forseber  and 
als  Lebrer  ansObt. 

Vergegenwärtigen  wir  ans  den  erstannlichen  Aufschwung, 
den  in  den  70er  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  das  Studium 
der  Chemie  aufweist!  Die  großartigen  Ermngenschaften  der 
organischen  Chemie,  die  nicht  allein  für  die  wissenschaftliche 
Erkenntnis,  sondern  auch  fär  viele  Zweige  der  angewandten 
Chemie,  und  besonders  auch  für  die  allgemeine  Wohlfahrt  von 
größter  Bedeutung  sind,  zwingen  an  den  Hochschulen  dazu, 
unserer  Wissenschaft  neue,  der  gewaltigen  Entwicklung  ent- 
sprechende Pflegestätten  zu  errichten.  Aller  Orten  werden  in 
Deutschland  chemische  Laboratorien  erbaut,  die  zum  Teil  heute 
noch  vorbildlich  sind,  und  in  ihnen  wird  vorwiegend  und  mit 
ausgezeichnetem  Erfolge  das  Studium  der  organischen  Chemie 
gepflegt;  aus  der  jüngeren  Generation  wachsen  tatkräftige  Mit- 
arbeiter heran,  und  eine  hervorragende  organisch-chemische  Ex- 
perimentalnntersuchuug  nach  der  anderen  wird  an  deutschen 
Hochschulen  ausgeführt. 

Gerade  das  erste  Jahrzehnt  nach  Liebigs  Tode  ist  reich 
an  glänzenden  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  der  organischen 
Synthese.  Welch  ein  gewaltiger  Unterschied  im  Jahre  1878:  Emil 
und  Otto  Fischer  verkünden,  daß  Rosanilinfarbstoffe  Triphe- 
nylmethanderivate  sind,  und  Adolf  Baeyer  teilt  die  Synthese 
des  Indigofarbstoffes  mit,  —  Henri  Moissan  dagegen  publiziert 
eine  bescheidene  Arbeit  über  zwei  allotropische  Modifikationen 
des  Magneteisens! 

Erinnern  wir  uns  noch,  daß  in  allen  Kulturstaaten  die 
mächtig  aufstrebende  chemische  Industrie  sich  mit  größtem  wirt- 
schaftlichen Erfolge  die  bewundernswerten  Untersuchungen  von 
Männern  wie  August  Wilhelm  Hofmann,  Adolf  Baeyer, 
Peter  Griess,  Emil  und  Otto  Fischer  und  vielen  Anderen 
zu  Nutze  machte:  wer  hätte  es  wohl  damals  einem  jungen,  für 
unsere  Wissenschaft  begeisterten  Chemiker  verdacht,  daß  er  seine 
Interessen  ausschließlich  der  organischen  Chemie  widmete?^) 

Eine  kleine  Schar  von  Chemikern  aber,  und  unter  ihnen 
besonders  Robert  Wilhelm  Bunsen  in  Heidelberg,  Clemens 
Winkler  in  Freiberg,  Carl  Friedrich  Rarameisberg  in 
Berlin,  Walther  Hempel  in  Dresden,  Karl  Seubert  in  Tü- 
bingen,  sorgten  dafür,    daß  der  älteste  Zweig  unserer  Wissen- 


—    302    - 

Schaft,  die  anorganische  Chemie,  auch  in  Deutschland  neben 
der  immer  mächtiger  sich  ausbreitenden  Kohlenstoifchemie  nicht 
völlig  verkümmerte,  sondern  lebenskräftig  blieb. 

Abseits  von  den  neu  erschlossenen  Bahnen,  auf  denen  die 
Entdeckungen  winkten,  sind  diese  Männer  ihre  Wege  gewandelt 
und  haben  die  von  der  jüngeren  Schwester  zurückgedrängte  und 
überstrahlte  Mineralcheroie  und  die  chemische  Analyse  gepflegt 
und  gefördert.  Nur  wenige  von  den  Jüngeren  fanden  an  Uni- 
versitäten und  technischen  Hochschulen  die  ihnen  gebührende 
Anerkennung  und  einen  befriedigenden  Wirkungskreis;  die 
meisten  wurden  von  einer  wissenschaftlichen  Lautbahn  durch 
die  ungünstigen  Aussichten,  die  sie  damals  dem  Anorganiker 
bot,  abgezogen. 

So  stand  es  in  den  70er  und  80er  Jahren  des  verflossenen 
Jahrhunderts  in  Deutschland,  und  ähnlich  lagen  die  Verhält- 
nisse in  Frankreich  und  besondei*s  in  Paris.  Man  braucht  sich 
nur  daran  zu  erinnern,  daß  hier  noch  Jean  Baptiste  Dumas 
und  Adolph  Wurtz,  Justus  Liebigs  großer  Schüler,  wirkten, 
denen  die  organische  Chemie  so  viele  bahnbrechende  Arbeiten 
verdankt,  und  daß  1875  der  uns  nun  auch  in  diesem  Jahre 
entrissene  Marcellin  Berthelot  sein  berühmtes  Werk  „La 
Synthese  chimique"  hatte  erscheinen  lassen. 

Und  neben  diesen  berühmten  Förderen  der  organischen 
Chemie  gab  es  auch  hier  nur  noch  einige  wenige  Anorganiker, 
die,  wie  Henri  Sainte-Claire  Deville,  in  der  Lage  waren, 
selbständig  Schüler  auszubilden. 

Wie  man  in  Frankreich  zu  jener  Zeit  über  das  Studium  der 
anorganischen  Chemie  dachte,  hat  Moissan  später  selbst  mit 
wenigen  Worten  überzeugend  geschildert,  als  er  der  Acadömie 
des  Sciences  den  ersten  Teil  seines  „Traite  de  chimie  min^rale^ 
mit  folgenden  Worten  übergibt: 

„Lorsque  nmis  avons  comme7ic6  V4tude  de  la  Chimie  min^aley 
il  y  a  une  trentaine  d'ann^es  environ,  nous  entendions  rSp^ter 
de  toutes  cotes  qtie  cette  partie  de  la,  Science  4iait  &puis^j  et  que, 
apres  Uumphry  Davy,  Oay-LussaCj  Berxüius^  Dunias,  Mit- 
scherlich,  Bunsen,  Marignac,  Stets,  Deville  et  bien  d'autresy  H 
ne  restait  rien  ä  trouver.  E  semblait  que,  apres  de  teU  nud^esy 
il  n'y  eut  plus  qu'ä  glaner,  Nous  avons  toujours  pense  quil 
etait  da?igereux  d'ctre  prophete  sur   ce  sujet,    et  que  la  CMntie 


—    303    - 

min&ale,  par  le  grand  fiambre  des  4l&nimts  qu'elle  embrasse^ 
comporte  sans  cesse  de  nouvelles  comparaisons  qui  conduisent  ä 
de  nouvelles  reclierches.^ 

jjll  semblait  qv£,  aprds  de  tels  maitres,  ü  n'y  eutplus  qu'ä 
glaner.^  Das  also  war  der  Eindruck,  den  der  junge  Student 
von  der  anorganischen  Chemie  empfing:  Nachlese  halten,  das 
war  alles,  was  sie  ihrem  Jünger  zu  bieten  schien.  Man  darf  wohl 
sagen,  es  gehörte  Mut  dazU;  sich  zu  jener  Zeit  der  anorganischen 
Chemie  zu  widmen;  wir  können  es  Moissan  nicht  genug  danken, 
daß  er  diesen  Mut  besaß  und,  allein  seiner  Neigung  folgend, 
sich  der  kleinen  Schar  der  Anorganiker  zugesellt  hat. 

Und  nun  das  Jahr  1886  —  da  haben  wir  ein  ganz  anderes 
Bild  vor  uns.  Es  ist,  als  ob  wir  an  einem  Wendepunkt  ständen  : 
Clemens  Winkler  entdeckt  das  Grermanium,  und  Henri 
Moissan  isoliert  das  Fluor! 

Wie  groß  das  Verdienst  und  der  Ruhm  dieser  Entdeckungen, 
und  doch,  wie  gering  vorläufig  noch  die  Wirkung! 

Erst  der  Mitwirkung  der  sich  mächtig  entfaltenden  physi- 
kalischen Chemie,  erst  dem  kraftvollen  Auftreten  von  Männern 
wie  Jakobus  Hendrikus  van't  Hoff,  Svante  Arrhenius, 
Wilhelm  Ostwald,  Walther  Nernst,  Max  Le  Blanc, 
Fritz  Foerster,  Georg  Bredig  und  Anderen,  weiterhin 
dem  genialen  Alfred  Werner  und  schließlich  dem  unver- 
gleichlichen Experimentator  Henri  Moissan  haben  wir  es  zu 
danken,  daß  wir  beute  auch  in  Deutschland  wieder  eine  der 
organischen  Chemie  als  vollkommen  gleichberechtigt  anerkannte 
anorganische  Chemie  haben. 

Doch  genug  hiervon;  es  ist  nicht  der  Zweck  dieser  Zeilen, 
eine  Geschichte  der  Entwickelung  der  anorganischen  Chemie  in 
Deutschland  zu  geben. 

1877  ist  es.  Henri  Moissan  legt  der  Acad6mie  des 
Sciences  die  Resultate  seiner  ersten  selbständigen  Untersuchung 
,Etudes  sur  les  oxydes  de  fer**,  deren  Fortsetzung  bald  folgt,  vor. 

Wie  wir  aus  dem  von  echter  Freundschaft  und  aufrichtiger 
Bewunderung  getragenen  Nachrufe,  den  der  Präsident  der  Aca- 
demie  des  Sciences,  A.  Chauveau,  dem  entschlafenen  confr^re 
Henri  Moissan  in  der  Sitzung  vom  2.  Dezember  1907  gewidmet 
bat''),  wissen,  hatte  P.  P.  Deherain  Freunden  gegenüber  seinem 


-     304    - 

jungen  Mitarbeiter  schon  in  der  Zeit  des  gemeinsamen  Schaffens 
eine  große  Zukunft  prophezeit  und  ihm  ein  günstiges  Horoskop 
gestellt,  doch  die  ersten  Arbeiten,  die  der  junge  Anorganiker 
veröffentlicht,  erregen  nicht  das  geringste  Aufsehen.  Moissan  ist 
noch  ganz  im  Banne  der  alten  Schule,  von  der  er  aber  die  Gränd- 
lichkeit,  durch  die  immer  seine  Arbeiten  ausgezeichnet  sind, 
erlernt. 

Vorsichtig  tastet  der  junge  Forscher  weiter.  Er  stellt  zahl- 
reiche Experimente  an,  die  teils  zu  Resultaten  führen  und  ver- 
öffentlicht werden  können,  teils  resultatlos  verlaufen.  Er  wird 
immer  kühner  in  der  Wahl  seiner  Versuchsbedingungen:  kost- 
bare Platinapparate  achtet  er  nicht  höher  als  einfache  Grlas- 
sachen,  und  die  Folge  davon  ist,  daß  Debrays  preparatear®), 
der  vielleicht  seines  Amtes  in  gar  zu  strenger  Weise  gewaltet 
hat,  immer  weniger  von  Moissan  entzückt  wird,  und  es 
schließlich  durchsetzt,  daß  „dieser  Moissan,  der  uns  ja  nur 
alle  Platingefäße  ruiniert  und  doch  nichts  leistet-'  bei  Debray, 
der  dem  jungen  Chemiker  jeder  Zeit  so  großes  Wohlwollen 
entgegengebracht  hatte,  in  Ungnade  fällt. 

In  seiner  Not  wendet  Moissan  sich  an  Friedel,  und  dieser 
tiberläßt  dem  jungen  Forscher  seinen  Hörsaal.  Hier  arbeitet 
Moissan  unbeirrt  weiter.  Erläßt  sich  nicht  entmutigen,  und  die 
für  seine  Untersuchungen  notwendigen  Apparate  schafft  er  sich, 
da  sie  ihm  vom  Laboratorium  nicht  geliefert  werden  können, 
einfach  aus  eigenen  Mitteln  an. 

Nach  und  nach  macht  Moissan  sich  ganz  frei  von  den 
alten  Versuchsbedingungen,  und  in  dem  Augenblicke,  in  welchem 
er  eigene  Wege  zu  gehen  gelernt  hat,  dokumentiert  sich  sein 
Genie  in  der  Isolierung  des  Fluors! 

Als  er  am  26.  Juni  1886  ein  Gas  (das  Fluor)  isoliert, 
in  dem  Silicium  Feuer  fängt,  da  schlägt  der  Wind  um,  und 
Debray  sagt  zu  seinem  preparateur:  „Hätten  Sie  doch  Herrn 
Moissan  alles  gegeben,  was  er  von  Ihnen  verlangte;  er  macht 
die  schönsten  Sachen,  wissen  Sie!^ 

Mit  größtem  Interesse  hatte,  wie  immer,  die  Acad6mie  des 
Sciences  auch  die  Experimentaluntersuchungen  Moissans  ver- 
folgt, und  mit  berechtigtem  Staunen  vernahm  sie  die  Kunde,  daß 
dem  jungen  professeur  agr6g6  das  gelungen  sei,  was  das  Genie 
eines  Humphry  Davy  nicht  zu  verwirklichen  vermocht  hatte. 


—    305    - 

Wie  bei  derartig  phänomenalen  Entdeckungen  üblich;  wird 
bestimmt,  daß  eine  Kommission,  deren  Mitglieder  Moissan  selbst 
aaswählen  darf,  sich  durch  Augenschein  von  der  Richtigkeit 
der  Angaben  zu  überzeugen  hat. 

Vor  Zeugen  hatte  Moissan  das  Fluor  isolieren  und  einige 
charakteristische  Eigenschaften  des  Elementes  ergiUnden  können: 
da  naht  die  Kommission,  Moissan  setzt  seinen  Versuch  in 
Gang,  —  aber,  o  Wunder,  die  Isolierung  des  Fluors  gelingt 
nicht! 

Ratlos  steht  Moissan  vor  seinen  Richtern  und  erbittet  sich 
kurze  Bedenkzeit,  um  den  Grund  dieses  unerwarteten  Mißerfolges 
auffinden  zu  können.  Jetzt  sofort  fieberhafte,  rastlose  Tätigkeit; 
alle  Versuche  werden  wiederholt;  dann  noch  einmal  die  Be- 
dingungen, unter  denen  zum  ersten  Male  die  Entwickelung  des 
neuen  Gases  beobachtet  worden  war:  nun  kann  die  Kommission 
wieder  eingeladen  werden  und  sich  von  der  Richtigkeit  aller 
Angaben  überzeugen,  denn  Moissan  hat  gefunden,  daß  es  eine 
kleine  Menge  von  Kaliumfluorhydrat  war,  die  bei  seinen  ersten 
Versuchen  die  Flußsäure  leitend  gemacht  und  die  Abscheidung 
des  Fluors  ermöglicht  hatte®). 

A.  Ghauveau^^)  schildert  diese  Ereignisse  sehr  anschaulich 
mit  folgenden  Worten: 

„Dans  les  annales  de  la  Sdence^  on  rencontre  peu  de  sujets 
offrant  phcs  d'inUrit  qice  Visolement  du  fluor.  Si  eUe  4tait 
racmiUe  tres  simplement  dans  taus  ses  details,  par  un  narrateur 
de  mutier,  Vhistoire  vMdique  de  cet  isolement  eocercerait  autant 
d'attraitj  qu'un  beau  roman,  On  y  trouve  totes  les  4Uments 
ai'ec  lesqivels  se  coTistitue  U  succes  des  ceiivres  dHmagination, 
Le  dramatique  coup  de  th6atre  rCij  manque  meme  pas:  une  dure 
diception  survenant  ä  rimproviste  dans  les  plus  emotionnantes 
drconstances  et  donnant  au  triomphe  final,  ä  la  conquete  definitive 
du  ftuor  librej  un  grafid  surcrott  d^dclat, 

j^On  satt  comnient  la  präparation  de  ce  corps,  apres  avoir 
Ste  completement  r^ussi^  par  Moissan,  ^hüua  mis&rablement, 
quand  il  voulut  la  realiser  devant  la  Commission  churgie  par 
notre  Acad4mie  de  contrdler  Vexperience.  Le  courant  eieciroly- 
sant  refusa  ahsolument  de  s'6tablir  devant  les  juges  que  Moissan 
s'eiait  choisi.  On  ätait  ramen^  aux  insuccees  de  Fremy,  qui 
avait  tente  le  premier  Välectrolyse  de  Vaxdde  fluorhydrique. 

SltBimgsberiohte  der  med.-phys.  Sos.  39  (1907).  20 


—    306    - 

y^Vannonce  du  sticch  de  Moissan  avait  M6  sensaiiminelle, 
Son  öchec  fit  plus  de  bruit  encore.  II  eüt  peut-etre  d4cotirag6 
tout  autre  qu^e  Moissan.  Sur  son  solide  esprit,  cette  diconvenue 
n'exer^  pas  la  moindre  influence.  Comme  tout  expirimmiUUeur 
sür  de  sa  m4t}iode  et  de  sa  technique^  Moissa7i  savait  trop  bien 
qu'un  fäit  obtenu  une  prerniere  fois  doit  s'obtenir  constammefii 
si  les  condiüons  exp&rimentales  restent  id^ntiquement  les  memes, 
&idemmentj  dans  la  drconstance,  les  conditions  de  la  seconde 
exp^rience  n* ^latent  pas  Celles  de  lapremidre.  En  quoi  diff^raiefit- 
elles?  Moissan  le  recher  che  et  acquiert  rapidement  la  preure 
que,  dans  la  premiere  exp^ence,  Vacide  fltiorhjfdriqu£  liquide 
avait  4te  rendu  conducteur  du  courant  ^lectrique  par  In  presence 
d'une  trace  du  sei,  le  fluorure  de  sodium,  qui  avait  send  ä  sa 
prSparation, 

„  Ce  sei  jouit  n6cessaireni&nt  de  la  candticHbilit^  ^lectrolyti-que 
d^ontr4e  dans  ses  analogues  et  si  bien  utilis^e  par  la  g&nie  de 
H.  Davy.  Mais  il  est  impossible  de  faire  servir  ce  fluorure  de 
sodiurn  ä  la  pr^paration  du  fluor;  ce  demier  rencontre  toujours 
ä  r^lectrode  positive  les  autres  corps  qui  y  sont  transportös  efi 
meme  temps  que  lui  et  avec  lesquels  il  peut,  grdce  ä  son  ex- 
ceptionnelle  puissance  d'affinit^,  s'unir  instantan4ment. 

yjHeureusementj  que  Moissan  s'est  aperpu  que,  dissotis  eti 
tres  petite  quantit^  dans  Vacide  fluorhydrique  liquide,  le  fluorure 
de  sodium  peut  entratner  son  dissolvant  dans  son  mouvement 
de  d^omposition.  Cette  constatation,  d'abord  purement  empiri- 
que,  s'est  expUqu4e  ensuite  de  la  plus  heureuse  manicre  quatid 
la  Physique  moUculaire  se  fut  enrichie  des  notions  si  int^es- 
santes  que  nous  possedons  maintenant  sur  les  ions  et  Konisation, 

„  Voilä  donc  d^finitivement  diablies  les  co^iditions  materielles 
fmidaynentales  de  Visolement  du  fluor.  II  restc  encore  ä  vaincre 
Us  Enormes  difficultds  que  la  prodigieuse  acüviM  chimique  du 
fluor  libre  peut  susciter  ä  sa  präparation.  Moissan  satt  les 
supprimer  toutes,  et  il  fait  de  cette  pr4paration  une  Operation 
courante  de  laboratoire,  capable  d'etre  transfonn^  en  une  fahrt- 
rati/m  industrielle.^ 

„Die  Untersuchung  eines  neuen  Elementes  ist  stets  außer- 
ordentlich fesselnd. 

„Hier  handelte  es  sich  zudem  um  ein  Element  mit  einer 
ganz    ausnahmsweise   großen  chemischen   Aktivität   und  Ver- 


-    307    - 

bindungsenergie,  so  daß,  wie  es  leicht  begreiflich  ist,  die  Freude 
an  der . Erforschung  desselben  noch  gesteigert  wurde**)." 

An  der  Freude,  die  Moissan  bei  der  Erforschung  der 
Eigenschaften  des  Fluors  beseelt,  läßt  er  uns  teilnehmen.  Schlag 
aaf  Schlag  folgen  die  bewunderungswürdigen  Untersuchungen, 
von  denen  eine  jede  den  Stempel  der  Originalität  trägt. 

Zahlreiche,  gründliche  Arbeiten  über  das  Fluor  und  seine 
Verbindungen,  auf  die  Moissan  nach  längerer  Pause  später 
wieder  zurückkommt,  werden  ausgeführt  und  ein  neues,  sehr 
einfaches  Verfahren  zur  Darstellung  des  Elementes  wird  aus- 
gearbeitet. 

Neben  dem  Fluor  wird  Bor  zum  ersten  Male  im  amoi*pheu 
Zustande  chemisch  rein  dargestellt,  neue  Verbindungen  dieses 
Elementes  werden  entdeckt,  und  dann  wird  die  Chemie  der 
hohen  Temperaturen  geschaffen.  Mit  Hilfe  des  elektrischen 
Ofens  werden  Elemente  isoliert,  die  man  früher  nicht  für  dar- 
stellbar hielt,  zahlreiche  neue  Eörperklassen  werden  aufge- 
funden und  unter  Moissans  Händen  verwandelt  sich  amorpher 
Kohlenstoff  in  Diamant.  Dann  folgen  die  klassischen  Unter- 
suchungen über  das  Calcium  und  seine  Verbindungen  und  über 
die  Metallhydride,  dann  die  Versuche  zur  Isolierung  des  Am- 
moniums, und  immer  findet  Moissan  noch  Zeit  genug,  sich 
auch  noch  mit  anderen  wichtigen  Fragen  zu  beschäftigen. 

Es  ist  nicht  möglich,  in  kurzen  Worten  das  zusammenzu- 
fassen, was  Moissan  alles  geleistet  hat! 

„Diese  anorganische  Chemie,  die  man  erschöpft 
glaubte,  sie  ist  erst  im  Aufgehen!"") 


Es  gewährt  einen  ganz  außerordentlich  großen  Genuß,  die 
Arbeiten  Henri  Moissans  zu  lesen. 

Die  kurzen  Mitteilungen  in  den  Comptes  rendus  hebdo- 
madaires  de  TAcad^mie  des  Sciences  und  in  dem  Bulletin  de  la 
soci6te  chimique  de  Paris^  in  denen  er  der  Acad^mie  oder  der 
soci6t6  chimique  die  Resultate  seiner  Untersuchungen  anzuzeigen 
pflegt,  sind  sehr  präcis  und  klar,  die  zusammenfassenden  Abhand- 
lungen in  dem  Annales  de  Chimie*  et  de  Physique,  in  deren 
Redaktion  Moissan  1896  eintrat^'),  aber  ausführlich  gehalten 
und  formvollendet  abgefaßt.  Mit  derselben  Liebe  und  Freudig- 
keit,   mit  welcher   der  Meister   des  Stils,    August  Wilhelm 

20* 


-    308    - 

von  Hof  mann  die  Resultate  seiner  Experimentaluntersachangen 
mitteilte,  hat  Henri  Moissan  seine  zusammenfassenden  Ab- 
handlungen und  seine  Bücher  geschrieben. 

Alle,  die  das  „bittere  Vergnügender  Forschung"  ")  kennen,  er- 
leben mit  Moissan,  dank  seiner  vortrefflichen  Schilderungen 
air  die  Stunden  harter,  aber  köstlicher  Arbeit  des  Forschers 
und  freuen  sich  neidlos  mit  ihm  der  gewonnenen,  so  herrlichen 
Resultate! 


Jugendarbeiten. 

Zum  ersten  Male  begegnen  wir  dem  Namen  Moissan  in 
der  chemischen  Literatur  im  Jahre  1874.  Der  junge  Barscher 
publiziert  mit  seinem  Lehrer  P.  P.  Deherain  die  Resultate 
seiner  Versuche  über  die  Absorption  von  Sauerstoff  und  die 
Abgabe  von  Eohleudioxyd  durch  im  Dunkeln  aufbewahrte 
Blätter»). 

Nachdem  zuerst  die  schon  bekannte  Tatsache  bestätigt 
worden  ist,  daß  grüne  Blätter  im  Dunkeln  Sauerstoff  aufnehmen 
und  Eohlendioxyd  abgeben  und  daß  die  Kohlendioxydentwick- 
lung  mit  steigender  Temperatur  wächst,  wird  gezeigt,  daß  die 
von  den  Blättern  im  Dunkeln  abgegebene  Menge  Kohlendioxyd 
mit  der  von  kaltblütigen  Tieren  durch  die  Atmung  ausgeschiedenen 
verglichen  werden  kann.  Es  wird  bewiesen,  daß  besondei^s  das 
bei  niederer  Temperatur  und  im  Dunkeln  entwickelte  Volumen 
Kohlendioxyd  geringer  ist  als  dasjenige  des  aufgenommenen 
Sauerstoffs,  woraus  der  Schluß  gezogen  wird,  daß  ein  Teil  des 
aufgenommenen  Sauerstoffs  zur  Bildung  von  Oxalsäure  und 
anderen  Pflanzensäuren  verwendet  wird.  Endlich  wird  gezeigt, 
daß  die  Blätter  auch  dann  noch  fortfahren,  Kohlendioxyd  zu 
entwickeln,  wenn  die  sie  umgebende  Atmosphäre  keinen  Sauer- 
stoff mehr  enthält. 

Daß  einem  Experimentator  wie  Moissan  Untersuchungen 
dieser  Art  nicht  besonders  zusagen  konnten,  ist  begreiflich;  mit 
großem  Eifer  tritt  er  denn  jetzt  auch  sofort  an  rein  chemische, 
präparative  Arbeiten  heran. 

Auf  Veranlassung  von  Sainte- Ciaire  Deville  und  De- 
bray    setzt   Moissan    die    Untersuchungen    von    Magnus''), 


-     309    - 

Malaguti*'),  Debray"),  Sainte-Claire  Deville^^  Troost 
nnd  Hautefeuille^^)  and  anderen  über  das  Eisen  und  seine 
Oxyde  fort,  wendet  aber  sein  Interesse  gleichzeitig  auch  den 
Metallen  Chrom,  Mangan,   Kobalt  und  Nickel  zu. 

Scheinbar  recht  einfache  Versuche  sind  es,  mit  denen  uns 
der  junge  Forscher  in  den  Jahren  1877  bis  1884  bekannt 
macht'^),  und  doch  wie  sorgfältig  ist  jedes  einzelne  Experiment 
durchgeführt. 

Reines  Ferrioxyd  wird  bei  verschiedenen  Temperaturen  und 
verschieden  lange  im  Wasserstoff-  und  im  Kohlenoxydstrome  er- 
hitzt; es  zeigt  sich,  daß  beide  Gase  in  gleicher  Weise  einwirken, 
nnd  daß  man  dieselben  Resultate  erhält,  wenn  man  an  Stelle 
der  Temperatur  die  Zeitdauer  des  Versuchs  ändert. 

Bei  350^  wird  Ferroferrioxyd,  bei  600"  Ferrooxyd  und 
zwischen  500®  und  SCO'*  metallisches  Eisen  gebildet;  letzteres 
besaß,  so  oft  man  auch  den  Versuch  wiederholte,  niemals  pyro- 
phorische  Eigenschaften,  und  das  von  Magnus  beschriebene 
pyrophorische  Eisen  wird  als  ein  Gemenge  von  Ferroferrioxyd, 
Ferrooxyd  und  reduziertem  Eisen  erkannt.  Reines  pyrophorisches 
Eisen  erhält  Moissan  aber  auf  dem  zweiten,  soeben  angegebenen 
Wege,  nämlich  dadurch,  daß  er  Ferrioxyd  96  Stunden  lang  im 
Wasserstoffstrome  auf  440®  erhitzt;  das  so  gewonnene  Produkt 
entspricht  in  allen  seinen  Eigenschaften  demjenigen,  welches 
Schönbein")  und  Joule")  durch  Destillation  von  Eisenamal- 
gam bei  einer  350®  nur  wenig  übersteigenden  Temperatur  zuerst 
dargestellt  hatten. 

Moissan  entdeckt  je  zwei  allotropische  Modifikationen  des 
Magneteisens  und  des  Ferrooxydes,  die,  bei  verschieden  hohen 
Temperaturen  dargestellt,  sich  durch  ihr  Verhalten  gegen  Sauer- 
stoff und  Salpetersäure  scharf  unterscheiden.  So  wird  z.  B.  das  bei 
350®  durch  Reduktion  erhaltene  Ferroferrioxyd  von  konzen- 
trierter Salpetersäure  sehr  leicht  angegriffen  und  verwandelt 
sich  beim  Erhitzen  in  einer  Platinschale  in  Ferrioxyd ;  das  bei 
hoher  Temperatur  und  bei  Gegenwart  von  Luft  aus  Ferrioxyd 
erhaltene  Produkt  dagegen  wird  auch  von  konzentrierter,  sieden- 
der Salpetersäure  kaum  angegriffen  und  beim  Erhitzen  nicht 
verändert. 

Endlich  vergleicht  der  junge  Forscher  das  von  ihm  dar- 
gestellte chemisch  reine  Eisen,  das  er  als  ein  äußerst  feines, 


—    310     — 

stahlgraugefärbtes  Pulver  erhält,  mit  den  käuflichen  Präparaten, 
deren  Verunreinigungen  er  nachweist  und  bestimmt. 

Gleiche  Versuche  werden  nun  auch  mit  den  Oxyden  von 
Mangan,  Nickel,  Kobalt  und  Chrom  angestellt,  wobei  sich  folgen- 
des ergibt. 

Erhitzt  man  Mangandioxyd  in  einer  Atmosphäre  von  Wasser- 
stoff rasch  auf  280^  so  wird  es  mit  einem  Schlage  und  unter 
Erglühen  ausschließlich  zu  Manganooxyd  reduziert;  läßt  man  da- 
gegen die  Temperatur  langsam  ansteigen,  so  bemerkt  man  den 
Beginn  der  Reduktion  schon  bei  230^,  und  bei  dieser  Temperatur 
bildet  sich  Manganioxyd  als  tief  braungefärbtes  Pulver.  Bei  etwas 
höherer  Temperatur  entsteht  Manganomanganioxyd,  aber  das  so 
erhaltene  Produkt  unterscheidet  sich  wieder  von  dem  nach  dem 
gewöhnlichen  Verfahren  bei  hoher  Temperatur  dargestellten, 
denn  es  geht  beim  mäßigen  Erhitzen  in  einer  Platinschale  an 
der  Luft  in  Manganioxyd  über.  Beim  Erhitzen  im  reinen  und 
trockenen  Wasserstoffstrome  auf  260^  verwandelt  es  sich  in  das 
grfingefärbte  Manganooxyd,  das  sich  an  der  Luft  unter  Wärme- 
entwicklung sofort  grau  färbt,  bei  100®  noch  mehr  Sauerstoff 
aufnimmt  und  bei  140®  pyrophorische  Eigenschaften  erhält;  dann 
erglüht  es  an  der  Luft  und  verwandelt  sich  in  das  rotgefärbte 
Manganomanganioxyd. 

Nun  erschien  es  interessant,  nachzuweisen,  ob  es  möglich 
sei,  pyrophorisches  Mangan  zu  erhalten.  Moissan  stellt  also 
Manganamalgam  dar,  indem  er  eine  konzentrierte  Lösung  von 
Manganochlorid  unter  Anwendung  einer  Quecksilberkathode 
durch  den  elektrischen  Strom  zersetzt. 

Zum  ersten  Male  sehen  wir  den  Forscher  mit  dem  Strome 
arbeiten,  der  ihn  später  zu  so  glänzenden  Entdeckungen  f&hren 
sollte! 

Das  Amalgam  wird  in  nadeiförmigen  Kristallen  erhalten 
und  liefert  beim  Erhitzen  im  Wasserstoffstrome  metallisches, 
äußerst  leicht  oxydierbares  Mangan;  aber  nur,  wenn  bei  der 
Darstellung  die  Temperatur  des  siedenden  Quecksilbers  möglichst 
wenig  überschritten  wird,  ist  das  Metall  mit  pyrophorischen 
Eigenschaften  begabt. 

Die  Reduktion  des  Nickelioxyds  beginnt  schon  bei  niederer 
Temperatur;  bei  190^  entsteht  zunächst  ein  graugefärbtes  Pulver, 
dessen  Zusammensetzung  sich  der  Formel  NijO^  nähert,  und 


—    311     — 

bei  etwas  höherer  Temperatur  wird  Nickelooxyd  als  grünlichgelb- 
gefärbtes Pulver  erhalten. 

Letzteres  wird  von  Moissan  eingehend  untersucht.  Das 
Verhalten  gegen  Sauerstoff  und  gegen  Wasserstoff  wird  als  be- 
sonders charakteristisch  erkannt.  Das  Oxyd  nimmt  an  der  Luft 
schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  Sauerstoff  auf  und  wird  grau; 
beim  Erhitzen  an  der  Luft  auf  350®  bis  440®  oxydiert  es  sich 
noch  höher  und  nimmt  eine  schwarze  Farbe  an;  aber  bei 
weiterem  Erhitzen  auf  600®  verwandelt  sich  dieses  Produkt 
wieder  in  das  ursprüngliche  Nickelooxyd.  Bei  einer  200® 
nicht  übei'schreitenden  Temperatur  ist  es  in  einer  Wasserstoff- 
atmosphäre beständig,  bei  230®  bis  240®  jedoch  färbt  es  sich 
schwarz  und  verwandelt  sich  in  pyrophorisches  Nickel,  welch' 
letzteres  an  der  Luft  zum  größten  Teile  zu  schwarzem  Nickeli- 
oxyd  verbrennt. 

Das  Nickelamalgam  wird  sowohl  durch  die  Einwirkung  von 
Natriumamalgam  auf  Nickelochlorid,  als  auch  auf  dem  oben  be- 
schriebenen elektrolytischen  Wege  als  teigige  Masse  erhalten, 
die  beim  vorsichtigen  Erhitzen  im  Wasserstoffstrome  grau- 
schwarzgefärbteS;  mehr  oder  weniger  zusammengeballtes,  aber 
niemals  pyrophorisches  Nickel  liefert.  . 

Kobaltioxyd  wird  bei  fast  derselben  Temperatur  reduziert 
wie  die  entsprechende  Nickelverbindung,  nämlich  bei  190®  bis 
200®;  das  entstehende  Kobaltooxyd  stellt  ein  dunkelgefärbtes 
Pulver  dar,  welches  beim  gelinden  Erhitzen  an  der  Luft  zu- 
nächst in  Kobaltioxyd  und  dann  bei  höherer  Temperatur  in 
Kobaltokobaltioxyd  übergeht,  sich  aber  bei  noch  stärkerem  Er- 
hitzen vor  dem  Gebläse  wieder  in  Kobaltooxyd  zurückverwandelt. 
Bei  250®  liefert  Kobaltioxyd  im  Wasserstoffstrome  pyrophorisches 
Kobalt,  bei  700®  das  Metall  ohne  diese  Eigenschaft. 

Kobaltamalgam,  durch  Elektrolyse  gewonnen,  geht  beim 
Erhitzen  im  Wasserstoffstrome  niemals  in  pyrophorisches  Co- 
balt  über. 

Chromioxyd  wird  durch  Wasserstoff  oder  Kohlenoxyd  bei 
den  höchsten  erreichbaren  Temperaturen  nicht  angegriffen,  doch 
existiert  es,  wie  Moissan s  Versuche  lehren,  ebenfalls  in  zwei 
verschiedenen  Modifikationen.  Erhitzt  man  nämlich  Chromihy- 
droxyd  in  einem  indifferenten  Gasstrome,  trockenem  Stickstoff  oder 
Kohlendioxyd,  sehr  stark,  so  geht  es  unter  Erglühen  in  wasser- 


-    312    ^ 

freies  Chromioxyd  über,  das  nunmehr  weder  von  Säuren,  noch 
von  Halogenen  u.  s.  w.  verändert  wird. 

Anders  verhält  sich  das  wasserfreie  Chromioxyd,  dss  man 
durch  Entwässern  von  Chromihydroxyd  in  einem  indifferenten 
Oasstrome  bei  dunkler  Kotglut  erhält. 

Durch  Erhitzen  dieses  Produktes  im  trockenen  Schwefel- 
wasserstoflfistrome  auf  440®  wirdChromisulfid,  CrjS^,  gewonnen  und 
als  identisch  mit  dem  beim  Glühen  von  Chromichlorid  im  Schwefel- 
wasserstoffstrome erhaltenen  Sulfide  erkannt.  Das  neue  Prodakt 
stellt  ein  grauschwarzgefärbtes  Pulver  dar,  das  durch  Säuren 
ziemlich  schwer  angegriffen  und  durch  starkes  Glühen  im  Wasser- 
stoffstrome in  Chromosulfid,  GrS,  ein  schwarzes,  leicht  zu  Chromi- 
oxyd verglimmendes  Pulver  übergeführt  wird. 

In  analoger  Weise  wird  durch  Erhitzen  des  nicht  geglühten 
Chromioxydes  im  mittels  Wasserstoff  oder  Stickstoff  zugefuhrten 
Selendampfe,  oder  von  nicht  geglühtem  Chromioxyd  bezw.  von 
Chromichlorid  im  Selenwasserstoffstrome  Chromiselenid,  als 
kastanienbraungefärbtes  Pulver  erhalten  und  durch  Glühen  im 
Wasserstoffstrome  in  das  schwarze,  pulverförmige  Chromoselenid 
verwandelt. 

Nachdem  die  Eigenschaften  dieser  neuen  Produkte  eingehend 
studiert  worden  sind,  läßt  Moissan  auf  die  reaktionsfähige 
Modifikation  des  Chromioxydes  bei  440®  Sauerstoff  einwirken 
und  kommt  so  zu  dem  graugefärbten  Chromdioxyd,  CrO^,  einem 
Produkte,  das  mit  Salzsäure  Chlor  entwickelt,  sich  aber  schon 
beim  Erhitzen  wieder  in  Chromioxyd  zurückverwandelt. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  war  die  Einwirkimg  der 
Halogene  auf  Chromioxyd.  Sofort  angestellte  Versuche  lehren, 
daß  stark  erhitztes  Chromioxyd  bei  der  Temperatur  des  siedenden 
Schwefels  (440®)  von  Chlor  nicht  angegriffen  wird.  Erhitzt  man  da- 
gegen Chromihydroxyd  in  einem  trockenen  Chlorstrome  nach  und 
nach  auf  440®,  so  entwickeln  sich  zunächst  Wasserdämpfe  und  nahe 
bei  440®  treten  die  roten  Dämpfe  von  Chromylchlorid  auf;  ebenso 
verhält  sich  das  nicht  geglühte  Chromioxyd  gegen  feuchtes  Chlor. 

Den  Grund  für  diese  interessanten  Reaktionen  findet  Moissan 
darin,  daß  das  Chromioxyd  bei  440®  noch  5  bis  10®/^,  Wasser 
enthält,  und  daß  es  der  aus  dem  Wasserdampfe  durch  die  Ein- 
wirkung des  Chlors  gebildete  Sauerstoff  ist,  der  die  Bildung  des 
Chromylchlorids  verursacht. 


-    313    - 

Unter  den   gleichen   Bedingungen   wirkt   auch  Bromdampf 
auf  Chromioxyd  ein. 

*  Nun  wird  auch  Chromamalgam  dargestellt  und  durch  Ein- 
wirkung von  Natriumamalgam  auf  Chromochlorid,  -bromid  oder 
-Jodid  als  flüssige,  an  trockener  Luft  langsam,  bei  Gegenwart 
von  Feuchtigkeit  aber  rasch  zersetzbare  Masse  erhalten.  Im 
Wasserstoffstrome  über  350®  erhitzt,  verwandelt  sich  das  Produkt 
in  amorphes  schwarzes  Chrom,  das  zwar  erst  beim  Erhitzen 
in  grnngefärbtes  Chromioxyd  übergeht,  aber  doch  weit  leichter 
oxydierbar  ist  als  dasjenige,  welches  Sainte-Claire  Deville^*) 
bei  der  Reduktion  von  Chromioxyd  durch  Kohle  erhalten  hatte. 
Die  Betrachtangen,  die  M  o  i  s  s  a  n  im  Anschlüsse  an 
diese  Untei^uchungen  über  die  Klassifikation  der  Metalle  der 
Eisengrappe  anstellt,  führen  ihn  zu  der  Annahme,  daß  die 
natürliche  Reihenfolge  Chrom,  Mangan,  Eisen,  Kobalt,  Nickel 
sein  müsse. 

Die  Untersuchung  über  die  Chromselenide  gab  übrigens  den 
Anlaß,  daß  Moissan  in  Gemeinschaft  mit  A.  Etard  eine  neue 
Methode  zur  Darstellung  von  Selenwasserstoff,  die  sich  auch 
zur  Bereitung  von  Jodwasserstoff  eignet,  ausarbeitet^^).  Wird 
Selen  mit  Kolophonium  gemischt  erhitzt,  so  entwickelt  sich  ein 
gleichmäßiger  Strom  von  Selen  Wasserstoff,  den  man  zur  Reinigung 
nur  noch  durch  eine  mit  Schwefelsäure  gefüllte  Waschflasche  und 
ein  Asbest  enthaltendes  Rohr  hindurchzuleiten  braucht.  In  ähn- 
licher Weise  läßt  sich  durch  Erhitzen  von  Jod  mit  Kolophonium 
reiner  Jodwasserstoff  gewinnen. 

Mit  den  obigen  Mitteilungen  hatte  Moissan  seine  Unter- 
suchungen über  das  Chrom  noch  keineswegs  abgeschlossen;  im 
Gegenteil,  die  von  ihm  erhaltenen  interessanten  Resultate  er- 
muntern den  jungen  Forscher  zur  Fortsetzung  seiner  Studien. 
Zunächst  werden  die  Versuche  von  Moberg**)  und  von 
Peligot^'')  fortgesetzt  und  Chromosalze  dargestellt.  Moissan 
erhält  die  wasserfreien  Chromohalogenide,  CrClj,  CrBr^  und 
CrJj,  teils  durch  Einwirkung  von  Halogenwasserstoff  auf  rot- 
glühendes Chrom,  teils  durch  Erhitzen  von  Chromihalogeniden 
im  reinen  und  trockenen  Wasserstoffstrome,  oder  durch  Glühen 
derselben  Produkte  im  Dampfe  des  betreffenden  Ammonium- 
halogenides als  weiße  Produkte,  die  sich  in  Wasser  bei 
Luftabschluß    mit  prächtig   blauer  Farbe   lösen,   und   sich   als 


-     314    - 

Reduktionsmittel  erweisen.  Die  Hydrate  der  Chromohalogenide 
dagegen,  gewonnen  durch  Reduktion  von  sauren  Chromihalogenid- 
lösungen  mit  Zink,  sind  gefärbt;  das  ausführlich  beschriebene 
Chromochloridhydrat,  CrCl^,  6  HjO,  z.  B.  bildet  blaugefärbte 
Prismen. 

Chroraosulfat,  CrSO^,  7  H2O,  bereitet  Moissan  aus  dem 
entsprechenden  Acetat  durch  Einwirkung  von  verdünnter 
Schwefelsäure;  das  Salz  bildet  schön  blangefärbte,  dem  Mag- 
nesiumsulfat isomorphe  Kristalle,  die  außerordentlich  begierig 
Sauerstoff  aufnehmen  und  sich  mit  Stickoxyd  braun  färben. 
Wird  das  Acetat  nicht  mit  verdünnter,  sondern  mit  konzen- 
trierter Schwefelsäure  zersetzt,  so  scheidet  sich  ein  wasser- 
ärmeres Chromosulfat,  CrSO^,  HjO,  in  schönen  weißen  Kristallen 
aus,  die  viel  luftbeständiger  sind  als  die  vorher  beschriebenen, 
sich  aber  unter  dem  Einflüsse  der  geringsten  Menge  von  Wasser 
wieder  in  das  blaugefärbte  Heptahydrat  verwandeln. 

Durch  doppelte  Umsetzung  gewinnt  Moissan  aus  dem  Chlorid 
oder  aus  dem  Sulfat  mittels  Natriumkarbonat,  -phosphat  oder 
-acetat  die  entsprechenden  Chromosalze  und  aus  dem  Acetat 
durch  Einwirkung  von  Oxalsäure  noch  das  Ghromooxalat. 

Alle  diese  Salze  werden  nun  nach  allen  Richtungen  unter- 
sucht. Es  zeigt  sich,  daß  ihre  wässrigen  Lösungen  sauer  rea- 
gieren und  einen  zusammenziehenden  Geschmack  besitzen;  alle 
Salze  wirken  als  starke  Reduktionsmittel  und  nähern  sich  in 
ihren  Eigenschaften  den  Ferrosalzen.  Chrom  und  Eisen  zeigen 
also  in  ihren  Verbindungen  die  größten  Analogien. 

Durch  diese  Befunde  wird  Moissan  dazu  bewogen,  die 
komplexen  Chromocyanide ,  von  denen  ein  Kaliumsalz  von 
Berzelius*®)  sowie  von  Fresenius  und  Haidien")  und  von 
Des  camp  s''*)  als  eine  blau-  bezw.  gelbgefärbte  Verbindung 
beschrieben  worden  war,  eingehender  zu  studieren  und  mit  den 
Perrocyaniden  zu  vergleichen. 

Moissan  gewinnt  Kaliumchromocyanid,  K4Cr(CN)j,  aufver- 
schiedene  Art  und  Weise,  durch  Einwirkung  von  Kaliumcyanid 
auf  Chromocyanid,  durch  Erhitzen  von  Kaliumkarbonat,  ge- 
trocknetem Blut  und  fein  gepulvertem  Chrom,  durch  Einwirkung 
von  Kaliumcyanid  auf  Chromochlorid,  durch  Erhitzen  von  fein 
gepulvertem  Chrom  mit  konzentrierter  Kaliumcyanidlösung  im 
geschlossenen  Rohre  auf  125®  und  durch  Einwirkung  von  Kalium- 


-     315     - 

Cyanid  auf  Chromokarbonat,  in  Gestalt  hellgelbgefärbter  Kristalle, 
die  sich  wie  die  des  Kaliamferrocyanids  leicht  in  Wasser  lösen, 
ebensowenig  giftig  sind  und  mit  Ferrosalzen  einen  charakte- 
ristischen, orangerot  gefärbten  Niederschlag  geben. 

Durch  Einwirkung  von  verdünnter  Schwefelsäure  oder  Salz- 
säure werden  aus  der  konzentrierten  LOsung  dieses  Salzes  kleine, 
weiße,  außerordentlich  leicht  zersetzliche  Kristalle  abgeschieden ; 
der  so  erhaltene  Ohromocyanwasserstoff  erweist  sich  in  jeder 
Beziehung  als  Analogen  von  Ferrocyan Wasserstoff. 

Nachdem  Moissan  noch  vergeblich  versucht  hat,  die 
bei  der  Einwirkung  von  Hydroperoxyd  auf  verdünnte  Chrom- 
sänrelösung  als  blaugefärbte,  in  Äther  lösliche  Verbindung  ent- 
stehende Perchromsäure ")  zu  isolieren,  — -  er  konnte  nur  nach- 
weisen, daß  sie  nicht  der  Formel  GrO^  entspricht,  und  nahm 
an,  daß  sie  ein  Additionsprodukt  von  Hydroperoxyd  an 
Ghromsäureanhydrid  sei  und,  worauf  auch  seine  Analysen 
deuteten,  der  Formel  CrOj,  HjOj  entspreche  —  zeigt  er,  daß 
man  das  käufliche,  bekanntlich  mit  Schwefelsäure  stark  verun- 
reinigte Chromsäureauhydrid  leicht  dadurch  reinigen  kann,  daß 
man  es  vorsichtig  schmilzt  und  dann  auf  eine  Porzellanplatte 
ausgießt. 

Das  so  erhaltene  Produkt  enthält  nur  noch  eine  ganz  ge- 
ringe Menge  von  Schwefelsäure;  es  ist  sehr  hygroskopisch  und 
bildet,  mit  wenig  Wasser  einige  Augenblicke  auf  100®  erwärmt, 
dann  dekantiert  und  auf  0**  abgekühlt,  kleine  rotgefärbte  Kristalle 
des  Monohydrates  H^CrO^.  Ebenso  wie  Wasser  wird  Chlor- 
wasserstoff von  Chromsäureanhydrid  absorbiert,  und  dabei  bildet 
sich,  namentlich  wenn  man  schwach  erwärmt,  Chromylchlorid 
neben  einer  öligen,  in  Wasser  löslichen  Masse.  Brom-  und  Jod- 
wasserstoffgas wirken  dagegen  nicht  ein. 

Auch  das  Verhalten  der  Elemente  gegen  Chromsäureanhydrid 
wird  studiert,  und  es  wird  gefunden,  daß  die  sich  abspielenden 
Reaktionen  meist  mit  starker  Wärmeentwicklung  oder  mit  Feuer- 
erscheinung verknüpft  sind;  nur  Sauerstoff,  Ozon  und  trockenes 
Chlor  sind  ohne  Einwirkung  auf  das  reine  Anhydrid;  feuchtes 
Chlor  aber  bildet,  wie  Chlorwasserstoff,  Chromylchlorid. 

Mit  der  letztgenannten  Untersuchung  über  das  Chromsäure- 
anhydrid schließen  Moissans  Jugendarbeiten  ab. 


316 


Untersuchungen  über  das  Fluor  und  seine 
Verbindungen. 

Am  20.  Oktober  1884  legt  H.  Debray,  der,  wie  wir  in 
der  Einleitung  erwähnten,  die  Studien  des  jungen  Forschers 
mit  regster  Teilnahme  verfolgte,  der  Acad6mie  eine  kurze  Mit- 
teilung Moissans  über  das  Phosphortrifluorid'^)  vor. 

Niemand,  auch  wohl  Moissan  nicht,  wird  damals  geahnt 
haben,  daß  der  kaum  Zweiunddreißigjährige  mit  dieser  Unter- 
suchung ein  Gebiet  betrat,  auf  dem  er  sich  schon  nach  kurzer 
—  für  wissenschaftliche  Untersuchungen  wenigstens  kurzer  — 
Zeit  seine  ersten  unsterblichen  Verdienste  erwerben  sollte. 

Die  Notiz  enthält  die  ersten  Resultate  von  Moissans 
Untersuchungen  über  das  Fluor  und  seine  Verbindungen;  die 
systematische  Fortsetzung  dieser  ersten  Versuche  führte  im 
Jahre  1886  zu  dem  von  so  vielen  hervorragenden  Forschern  vorher 
so  oft,  aber  vergeblich  angestrebten  und  von  allen  Chemikern  so 
sehnsüchtig  erwarteten  Ergebnisse,   zur  Isolierung  des  Fluors. 

Schon  1670  hatte  Schwan hardt  in  Nürnberg  Flußsäure 
zum  Ätzen  von  Glas  verwendet^^).  Marggraf")  untersuchte 
1764  das  Verhalten  von  konzentrierter  Schwefelsäure  gegen 
Flußspat  und  fand,  daß  eine  Glasretorte,  in  der  er  die  Mischung 
beider  erhitzte,  zerfressen  wurde,  während  sich  gleichzeitig  ein 
weißes,  erdiges  Sublimat  bildete.  Scheele^'*)  erkannte,  daß  Fluß- 
spat eine  Verbindung  von  Kalk  mit  einer  eigentümlichen  Säure 
sei,  die  er  im  Jahre  1771  beschrieb,  ohne  sie  indessen  rein  er- 
halten zu  haben.  Gay-Lussac  und  Thenard^®)  stellten  1809 
zum  ersten  Male  reine,  wenn  auch  noch  nicht  vollkommen  wasser- 
freie Flußsäure  durch  Destillation  von  1  Teil  gepulvertem  kiesel- 
säurefreien Flußspat  mit  2  Teilen  konzentrierter  Schwefelsäure 
in  einer  Retorte  von  Blei  oder  Platin,  die  nicht  mit  Zinn  ge- 
lötet sein  durfte,  dar,  und  fingen  die  Säure  in  einer  durch  Eis 
gekühlten  Vorlage  von  Platin  oder  von  Blei  auf;  mit  diesem 
Präparate  klärten  sie  dann  die  Einwirkung  der  Flußsäure  auf 
Kieselsäure  und  Silicate  vollständig  auf. 

Allgemein  hielt  man  damals  die  Flußsäure  für  sauerstofi- 
haltig;  da  entspann  sich  zwischen  Andre  Marie  Ampfere  und 
Sir  Humphry  Davy  ein  interessanter  Briefwechsel"). 


—    317     - 

Ampfere  schreibt  an  Davy: 

Paris ^  i®'  novembre  1810. 
Monsieur, 

M,  Underwood,  que  fai  eu  Vhonnetir  de  voir  ce  matin, 
nf'ayant  autorise  ä  etre  aupres  de  vous  Vinterprete  de  la  recon- 
naissance  q?ie  vous  doirent  toiis  ceux  gut  sHnt&ressent  aux  jj^rogrds 
de  la  Science,  qui  vous  en  doit  de  si  nombreux  et  de  si  impor- 
tants,  fose  sofis  ses  auspic£S  vous  prier  de  fne  pardonner  Vespece 
dHndiscr4tion  qu'il  peut  y  avoir  ä  vous  adresser  ceite  lettre  sans 
etre  connu  de  vous,  et  ne  pouvant,  Monsieur,  vous  offrir  pour 
tout  titre  ä  un  peu  de  bienveillance  de  votre  part  qus  mon  ad- 
miration  pour  les  brillaiites  decouvertes  par  lesquelles  vous  avex 
donnä  une  si  heureuse  extension  aux  connaissances  quon  avait 
avant  vous  en  Chimie,  et  au  Systeme  gin^al  de  cette  Science 
dont  vous  avex  dtendu  et  g^n4rali^d  les  lois  en  faisant  rentrer 
les  terres  et  les  alcalis  dans  la  classe  des  autres  oxydes. 

A  cette  d^caurerte  capitale,  vous  renex  d'en  joindre  une 
nmiveUe  annoncee  dans  votre  lettre  ä  mon  respectahle  ami 
M.  Bietet,  qu'il  a  publiee  dans  le  dernier  nurniro  de  la  Biblio- 
iheque  britannique,  Vous  atiex  augmente  le  nombre  des 
Corps  combu^übles,  vous  renex  de  joindre  ä  Voxygene  un  second 
Corps  comburant,  le  gax  oxy-muriatique,  qui  formera  d^ormais 
avec  lui  une  classe  de  corps  simples  distingues  de  tous  les  autres 
Corps  simples  que  nous  nommons  combustibles,  par  la  tendance 
älectrique  opposde.  II  m'a  sembU  evident  que,  pour  refuser  au 
gax  oxy-muriatique  le  no?n  de  corps  simple,  il  faudrait  renoncer 
a  cet  axiome  de  la  Chimie  moderne  qu'on  doit  donner  ce  nom 
ä  tous  les  corps  qu'on  n'a  point  encore  d(^co7npos4s.  J'ai  dt4 
egalement  frappe  de  Vanaloffie  des  gax  oxygene  et  oxy-muriatique, 
celui'd  formant  avec  plusieurs  corps  combustibles,  comine  Vhydro- 
gene,  le  soufre,  le  phospfiore,  /'t^fam,  etc.,  des  acides  qu'on  pour- 
rait  nommer  acide  hydro-muriatique  (aMde  muriaUque  ankydre), 
acide  »ulfuro-muriatique  (liqueur  roge  de  M.  Thomson),  acide 
phosphoro-muriatique  (liqueur  dont  vous  avex  fait  connaitre  la 
combinaison  ammoniacale) ,  acide  stan7io-7nuriatique  (beurre 
d'dtain),  etc. 

II  suivrait  de  la  que  la  combinaison  d'apparence  terreuse 
formte  d'acide  pkosphoro-muriatique  et  d'ammoniaque  serait 
nne  sorte   de   sei  insoluble   quon  pourrait  nommer  phosphoro- 


—    318    — 

muriate  d^ammoniaque,  qtie  le  sei  ammoniac  ordinaire  aerait 
un  hydro-muriate,  ainsi  que  tous  les  sels  oü  Vacide-  hydro- 
muriatiqtie  seratt  combin4  avec  un  oxyde  metallique,  tandis  que 
ceux  au  Vhydrogene  de  Vacide  s'efi  vUj  sous  forme  d^eau^  avec 
Voxygene  de  V oxyde  et  oü  il  ne  reste  que  le  m^täl  combini  avec 
le  gax  oxy-muriatiqu^,  seraient  ä  V^gnrd  de  ee  gax  ce  qu>e  les 
Oxydes  ordinaires  sont  ä  Voxyghie. 

Tout  eela  sttppose  que  Voxygene  qu^on  obtient  en  exposant 
Vcudde  oxy-muriatique  liquide  ä  la  lumiere  viefit  de  Veau  döcom- 
posde,  et  que  V oxyde  noir  de  manganese  donne  naissance  au  gaz 
oxy-muriatiquey  parce  que  son  oxygene  enleve  pour  former  de 
Veau  Vhydrogdne  uni  ä  ce  gax   dans   Vacide  hydro-muriatique. 

Pardon,  Monsieur,  si  je  prends  la  libertö  de  dMuire  aussi 
longuement  de  votre  lettre  ä  M.  Bietet  des  cons^qfiences  qui  me 
paraissent  en  d6couler  aussi  imniMiatement.  Sans  ces  r^flexions 
prüiminaires,  il  nVeut  üä  difficile  d^expliqiier  Vopinion  sur 
laquelle  je  d^sire  vous  consulter.  Vaeide  fluorique,  tel  qu^qn  le 
congoit  commun&ment,  ne  peut  s'ohtenir  pur:  c^est  un  de  ces 
etres  de  raison  dont  vous  avex  fait  justice  quand  on  a  voulu 
inmginer  des  alcalis  secs  qu'on  ne  pourait  ni  voir,  ni  obtenir; 
un  acide  muriatiqus  sec  non  moins  chim&rique,  etc.  La  sup- 
Position  que  Vacide  boracique  et  Voxyde  de  silicium  (sihice)  sont 
dissous  ä  Vätat  de  gax  dans  cet  acide  probUmatique  n* est ^  eile 
pas  contraire  ä  toutes  les  analogies,  et  ne  serait-il  pas  probable 
que  ces  ph&nomenes  sont  dus  ä  une  troisienie  corps  cofnburant? 
Pcrmettex-moi  de  donner  provisoirement  ä  ce  troisieme  corps 
comburant  le  nom  d' oxy- fluorique;  il  se  trouverait  combin^ 
avec  le  calcium  dans  ce  qu'on  appelle  fluate  de  cfiaux.  Quand 
cette  dernidre  substance  est  chauffde  dans  un  tube  de  plornb  avec 
de  Vacide  sulfurique  concentrd  oü  il  y  a  toujours  de  Veau, 
Voxygene  de  cette  eau  convertirait  le  calcium  en  chaux  pour 
donner  naissance  au  sulfate  de  chaux,  qui  se  forme,  et  son 
hydrogene  se  combinerait  avec  Voxy-fluorique  pour  former  cet 
acide  hydro-fluorique,  sous  forme  liquide,  qui  prodiät  de  si 
terribles  effets  sur  les  corps  vivants.  Celui-d  mis  en  ccniact 
avec  Voxyde  de  silicium,  il  y  aurait  formation  d^eau,  et  le  siU- 
dum  uni  ä  Voxy fluorique  donnerait  ce  gax  qu'on  nomme  acide 
fluoriqtce  silici,  que  dans  cette  Hypothese  on  devrait  appekr  acide 
silicio'fluorique,  et  serait  analogue  aux  autres  acides  gaxeux. 


—    319    - 

De  meme,  lorsquon  chauffe  le  fluate  de  chaux  avec  Vadde 

boracique,  une  partie  de  cet  acide  serait  d^omposde  paar  changer 

le  calcium   en   chauxy    et   le    bore   d^oxydS  se  combinant  avec 

Voxy-ftuoriqiLe,   il  en  r4sulterait  eneore  un  acide  gaxeuxy   celui 

qu'on  obUeni,    en  effet,   dans  cette  circonstance,    et  qui  dei^raif, 

dans  cette  hypothese,    etre   appele  acide  boro-fluorique,     Chi  de- 

couvrirait  sans  dotite  bientöt  les  acides  sulfuro-fluoriqtie,  phos- 

phoro-fluorique,  si  Von  pouvait  obtenir  Voxy-fluoriqne.  Ce  dernier 

peut  etre  bien  difftdle  ä  obtenir,   surtout  s'il  a  plus  d^affinit^ 

pour  l'hydrogine  que  rien  ont  les  gax  oxygene  et  oxy-muriatique. 

Reste  ä  savoir  si  V4lectricite  ne  d^composerait  pas  Vadde  hydro- 

fiuoriqvs  sous  sa  forme  liquide,  loj'squ'on  en  aurait  ecart6  Veau 

le  plus  possible,  enportant  Vhydrogene  d'un  cöt6  et  Vcxy-fluorique 

de  Vautre,  ainsi  quHl  arrive  aux  deux  autres  corps  comburants^ 

lorsque  le  meme  agent  d^composß   Veau   et   Vadde  hydro-muri- 

atique.    Le  seul  inconv4nient  ä  redouter  dans  cette   exp&ience 

est   la  combinaison   de  Voxy-fluorique   avec   le  condueteur  avec 

leqv£l  il   se  trouverait  en  contact  a  Vitat  naissant     Peut-^tre 

aucun  mStal  ne  pourrait  se  refuser  ä  cette  combinaismi.     Mais, 

en  supposant  que  Voxy-fluorique  füt,   com^ne  Voxy-muriatiqus^ 

incapable  de  se  combiner  avec  le  charbon,  ce  dernier  corps  serait 

peut' etre  assex  bon  conducteur  pour   etre   employ6  avec  succds 

comme   tel   dans  cette   exp&rience.     Vous  trouverex   sans  doute^ 

Monsieur,    ces  demieres  id4es    bien  hasard^es,  peut-etre  meme 

absolument  d6nu4es  de  fondement.     Je  rVose  vous   les  präsenter 

qu*en  tremblant,  et  d'apres  un  assex  grand  nombre  d^analogies 

que  je  ne  pourrais   vou^  exposer  sans  entrer  dans  des  dMails 

eneore  plus  fa^tidieux  que  les  präcedents.    Je  iVai  d^ä  que  trop 

alms^  d'un  tcmps  dmit  les  sdences  r4dament  tous  les  moments. 

Pardonnex-moi  une  trop  longue  lettre,   et  permettex-moi  que  je 

fn'applaiidisse   d'avoir   trouv^  cette    keureuse  occasion    de  vous 

offrir  Vhommage  de  mon  profond  respect  et  de  Vadmh'aüon,  aussi 

vive  que  sincere,  que  yn'ont  inspiräes  vos  immortelles  däcouvertes. 

Davy  aDtwortet: 

London,  febr,  8,  1811, 
Sir, 

I  thank  you  very  s'incerely  for  the  letter  you  were  so  good 
as  to  send  to  me;  the  senüments  it  contained  were  highly  flat- 
tering  to  me  and  the  views  very  instruktive. 


—    320    — 

You  have  pointed  out  the  analogies  between  the  fluaric  and 
muriatic  gasses  in  a  masterly  mainier.  I  know  of  but  ane  ob- 
jection  to  the  views  you  propose.  This  is  that  potash  seems  to 
be  formed  by  bmming  potassium  in  silicated  fltwric  gas;  which 
seems  to  imply  ihat  tkere  is  some  substance  in  it  which  coiitains 
oxygen. 

I  shall  taice  the  libefiy  of  sending  tvith  this  note  my  last 
paper  on  oxymuriatic  gas,  Beceive  it  as  a  proof  of  my  high 
esteenu 

I  shall  always  feel  gratefull  for   any  communicaiion  7inth 
which  you  mag  be  pleased  to  hofiour  me. 
I  am  sir,  etc. 

H.  Davy. 

Hieranf  schreibt  Ampere: 

Paris,  25  aoüt  1812. 
Monsieur, 

La  lettre  qu^.  vous  m'ai'ex  fait  Vhonneur  de  7n*4crire  m^a 
fait  eprotiver  un  des  plus  vifs  plaisirs  qv4i  faie  ressentis  de 
ma  vie.  Rien  ne  pouvait  etre  plus  flatteur  pour  moi  que  la 
permission  que  vous  voulex  Inen  me  donfier,  et  do7U  je  nie  häte 
de  profiter,  de  vous  consulter  quelque  fois  sur  les  points  encore 
contest^s  d'une  Science  qui  vous  doit  des  progres  aussi  impor- 
tants  qu'inattendu^.  Votre  lettre  ne  m^a  4te  remise  que  le  14 
du  courantf  ä  plu^  de  dix-huit  moi^  de  date;  plusieurs  circon- 
stances  particulieres  ont  caus^  ce  retard.  Je  vous  prie  d'agr^ 
tous  mes  remerciements  et  de  cette  lettre  et  de  VOuvrage  qui 
l'accompagnait,  J'ai  remis  aux  pef^sonnes  ä  qui  ils  dtaient 
adresses  les  deux  autres  exemplaires  de  votre  Memoire  et  ä 
M,   Unterwood  la  lettre  que  refifermait  la  7nienne. 

J'ai  rdflechi  ensuite  sur  ce  que  vous  me  dites  sur  la  fiature 
de  Vactde  fluaHque,  11  est  evident  que  dmis  Vhypothese  aü  il 
serait  forme,  comme  l'acide  ?nufnatique  d'hydrogene  et  d'un 
Corps  analogue  aux  gax,  oxygene  et  chlorine,  corps  que  je 
nomynerai  ici  par  analogie  fhiori?ie,  pour  pouvoir  expaser  ma 
pensde  sans  päriphrase,  les  gax  qtCon  nomme  en  France  fluo- 
borique  et  fluorique  silic^,  dtant  formis  uniquement  k 
preynier  de  bore  et  de  flüori?ic,  le  second  de  siUdum  et  de 
fluorine,  il  ne  pourrait  jamais  se  former  d'oocyde  de  potas- 
sium par   la  combustion   de   ce  m^tal  dans  Fun  ou  Vautre  de 


-    321    - 

ees  deux  gax,  mais  seulement  une  combtnaison  de  potassium 
et  de  fluorine  arec  du  bore  dans  le  premier  cos,  et  dusilidum 
dans  le  seeond,  tant  qu'on  n'y  joindrait  pas  d'eau,  au  tant  que 
Veau  unie  au  m4lange  ne  serait  pas  d^composöe.  Or  dans  Vune 
et  Vaiitre  combustian  on  obtient  un  produit  brun  noirätre,  Ce 
prodmt,  lars  de  la  combustimi  dans  le  gax  fluoboriqiie,  est  forme, 
d'apres  les  experiences  de  MM,  The^iard  et  Gay-LussaCy  et  con- 
formömeut  ä  mon  hgpothese,  de  bore  et  d'une  substance  qui  se 
dissotit  dans  Veau  et  VaMde  muriatique,  soit  immMiatementy  soit 
parce  que  Vhydrogeiie  de  Veau  ou  de  Vacide  muriatique  forme 
de  nouveau  arec  le  fluorine  de  Vacide  fluorique^  tandis  qu'il 
se  produit  en  meme  temps  de  Voxyde  de  potassium  si  c'est  de 
l'eau,  et  du  muriate  de  potasse  si  c'est  de  Vacide  muriatique. 
Pour  que  mon  hypothdse  püt  subsister,  il  faudrait  que,  lors  de 
la  combustion  dans  le  gax  fluorique  silic^,  il  tVy  eüt  de  meme 
dans  le  produit  brun  noirätre  que  du  siliciicm  et  la  meme 
substance  soluble  da7is  Veau  et  Vaeide  muriatique,  en  sorte  que, 
par  des  Uzvages  suecessifs  dans  un  des  deux  deruiers  liquides, 
il  ne  restät  que  du  silicium  d'autant  plus  pur  qu*on  Vaurait 
lav4  avec  plus  de  soin.  Or,  fai  relu  toutes  les  exp&riences  faites 
par  MM.  Thenard  et  Oay-Lussac  sur  la  combustion  dti  potas- 
sium dans  le  gax  fluorique  silic^,  et  je  n'ai  rien  trouv6  qui 
contredtt  cette  kypotkese,  ni  qui  indiquät  qu'il  y  a  de  Voxyde 
de  potassium  dans  le  produit  brun  noirätre  avant  qu'on  y 
ait  mis  de  Veau.  Gomme  on  rVa  point  en  France  vos  ex- 
periences sur  ce  meme  produit,  je  ne  sais  point  si  vous  en  avex 
fait  qui  prouvent  que  Voxyde  de  potassium  y  est  tout  form4, 
Jtisque-lä,  il  me  semble  que  7non  Hypothese  peut  etre  admise  et 
qu'elle  rend  raison^  mieux  que  toute  autre  des  propri^t^s  du  gax 
fltioborique  et  du  gax  fluorique  silici,  en  les  assimilant  aux  autres 
gax  form4s  de  corps  eombustibles  et  d'oxygene,  comme  sont  les 
gax  aeides  carbonique  et  sulfurviue,  au  Heu  qtCon  ne  voit  point 
dans  Vancienne  Hypothese  comment  Vacide  fluorique  pourrait 
former  des  gax  avec  des  bases  aussi  fixes  que  le  sont  la  silier 
et  Vaxdde  bmique.     II  faut  seulement  admettre: 

P  Que  le  silicium  se  pr^ente  apres  la  deeomposition  de 
8on  oxyde,  sous  la  forme  d'une  poudre  nairätre,  comme  le  molyb- 
däne,  ce  qui  vient  ä  Vappui  £une  id^  qui  me  semble  a^ssex 
vraisemblable,    savoir  que  le  silicium  fait  une  sorte   de  nuance 

SitBungiberiehte  der  phys.-med.  Sos.  39  (1907).  21 


-    322    — 

entre  les  rn^taux  et  les  autres  corps  combtistibles,  tels  que  k 
bore,  le  phosphorey  le  carbone,  ete,,  de  meme  q^ie  sanoxyde. 
la  s^ilice,  est  un  corps  en  quelqiie  sorte  interniMiaire  entre  les 
Oxydes  m^talliques  aux  alcalin^  et  les  acide^; 

2°  Que  la  substance  blanche  obtenue  par  les  chimistes  qiu 
je  viens  de  eiter,  en  brillant  dans  le  gax  oxygene  le  produit  hrun 
noirätre  obtenu  du  gax  fluorique  silic4  par  le  mögen  du 
potassium,  et  lav6  dans  Veau  ou  Vacide  muriatique,  etmt 
seuletnent  de  la  silice  et  que  le  gax  fluorique  silic4  qui  s'est 
reproduit  en  petite  quantit^  dans  cette  demüre  combustion  renait 
ou  de  ce  que  le  potassium  ne  s^pare pas  completement  le  sili- 
dum  du  fluorine  avec  lequel  il  est  combin^  dans  le  gai 
fluorique  silic4,  ou  de  ce  que,  Veau  des  lavages  ayantfoumi 
deVoxygene  au  potassium,  le  fluorine  avait  en  partiequitif 
ce  dernier  m4tal  pour  s'unir  de  nouveau  avec  le  silicium,  mais 
en  bien  moindrs  quantit^  que  dans  le  gax  fluorique  silic6; 
ce  qui  n-aurait  pas  lieu  dans  le  cas  ou  le  bore  remplacerait 
le  sili  dum,  parce  qu'il  a  moins  d^af finita  que  lui  pour  k 
fluorine,  Vacide  borique  ne  d^composant  pas  Vaeide  fluorique 
comme  le  fait  la  silice, 

II  suivrait  de  cette  maniere  de  concevoir  les  ph^omenes  que 
la  combustion  du  potassium  dans  le  gax  fluorique  silice 
co7idutrait  probablement  ä  obtenir  pur  le  sHidum^  qu^on  parait 
n'avoir  obtenu  jusqu'ä  prSsent  qu'en  combinaison  avec  le  fer. 

Quoi  quil  en  soit  de  ces  id^es,  que  je  ne  vous  prisenie 
que  comme  des  conjectures  dont  vous  etes,  Monsieur,  le  juge 
naturel,  je  crois  quun  des  meilleurs  7noyens  de  co^inaitre  to 
nature  de  Vacide  fluorique  serait  de  le  soufnettre,  ä  Vet<it  liquide, 
ä  la  pile  de  Volta,  cet  instrument  qui  est  devenu  dans  i^os  mains 
la  source  des  d^couvertes  les  plus  remarquables  de  toute  la  Chimie 
moderne,  On  pourrait  aussi  tenter  d'obte?iir  la  combinaison 
seche  et  rolatile  du  mercure  et  du  fluorine,  en  calcinant  du 
phosphate  aci4e  de  mercure  avec  le  spath  fluor  le  plus  pur,  quh 
dans  Vhypothese  dmit  nous  parlons,  ne  contiendrait  que  du 
fluorine  et  du  calcium,  ce  dernier  m6tal  se  combinant  dans 
cette  Operation  avec  Voxyghie  et  Vacide  phosphorique  qui  sani 
joints  au  mercure  dans  ce  phosphate  acide,  En  calcinant  ceiie 
combinaison  de  mercure  et  de  fluoHne,  quHl  faut  bien  distinguer 
du  fluate  de  mercure  fait   par   la  roie  humide,   avec   du  phas- 


—    323    — 

pharej  on  pourrait  obtenir  tme  comhinaüon  de  phosphore  et  de 
flu or ine,  d'ou  Von  retirerait  peut-etre  le  f/uorine  pur  en 
brülant  le  phosphore;  comnie  on  retire  ais4ment  le  chiorine  de 
sa  comhinaison  avee  le  mercure  en  suivant  le  menie  proc^d^-. 

J^ai  SU  qu^on  a  r^4U  en  France  les  exp6riences  que  M.  Murray 
avait  proposies  contre  votre  opinion  relativemeni  au  chlorine, 
mais  que  les  r4sultats  avaient  6U  absolument  contraires  ä  ceux 
que  ce  chirmste  avait  annonc4Sy  puisqu'on  na  jamais  pu  trouver 
de  Veau  dans  le  sei  ammoniac  pr^pari  avec  des  gax  bien  des- 
sächSsj  sott  qu'on  se  servtt  dss  gax  ammoniac  et  acide  muriati- 
que,  soit  qu'on  emphyät  le  premier  des  ces  de%Lx  gax  et  le 
chlorine, 

Vous  avex  sans  doute  appris,  Monsieur^  la  d^couverte  qu'on 
a  falte  ä  Paris,  il  y  a  pres  d^un  an,  d'une  combinaison  de  gax 
axote  et  de  chUyrine  qui  a  Vapparence  d'une  huile  plus  pesante 
que  Veau^  et  qui  d^tone  avec  toute  la  violence  des  mdtaux  fulmi- 
nants  ä  la  simple  ckaleur  de  la-  main,  ce  qui  a  privi  d^un  (eil 
et  d'un  doigt  Vauteur  de  cette  dicouverte.  Gelte  d^tonaOon  a 
Heu  par  la  simple  Separation  des  deux  gax,  comme  ceUe  de  la 
combinaison  d^oxygene  et  de  chlorine  qu'a  fait  connattre  monsieur 
uotre  fr^e :  il  y  a  igaUment  beaucoup  de  lumiere  et  de  chaleur 
produites  dans  cette  dMonation,  ou  un  liquide  se  d4compose  en 
deux  gax, 

Xai  Phonneur  d'etre,  avec .  le  respect  que  votre  nom  inspire 
ä  Ums  ceux  qui  aiment  ou  cultivent  les  Scienes, 

Mofisieur 
Votre  tres  humble  et  tr^  obüssant  serviteur 

A.  Ampere, 

Die  Antwort  Davys  lautet: 

Berkeley  Square,  London  March  6*^, 
To  M,  Ampdre.    Paris. 
Sir, 

Till  this  matnent  I  have  no  opportunity  of  replyüig  to  your 
obliging  letter, 

The  fulminating  oil  which  you  mentioned  rou^ed  my  curi- 
osiiy  and  nearly  deprived  me  of  an  eye,  After  some  months 
confmement  I  am  again  well,  I  hope  soon  to  have  some  results 
to  communicate  to  you  respecting  fluorine, 

I  shall  send  unth  this  note  a  paper  on  the  detonating  com- 

21* 


-    324    — 

poiind,  I  did  not  mentio7i  yotir  fiame  in  it,  because  I  kad 
not  an  opportunity  of  asking  your  permissian  and  I  did  not 
think  it  right  to  do  so  tvithout  a  permission. 

The  paper  was  rather  to  cautimi  the  english  cheniists  against 
the  oil,  than  to  communicate  any  striking  results. 

Your  ingenious  views  respecting  fluorine  may  be  eonfirmed, 
1  haie  every  reason  to  conclude  froni  my  expeiimetits  that  there 
is  no  oxygene  combined  with  the  potassium  in  the  experiment, 
071  the  combustiov  of  potassium  in  silicated  fluoric  gas;  and 
that  the  first  view  which  I  formed  on  the  subject  is  incorreci, 
I  have  many  new  experiments  on  the  subject;  but  I  have  only 
a  moment  in  which  I  can  make  this  communication, 

I  will  not  lose  the  opportunity   of  saying    that  I  am  rery 

sincerely,  etc. 

H,  Davy. 

Zu  einer  Zeit  also^  da  man  in  Frankreich  noch  nicht 
an  die  Existenz  der  Halogenwasserstoffsäuren  glaubte,  erkannte 
Amp6re  die  richtige  Zasammensetzung  der  Flaßsäare! 

Davy^^)  teilte  diese  Auffassung  und  bewies  sofort,  daß  die 
Flußsäure  keinen  Sauerstoff  enthält.  Er  neutralisierte  Fluor- 
wasserstoff mit  reinem  Ammoniak,  erhitzte  das  gebildete  Produkt 
in  einem  Platinapparate  auf  hohe  Temperaturen  und  konnte  in 
dem  kalten  Teile  seines  Apparates  Wasser  auch  nicht  in  ge- 
ringen Spuren  nachweisen,  während  er  bei  dem  gleichen,  mit 
dem  Ammoniumsalze  einer  sauerstoffhaltigen  Säure  angestellten 
Versuche  eine  erhebliche  Menge  von  Wasser  erhielt.  Über  die 
Analogie  der  Flußsäure  mit  Chlorwasserstoffsäure  konnte  kein 
Zweifel  mehr  herrschen. 

Davy  stellte  sogleich  weitere  Versuche  an  und  bemühte  sich, 
das  Fluor  abzuscheiden,  indem  er  Flußsäure  in  Apparaten  aus 
Platin  und  aus  geschmolzenem  Silberchlorid  der  Elektrolyse  unter- 
warf. Solange  Wasser  zugegen  war,  wurde  der  Fluorwasser- 
stoff zersetzt,  dann  erfolgte  der  Stromdurchgang  viel  schwieriger; 
ließ  er  Funken  in  der  konzentrierten  Säurö  überspringen,  so 
erhielt  er  mitunter  eine  kleine  Menge  Gas,  aber  binnen  kurzer 
Zeit  war  die,  wenn  auch  noch  so  gut  gekühlte  Säure  vollständig 
verdampft,  und  der  weitere  Aufenthalt  im  Laboratorium  wurde 
dadurch  unmöglich*^). 

Andere,  mit  großen  Schwierigkeiten  verbundene  Vei-suche 


—     325    — 

Davys  erstrecken  sieb  auf  die  Einwirkung  von  Chlor  auf 
Fluoride  in  Gefäßen  aus  Kohle,  Schwefel,  Gold,  Platin  u.  s.  w. ; 
bei  den  Experimenten  wurde  das  Material  der  Gefäße  erheblich 
EDgegriffen.  Sieber  hatte  sich  eine  geringe  Menge  Fluor  gebildet, 
aber  ein  einigermaßen  zufriedenstellendes  Resultat  wurde  nicht 
erbalten. 

Davy  kommt  so  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  chemische  Ak- 
tivität des  Fluors  bedeutend  größer  sein  müsse  als  die  der  bis 
dahin  bekannten  Elemente,  und  daß  seine  Versuche  vielleicht 
dann  von  Erfolg  gekrönt  sein  würden,  wenn  man  sie  in  Fluß- 
spatgefäßen ausführte. 

Dieser  Gedanke  Davys  wurde  später  von  verschiedenen 
Forschem  wieder  aufgenommen. 

Nachdem  1833  Aime*^)  die  Einwirkung  von  Chlor  auf 
Silberfluorid  in  einem  Glasgefäße,  dessen  Wandungen  mit  einer 
dünnen  Schicht  von  Kautschuk  überzogen  worden  waren,  studiert 
und,  ohne  bessere  Resultate  als  Davy  erhalten  zu  haben,  kon- 
statiert hatte,  daß  der  Kautschuk  verkohlt  wurde,  wiederholten 
G.  J.  Knox  und  Th.  Knox**)  den  gleichen  Versuch  resultatlos 
in  einem  Gefäße  aus  Calciumfluorid**). 

Im  Jahre  1846  beschäftigte  sichLouyet")  mit  einer  ähn- 
lichen Reaktion,  nämlich  mit  der  Einwirkung  von  Chlor  auf 
Quecksilberfluorid  in  einem  Flußspatapparat  und  kam  auf  Grund 
falscher  Versuchsbedingungen **)  zu  folgendem  Ergebnisse :  „Was 
die  Natur  des  Fluoi'S  betrifft,  so  habe  ich  die  Hypothese 
Amperes  vollständig  widerlegt,  d.  h.  ich  habe  nachgewiesen, 
daß  dieser  Körper  weit  mehr  Analogien  mit  Sauerstoff  oder 
Schwefel  zeigt  als  mit  den  Halogenen  Chlor,    Brom  und  Jod." 

Fremy*^)  nahm,  veranlaßt  durch  die  Veröffentlichungen 
von  Louyet,  gegen  1850  die  Versuche  zur  Abscheidung.  des 
Fluors  wieder  auf,  stellte  viele  neue  Fluoride  dar,  beschrieb 
deren  Zusammensetzung  und  Eigenschaften  und  untersuchte  mit 
großer  Sorgfalt  die  Einwirkung  verschiedener  Gase,  besonders 
die  von  Sauerstoff  und  Chlor  auf  diese  Fluoride;  endlich  wandte 
er  seine  Aufmerksamkeit  der  elektrolytischen  Zersetzung  von 
Metallfluoriden  zu**^). 

Eingehender  hat  sich  Fremy  dann  mit  der  Einwirkung 
von  Chlor  auf  die  Fluoride  von  Blei,  Antimon,  Quecksilber  und 
Silber  beschäftigt  und  bei  dieser  Gelegenheit  deutlich  bewiesen, 


—    326     - 

daß  es  zu  jener  Zeit  nahezu  anmöglich  war,  Flaoride  Ib  absolut 
trockenem  Zustande  zu  erhalten;  dies  war  auch  der  Grund 
dafür,  daß  Fremy  seine  elektrolytischen  Versuche  hauptsächlich 
mit  Galciumfluorid  angestellt  hat. 

Nachdem  er  beobachtet  hatte,  wie  hartnäckig  die  Metall- 
fluoride  Wasser  zurückhalten,  griff  er  immer  wieder  zum  Fluß- 
spat, der  iu  der  Natur  sehr  rein  und  vor  allem  vollständig 
wasserfrei  vorkommt,  zurück  und  unterwarf  ihn  im  Schmelz- 
flusse in  Platinapparaten  der  Einwirkung  des  elektrischen  Stromes. 
Am  negativen  Pole  wurde  metallisches  Calcium  abgeschieden 
und  der  als  Anode  dienende  Platinstab  wurde  sehr  rasch  an- 
gefressen; das  dort  auftretende  Aufschäumen  bewies,  daß  ein 
Gas  abgeschieden  wurde.  Dieses  Gas  hatte  die  Eigenschaften, 
Jod  aus  Jodiden  frei  zu  machen.  Wiederholte  man  jedoch  den 
Versuch  einige  Male,  so  wurden  die  Wände  des  Platinapparates 
alsbald  durch  das  freiwerdende  Metall  zerstört;  der  Apparat 
wurde  in  wenigen  Augenblicken  unbrauchbar,  und  man  mußte 
den  Versuch  neu  beginnen. 

Fremy  war  nicht  der  Mann,  der  sich  durch  Mißerfolge 
abschrecken  ließ;  im  Gegenteil,  bei  resultatlos  verlaufenen  Ver- 
suchen zeigte  er  eine  kaum  glaubliche  Hartnäckigkeit.  Er  ändert 
die  Apparate  und  Versuchsbedingungen  in  der  mannigfaltigsten 
Weise,  und  jede  neue  Schwierigkeit  ermutigt  ihn  nur  von  neuem 
zu  weiteren  Versuchen. 

Zwei  wichtige  Entdeckungen  leuchten  vor  allem  aus  Fremys 
Arbeiten  hervor. 

Die  erste  ist  die  Darstellung  der  völlig  wasserfreien, 
chemisch  reinen  Flußsäure,  deren  Existenz  bisher  unbe- 
kannt war.  Fremy  bereitet  Kaliumfluorhydrat  und  verwendet 
es,  nachdem  er  die  Zusammensetzung  des  neuen  Produktes 
ermittelt  hat,  sofort  als  Ausgangsmaterial  zur  Gewinnung  von 
reiner  Flußsäure,  die  als  ein  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
gasförmiger,  in  einer  Kältemischung  sich  zu  einer  farblosen 
Flüssigkeit  verdichtender  Körper,  der  äußerst  begierig  Wasser 
anzieht,  erhalten  wird. 

Die  zweite  wichtige  Tatsache,  die  Fremys  Untersuchung 
zeitigte,  ist  eigentlich  fast  gar  nicht  beachtet  worden;  sie  war 
für  Moissan  aber  von  größtem  Werte,    denn  sie  zeigte,   daß 


—    327    — 

das  Fluor  in  außerordentlicher  Weise  befähigt  ist,  sich  an  fast 
alle  Verbindungen  anzulagern*''). 

Es  hat  fast  den  Anschein,  als  ob  diese  Mitteilungen  Fremys 
»päter  manchen  Forscher  entmutigt  und  von  neuen  Unter- 
suchungen abgehalten  hätten.  Erst  13  Jahre  nach  der  Veröffent- 
lichung dieser  Versuche  nahm  G.  Gore*®)  das  systematische 
Studium  der  Flußsäure  wieder  auf. 

Gore  verbessert  zunächst  die  Methode  Fremys  zur  Dar- 
stellung der  wasserfreien  Säure,  bestimmt  ihren  Siedepunkt  zu 
19,4®  und  ihre  Dampfspannung  bei  verschiedenen  Temperaturen 
und  ermittelt  ihre  wichtigsten  Eigenschaften ;  er  untersucht  das 
Verhalten  der  reinen  und  der  mit  anderen  Säuren  gemischten 
Flaßsäure  bei  der  Elektrolyse  und  findet  in  Übereinstimmung 
mit  Faraday,  daß  absolut  wasserfreie  Flußsäure  den  elek- 
trischen Strom  nicht  leitet.  Enthält  die  Säure  eine  kleine  Menge 
Wasser,  so  wird  nur  dieses  durch  den  Strom  zersetzt  und  dann 
hört  die  Leitung  vollständig  auf.  Endlich  berichtet  Gore  über 
zahlreiche  Beobachtungen,  die  die  Einwirkung  der  wasserfreien 
Fluorwassei-stoffsäure  auf  Metalloide,  Metalle  und  verschiedene 
Salze  betreffen"). 

In  einer  zweiten  Versuchsreihe  beschäftigt  sich  Gore*®) 
sehr  intensiv  mit  Silberfluorid  und  dessen  Elektrolyse  im 
Schmelzflusse,  sowie  mit  der  Einwirkung  dieses  Fluorids  auf 
verschiedene  Metalloide  und  berichtet  über  die  Bildung  von  einigen 
tertiären  und  quaternären  Fluorverbindungen '^^). 


So  lagen  die  Verhältnisse,  als  Henri  Moissan,  kurz 
nachdem  er  die  Untersuchungen  über  das  Chrom  zu  Ende  ge- 
führt hatte,  seine  Studien  über  das  Fluor  und  seine  Ver- 
bindungen begann. 

Wir  erfahren  später  von  ihm,  als  er  die  Resultate  in  seinen 
berühmten  „Recherches  sur  I'isolement  du  fluor"")  zum  ersten 
Male  zusammenstellt,  über  die  Idee,  die  ihn  bei  der  Ausführung 
seiner  Untersuchungen  leitete,  folgendes: 

„  J(ß  mis  parti  dans  ces  recherdies  d'uyie  idee  precon^me. 
Si  ran  suppose  pour  un  instant  que  le  chlore  n'ait  pas  encore 
ete  isoUj  bien  que  Jious  sachions  preparer  les  chlorures  m^talli' 
ques,  Vadde  chlorhydrique,  les  chlorures  de  phosph(yre  et  d^autres 


-    328    — 

Corps  fdmilaires,  ü  est  de  toute  emdence  que  Von  augmentera  ks 
chances  qtie  Von  peut  avoir  d'isoler  cet  iUment  en  s'adressant 
aux  compos4s  que  le  chlore  peut  former  avec  les  mitalloUes. 

jjll  me  semblait  que  Von  obUendrait  plutot  du  chlore  en 
essayant  de  d6composer  le  pentachlorure  de  phosphore  ou  Vmde 
chlorhydrique  qu'en  s'adressant  ä  V6lectrolyse  du  chlorure  de  cd- 
dum  ou  d'un  chlorure  alcalin. 

y^Ne  dmt'il  pas  en  etre  de  meme  pour  le  fluor? 

y^Enfin  le  fltcor  ätantj  d'apres  les  recherches  antSrieures  ei 
particulidrement  Celles  de  Davy  et  de  M,  Fremy,  un  corps  doue 
d'affinitSs  4nergiques,  on  devait,  pour  pouvoir  recueilHr  cet 
iUment,  op4rer  ä  des  temp^ratures  aussi  basses  que  possibk, 

„TeUes  soni  les  consid^rations  g&n^rales  qui  m'ont  atnene  ä 
reprendre  d'une  fa^on  syst4matiqus  Vitude  de^  camUnaisom 
form^s  par  le  fluor  et  les  m^Mlloides.^ 

Die  ersten  Versuche,  über  die  Moissan  berichtet,  er- 
strecken sich  somit  auf  die  Reindarstellnng  and  üntersucbang 
einiger  Verbindungen  von  Fluor  mit  Phosphor  und  Arsen. 

Wie  schon  kurz  erwähnt  wurde,  enthält  die  erste  Ver- 
öffentlichung auf  dem  neuen  Gebiete  Mitteilungen  über  das 
Phosphortrifluorid"),  das  von  H.  Davy")  und  Dumas**)  als 
heftig  rauchende  Flüssigkeit  beschrieben  worden  war,  während 
Mac  Ivor")  schon  1875  darauf  aufmerksam  gemacht  hatte,  daß 
die  reine  Verbindung  ein  Gas  sei"). 

Moissan  gewinnt  das  Trifluorid  durch  Einwirkung  von 
Bleifluorid  auf  sorgfältig  getrocknetes  Kupferphosphid  in  einem 
Messingrohre  bei  dunkler  Rotglut  und  erhält  so  ein  im  reinen 
Zustande  an  der  Luft  nicht  rauchendes  Gas,  das  sich  unter 
dem  Drucke  von  40  Atmosphären  und  bei  —  10*^  mit  Hilfe 
des  Cailletetschen  Apparates  in  eine  farblose,  leichtbeweg- 
liche, Glas  nicht  angreifende  Flüssigkeit  verwandeln  läßt, 
während  es  bei  24^  selbst  unter  dem  großen  Drucke  von 
180  Atmosphären  noch  im  Gaszustande  verharrt. 

Moissan  findet,  daß  das  an  der  Luft  nicht  brennbare  Gas 
explodiert,  wenn  es  mit  der  Hälfte  seines  Volumens  Sauerstoff 
gemischt  angezündet  oder  der  Einwirkung  des  elektrischen 
Funkens  ausgesetzt  wird,  und  er  vermutet,  daß  das  bei  der 
letztgenannten  Reaktion  entstehende  Produkt  Phosphoroxyflnorid 
sei.    Die  neue  gasförmige  Verbindung  raucht  nämlich  an  der 


-     329     — 

Luft  UDd  wird  durch  Wasser  sofort  absorbiert,  wobei  eine 
Phosphorsäure  enthaltende  Flüssigkeit  entsteht ;  Phosphor- 
trifluorid  reagiert  dagegen  mit  Wasser  bei  gewöhnlicher  Tempe- 
ratur nur  sehr  langsam,  beim  Erwärmen  schneller  unter  Bildung 
von  phosphoriger  Säure  und  von  Fluorwasserstoff. 

Beim  Erhitzen  in  Olasgefäßen  wird  das  Trifluorid  zerlegt. 
Das  Oasvolumen  nimmt  ab  und  Phosphordämpfe  kondensieren 
sich  an  den  Oefäß Wandungen;  das  dabei  wohl  sicher  entstehende 
Fluor  aber  läßt  sich  nicht  isolieren,  denn  es  reagiert  sofort  mit 
der  Kieselsäure  des  Glases  unter  Bildung   von  Siliciumfluorid. 

Von  den  übrigen  Reaktionen  des  Phosphortrifluorids  sind 
als  besonders  charakteristisch  zu  erwähnen,  daß  es  sich  mit 
Ammoniak  zu  einer  \^ollähnlichen,  an  feuchter  Luft  verschwinden- 
den Masse  und  mit  Chlor,  Brom  und  Jod  zu  wohldeflnierten 
Verbindungen  vereinigt 

Gleichzeitig  stellt  Moissan  auf  dem  schon  früher  von 
Dumas'*^  und  von  Mac  Ivor**^)  eingeschlagenem  Wege  Arsen- 
trifluorid*®)  dar,  indem  er  ein  aus  gleichen  Gewichtsteilen  von 
Calciumfluorid  und  von  trockener,  chlorfreier,  arseniger  Säure 
bestehendes  Gemisch  mit  der  doppelten  Gewichtsmenge  konzen- 
trierter Schwefelsäure  erhitzt.  Die  so  erhaltene,  nach  der 
Rektifikation  bei  +  63^  siedende,  farblose  und  leichtbewegliche 
Flüssigkeit  ist  nur  mit  großen,  persönlichen  Gefahren  zu  hand- 
haben, denn  sie  nift  auf  der  Haut  tiefe  und  recht  schmerzhafte 
Wunden  hervor.  Mehrmals  hat  Moissan  die  Untersuchung 
dieses  Fluorides  ans  gesundheitlichen  Gründen  unterbrechen 
müssen,  aber  er  ruhte  nicht  eher,  als  bis  er  alle  für  seine 
Zwecke  notwendigen  physikalischen  und  chemischen  Eigen- 
schaften des  Produktes  ermittelt  hatte  und  zu  der  Überzeugung 
gelangt  war,  daß  auch  dieses  Fluorid  zur  Isolierung  des  Fluors 
nicht  zu  verwenden  war. 

Wie  das  Phosphortrifluorid,  wenn  auch  in  einer  etwas 
anderen  Weise,  erleidet  auch  die  Arsenverbindung  beim  Erhitzen 
in  einem  Glasgefäße  bei  dunkler  Rotglut  Zersetzung;  es  scheidet 
sich  nicht  die  geringste  Spur  von  Arsen,  sondern  Arsentrioxyd  ab, 
während  gasförmiges  Siliciumfluorid  entweicht.  Der  Sauerstoff 
des  im  Glase  enthaltenen  Siliciumdioxydes  genügt  zur  voll- 
ständigen Oxydation  des  primär  gebildeten  Arsens. 

Das    flüssige    Arsen  trifluorid    leitet    die    Elektrizität    nur 


—     330     - 

schlecht;  wendet  man  aber  den  starken,  von  25  Bunsen-Ele- 
menten  gelieferten  Strom  an,  so  scheidet  sich  an  der  Kathode 
sofort  Arsen  ab,  während  von  dem  als  Anode  dienenden  Platin- 
drahte Gasblasen,  die  ihn  korrodieren,  aufsteigen.  Sollte  das 
Gas  Fluor  sein?  Die  Frage  läßt  sich  nicht  entscheiden,  denn 
der  Strom,  der  au  und  für  sich  durch  Arsentriflnorid  nur  schwer 
geleitet  wird,  wird  durch  das  sich  abscheidende  Arsen  bald 
gänzlich  unterbrochen. 

Diese  neuen  interessanten  Tatsachen  veranlassen  Moissan, 
die  Einwirkung  des  Induktionsfunkens  auf  Phosphortrifluorid 
zu  studieren*^). 

£}r  findet,  daß  bei  längerer  Einwirkung  des  Funkens  das 
Volumen  des  absolut  trockenen,  über  Quecksilber  abgesperrten 
Gases  abnimmt,  daß  an  den  Wandungen  des  Gases  Phosphor 
abgeschieden  wird,  und  daß  sich  das  restierende  Gas  teilweise 
durch  Wasser,  welches  dann  die  Reaktionen  von  Phosphorsäure 
zeigt,  aufnehmen  läßt:  der  vom  Wasser  nicht  absorbierte  Rest 
besteht  aus  unverändertem  Phosphortrifluorid.  Kaum  kann  ein 
Zweifel  darüber  bestehen,  daß  sich  aus  dem  Trifluorid  unter 
der  Einwirkung  des  Induktionsfunkens  Phosphorpentafluorid  ge- 
bildet hat,  und  daß  somit  die  Gleichung: 

4PF3  +  PF3  =  3PF5  +  2P 
8  Vol.     2  Vol.     6  Vol. 
zu  Recht  besteht. 

Nun  werden  aber  auch  sogleich  dieselben  Versuche  mit  dem 
nicht  durch  Kaliumhydroxyd  getrockneten  Gase  ausgeführt,  und 
diese  lehren,  daß  unter  solchen  Bedingungen  auch  das  Glas  der 
verwandten  Gefäße  mit  in  Reaktion  tritt:  neben  Phosphor  bildet 
sich  Siliciumfluorid,  und  das  resultierende  Gasgemenge  vermag 
Jod  aus  Kaliumjodidlösung  in  Freiheit  zu  setzen. 

Phosphortrifluorid  nimmt  Moissans  Interesse  noch  weiter 
in  Anspruch;  neue  Methoden  zur  Darstellung  dieser  interessanten 
Verbindung  werden  ersonnen**). 

Das  Fluorid  kann  sehr  leicht  und  in  reinem  Zustande  da- 
durch gewonnen  werden,  daß  man  Arsentriflnorid  unter  sorg- 
fältigem Ausschlüsse  von  Feuchtigkeit  in  Phosphortrichlorid  ein- 
tropfen läßt,  da«  gebildete  Gas  durch  ein  auf  —  15^  abgekühltes 
Rohr  leitet,  über  Quecksilber  auffängt  und  durch  Berührung 
mit  etwas  Wasser  von  den  beigemengten  Dämpfen  der  Ausgangs- 


-    331     - 

materialien  befreit.  Die  Eigenschaften  des  so  dargestellten 
Fluorids  stimmen  mit  denjenigen  des  nach  der  früheren  Methode 
erhaltenen  vollständig  überein,  und  der  letzte  Zweifel  über  die 
Identität  der  beiden  Produkte  wird  behoben,  als  die  Analyse 
gelingt  und  in  beiden  Fällen  die  Formel  PF,  beweist.  Gleich- 
zeitig bestätigt  Moissan  die  kurz  vorher  von  Berthelot ®^) 
auf  Grund  thermischer  und  maßanalytischer  Untersuchungen 
entwickelte  Ansicht,  daß  Phosphortrifluorid  bei  der  Zersetzung 
durch  Alkalilauge  nicht  einfach  in  Fluorid  und  Phosphit  zerlegt 
wird,  sondern  Salze  einer  sehr  beständigen  fluorphosphorigen 
Säure  bildet. 

Jetzt  ist  also  Phosphortrifluorid  nach  verschiedenen  Me- 
thoden in  größerer  Menge  rein  dargestellt  worden,  und  nun  kann 
die  schon  ganz  kurz  er ^y ahnte  Einwirkung  der  Halogene  auf 
das  Gas  näher  verfolgt  werden**).  Chlor  liefert  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  mit  dem  Trifluorid  ein  gasförmiges  Produkt, 
dessen  Studium  vorbehalten  bleibt;  Camille  Poulenc**)  hat 
später  auf  Moissans  Veranlassung  eine  vortreffliche  Arbeit 
über  dieses  Phosphorpentafluorchlorid  ausgeführt.  Jod  reagiert 
erst  bei  300®  l)is  400"  unter  Bildung  einer  festen,  in  der  Wärme 
gelb-,  bei  gewöhnlicher  Temperatur  rotgefärbten  Verbindung; 
sie  ladet  nicht  zn  weiteren  Versuchen  ein,  da  bei  ihrer  Ent- 
stehung das  Glasgefäß  mit  angegriffen  wird.  Nur  das  bei  der  Ver- 
einigung von  trockenem  Brom  und  Phosphortrifluorid  bei  — 10® 
entstehende  Phosphorpentafluorbromid  unterzieht  Moissan  per- 
sönlich einer  eingehenden  Untersuchung. 

Er  erhält  eine  leiohtbe wegliche,  bernsteingelb  gefärbte 
Flüssigkeit,  die  an  der  Luft  stark  raucht,  die  Atmungsorgane 
heftig  angreift,  unter  —20®  zu  kleinen,  hellgelb  gefärbten 
Kristallen  erstarrt,  und  schon  bei  -f- 15**  glatt  in  Phosphor- 
pentafluorid  und  -bromid  zerfällt;  letzteres  wird  in  Überein- 
stimmung mit  E.  Baudrimont*®)  in  zwei  Modifikationen,  gelb- 
und  rotgefärbt,  gewonnen. 

Das  soeben  erwähnte  Phosphorpentafluorid  war  früher  schon 
von  Thomas  Eduard  Thorpe*'')  bei  der  Einwirkung  von 
Arsentrifluorid  auf  Phosphorpentachlorid  erhalten  und  untersucht 
worden.  Moissan  zeigt  nun  aber*®),  daß  nach  Thorpes  Ver- 
fahren kein  reines  Pentafluorid  entsteht,  da  dem  Gase  in- 
folge der   sehr  lebhaft   verlaufenden  Reaktion   immer  Arsen- 


—    332    — 

trifluorid  und  -chlorid  beigemengt  sind.  Das  bei  der  Selbst- 
zersetzang  von  Phosphorpentafluorbromid  sich  bildende  Gas 
kann  dagegen  leicht  in  reinstem  Zustande  gewonnen  werden, 
da  sich  die  geringen  Spuren  von  etwa  mitgerissenem  Brom 
durch  etwas  Quecksilber  sicher  entfernen  lassen. 

Reines  Phosphorpentafluorid  ist  nicht  brennbar,  raucht  stark 
an  der  Luft,  besitzt  einen  stechenden  Geruch  und  wird  von 
Wasser  vollständig  absorbiert;  unter  23  Atmosphären  Druck  läßt 
es  sich  im  Cailletetschen  Apparate  bei  16^,  also  bei  gewöhn- 
licher Temperatur,  zu  einer  Glas  nicht  angreifenden  Flüssig- 
keit verdichten,  die  bei  plötzlicher,  geringer  Druckverminde- 
rung zu  einer,  allerdings  nur  kurze  Zeit  beständigen,  schneeartigen 
Masse  erstarrt. 

Wie  wir  später  noch  sehen  werden,  beschäftigt  sich  Moissan 
zu  dieser  Zeit  auch  noch  mit  anderen  gasförmigen  Fluoriden; 
aber  alles  ist  vergeblich,  in  keinem  Falle  läßt  sich  durch  den 
Induktionsfunken  Fluor  isolieren. 

Bei  air  diesen  Mißerfolgen  drängt  sich  dem  Forscher  eine 
neue  Frage  auf:  Könnte  sich  nicht  vielleicht  doch  bei  höheren 
Temperaturen  eine  Zerlegung  des  Phosphorfluoride  dadurch  er- 
möglichen lassen,  daß  man  sie  bei  dunkler  Rotglut  über  Platin- 
schwamm leitet,  so  ein  Platiufluorid  darstellt  und  aus  diesem 
durch  rasches  Erhitzen  auf  helle  Rotglut  das  Fluor  austreibt? 

Von  vornherein  schien  es  nicht  unmöglich  zu  sein,  diese 
Idee  verwirklichen  zu  können,  denn  Fremy*®)  hatte  ja  ge- 
funden, daß  das  bei  der  Elektrolyse  von  Alkalifluoriden  ent- 
stehende Platinfluorid  bei  hohen  Temperaturen  reinen  Platin- 
schwamm liefert 

Sofort  macht  sich  Moissan  ans  Werk'®).  Alle  experimentellen 
Schwierigkeiten  werden  spielend  dadurch  überwunden,  daß  das 
Platinrohr,  in  welchem  der  sorgfältig  gereinigte  Platinschwamm 
auf  Rotglut  erhitzt  wird,  in  ein  Porzellanrohr  eingeschoben  und 
darin  von  Stickstoff  umspült  wird;  so  kann  man  das  Rohr  er- 
hitzen, ohne  befürchten  zu  müssen,  daß  die  Verbrennungsgase 
durch  das  Platin  dringen  und  Störungen  verursachen. 

Phosphortrifluorid  wird,  wenn  es  in  langsamen  Strome  über 
den  Platinschwamm  streicht,  vollständig  absorbiert;  das  Ex- 
periment verläuft  aber  anders,  wenn  man  den  Gasstrom  in  leb- 
hafterem Tempo  durch  die  Röhre  sendet,  denn  dann  wird  eine 


—    333     - 

kleine  Menge  Phosphorpentaflaorid  gebildet  und  das  austretende 
Gas  zeigt  merkwürdige  Eigenschaften:  es  setzt  z.  B.  sofort  Jod  aus 
Kaliumjodidlösung  in  Freiheit  und  greift  Quecksilber  sowie  Glas 
an.  Ganz  kurz  erwähnt  Moissan  in  dieser  Abhandlung  noch, 
daß  der  mit  Phosphorpentafluorid  angestellte  gleiche  Versuch 
zu  analogen  Ergebnissen  führe;  nur  reagiere  das  hierbei  erhaltene 
Gasgemisch  viel  energischer  mit  Kaliumjodidlösung  als  das  vom 
Trifluorid  stammende.  Später  erst  erfahren  wir,  aus  welchem 
Grande  Moissan  die  mit  dem  Pentafluorid  gewonnenen  Resul- 
tate nicht  schon  jetzt  beschreibt. 

Sicherlich  war  also  bei  diesen  Versuchen  etwas  Fluor  ge- 
bildet worden,  aber  eine  vollständige  Zerlegung  d^r  Phosphor- 
fluoride in  ihre  Komponenten  kann  so  nicht  bewerkstelligt  werden, 
da  es  sich  zeigt;  daß  das  Platin  nicht  allein  Phosphor,  sondern 
auch  Fluor  auf  sich  fixiert. 

Das  Experiment  wurde  fünfmal  mit  gleichem  Resultate 
wiederholt  und  dann  aufgegeben ;  zu  jeder  Wiederholung  mußte 
ein  neues  Platinrohr  verwendet  werden,  denn  sobald  sich  das 
Platin  mit  dem  Phosphor  verbindet,  ist  das  Rohr  verloren. 

In  der  Zwischenzeit  hat  Moissan  noch  ein  neues  GaS;  das 
Phosphoroxyfluorid'^M  rein  gewonnen,  dessen  Bildung  er  früher''*) 
schon  vorübergehend  beobachtet  hatte'*).  Zur  Darstellung  der 
neuen  Verbindung  läßt  er  4  Volumina  Phosphortrifluorid  und 
2  Volumina  Sauerstoff  durch  einen  kräftigen  Induktionsfunken 
explodieren,  oder  er  leitet  das  Gasgemisch  über  gelinde  er- 
hitzten Platinschwamm. 

Das  Oxyfluorid  ist  ein  farbloses,  stechend  riechendes,  an 
der  Luft  rauchendes  Gas,  das  von  Wasser  unter  Zersetzung  und 
Wärmeentwicklung  absorbiert  wird  und  sich  leichter  als  die 
Fluoride  des  Phosphors  verflüssigen  läßt.  Unter  gewöhnlichem 
Drucke  geht  es  bei  —  50*^,  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
unter  15  Atmosphären  Druck  in  den  flüssigen  Zustand  über; 
komprimiert  man  es  unter  50  Atmosphären  und  läßt  man  dann 
den  Druck  plötzlich  nach,  so  verwandelt  sich  die  Flüssigkeit 
sofort  in  eine  schneeartige  Masse. 

Nach  diesen  Vorarbeiten  —  so  möchten  wir  im  Hinblick 
auf  die' ihnen  folgende  und  sie  krönende  Entdeckung  diese  schon 
an  sich  ausgezeichneten  Studien  über  die  Fluorverbindungen 
nennen  —  greift  Moissan  auf  die  Versuche  seiner  Vorgänger 


-    334    - 

zurück;  unter  verschiedenen  Bedingungen  elektrolysiert  er  mit 
großer  Sorgfalt  rein  dargestellte  Flußsäure,  und  als  er  sie,  die 
in  reinstem  wasserfreien  Zustande  dem  Strom  keinen  Durchgang 
gestattet;  durch  Zugabe  von  Kaliumfluorhydrat  leitend  gemacht 
hat;  da  wird  am  negativen  Pole  Wasserstoff  abgeschieden,  und  am 
positiven  Pole  entwickelt  sich  ein  neues  Gas  von  ganz  beson- 
deren Eigenschaften  und  von  einer  außerordentlich  großen  che- 
mischen Reaktionsfähigkeit:  Es  ist  das  Radikal  der  Floo- 
ridO;  das  freie  Fluor! 

In  drei  kurzen  Mitteilungen''^)  unterbreitet  Hoissan  der 
Acad6mie  des  Sciences  bescheiden  die  Resultate  seiner  Versuche. 
Nach  jahrelanger  mühevoller  Arbeit  hat  er  endlich  als  erster  Fluor 
unter  den  Händen;  nur  wagt  er  noch  nicht  zu  glauben,  daß 
gerade  ihm  die  Isolierung  des  Elementes  geglückt  sein  soll.  So 
macht  er  sich  selbst  einen  Einwurf  nach  dem  anderen  und  hält 
es  besonders  für  möglich,  daß  das  Gas  ein  Gemenge  von  Ozon 
und  FIuorwassei*stoff  oder  wohl  auch  ein  Wasserstoffperflaorid 
seil»  könne. 

Erst  als  er  durch  erneute  Experimente  nachgewiesen  hat,  daß 
Ozon  mit  Fluorwasserstoff  gemengt  keineswegs  derartige  Re- 
aktionsfähigkeit zeigt,  daß  sein  Gas  beim  Überleiten  fiber 
glühendes  Eisen  keine  Spur  von  Wasserstoff  abgibt,  sondern 
Eisenfluorid  erzeugt,  und  daß  die  beobachtete  Gewichtszunahme 
äquivalent  der  am  negativen  Pole  bei  der  Darstellung  entr 
wickelten  Menge*  Wasserstoff  ist,  und  nachdem  er  noch  ge- 
funden hat,  daß  auch  bei  der  Elektrolyse  von  geschmolzenem 
Kaliumfluorhydrat  ein  Gas  von  denselben  Eigenschaften  er- 
halten wird,  gibt  er  endlich  zu:  ^Le  gax  queV^kctrolyse  digage 
de  fadde  fluorhydrique  ou  du  fluorhydrate  de  fluorure  fofidu  est 
donc  bien  le  fltcor,'^ 

Mit  begreiflicher,  mit  höchster  Spannung  erwarten  alle  Fach- 
genossen eine  ausführliche  Schilderung  der  klassischen  Versuche 
Moissans,  welche,  dem  Charakter  der  Comptes  rendus  ent- 
sprechend, bisher  nur  in  aller  Kürze  beschrieben  werden  konnten. 

Aber  Moissan  berichtet  erst  noch  über  einige  neue  Eigen- 
schaften und  die  Analyse  des  Phosphorpentafluorids '''). 

Das  über  Quecksilber  abgesperrte  Gas  wird,  wie  *  schon 
Thorpe'®)  gefunden  hatte,  durch  schwache  elektrische  Funken 
nicht  verändert;  durch  einen  Induktionsfunken  von  15  bis  20  cm 


—    335    - 

Länge  kaun  aber  Moissan  das  Pentaflaorid  in  Triflnorid  nnd 
Fluor,  welch'  letzteres  wieder  sofort  mit  dem  Glase  und  dem 
Quecksilber  reagiert,  zerlegen.  Im  Gegensatze  zum  Phosphor- 
pentachlorid  vermag  das  Pentafluorid  mit  Phosphordampf  bei 
Rotglut  nicht  in  Reaktion  zu  treten,  und  ebensowenig  ist  eine 
Einwirkung  von  Jod  oder  Schwefel  bei  höheren  Temperaturen 
zu  konstatieren;  die  geringste  Spur  von  Feuchtigkeit  in  einem 
Glasgefäße  genügt  dagegen  schon,  um  eine  Zerlegung  des 
Gases  und  Bildung  von  Phosphoroxyfluorid  und  Siliciumfluorid 
zu  bewirken.  Durch  die  nach  zwei  verschiedenen  Methoden 
bewerkstelligte  Analyse  wird  schließlich  noch  die  Richtigkeit 
der  Formel  PF^  bestätigt. 

Zehn  Jahre  nach  seiner  ersten  selbständigen  Publikation, 
im  Jahre  1887,  veröffentlicht  Moissan  seine  „Recherches  sur 
risolement  du  fluor"'''). 

Staunend  nnd  bewundernd  zugleich  vernimmt  die  Mitwelt, 
was  Moissan  in  dieser  kurzen  Spanne  Zeit  geleistet  hat. 
Jetzt  erst  ist  man  imstande  zu  erkennen,  wie  der  für  seine 
Wissenschaft  Begeisterte  gearbeitet  hat,  wie  er  sich  abmühen 
mußte,  wie  er  hartnäckiger  noch  als  sein  Lehrer  Fremy, 
unbeirrt  durch  die  fast  Schlag  auf  Schlag  folgenden  negativen 
Resultate,  sein  Ziel  verfolgt  und  endlich  auch  erreicht  hat. 

In  dieser  berühmten  Abhandlung  beschreibt  Moissan  aus- 
fuhrlich die  bisher  vollendeten  Versuche,  er  liefert  wertvolle 
Nachträge  zu  seinen  früheren  Veröffentlichungen  und  schildert 
den  mühsamen  Weg,  den  er  gegangen.  Wir  wollen  ihm  auf 
seinen  Pfaden  folgen. 

Wir  erfahren  zunächst,  daß  nicht  das  Phosphortrifluorid, 
sondern  das  schon  lange  vorher  im  reinsten  Zustande  bekannte 
Siliciumfluorid  zu  den  ersten  Versuchen  gedient  hat.  Sofort 
war  auch  der  erste  Mißerfolg  zu  verzeichnen:  Weder  das 
reine,  noch  das  mit  Sauerstoff  gemengte  Gas  wurde  durch  den 
Indnktionsfnnken  verändert. 

Dann  folgten  die  schon  erwähnten''^)  Versuche  mit  den  Fluo- 
riden des  Phosphors.  Wieder  ein  Mißerfolg:  Zwar  Andeutungen, 
daß  Fluor  in  Freiheit  gesetzt  wurde,  aber  untef  den  gewählten 
Arbeitsbedingungen  keine  Möglichkeit,  das  Gas  zu  isolieren. 

Jetzt  wurde  Bortrifluorid  bezüglich  seines  Verhaltens  gegen 
den  Induktionsfunken  untersucht.     Abermals  ein  negatives  Re- 


—    336    - 

sultat:  Das  Gas  erweist  sich  genau  wie  Siliciumfluorid  als  zu 
beständig,  als  daß  es  dnrch  den  ludaktionsfunken  zersetzt 
werden  könnte. 

Nun  wird  Arsentrifluorid  in  den  Bereich  der  Untersuchungen 
gezogen.  Auch  hier  kein  positiver  Erfolg :  Das  gebildete  Gas  wird 
zum  größten  Teile  als  Siliciumfluorid  erkannt,  aber  eine  geringe 
Spur  des  bei  der  Zerlegung  entstandenen  Fluors  war  der  Ein- 
wirkung des  Glases  sicher  entgangen.  Das  frisch  dargestellte 
Gas  greift  nämlich  Quecksilber  an  und  scheidet  Jod  ausKaliuni- 
jodidlösung  aus. 

Weitere  Versuche  mit  dem  Induktionsfunken  erschienen 
aussichtslos;  deshalb  wurde  die  Einwirkung  von  Platinschwamm 
auf  die  Fluoride  von  Phosphor  und  Siliciumfluorid  studiert 

Die  mit  Phosphortrifluorid  erhaltenen  Resultate  hatte 
Moissan  schon  publiziert ''•);  jetzt  hören  wir,  daß  die  früher 
nur  ganz  kurz  erwähnten,  mit  Phosphorpentafluorid  angestellten 
Versuche  Ergebnisse  von  viel  größerer  Bestimmtheit  geliefert 
hatten,  aber  nicht  veröffentlicht  werden  konnten^  denn  eine 
Erklärung  für  die  interessanten  Erscheinungen  war  erst  dann 
mit  Sicherheit  zu  geben,  wenn  man  die  Eigenschaften  des  Fluors 
selbst  kannte. 

Das  beim  raschen  Überleiten  von  Phosphorpentafluorid  über 
glühenden  Platinschwamm  entstehende  Gas  scheidet  aus  festem 
Kaliumjodid  Jod  aus;  es  nimmt  kristallisiertem  Silicium  den  Glanz, 
ohne  es  allerdings  zu  entzünden,  während  Phosphor  in  ihm  ver- 
brennt; es  schwärzt  Quecksilber  und  greift  Glas  unter  Bildung 
von  Siliciumfluorid  an.  Also  auch  hier  wohl  wieder  Anzeichen, 
daß  vielleicht  Fluor  in  Freiheit  gesetzt  wird,  aber  keine  Mög- 
lichkeit, das  Element  auf  diese  Weise  zu  fassen. 

Nachdem  die  mit  Siliciumfluorid  in  gleicher  Weise  ange- 
stellten Versuche  fast  vollständig  ergebnislos  verlaufen  waren, 
wendet  sich  Moissan  erneut  der  Elektrolyse  von  Arsentrifluorid 
zu,  bei  welcher  er  schon  früher®®)  interessante  Beobachtungen 
hatte  sammeln  können. 

Nach  vielen  vergeblichen  Versuchen  findet  er,  daß  die 
Leitfähigkeit  der  Flüssigkeit  am  besten  durch  Zugabe  von 
etwas  Kaliumfluorhydrat  erhöht  werden  kann,  und  durch  Ver- 
stärkung des  Stromes,  unter  Verwendung  von  70  bis  90  Bunsen- 
Elementen,  gelingt  es,  die  Verbindung  ununterbrochen  zu  zer- 


-    33Y    - 

setzen.  Aus  nicht  rektifiziertem  Fluorid  wird  Arsen  abge- 
schieden und  gleichzeitig  Sauerstoff  entwickelt;  das  reine  Pro- 
dukt scheidet  wohl  auch  Arsen  ab,  bildet  aber  zweifellos  gleich- 
zeitig Arsenpentafluorid^  denn  die  sich  zunächst  entwickelnden 
Gasblasen  sind  fast  ganz  verschwunden,  ehe  sie  sich  bis  an 
die  Oberfläche  der  Flüssigkeit  erheben  können.  Sicher  war 
also  auch  in  diesem  Falle  Fluor  abgeschieden  worden,  aber 
das  Element  zu  isolieren  gelang  wiederum  nicht. 

Kein  Zweifel,  daß  manch'  anderer,  und  wäre  er  auch  noch 
so  begeistert  für  seine  Wissenschaft,  abgeschreckt  und  ent- 
mutigt durch  solche  Mißerfolge,  die  anscheinend  so  aussichts- 
lose Untersuchung  aufgegeben  oder  doch  für  längere  Zeit  ab- 
gebrochen haben  würde. 

Aber  das  war  Henri  Moissans  Art  nicht  Je  schwieriger 
das  Problem^  um  so  hartnäckiger  wird  es  verfolgt! 

Schwere  Stunden  hat  damals  —  wir  wissen  es  —  der 
eines  Laboratoriums  beraubte  junge  professeur  agröge  durchlebt; 
aber  mutig  und  selbstlos  hat  er  weitergearbeitet,  alle  persön- 
lichen Sorgen  hat  er  der  geliebten  Wissenschaft  untergeordnet, 
alle  Unbequemlichkeiten  hat  er  auf  sich  genommen,  —  und  er 
ist  Sieger  geblieben. 

Welch  ein  Gewinn  für  die  Wissenschaft,  die  solche  Männer 
zu  ihren  Jüngern  zählt!  Der  Chemie  ist  seit  Lavoisier  eine 
stolze  Schar  führender  Geister,  bewunderungswürdig  in  dem 
unverdrossenen  Verfolgen  der  ihnen  vorschwebenden  Ziele  be- 
schieden gewesen,  und  wir  dürfen  uns  rühmen,  daß  es  uns  auch 
heute  nicht  an  Männern  fehlt,  die  in  der  nie  versagenden  Hin- 
gabe an  die  experimentelle  Lösung  großer  Probleme  für  alle 
Chemiker  vorbildlich  sind. 

„Les  th^ories  se  passent,  V eocperience  reste!^  Die  Wahrheit 
dieser  vom  greisen  Berthelot  geprägten  Worte  tritt  uns  aus 
der  Geschichte  unserer  Wissenschaft  mit  überzeugender  Deut- 
lichkeit entgegen.  So  wertvoll  glückliche  Voraussagungen  und 
geistvolle  Spekulationen  sein  mögen,  —  das  entscheidende  Wort 
spricht  zuletzt  doch  das  Experiment.  y^La  chimie  est  une 
science  experimentale^ ,  das  ist  auch  Henri  Moissans  Leitsatz. 
Kaum  ist  der  letzte  Versuch  zur  Isolierung  des  Fluors  ab- 
geschlossen, abgeschlossen  wiederum  ohne  den  seit  langem  er- 
sehnten und   mit   so  vielen  Mühen   und  Opfern    angestrebten 

Sitsangabeiiclkte  der  phys.-med.  Sos.  39  {imi).  22 


~    338    - 

Erfolg,  da  wird  das  Problem  schon  von  einer  neuen  Seite  in 
Angriff  genommen.  Der  Forscher  unternimmt  es  jetzt,  die 
Elektrolyse  der  FluBsäure  durchzuführen. 

Verschiedene  handliche  Apparate  hatte  Hoissan  im  Laufe 
der  vorhergehenden  Untersuchungen  schon  konstruiert,  doch  ließ 
sich  naturgemäß  keiner  von  diesen  zu  den  neuen  Zwecken  ver- 
wenden, da  die  Flußsäure  ja  aus  zwei  gasförmigen  Grundstoffen 
besteht,  deren  Trennung  im  Momente  ihre  Abscheidung  be- 
werkstelligt werden  muß. 

Moissan  benutzt  jetzt  ein  Ü-Rohr  aus  Platin  und  ver- 
schließt beide  Schenkel  mit  parafflnierten  Korkstopfen,  durch 
welche  die  den  Strom  zuführenden  Platindrähte  bis  auf  ungefähr 
0,5  cm  von  der  Rundung  des  U-Rohres  entfernt  eingeschoben 
werden;  unterhalb  der  Stopfen  wird  an  jeden  Schenkel  ein 
kleines  Platinrohr  angelötet,  durch  das  die  bei  der  Elektrolyse 
entwickelten  Gase  abziehen  können. 

Alle  früheren  Versuche  Moissans  zwangen  dazu,  die  Zer- 
setzung der  Flußsäure  bei  möglichst  niederen  Temperataren 
vorzunehmen;  es  mußte  einesteils  verhindert  werden,  daß  das 
eventuell  sich  entwickelnde  Fluor  in  einem  großen  Überschusse 
der  so  niedrig  siedenden  wasserfreien  Säure  verschwinden  konnte, 
anderenteils  mußte  man  Versuchen,  die  außerordentlich  große 
Reaktionsfähigkeit,  die  Fluor  nach  allem,  was  man  bisher  von 
ihm  wußte,  sicher  besaß,  durch  starke  AbkQhlung  nach  Mög- 
lichkeit abzuschwächen.  Moissan  stellt  daher  seinen  Apparat 
in  Methylchlorid,  das  bekanntlich,  wenn  man  einen  trockenen 
Luftstrom  darüber  leitet,  leicht  eine  Temperatur  von  —  50**  zu 
erhalten  gestattet. 

Die  ersten,  mit  etwas  Wasser  enthaltender  Flußsäure  ao- 
ges teilten  elektrolytischen  Versuche  lieferten  Moissan  kein 
anderes  Resultat,  als  es  früher  schon  Faraday,  Gore  und 
andere  erhalten  hatten:  Die  geringe  Menge  des  in  der  Säure 
enthaltenen  Wassers  wird  durch  den  Strom  unter  Entwicklung 
von  Ozon  zersetzt,  und  dann  hört  der  Stromdurchgang  auf; 
wasserfreie  Flußsäure  leitet  die  Elektrizität  nicht ®^). 

Jetzt  macht  sich  Moissan  die  beim  Arsentrifluorid  ge- 
wonnenen  Erfahrungen  zunutze;  vielleicht  könnte  ja  wasser- 
freie Flußsäure  ebenso  wie  Arsentrifluorid  durch  Kaliumfluor- 
hydrat  leitend    gemacht    werden.      Das   Experiment    bestätigt 


-    339    — 

diese  Annahme.  Sorgfältig  getrocknetes  Ealiumfluorhydrat  löst 
sich  in  wasserfreier  Flußaäure  spielend  leicht  auf,  und  wirk- 
lich, die  Lösung  leitet  den  Strom,  an  jeder  Elektrode  werden 
andauernd  Gasblasen  entwickelt. 

Voller  Freude  stellt  Moissan  einen  neuen  Versuch  in 
größerem  Maßstabe  an.  Das  Experiment  scheint  zu  gelingen, 
denn  ein  Strom  von  35  Amp.  geht  nach  Verlauf  einer  Stunde 
noch  mit  derselben  Leichtigkeit  durch  die  Flflssigkeit  wie  zu 
Beginn.  An  der  Kathode  entwickelt  sich  reiner  Wasserstoff. 
Wie  kann  nun  wohl  das  Fluor,  welches  sich  an  der  Anode  in 
Gasform  abscheiden  muß,  nachgewiesen  werden?  Von  Anfang 
an  war  Moissan  davon  überzeugt,  daß  kristallisiertes  Silicium 
in  Fluor  unbedingt  unter  Feuererscheinung  in  Siliciumfluorid 
verwandelt  werden  müsse;  also  bringt  er  dieses  Präparat  an  das 
von  der  Anode  abführende  Platinrohr:  das  Silicium  fängt  nicht 
Feuer! 

Wie  soll  dieser  neue  Mißerfolg  wieder  zu  deuten  seinP 
Sollte  Fluor  wirklich  nicht  eine  so  gewaltige  Reaktionsfähigkeit 
besitzen,  wie  man  ihm  zugeschrieben  hatte?  Nein,  das  kann 
nicht  möglich  sein,  denn  dann  hätte  man  es  sicher  schon  viel 
früher  isolieren  können!  Sollte  sich  aber  vielleicht  ein  anderes 
Gas  an  der  Anode  entwickelt  haben?  Was  könnte  das  aber 
sein? 

Fast  verzweifelt  ob  seines  Mißgeschicks  nimmt  Moissan 
den  Apparat,  den  er  so  voller  Hoffnungen  gefüllt  hatte,  eine 
Stunde  später  auseinander,  um  ihn  zu  erneuten,  sicher  wieder 
ergebnislos  verlaufenden  Versuchen  herzurichten.  Zunächst  wird 
der  Stopfen  gelöst,  der  an  der  Kathode  angebracht  ist;  er  er- 
weist sich,  obwohl  er  von  gasförmigem  Fluorwasserstoff  umspült 
worden  war,  als  völlig  unverletzt,  und  auch  die  Elektrode  ist 
nicht  im  mindesten  angegriffen.  Doch,  was  ist  das?  Der  andere 
Stopfen  ist  ja  bis  1  cm  tief  verkohlt,  und  die  Anode  ist  stark 
korrodiert;  es  liegt  auf  der  Hand:  hier  muß  ein  Gas  gewirkt 
haben,  das   ganz  andere  Eigenschaften   besitzt   als  Chlor! 

Eine  Wiederholung  des  Versuches  in  der  gleichen  Weise 
ist  nun  ausgeschlossen.  Moissan  läßt  sich  Stopfen  aus  Flußspat 
anfertigen,  die  in  die  Schenkel  des  U-Rohres  eingeschliffen  und 
zur  Auftiahme  der  Elektroden  durchbohrt  werden.  Gleichzeitig 
mit  dieser  Verbesserung  der  Apparatur  ergibt   sich   eine  neue 

22* 


-     340    — 

Schwierigkeit,  denn  der  Zwischenraum  zwischen  dem  Rohr  und 
dem  Stopfen  muß  doch  abgedichtet  werden.  Moissan  stellt 
die  Verdichtung  mit  geschmolzener  Guttapercha  her  und  wieder- 
holt sein  Experiment.  Jetzt  muß  die  Isolierung  des  Gases  ge- 
lingen; aber  wieder  ein  Mißerfolg!  Kaum  ist  der  Strom  einige 
wenige  Minuten  durch  die  Flüssigkeit  hindurch  gegangen,  da 
schmilzt  die  Guttapercha  an  verschiedenen  Stellen,  der  Apparat 
wird  undicht,  und  der  Versuch  muß  abgebrochen  werden. 
Vielleicht  wirkt  Schellack  besser  als  Guttapercha?  Nein;  kein 
anderes  Resultat. 

Und  nun  noch  eine  Reihe  ähnlicher  Versuche  und  ähnlicher 
Mißerfolge;  dann  endlich  beschließt  Moissan  jedwedes  künst- 
liche Abdichtungsmittel  überhaupt  auszuschließen,  und  jetzt  — 
jetzt  entströmt  dem  von  der  Anode  abführenden 
Platinrohr  ein  mit  wunderbaren,  bisher  noch  nicht 
beobachteten  Eigenschaften  begabtes  Gas! 

Welch'  stolze  Entdeckerfreude  mag  damals  Henri 
Mo is Sans  Seele  durchzogen  haben! 

Der  Apparat,  in  dem  zum  ersten  Male  die  Isolierung 
des  Fluors  in  einwandsfreier  Weise  gelang,  bestand  aus  dem 
schon  geschilderten  Platinrohre  (Fig.  1),  dessen  beide  Öffnungen 


ComrattJtiu*  Flüorin* 


Fig.  1. 


Fig.  2. 


durch  je  einen  Flußspatstopfen  (Fig.  2)  verschlossen  waren, 
den  man  in  einen  hohlen,  außen  mit  Schraubengewinden  ver- 
sehenen Platinzylinder  sorgfältig  eingepaßt  hatte;  in  jedem 
Flußspatzylinder  war  als  Elektrode  ein  Platin-Iridiumdraht 
von  2  mm  Querschnitt  und  12  mm  Länge  so  angebracht^ 
daß  er  ungefähr  3  mm  vom  Boden  des  Gefäßes  abstand  und 
genügend  weit  in   die   zu  zersetzende  Lösung  des  Kaliumfluor- 


-^     341     - 

hydrats  in  wasserfreier  Flaßsäure  eintauchte.  Mit  Hilfe 
eines  großen  Korkstopfens  wurde  der  Apparat  in  das  Bad  von 
Methylchlorid  eingesenkt,  und  dann  wurden  die  Elektroden  mit 
den  Polen  der  Batterie  verbunden  (Fig.  3). 


Fig.  3. 


Durch  einen  Bertinschen  Unterbrecher  konnte  der  Strom 
nach  Belieben  unterbrochen  werden;  ein  in  den  Stromkreis 
eingeschaltetes  Amperemeter  gestattete,  die  Stromstärke  und 
die  Leitfähigkeit  der  Flüssigkeit  jederzeit  zu  kontrollieren. 

Jetzt  kam  es  zunächst  darauf  an,  wasserfreie  Flußsäure  zu 
erhalten.  Unter  Einhaltung  einiger  neuer  Vorsichtsmaßregeln 
wird  sie  nach  dem  Verfahren  von  Fremy^*)  gewonnen.  Nun 
entsteht  eine  neue  Schwierigkeit:  die  wasserfreie  Flußsäure 
schnell  in  den  Apparat  hinüberzubringen.  Für  Moissan  ist 
das  nach  all'  den  Erfahrungen,  die  er  bisher  gesammelt  hatte, 
eine  Kleinigkeit. 


—    342    — 

Das  Platinrohr  wird  sorgfältig  getrocknet  und  dann  mit 
6  bis  7  g  vollständig  wasserfreiem  Ealinmflaorhydrat  beschickt; 
hieranf  werden  die  Stopfen  eingeschraubt  und  gleichmäßig  mit 
Schellack  überzogen,  und  nun  wird  der  Apparat  mit  Methyl- 
Chlorid  gekühlt;  nachdem  mit  Hilfe  einer  Qnecksilberlnftpnmpe 
15  bis  16  g  der  wasserfreien  Säure  durch  eines  der  beiden  An- 
satzrohre in  das  U-Rohr  eingesaugt  worden  sind,  wird  der  von 
nicht  mehr  als  20  Bunsen-Elementen^^)  gelieferte  Sti*om 
geschlossen,  und  jetzt  entwickelt  sich  an  der  Kathode  reiner 
Wasserstoff,  an  der  Anode  aber  das  so  lange  gesuchte 
Fluor! 

An  jeder  Elektrode  können  stündlich  1,5  bis  2  1  Gas 
erhalten  werden;  wenn  aber  das  Experiment  zu  lange  fort^ 
gesetzt  wird  und  in  dem  U-Rohre  nicht  mehr  genügend  Flußsänre 
vorhanden  ist,  um  die  beiden  Gase  zu  trennen,  dann  vereinigen 
sie  sich  in  dem  Apparate  selbst  unter  heftiger  Detonation. 
Nimmt  man  den  Apparat  nach  Beendigung  des  Versuches  aus- 
einander, so  findet  man,  daß  die  Flußsäure  eine  kleine  Menge 
Platinfluorid  gelöst  und  einen  schwarzen,  aus  Iridium  und  Platin 
bestehenden  Schlamm  suspendiert  enthält.  Die  Kathode  ist  un- 
verletzt geblieben,  die  Anode  dagegen  angefressen  und  läuft  in 
eine  Spitze  aus;  sie  kann  gewöhnlich  nur  noch  ein  zweites  Mal 
zum  gleichen  Versuche  dienen. 

Da  durch  den  Zusatz  von  Kaliurafluorhydrat  die  Elektro- 
lyse der  Flußsäure  gelang,  lag  es  nahe,  zu  versuchen,  ob 
es  nicht  möglich  sei,  das  Salz  selbst  zu  gleichen  Zwecken 
zu  verwenden.  Das  Experiment  gelingt;  das  mit  großer  Sorg- 
falt bereitete  Salz  schmilzt  bei  etwa  140®  zu  einer  etwas  zähen, 
farblosen  Flüssigkeit,  die,  in  dem  oben  beschriebenen  U-Rohre 
der  Einwirkung  des  Stromes  unterworfen,  unter  Entwicklung 
von  Fluor  zerlegt  wird.  Zur  Isolierung  des  Elements  eignet  sich 
aber  diese  Verbindung  nicht  so  gut  wie  ihre  Lösung  in  Fluß- 
säure, denn  die  geschmolzene  Masse  bläht  sich  beim  Durch- 
gange des  Stromes  so  stark  auf,  daß  sie  z.  T.  in  die  Gas- 
ableitungsrohre überdringt,  und  bei  140®  wird  das  Platin  so 
stark  angegriffen,  daß  der  kostbare  Apparat  sicher  verloren 
sein  würde,  wollte  man  das  Experiment  weiter  fortsetzen. 

Noch  galt  es  nachzuweisen,  daß  das  an  der  Anode  gewonnene 
Gas  tatsächlich  Fluor  ist.   Wie  Moissan  diesen  Beweis  in  ele* 


—    343     - 

ganter  und  einwandsfreier  Weise  erbracht  hat,  haben  wir  frflher 
schon  geschildert®*). 

Mit  heller  Begeisterung  begibt  sich  der  glückliche  Forscher 
sogleich  daran,  die  charakteristischen  Eigenschaften  des  endlich 
isolierten  Elementes  zu  ergründen.  Das  farblose,  durchdringend 
und  sehr  unangenehm,  etwa  wie  unterchlorige  Säure  riechende 
Gas  hat  zwar  höchst  unangenehme  physiologische  Wirkungen, 
indem  es  die  Schleimhaut  des  Rachens  und  die  Augen  stark 
angreift;  doch  was  kümmert  das  Henri  Moissan? 

Welch'  ungeheuer  große  chemische  Reaktionsfähigkeit  be- 
sitzt dieses  Fluor.  Kein  anderer  Grundstoff  kann  ihm  irgendwie 
an  die  Seite  gestellt  werden;  kaum  ein  Element  oder  eine  Ver- 
bindung,  die  von  dem  neuen  Gase  nicht  angegriffen  würden! 

Schwefel  und  Selen  schmelzen  und  entzünden  sich  sofort, 
wenn  sie  mit  Fluor  zusammentreffen;  Tellur  verbindet  sich  mit 
dem  Gase  unter  Feuererscheinung  und  starker  Nebelbildung; 
Phosphor  entzündet  sich  und  bildet  ein  Gemenge  von  Trifluorid  und 
Penta-  oder  Oxyfluorid;  gepulvertes  Arsen  und  Antimon  reagieren 
unter  Feuererscheinung;  Jod  verbrennt  mit  fahler  Flamme  zu  einer 
farblosen  Verbindung,  während  Fluor  im  Joddampfe  mit  heller 
Flamme  verbrennt;  auch  Brom  wird,  zuweilen  unter  Explosion, 
entfärbt;  kristallisiertes  Silicium  fängt  Feaer  und  verbrennt 
mit  lebhaftem  Glänze  und  unter  Funkensprühen  zu  Silicum- 
fluorid ;  gepulvertes  Bor  wird  vollständig  glühend,  und  das  ent- 
stehende Gas  raucht  heftig  an  der  Luft. 

Metalle  werden  im  allgemeinen  weniger  energisch  ange- 
griffen, da  die  entstehenden  Verbindungen  nicht  flüchtig  sind 
und  so  die  weitere  Einwirkung  verhindern.  Kalium  und  Na- 
trium reagieren  bei  gewöhnlicher  Temperatur  unter  Feuer- 
erscheinung; Magnesium  und  Aluminium  werden  oberflächlich 
angegriffen;  erhitzt  man  aber  Aluminium  vorher  auf  dunkle 
Rotglut,  so  erfolgt  die  Einwirkung  unter  lebhafter  Feuer- 
erscheinung; pul  verförmiges  Eisen  und  Mangan  verbrennen 
in  der  Wärme  unter  Funkensprühen ;  Blei  und  Zinn  bedecken 
sich  in  der  Kälte  mit  weißem  Fluorid ;  Quecksilber  verwandelt 
sich  bei  gewöhnlicher  Temperatur  vollständig  in  das  gelb- 
gefärbte Fluorid;  Silber  überzieht  sich  bei  gelinder  Tempe- 
raturerhöhnng  mit  einer  Schicht  von  Silbei-fluorid;    Gold  und 


-     344    - 

PlaÜD  werden  in  der  Kälte  nicht,  wohl  aber  bei  300®  bis  400« 
unter  Bildung  der  entsprechenden  Fluoride  angegriffen. 

Daß  Wasserstoff  mit  Fluor  sehr  energisch  reagiert,  batte 
Moissan   schon  bei  der  Isolierung  des  Elementes^')  gefunden. 

Auch  die  meisten  Halogenverbindungen  werden  durch  das 
neue  Gas  verändert:  festes  Kaliumjodid  wird  sofort  geschwärzt; 
Blei-  und  Quecksilberjodid  werden  zerlegt;  geschmolzenes  Kaliam- 
chlorid  wird  bei  gewöhnlicher  Temperatur  unter  Entwicklung 
von  Chlor  angegriffen;  trockenes  Silberchlorid  färbt  sich  gelb-, 
Kaliumbromid  wird  unter  lebhafter  Entwicklung  von  Brom- 
dämpfen zersetzt,  und  Phosphorpentachlorid  wird  unter  Feuer- 
erscheinung zerlegt,  während  dichte,  weiße  Dämpfe  entweichen. 

Ein  Kristall  von  Jodoform  entzündet  sich  in  dem  neuen 
Gase  und  Jod  verflüchtigt  sich;  auch  Schwefelkohlenstoff  ent- 
zflndet  sich  sofort.  Alle  Wasserstoff  enthaltenden  organischen 
Verbindungen  werden  zerstört;  Alkohol,  Äther,  Benzol,  Terpen- 
tinöl, Petroleum  entzünden  sich  in  dem  Gase;  Kork  wird  ver- 
kohlt und  entzündet  sich  zum  Schlüsse. 

Und  nun  noch  eine  höchst  interessante  Reaktion:  Kaltes 
Wasser  wird  durch  Fluor  unter  Bildung  von  Flußsäure  und 
Entwicklung  von  ozonisiertem  Sauerstoff  zerlegt. 

„JEn  resum4^  le  flugr  est  un  corps  gazeux,  possSdant  um 
acUvit^  chirnique  sup^rieure  ä  Celle  de  tous  les  autres  corps 
simples  connus.  A  cau^e  de  ses  puissantes  affiniUs^  ü  permettra 
^videmment  dHmportantes  reactions^  ^^), 

Die  dieser  umfangreichen  Abhandlung  im  nächsten  Jahi-e 
(1888)  folgenden  Veröffentlichungen  des  genialen  Experimen- 
tators bringen  aber  noch  keine  weiteren  Mitteilungen  über 
neue,  wichtige  Reaktionen  des  Fluors  selbst.  Wäre  das  auch 
zu  erwarten?  Sicher  nicht,  denn  bei  Untersuchungen  dieser 
Art  werden  interessante  Beobachtungen  in  Hülle  und  Fülle 
gesammelt,  so  daß  die  Sichtung  des  Tatsachenmaterials  nur 
nach  und  nach  erfolgen  kann;  nebenher  werden  ältere  Ver- 
suche, die  zu  späterer  Bearbeitung  zurückgestellt  worden  waren, 
wieder  aufgenommen  und  zahlreiche  ergänzende  Experimente 
ausgeführt. 

Es  ist  wohl  selbstverständlich,  daß  Moissan  denjenigen 
Reaktionen,  die  sich  beim  Auflösen  von  Kaliumfluorhydrat 
in  wasserfreier  Flußsäure   abspielen,   sein  Interesse  besonders 


-     345    — 

zuwendet,  und  festzustellen  versucht,  welche  Verbindungen  über- 
haupt Kaliumfluorid  mit  Fluorwasserstoff  zu  bilden  vermag. 

Er  zeigt®"^),  daß  neben  dem  von  Berzelius^*)  entdeckten 
und  von  Fremy«»),  Borodine»%  Strohmeyer"),  Gibbs»*), 
Gore'^)  undGuntz**),  sowie  von  ihm  selbst  eingehend  unter- 
suchten Monofluorhydrat,  KF,HF,  noch  ein  Di-  und  Trifluor- 
hydrat,  KF,2HF  und  KF,3HF  existieren. 

Moissan  gewinnt  die  beiden  neuen  Verbindungen  durch 
Auflösen  von  sorgfältig  getrocknetem  Monofluorhydrat  in  den 
entsprechenden  Mengen  wasserfreier  Flußsäure  und  das  Trifluor- 
hydrat  außerdem  noch  dadurch,  daß  er  die  berechneten  Mengen 
der  beiden  Komponenten  im  geschlossenen  Platintiegel  auf  85^ 
erwärmt.  Die  Fluorhydrate  werden  durch  Abkühlen  in  Form 
weißer  Kristalle  erhalten,  die  an  der  Luft  beständig  Nebel 
von  Fluorwasserstoff  entwickeln  und  beim  stärkeren  Erhitzen 
wieder  in  ihre  Bestandteile  zerlegt  werden  können. 

Kaum  sind  diese  interessanten  Verhältnisse  klar  gelegt 
worden,  da  erscheinen  Mitteilungen  über  neue  eigenartige  Ver- 
suche: der  Anorganiker  Moissan  bewegt  sich  plötzlich  auf 
organischem  Gebiete,  und  auch  hier  hat  er  nennenswerte  Erfolge 
zu  verzeichnen. 

Teils  allein,  teils  in  Gemeinschaft  mit  Meslans  berichtet 
er  über  die  bei  der  Einwirkung  von  Alkyljodiden  auf  Silber- 
fluorid  erhaltenen  Resultate. 

Mit  der  Darstellung  von  Äthylfluorid  hatten  sich  schon 
Scheele**),  Gehlen*«),  Reinsch*'')  und  Fremy««)  beschäf- 
tigt; ernstlich  kommen  jedoch  nur  die  Arbeiten  der  beiden  letzt- 
genannten ITorscher  in  Betracht.  Reinsch  beschreibt  die  Ver- 
bindung als  eine  Flüssigkeit,  die  man  dadurch  erhalte,  daß 
man  Weingeist  mit  Flußsäure  sättigt  und  das  Gemisch  destilliert; 
Fremy  gewann  dagegen  beim  Erhitzen  eines  Gemenges  von 
Kaliumfluorhydrat  und  Kaliumäthylsulfat  ein  Gas. 

Moissan**)  lehrt,  daß  das  Produkt  zweckmäßig  durch 
Auftropfen  von  Äthyljodid  auf  Silberfluorid  dargestellt  wird. 
Reines  Äthylfluorid  ist  ein  farbloses,  ätherisch  riechendes  Gas, 
das  sich  unter  gewöhnlichem  Drucke  bei  —  48*  und  unter  acht 
Atmosphären  bei  -[-  18*  verflüssigen  last;  flüssiges  Äthylfluorid 
greift  Glas  nicht  an,  löst  geringe  Mengen  von  Phosphor  und 
von  Schwefel  und  verwandelt  sich,   wenn  der  Druck  nachläßti 


—     346     — 

vorübergehend  in  eine  schneeartige  Masse.  Das  Gas  löst  sich 
in  zahlreichen  Flüssigkeiten,  verbrennt  mit  blaner  Flamme  unter 
Entwicklung  von  Fluorwasserstoff,  mit  wenig  Sauerstoff  gemischt 
unter  geringer  Abscheidung  von  Kohle  und  mit  viel  Sauerstoff 
unter  Detonation.  Kalilauge  wirkt  bei  100®  zersetzend  ein;  es 
bilden  sich  Kaliumfluorid,  Alkohol  und  vorzüglich  Äther.  Chlor 
vermag  im  Dunkeln  selbst  im  Verlaufe  mehrerer  Stunden  nicht 
zu  reagieren;  umgekehrt  aber  setzt  Fluor  aus  Äthylcblorid 
Chlor  in  Freiheit. 

Weiter  stellt  Moissan  fest"®),  daß  das  Gas  bei  mehr- 
stündigem Erhitzen  in  einem  gläsernen  Knierohr  neben  wenig 
Siliciumfluorid  ein  Gemisch  von  Kohlenwasserstoffen  liefert.  Durch 
schwache  Induktionsfunken  tritt  Zerlegung  in  Fluorwasserstoff, 
Äthylen  und  wenig  Acetylen,  durch  starke  Funken  Zersetzung 
in  Acetylen,  Äthylen,  Propylen  u.  s.  w.  unter  gleichzeitiger  Ab- 
scheidung von  Kohle  ein.  In  ähnlich  komplizierter  Weise  zerfällt 
das  Gas  auch,  wenn  es  durch  eine  glühende  Platinröhre  geleitet 
wird. 

Schließlich  wird  das  Fluorid  noch  auf  seine  physiologischen 
Eigenschaften  hin  untersucht;  es  besitzt  wohl,  wie  das  Äthyl- 
chlorid, anästhetisierende  Eigenschaften,  ruft  aber  bei  kleineren 
Tieren  sehr  schnell  toxische  Wirkungen  hervor"*). 

Moissan  und  Meslans"*)  stellen  nun  in  gleicher  Weise 
durch  Einwirkung  von  Methyl-  oder  Isobutyljodid  auf  Silber- 
fluorid  Methyl-  und  Isobutylfluorid  dar. 

Methylfluorid,  bereits  von  Dumas  und  Peligot"*)  beim 
gelinden  Erwärmen  von  Kaliummethylsulfat  und  Kaliumfluorid 
rein  erhalten*®*),  erweist  sich  als  ein  sehr  beständiges  Gas, 
das  bei  gewöhnlicher  Temperatur  unter  einem  Drucke  von 
32  Atmosphären  in  den  flüssigen  Zustand  übergeführt  und  von 
Kalilauge  erst  beim  Erhitzen  im  geschlossenen  Rohre  bei  120* 
angegriffen  wird. 

Isobutylfluorid  bildet  bei  16®  eine  farblose,  wenig  ange- 
nehm riechende  Flüssigkeit,  die  Schwefel  und  Phosphor  nur 
schwierig,  Jod  und  Brom  dagegen  mit  Leichtigkeit  löst.  Sowohl 
das  flüssige  als  das  gasformige  Fluorid  greifen  Glas  nicht  an; 
beim  Anzünden  verbrennt  das  Gas  unter  Abscheidung  von  Ruß 
und  Entwicklung  von  Fluorwasserstoff. 

In  der  Zwischenzeit  hatten  die  Untersuchungen  Moissans 


—    347     ~ 

über  das  Fluor  selbst  einen  gnten  Fortgang  genommen,  so  daß  er 
jetzt  imstande  ist,  nene  interessante  Beobachtungen  zu  veröffent- 
lichen! 

um  die  Wärmetönung  bei  der  Vereinigung  des  Fluors  mit 
Wasserstoff  zu  bestimmen,  hatte  er  sich  mit  seinem  großen 
Fachgenossen  Berthelot,  der  neben  Julius  Thomsen  und 
Friedrich  Stohmann  die  wichtigsten  Untersuchungen  auf 
thermochemischen  Gebiete  ausgeführt  hat,  zu  gemeinsamer 
Arbeit  verbunden. 

In  der  ersten  vorläufigen  Mitteilung^'**)  berichten  die  beiden 
Forscher  nur  ganz  kurz  über  ihre  Resultate;  aber  wenig  später^®*) 
erfahren  wir,  welch'  große  Mühe  es  gekostet  hat,  zu  den  gesuchten 
Wärmewerten  zu  gelangen.  B  er thelot  und  Moissan  verfuhren 
nach  zahlreichen  Mißerfolgen  schließlich  so,  daß  sie  Fluor  von  einer 
titrierten,  überschüssiges  Alkali  enthaltenden  Lösung  von  Kalium- 
sulflt  absorbieren  ließen,  wobei  sich  Kaliumsulfat  und  -fluorid 
bilden;  nach  Beendigung  des  Versuches  bestimmten  sie  die 
Menge  des  absorbierten  Fluors  dadurch,  daß  sie  die  Flüssigkeit 
mit  Salzsäure  ansäuerten  und  die  nicht  verbrauchte  schweflige 
Säure  mit  Jodlösung  zurücktitrierten.  Die  Differenz  zwischen 
dem  Anfangs-  und  Endtiter  entspricht  dem  Gewichte  des  Fluors, 
und  ebenso  verhält  es  sich  mit  den  entwickelten  Wärmemengen. 

Mit  Hilfe  dieser  wohl  umständlichen,  experimentell  aber 
äußerst  geschickt  durchgeführten  Methode  wird  gefunden,   daß 

bei  der  Reaktion:  H  +  F  (Gas)  =  HF  (Gas) +  38.6  Kalo- 

rieen  und  bei  der  Reaktion:  H  -f-  F  (-j- Wasser)  =  HF  (gelöst) 
.  .  .  .  +  50,4  Kalorieen  entwickelt  werden. 

Diese  Zahlen  übertreffen  weit  die  entsprechenden  Werte 
für  andere  Wasserstoffverbindungen,  z.  B.  für  Wasser  und  für 
Chlorwasserstoff,  und  stehen  mit  der  außerordentlich  großen 
Reaktionsfähigkeit  des  Fluors  in  Einklang. 

Von  dem  Augenblick  an,  in  dem  ihm  die  Isolierung 
des  Elementes  zum  ei*sten  Male  gelang,  war  Moissan  unaus- 
gesetzt darauf  bedacht,  seine  Methode  zu  vereinfachen  und  zu 
verbessern,  und  wenn  irgend  möglich,  ein  Verfahren  ausfindig 
zu  machen,  nach  dem  Fluor  auf  chemischem  Wege  in  Frei- 
heit gesetzt  werden  könnte.  Dahin  zielende  Versuche  sind  es, 
über  die  wir  jetzt  Näheres  erfahren. 

Früher  hatten  schon  mehrere  Forscher,  allerdings  vergeh- 


-     348     - 

lieh,  versucht,  wasserfreies  Platinfluorid  darzustellen,  denn  nach 
Analogie  zwischen  den  Fluoriden  und  Chloriden  konnte  es  nicht 
unwahrscheinlich  sein,  daß  Platinfluorid  bei  höherer  Temperatur 
in  seine  Bestandteile  zerfallen  und  somit  die  Isolierung  des  Fluors 
ermöglichen  würde.  Speziell  Fremy  hatte  sich  sehr  große 
Mühe  in  dieser  Beziehung  gegeben,  mußte  aber  schließlich 
sagen*®'):  „Quant  aux  fluorures  ä!or  et  de  platine  gut  auraieni 
probablement  donne  du  fluor  par  la  calci7iation,  si  favais  pu 
les  obtenir  ä  CMat  aiihydre,  il  m'a  6te  impossible  de  les  produire 
en  unissant  Vacide  fluorhydrique  atix  oocydes  hydrat4s  dor  et 
de  platine.^ 

Was  auf  nassem  Wege  nicht  möglich  war,  kann  Moissan, 
da  er  über  die  Elemente  gebietet,  durch  direkte  Vereinigung 
von  Platin  und  Fluor  erreichen.  Er  hatte  schon  ^®*)  gefunden, 
daß  Platin  von  Fluor  erst  beim  Erwärmen,  aber  dann  mit 
Leichtigkeit  angegriffen  wird,  und  zeigt  nun^®*),  daß  das  Metall 
mit  reinem  Fluor  erst  bei  500®  bis  600®,  mit  dem  B'luorwasser- 
stoff  enthaltenden  Gase  dagegen  schon  bei  100®  reagiert 

.  Zur  Darstellung  des  Fluorides  Pt  F^  bringt  er  einen  Bündel 
von  Platindrähten  in  ein  dickes  Platin-  oder  Flußspatrohr  und 
leitet  bei  dunkler  Rotglut  Fluor  hindurch.  So  erhält  er  eine 
dunkelrotgefärbte  geschmolzene  Masse,  —  bei  Verwendung  des 
Platinrohres  findet  sich  in  diesem  eine  ziemlich  große  Menge 
des  geschmolzenen  Fluorids  vor  -—  oder  kleine,  gelblichbraun- 
gefärbte  Kristalle,  die  außerordentlich  hygroskopisch  sind  und 
Glas  energisch  angreifen.  Mit  wenig  Wasser  bildet  die  Ver- 
bindung zunächst  eine  fahlrotgefärbte  Lösung,  die  sich  aber 
sehr  rasch  von  selbst  erhitzt,  wobei  es  zur  Bildung  von  Platin- 
hydroxyd und  Fluorwasserstoff  kommt.  Hierdurch  wird  es  er- 
klärlich, weshalb  Moissans  Vorgänger  die  Verbindung  auf 
nassem  Wege  niemals  gewinnen  konnten. 

Die  Annahme  Fremys,  daß  das  Fluorid  sich  beim  Glühen 
unter  Entwicklung  von  Fluor  zerlegen  lassen  würde,  erweist 
sich  als  richtig.  Bei  heller  Rotglut  entweicht  tatsächlich  Fluor, 
denn  in  dem  Gase  verschwindet  kristallisiertes  Silicium  unter 
Feuererscheinung;  das  zurückbleibende  Platin  ist  kristallinisch. 

Gleichzeitig  weist  Moissan  darauf  hin,  daß  Gold  unter 
denselben  Bedingungen  ein  sehr  dunkel  gefärbtes  Fluorid  liefert, 
das  beim  Erhitzen  ebenfalls  in  Metall  und  Fluor  zerfällt. 


—    349    - 


Noch  eine  andere  Reaktion,  nämlich  die  Einwirkung  von 
Chlor  auf  Quecksilbei-fluorid,  hatte  Fremy^*^)  vergeblich  zur 
Isolierung  des  Fluors  zu  verwerten  gesucht.  Moissan  "^)  wieder- 
holt diese  Versuche  mit  Hilfe  eines  kostbaren,  ganz  aus  Fluß- 
spat bestehenden  Apparates,  ohne  aber  bessere  Resultate  zu 
erzielen  als  sein  Lehrer.  Zwar  gelingt  es  ihm,  was  zu  Fremys 
Zeiten  unmöglich  war,  die  Hauptschwierigkeit  des  Versuches, 
die  Darstellung  von  wasserfreiem  Quecksilberfluorid,  fast  ganz 
dadurch  zu  überwinden,  daß  er  das  Präparat  in  gasförmigem 
Fluorwasserstoff  bei  130^  von  den  letzten  Spuren  Wasser  bei- 
nahe vollständig  zu  befreien  vermag,  aber  bei  der  Einwirkung 
von  Chlor  bildet  sich  bei  350^*  nur  eine  geringe  Menge  Queck- 
silberfluorchlorid und  Fluor  wird  nicht  in  Freiheit  gesetzt. 

Andere  Versuche,  auf  rein  chemischem  Wege  zum  Fluor 
zu  gelangen,  mußten  nach  allen  bisherigen  Erfahrungen  als 
gleich  aussichtslos  erscheinen;  andererseits  bedarf  Moissan 
aber  zur  Fortsetzung  seiner  Studien  bedeutend  größerer  Mengen 
von  Fluor,  als  sie  sein  Apparat  zu  liefern  vermag.  So  ent- 
schließt er  sich  dazu,  ein  Platingefäß  von  größeren  Dimensionen 
anfertigen  zu  lassen  *^*).  Er  wählt  ein  etwa  160  ccm  fassendes  U- 
Rohr  (Fig.  4),  das  ungefähr  100  ccm  Flußsäure  bequem  zu  zerlegen 
gestattet  und  vei'schließt  die 
beiden  Zylinder,  wie  früher,  mit 
FlußspatstopfeU;  die  mit  Hilfe 
eines  sie  umgebenden,  starken 
Platinblechs  fest  in  die  Öffnungen 
des  an  seinen  beiden  oberen 
Enden  mit  Gewinden  versehenen 
Platinrohres  eingeschraubt  wer- 
den. Als  Elektroden  dienen  be- 
sonders geformte  Drähte  aus 
reinem  Platin,  die  durch  eine 
senkrechte  Bohrung  der  Fluß- 
spatstopfen, also  vollkommen  iso- 
liert, in  das  U-Rohr  eingeführt 
werden.  Messingverschraubun- 
gen,   an  den  oberen  Enden  der 

Schenkel    einerseits   und   an  den  Köpfen    der  Flußspatzylinder 
andererseits  angebracht,    sowie   ein  zwischen    ihnen    liegender 


Fig.  4. 


—    350    — 

Bleiring  sorgen  für  den  hermetischen  Verschluß  des  Apparates. 
Da  das  Platingefäß  mehr  Flußsäure  enthält,  als  an  einem 
Tage  zersetzt  werden  kann,  so  versieht  der  Forscher  die  beiden 
Gasableitungsrohre  mit  metallenen  Kopfschranben ;  so  kann  das 
mit  Flußsäure  angefüllte  Ü-Rohr,  wenn  nötig,  vollständig  ver- 
schlossen und  im  Eisschranke  beliebig  lange  Zeit  aufbewahrt 
werden. 

Zur  Erzielung  der  flir  die  Elektrolyse  notwendigen,  niedrigen 
Temperatur  wird  teils,  wie  früher,  Methylchlorid,  teils  eine 
aus  Eis  und  Kochsalz  bereitete  Eältemischung  verwendet 

Die  Elektrolyse  hätte  nun  begonnen  werden  können,  aber 
Moissan  braucht  zu  einigen  physikalischen  Bestimmungen  reines, 
d.  h.  von  Fluorwasserstoff  freies  Fluor;  da  außerdem  die  kurz 
vorher  beendete  Untersuchung  über  das  Platinfluorid"')  ge- 
lehrt hatte,  daß  es  auch  in  chemischer  Hinsicht  nicht  gleich- 
gültig ist,  ob  das  Gas  Spuren  von  Fluorwasserstoff  enthält 
oder  nicht,  so  verfährt  der  Forscher  jetzt  folgendermaßen. 
Er  schraubt  an  das  das  Fluor  ableitende  Rohr  eine  kleine 
40  ccm  fassende  Platinschlange,  die  er  mit  Methylchlorid  auf 
ungefähr  — 50^  abkühlt,  und  mit  zwei  Natriumfluorid  enthalten- 
den Platinröhren  luftdicht  verbindet  (Fig.  5).  Auf  diese  Weise 
gelingt  es,  in  der  Schlange  schon  fast  die  gesamte  Menge  der 
Dämpfe  zur  Flüssigkeit  zu  kondensieren  und  die  letzten  Sparen 
des  mitgerissenen  Fluorwasserstoff  von  dem  viel  energischer 
als  das  Kaliumsalz  wirkenden  Natriumfluorid  vollständig  ab- 
sorbieren zu  lassen.  Nun  wird  der  aus  90  bis  100  ccm  Fluß- 
säure und  20  bis  25  g  Kaliumfluorhydrat  bestehende  Röhren- 
inhalt durch  den  von  26  bis  28  Bunsen -Elementen  gelieferten 
Strom  zersetzt. 

Das  hierbei  entwickelte  Fluor  erweist  sich  als  sehr  rein, 
zeigt  alle  schon  erwähnten  Reaktionen  und  kann  durch  kleine, 
biegsame  Platinröhrchen  in  die  zu  seiner  Aufnahme  bestimmten 
Apparate  geleitet  werden. 

Mit  Hilfe  des  so  gewonnenen  reinen  Gases  ermittelt 
Moissan  die  zu  1,316  berechnete  Dichte  des  Fluors  zu  1,26. 

Er  bestimmt  ferner"*)  in  einer  0,5  bis  1  m  langen  Platin- 
röhre, deren  Enden  mit  durchsichtigen  Flußspatplatten  ver- 
schlossen sind,  die  Farbe  des  Gases  und  findet,  daß  Fluor  in 
einer  50  cm  dicken  Schicht  deutlich  grünlichgelbgefärbt  erscheint. 


-    351     - 

Die  Farbe  ist  schwächer  als  diejenige  einer  gleich  dicken  Schicht 
von  Chlorgas  und  spielt  außerdem  mehr  ins  Gelbe. 

Läßt  man  zu  dem  Fluor  in  der  Röhre  ein  wenig  Wasser 


treten,  so  wird  Ozon  von  so  hoher  Konzentration  gebildet,  daß 
der  Inhalt  des  Rohres  tief  indigoblau  gefärbt  erscheint. 

In  einer  1  m  dicken  Schicht  zeigt  Fluor  bei  der  spektro- 
skopischen Untersuchung  keine   Absorptionsstreifen.    Moissan 


—    352    - 

untersucht  daher  das  Funkenspektrura  des  Gases.  Zu  diesem 
Zwecke  verwendet  er  ein  dem  soeben  erwähnten  ähnliches 
Platinrohr,  durch  dessen  Plußspatstopfen  dicke  Gold-  oder  Platin- 
drähte als  Elektroden  eingeführt  wurden;  mittels  einer  kurzen, 
seitlich  angebrachten  und  ebenfalls  mit  einer  durchsichtigen 
Flußspatplatte  verschlossenen  Röhre  konnten  die  zwischen  den 
Elektroden  überspringenden  Funken  beobachtet  werden.  Auf 
diese  Weise  konstatiert  der  Forscher  13  sämtlich  im  Rot  des 
Spektrums  liegende  Linien,  von  denen  Salet"*)  einige  bereits 
im  Spektrum  des  Siliciumfluorids  gesehen  hatte. 

Nachdem  Moissan  nochmals  die  bei  der  Untersuchung  von 
Arsen-  und  Phosphortrifluorid  erhaltenen  Ergebnisse  zusammen- 
fassend geschildert  ^^^)  und  mitgeteilt  hat,  daß  er  Phosphor- 
trifluorid auch  noch  durch  Erhitzen  von  Zinkfluorid  und  Phos- 
phortribromid  gewinnen  konnte,  macht  er  uns  bald  mit  neuen 
wichtigen  Reaktionen  des  Fluors  bekannt. 

Äußerordentlich  interessante  Resultate  ergab  die  Unter- 
suchung über  das  Verhalten  von  Fluor  gegen  die  verschiedenen 
Modifikationen  des  Kohlenstoffs^*').  Im  Gegensatze  zu  Chlor  ist 
Fluor  imstande,  sich  direkt  mit  Kohlenstoff*  zu  vereinigen,  aber 
die  verschiedenen  Kohlenstoffmodifikationen  verhalten  sich  ver- 
schieden gegen  das  neu  isolierte  Element. 

Bringt  man  reinen  und  trockenen,  nicht  geglühten  Lampen- 
ruß mit  Fluor  in  Berührung,  so  tritt  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur sofort  Reaktion  unter  Erglühen  ein.  Leichte  Holzkohle 
kann  sich  unter  den  gleichen  Bedingungen  ebenfalls  von  selbst 
entzünden ;  zuerst  scheint  sich  das  Fluor  auf  der  Kohle  zu  ver- 
dichten, plötzlich  aber  tritt  Entflammung  unter  lebhaftem  Funken- 
sprüben  ein.  Besitzt  die  Kohle  ein  etwas  höheres  spezifisches 
Gewicht  und  befindet  sich  kein  Staub  auf  ihrer  Oberfläche,  so 
muß  man,  um  die  Reaktion  einzuleiten,  die  Temperatur  auf  50® 
bis  60®  erhöhen;  erglüht  dann  aber  die  Kohle  an  einem  Punkte, 
so  verbreitet  sich  die  Feuererscheinung  schnell  über  die  ganze 
Masse.  Graphit  aus  Gußeisen  muß  bis  auf  eine  der  dunklen 
Rotglut  nahe  liegende  Temperatur  erhitzt  werden,  um  mit  Fluor 
in  Reaktion  zu  treten,  und  Ceylongraphit,  den  man  vorher  durch 
Schmelzen  mit  Kaliumhydroxyd  gereinigt  hat,  entzündet  sich  erst 
bei  einer  noch  etwas  höheren  Temperatur.    Retortenkohle  brennt 


—    353    — 

in  Fluor  erst  bei  Rotglut,  und  Diamant  endlich  wird  auch  bei 
dieser  Temperatur  nicht  verändert. 

Bei  allen  diesen  Beaktionen  bildet  sich  ein  Gas,  dessen 
Eigenschaften  jedoch  mit  den  Versuchsbedingungen  wechseln; 
meist  handelt  es  sich  um  ein  Gemenge  mehrerer  Kohlenstoff- 
Fluorverbindungen  von  verschiedener  Zusammensetzung. 

Aus  leicht  angreifbarem  Kohlenstoff,  bei  nicht  zu  hoher 
Temperatur  und  bei  Gegenwart  von  überschüssigem  Fluor  er- 
hält man  zum  größten  Teile  Kohlenstofftetrafluorid,  ein  Gas, 
das  sich  unter  5  Atmosphären  Druck  bei  10®  verflüssigen  läßt, 
von  wässriger  Kalilauge  etwa  zur  Hälfte,  von  alkoholischer 
Kalilauge  vollständig  unter  Bildung  von  Kaliumfluorid  und 
Kaliumkarbonat  absorbiert  wird  und  unter  der  Einwirkung  des 
Indnktionsfunkens  keine  Veränderung  erleidet.  Das  gleiche 
Produkt  entsteht  übrigens  auch  dann,  wenn  man  Dämpfe  von 
Kohlenstofftetrachlorid  bei  300<*  Ober  Silbei-fluorid  leitet. 

Ein  anderes  gasförmiges  Kohlenstofffluorid  wird  dadurch 
erhalte«,  daß  man  Fluor  durch  eine  mit  überschüssigem  Kohlen- 
stoff gefüllte,  rot  glühende  Platinröhre  schickt;  das  hierbei  ent- 
stehende Gas  wird  weder  von  wässriger,  noch  von  alkoholischer 
Kalilauge  absorbiert  und  läßt  sich  bei  10^  erst  unter  einem 
Drucke  von  19  bis  20  Atmosphären  zu  einer  Flüssigkeit  ver- 
dichten»"). 

Moissans  nächste  Versuche»»")  lehren,  daß  man  das 
Kohlenstofftetrafluorid  nicht  allein  nach  den  soeben  beschrie- 
benen Methoden  —  d.  h.  durch  Einwirkung  eines  Überschusses 
von  Fluor  auf  Kohlenstoff  bei  niederer  Temperatur  oder  durch 
Erhitzen  von  Silberfluorid  im  Dampfe  von  Kohlenstofftetra- 
chlorid. —  gewinnen  kann,  sondern  daß  sich  diese  Verbindung 
auch  noch  unter  anderen  Verhältnissen  bildet.  Bei  der  Ein- 
wirkung von  Fluor  auf  Kohlenstofftetrachlorid  entsteht  ein 
Gemenge  von  Chlor  und  Tetrafluorid;  Chloroform  absorbiert 
Fluor  teilweise  und  liefert  neben  anderen  Verbindungen  auch 
Tetrafluorid;  beim  Durchleiten  von  Methan  und  Fluor  durch  eine 
Platinröhre  erfolgt  Entzündung,  Abscheidung  von  Kohlenstofi' 
und  Bildung  vei'schiedener  Kohlenstofffluoride,  unter  denen  das 
Tetrafluorid  nachgewiesen  werden  kann. 

Zur  Darstellung  der  Verbindung  eignet  sich  allerdings  aus- 
schließlich die  Einwirkung  von  Kohlenstofftetrachlorid  auf  Silber- 

Sltenngtberiohte  der  pbyt.-med.  Soe.  39  (1907).  23 


-    354    ^ 

fluorid;  man  braucht  das  hierbei  entstehende  Gas  nur  mit  Kant- 
schakstücken in  Berührung  zu  bringen,  um  es  von  den  letzten 
Spuren  des  mitgerissenen  Tetrachlorids  zu  befreien,  dann  in 
Alkohol  zu  lösen,  um  eine  Kohlenstoff-Fluorverbindung  von  höherer 
Dichte  zu  entfernen/  und  hierauf  den  Alkohol  zu  erwärmen  : 
dann  entweicht  das  Tetrafluorid^  und  es  ist  schließlich  nur  noch 
nötig,  das  Gas  zur  Beseitigung  der  Alkoholdämpfe  mit  rauchen- 
der Schwefelsäure  zu  behandeln,  um  es  absolut  rein  zu  erhalten. 
Unbedingt  notwendig  ist,  daß  die  Darstellung  in  einem  Hetall- 
apparate  erfolgt ;  in  Gefäßen  aus  Glas  wird  ein  Produkt  er- 
halten, das  aus  Tetrafluorid,  Silicinmfluorid,  Eohlendioxyd  und 
einem  Eohlenstofffluorid  von  höherem  spezifischen  Gewichte  be- 
steht, da  die  Verbindung,  in  der  Wärme  mit  Glas  in  Berührung, 
nach  der  Gleichung:   CF^  +  SiOg  =  COa  +  SiF^  zerfällt. 

Die  zu  3,03  berechnete  Dichte  des  reinen  Gases  ermittelt 
Moissan  experimentell  zu  3,09;  er  findet,  daß  das  Fluorid  sich 
unter  gewöhnlichem  Drucke  bei  —15®,  unter  4  Atmosphären 
bei  -|-20®  zu  einer  Flüssigkeit  verdichten  läßt,  daß  es  beim 
Erhitzen  mit  Natrium  unter  Abscheidung  von  Kohlenstoff  and 
Bildung  von  Natriumfluorid  zerlegt  und  von  absolutem  Alkohol 
besonders  leicht  gelöst  wird.  Hiermit  stimmt  die  schon  er- 
wähnte interessante  Beobachtung,  daß  das  Tetrafluorid  von 
alkoholischer  Kalilauge  unter  Bildung  von  Kaliumfluorid  and 
-karbonat  vollständig  absorbiert  wird,  überein. 

Bald  darauf  berichtet  Moissan"®)  kurz  über  eine  neue 
Darstellungsweise  des  Phosphoroxyfluorids ,  nach  der  das  Gas 
unendlich  viel  leichter  und  einfacher  als  früher"^)  und  in 
beliebig  großen  Quantitäten  gewonnen  werden  kann.  Man 
braucht  nur  in  einem  passenden  Metallapparate  Phosphoroxy- 
chlorid  auf  sorgfältig  (bei  300®)  entwässertes  Zinkfiuorid  aaf- 
tropfen  zu  lassen,  um  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  einen 
regelmäßigen  Strom  des  Oxyfluorids  zu  erhalten.  Zur  Konden- 
sation des  mitgerissenen  Pbosphoroxychlorids  leitet  man  das 
Gas  erst  durch  eine  auf  —20®  abgekühlte  Messingvorlage  und 
dann  noch  durch  ein  mit  Zinkfiuorid  gefälltes  Glasrohr.  Da 
nun  größere  Mengen  des  Phosphoroxyfiuorids  zur  Verfügung 
stehen,  bestimmt  Moissan  die  Dichte;  er  findet  sie  zu 8,69  in 
Übereinstimmung  mit  dem  berechneten  Werte  3,63. 

.  Das    Verbindungsgewicht    des    Fluors    war    wohl   schon 


-    355    — 

wiederholentlich,  und  zwar  von  Berzelius^**),  Louyet"^), 
Fremy'**),  Dumas ^^*)  und  de  Luca"*)  ermittelt,  aber  doch 
nicht  mit  genügender  Sicherheit  bestimmt  worden;  die  von  den 
einzelnen  Forschern  erhaltenen  Zahlen  schwankten  i-m  ganzen 
zwischen  18,85  und  19,19,  also  in  recht  weiten  Grenzen. 

Verschiedene  Erwägungen  bezüglich  der  Dichte  der  von 
ihm  neu  entdeckten  gasförmigen  Fluorverbindungen  geben 
Moissan  die  Veranlassung,  das  Atomgewicht  des  Fluors  neu 
zu  bestimmen  ^^'').  Er  bereitet  sich  sorgfältig  ganz  reines  Natrium-, 
Calcium-undBaryumfluorid  und  zersetzt  diese  Salze  in  einer  Platin- 
retorte mit  Schwefelsäure.  So  findet  er  unter  Verwendung  von 
Natriumfluorid  Zahlen,  die  zwischen  19,04  und  19,08  liegen; 
Baryumfluorid  liefert  zwischen  19,05  und  19,09  schwankende 
Werte,  und  durch  die  Zersetzung  des  Calciumfluorids  endlich 
ergibt   sich   das  Atomgewicht  des  Fluoi-s   zu  19,02  bis  19,08. 

Der  Forscher  zieht  aus  diesen  drei  Bestimmungsreihen  den 
Schluß,  daß  das  Verbindungsgewicht  des  Elements  sehr  nahe 
an  19  liegen  müsse;  auf  6rund  der  mit  Natrium-  undCalcium- 
flnorid  erhaltenen  Resultate,  die  Moissan  für  genauer  hält  als 
die  mit  Hilfe  des  Baryumsalzes  gefundenen,  setzt  er  die  wich- 
tige Konstante  des  Fluors  zu  19,05  fest. 

Fast  zu  gleicher  Zeit  hat  Moissan,  und  zwar  in  Gemein- 
schaft mit  Henri  Becquerel,  eine  andere  sehr  interessante 
und  wichtige  Untersuchung  zu  Ende  geführt**®). 

Es  war  schon  lange  bekannt,  daß  verschiedene  Sorten  von 
Flußspat,  unter  ihnen  l^esonders  der  sogenannte  Antozonit,  beim 
Zerschlagen  einen  eigenartigen  Geruch  entwickeln,  und  ver- 
schiedene Hypothesen  waren  zur  Erklärung  dieser  merkwürdigen 
Tatsache  aufgestellt  worden.  SchafhäutP^*)  glaubte,  daß  der 
Geruch  von  unterchloriger  Säure  herstamme,  Schroetter"®) 
schrieb  ihn  der  Gegenwart  von  Ozon,  Schoenbein"*)  der- 
jenigen von  Antozon  zu,  und  Wyrouboff"*)  nahm  an,  daß 
irgendein  Kohlenwasserstoff  die  Ui-sache  dieser  Erscheinung  sei; 
nur  Kenngott"*)  und  später  Loew"*)  vermuteten,  daß  der  Ge- 
ruch von  einer  kleinen  Menge  freien  Fluors  herrühren  könnte. 

Becquerel  und  Moissan  fanden  in  der  Sammlung  des 
musSum  d'histoire  naturelle  einen  Flußspat,  der  von  Quinci6 
bei  Villefranche-sur-Saöne  stammte  und  die  erwähnte  charak- 
teristische Eigenschaft  in  hohem  Maße  besaß.    Schon  die  ersten 

23* 


-    356    — 

Versuche,  die  Moissan  anstellt,  beweisen  ihm,  dem  einzigen, 
der  ans  eigener  Erfahrung  das  Fluor  kennt,  daß  in  dem  Oase 
sicher  sein  Element  mit  anwesend  sein  muß,  und  als  er  mit 
Becquerel  feststellen  kann,  daß  gelinde  erwärmtes,  fein  ge- 
pulvertes Silicium  mit  dem  auffallend  riechenden  Gase  unter 
Bildung  von  Siliciumfluorid  reagiert,  und  daß  der  untersuchte 
Flußspat  beim  Aufbewahren  unter  Wasser  Flußsänre  bildet,  da 
ist  jeder  Zweifel  behoben.  Die  von  Kenngott  und  von  Loew 
geäußerten  Ansichten  werden  durch  die  Untersuchungen  von 
Becquerel  und  Moissan  als  richtig  erwiesen. 

Nachdem  Moissan  die  bei  der  Revision  des  Atomgewichtes 
vom  Fluor  angewandten  Methoden  zur  Gewinnung  von  kristalli- 
siertem Calcium-  und  Baryumfluorid  ausführlich  beschrieben 
hat"*)  —  er  bereitet  die  Salze  aus  sehr  verdünnter,  siedend 
heißer  Lösung,  da  sonst  nur  amorphe  Niederschläge  erhalten 
werden  — ,  berichtet  er,  zu  einer  Zeit,  da  er  sich  schon  intensiv 
mit  Bor  und  dessen  Verbindungen  beschäftigt  "•),  über  die 
Darstellung  und  die  Eigenschaften  des  Silberfluorids "''). 

Durch  eine  Modifikation  des  von  Gore"®)  beschriebenen 
Verfahrens,  nämlich  dadurch,  daß  er  die  Lösung  des  mit  großer 
Sorgfalt  rein  dargestellten  Silberkarbonats  in  Flußsäure  nicht 
über  freiem  Feuer  eindampft,  sondern  über  Schwefelsäure 
langsam  verdunsten  läßt,  erhält  Moissan  zum  ersten  Male 
reines  Silberfluorid,  das  nun  nicht  schwarz,  sondern  hellgelb 
gefärbt  ist,  so  elastisch  wie  Hörn  erscheint  und  sich  ganz  im 
Gegensatze  zu  den  anderen  Silberhalogeniden  in  Wasser  ohne 
den  geringsten  Rückstand  löst;  das  nach  der  Methode  von  Gore 
zum  Vergleiche  dargestellte  Produkt  verdankt  seine  dunkle 
Färbung  einer  Beimengung  von  Silber  und  von  Silberoxyd. 

Das  reine  Produkt  schmilzt  bei  435®  und  reagiert  sehr 
energisch  und  elegant  mit  einigen  Chloriden.  Für  Moissan 
selbst  sind  folgende  Reaktionen  besonders  wertvoll:  Bei  der 
Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  entsteht  neben  Silber- 
chloiid  das  früher "•)  auf  so  umständliche  Weise  gewonnene 
Phosphorpentafluorid;  beim  mäßigen  Erhitzen  von  Silberfluorid 
mit  Phosphortrichlorid  entweicht  Phosphortrifluorid,  das  so  nun 
auch  leicht  in  beliebigen  Mengen  erhalten  werden  kann.  Analog 
verläuft,  wenn  auch  erst  im  geschlossenen  Rohre,  die  Einwirkung 
von  Phosphoroxychlorid,  indem  Silberchlorid  und  Phosphoroxy- 


-    357    — 

fluorid  gebildet  werden;  Silicinmchlorid  verwandelt  sich  unter 
dem  EJinflusse  von  SUberfluorid  in  Siliciumfluorid,  und  Bortri- 
chlorid  wird  unter  Feuererscheinung  in  Bortrifluorid  übergeführt. 

Auch  die  früher^*®)  schon  untersuchte  Einwirkung  von- 
rotglühendem  Platinschwamm  auf  Phosphorpentafluorid  wird 
noch  einmal  gründlich  studiert**^).  Moissan  findet,  daß  sich, 
falls  die  Reaktion  in  einem  selir  stark  erhitzten  Platinrohre 
vorgenommen  wird,  in  dem  kälteren  Teile  der  Röhre  eine 
kristallinische,  an  feuchter  Luft  sehr  leicht  veränderliche  Sub- 
stanz abscheidet,  die  voraussichtlich  der  von  Schfi  tzenberger^") 
entdeckten  Verbindung  PtClajPClj  entspricht,  aber  in  analysen- 
reinem Zustande  nicht  erhalten  werden  kann. 

Noch  eine  andere  interessante  Reaktion  klärt  der  Forscher 
gleichzeitig  auf,  indem  er  sich  mit  der  Einwirkung  von  Phos- 
phorsäureanhydrid auf  Flußsäure  beschäftigt^"). 

Bailey  und  Fowler^")  hatten  im  Jahre  1888  gefunden, 
daß  Phosphorsäureanhydrid  mit  Chlorwasserstoff  unter  Bildung 
von  Phosphoroxychlorid  und  Metaphosphorsäure  reagiert,  und 
Thorpe^")  hatte  der  Anschauung  Ausdruck  gegeben,  daß  dann 
wahrscheinlich  auch  bei  der  Einwirkung  von  Fluorwasserstoff  auf 
Phosphorpentoxyd  nicht,  wie  Mall et^*®)  angegeben  hatte,  Penta- 
fluorid,  sondern  Phosphoroxyfluorid  entstehen  würde. 

Moissan  bestätigt  die  Vermutung  Thor p es,  denn  beim 
Zusammenbringen  von  wasserfreier  Flußsäure  und  Phosphor- 
säureanhydrid in  einem  Metallrohre  und  bei  einer  +19,5® 
nicht  übersteigenden  Temperatur  entweicht  ein  Gas,  das  alle 
Eigenschaften  des  Oxyfluorids  besitzt.  Aus  dieser  interessanten 
Reaktion  folgt,  daß  man  niemals  Phosphorsäureanhydrid  zum 
Trocknen  von  Flußsäure  verwenden  kann,  und  andererseits 
finden  die  Resultate  von  Louyet^*')  ihre  Erklärung;  die  wasser- 
freie Flußsäure  Louyets  enthielt  jedenfalls  eine  bedeutende 
Menge  von  Phosphoroxyfluorid  und  besaß  deshalb  nicht  die 
Eigenschaft,  Glas  zu  ätzen. 

In  der  nun  folgenden  Abhandlung**^)  bespricht  Moissan 
die  Stellung  des  Fluors  unter  den  Elementen.  An  der  Hand 
zahlreicher  Vergleiche  weist  er  darauf  hin,  daß  Fluor  in  seinen 
Eigenschaften  und  Verbindungen  bald  mit  dem  Chlor,  bald  aber 
auch  mit  dem  Sauerstoff  Analogien  bietet;  es  ist  das  reaktions- 
fähigste Element,    das    wir    kennen.     Wie   sehr   hatten   Ber- 


—    358    - 

zelius"')  und  Dumas"*^)  recht,  als  sie  das  Fluor,  ohne  etwas 
von  seinen  Eigenschaften  aus  unmittelbarer  Beobachtung  zu 
zu  wissen,  an  die  Spitze  der  Halogene  stellten! 

Weiter  teilt  unser  Forscher  ^^^)  Erfahrungen  über  die  Ein- 
wirkung von  Fluor  auf  Phosphortrifluorid  mit.  Er  füllt  das 
Platinrohr,  welches  ihm  schon  zur  Bestimmung  der  Farbe  des 
Fluors  gedient  hatte"*),  mit  reinem  Trifluorid  und  läßt  Fluor 
hinzutreten.  Er  beobachtet^  daß  in  dem  Augenblicke,  in  dem 
beide  Gase  aufeinandertreifen,  eine  gelbgefärbte  Flamme,  deren 
Temperatur  aber  nicht  sehr  hoch  zu  sein  scheint,  auftritt,  und 
er  findet,  daß  das  entweichende  Gas  au  der  Luft  raucht; 
also  bildet  sich  bei  dieser  Reaktion  Pentafluorid,  genau  so  wie 
Phosphortrichlorid  bei  der  Einwirkung  von  Chlor  in  Penta- 
chlorid  übergeführt  wird.  Vollständig  gelingt  aber  auch  hier 
die  Umsetzung  nur,  wenn  Fluor  im  Überschusse  vorhanden  ist. 
Wie  eifrig  Moissan  sich  inzwischen  weiter  mit  den 
speziellen  Eigenschaften  seines  Elements  beschäftigt  hat,  ersehen 
wir  aus  dem  Inhalte  seiner  nächsten  Abhandlung  „Nouvelles  re- 
cheches  sur  le  fluor"  "^),  in  der  er  alle  die  seit  1887  erhaltenen 
Resultate,  soweit  sie  das  Fluor  speziell  angehen,  zusammen- 
faßt. Mit  Hilfe  des  neuen  Apparates"*)  konnte  Fluor  in  be- 
liebig großen  Mengen  dargestellt  und  seine  Einwirkung  auf 
zahlreiche  feste,  flüssige  und  gasförmige  Körper  studiert  werden. 
Zur  Ausführung  der  Reaktionen  dienten  teils  Platin-  oder  Fluß- 
spatröhrchen,  teils,  wenn  es  sich  um  Gase  handelte,  das  uns 
nun  schon  wohlbekannte  mit  durchsichtigem  Flußspat  ver- 
schlossene Platinrohr  (Fig.  6),  an  das  drei  kleinere  Platin- 
röhren angelötet  wurden;  durch  das  erste 
wurde  das  Fluor,  durch  das  zweite,  dem 
ersten  direkt  gegenüber  angebrachte 
I     J  I         das  zu  untersuchende  Gas  eingeleitet; 

I  ^      das   dritte  Röhrchen   endlich  war    am 

^  unteren  Ende  des  Apparates  angelötet, 

pj     ß  um  die  Entnahme  der  Reaktionsprodukte 

in  bequemer  Weise  zu  ermöglichen. 
Metalloide,  Metalle,  Metalloid  Verbindungen,  Chloride,  Bromide, 
Jodide,  Cyanide,  Oxyde,  Sulfide,  Nitride,  Phosphide,  Sulfate,  Ni- 
träte,  Phosphate,  Karbonate,  Borate,  Kohlenwasserstoffe,  Alkohole, 
Äther,  Aldehyde,  organische  Säuren,  Amine  und  schließlich  so- 


—    359    ^ 

gar  Älkaloide  hat  Moissan  auf  ihr  Verhalten  gegen  Fluor 
nntersncht.  Aus  der  Fülle  der  hochinteressanten  und  für  die 
Wissenschaft  so  wertvollen  Ergebnisse  kann  hier  nur  ganz 
kurz  folgendes  erwähnt  werden. 

Mit  allen  Metalloiden,  ausgenommen  nur  Sauerstoff^  Ozon 
und  Stickstoff,  reagiert  Fluor,  und  zwar  meist  in  außerordent- 
lich energischer  Weise.  Es  verbindet  sich  mit  Wasserstoff  schon 
in  der  Kälte  und  selbst  im  Dunkeln;  sobald  die  beiden  Ele« 
mente  zusammentreffen,  entsteht  eine  sehr  heiße  Flamme  und  es 
entweichen  Ströme  von  Fluorwasserstoff:  Das  erste  Beispiel 
dafür,  daß  sich  zwei  gasförmige  Grundstoffe  ohne 
Zufuhr  von  Energie  —  Licht  oder  Wärme  —  mit- 
einander vereinigen  können!  Mit  Metallen  reagiert  Fluor 
etwas  weniger  heftig,  weil  die  sich  bildenden  Fluoride  fest  sind 
und  der  weiteren  Einwirkung  des  Gases  ein  Ziel  setzen. 

Schwefelwasserstoff  und  Schwefeldioxyd,  Chlor-,  Brom-  und 
Jodwasserstoff  werden  unter  Feuererscheinung  zersetzt,  Eohlen- 
oxyd  und  Kohlendioxyd  nicht  angegriffen,  aber  Schwefelkohlen- 
stoff und  Cyan  entzündet.  Chloride,  Bromide,  Jodide  und  Cyanide 
werden  durch  Fluor  schon  in  der  Kälte  zerlegt;  zahlreiche  Oxyde 
treten  mit  dem  Element  in  Reaktion,  teils  schon  bei  gewöhnlicher 
Temperatur,  wie  die  Oxyde  der  Erdalkalien,  teils  erst  bei  Rotglut, 
wie  diejenigen  von  Eisen,  Nickel,  Zink  und  von  Blei.  Sulfate,  Nitrate 
und  Phosphate  werden  meist  erst  bei  Rotglut  verändert;  auf  Kar- 
bonate wirkt  Fluor  aber  zum  größten  Teile  schon  in  der  Kälte  ein. 

Organische  Verbindungen  werden,  falls  sie  viel  Wasser- 
stoff enthalten,  von  dem  Elemente  mit  derartiger  Heftigkeit 
angegriffen,  daß  Entflammung  eintritt;  infolge  dieser  Temperatur- 
steigerung ist  die  Zersetzung  vollständig  und  endet  erst  mit  der 
Bildung  von  Fluorwasserstoff  und  von  Kohlenstofffluoriden.  So 
kommt  es,  daß  sich  Kohlenwasserstoffe  und  ihre  Derivate,  ebenso 
wie  die  meisten  Alkohole  und  Äther  in  Fluor  entzünden,  während 
organische  Säuren,  namentlich  wenn  sie  kompliziertere  Mole- 
küle bilden,  schwieriger  zerlegt  werden.  Amine  aber  und  die 
meisten  Älkaloide  verbrennen  lebhaft  in  dem  Gase  und  ver- 
wandeln sich  in  flüchtige  Produkte. 

f^Par  Vensemble  de  ses  caracteres  physiques  et  chimiques, 
le  fluor  se  place  nettement  en  tete  de  la  famille  naturelle:  fluor^ 
chlarcy  brome  et  jode. 


-    360     - 

„Teiles  sollt  les  proprUtes  de  ce  nouveau  corps  simple,  de 
ce  radical  des  fluorures^  pressenti  jmr  Ampere  et  par  Hutnphry 
Davy,  et  que  la  Chirnie  peut  enfin  compter  au  nombre  de  ses 
elernents. 

„Les  reactions  si-  vives  exercees  par  le  fluor  sur  les  corps 
simples  ou  composes,  la  far/on  violeiite  avec  laqtielle  ce  gax  se 
suhstitiie  au  chlore,  au  brome  ou  ä  Viode,  son  hiergie  de  com- 
binaison  avec  Vhydrogene,  le  silicium  et  le  carbone,  noiis  de- 
montrent  surabondamment  qu£  de  tous  les  corps  simples  isoles 
jusqu'iei  le  fluor  est  celui  qui  posscde  les  affinites  les  pluis 
puissantes.^ 

Mit  diesen  Worten  nimmt  Moissan  für  längere  Zeit  von 
seinem  Elemente  Abschied.  Andere  wichtige  Probleme  der 
anorganischen  Chemie  sind  es,  die  in  dieser  Zeit  sein  Interesse 
und  seine  Arbeitskraft  ganz  in  Anspruch  nehmen;  er  zeigt 
sich  auf  anderen  Gebieten  als  bahnbrechender  Forscher,  aber 
seinem  Fluor  hat  er  stets  Anhänglichkeit  bewahrt.  Mögen  die 
neuen  Fragen  noch  so  interessant  sein,  mag  Moissan  seine 
ganze  Kraft  der  Erschließung  neuer  Gebiete  widmen,  immer 
kehrt  er  wieder  zu  dem  Element  zurück,  das  zuerst  unter  seinen 
Händen  erstand! 

Lord  Rayleigh  und  William  ßamsay"'*)  berichteten 
im  Jahre  1895  über  einen  neuen  Bestandteil  der  atmosphärischen 
Luft,  das  Argon,  und  fanden,  daß  das  neue  Gas,  das  sich 
nach  allen  physikalischen  Untersuchungen  als  Element  erwies, 
auf  keine  Weise  chemisch  zu  reagieren  imstande  war.  Es  wurde 
weder  von  Sauerstoff  noch  von  Wasserstoff  unter  dem  Einflüsse 
elektrischer  Entladungen,  noch  von  Chlor,  Phosphor,  Schwefel, 
Tellur,  Natrium,  Kalium,  Peroxyden,  Persulflden,  Nitraten,  Platin- 
schwamm, Platinmohr,  Königswasser,  Bromwasser,  Kaliumper- 
manganat, naszierendem  Silicium  oder  Brom  unter  wechselnden 
Bedingungen  irgendwie  angegriffen. 

Als  Moissan  von  dieser  merkwürdigen  Trägheit  eines 
chemischen  Elementes  hörte,  äußerte  er  natürlich  den  Wunsch, 
das  Verhalten  des  Argons  gegen  den  reaktionsfähigsten  aller 
Grundstoffe,  gegen  Fluor,  untersuchen  zu  dürfen.  Auf  seine 
Bitte  übersendet  ibm  Ramsay  100  ccm  des  kostbaren  Gases, 
und  Moissan  findet^^^),  daß  selbst  Fluor  nicht  imstande  ist,  mit 
dem  Argon  zu  reagieren;  beide  Stoffe  wirken  bei  gewöhnlicher 


—    361    — 

Temperatur  auch  unter  dem  Einflüsse  des  Induktionsfunkens 
nicht  aufeinander  ein. 

Die  Tatsache,  daß  Moissan  in  froheren  Abhandlungen 
öfters  und  nachdrücklich  betonte,  daß  man  Fluor  unter  gewöhn- 
lichem Drucke  bis  auf  —95^  abkühlen  könne,  ohne  an  dem 
Oase  irgendeine  Veränderung  zu  bemerken,  deutete  darauf  hin, 
daß  er  sich  lebhaft  mit  dem  Gedanken  trug,  das  Fluor  zu  ver- 
flüssigen. Aus  den  physikalischen  Eigenschaften  einer  großen 
Menge  von  organischen  und  anorganischen  Fluorverbindungen 
mußte  er  schließen,  daß  die  Verflüssigung  von  Fluor  nur  bei 
sehr  niedriger  Temperatur  erfolgen  konnte;  aber  damals  war 
eine  derartige  Aufgabe  nicht  so  einfach  zu  lösen  wie  heute.  Die 
Zeit,  da  jeder  dank  den  Entdeckungen  Karl  von  Lindes 
über  flüssige  Luft  gebieten  kann,  war  noch  nicht  gekommen. 
Voll  Verlangen,  diese  Aufgabe  gleich  erfolgreich  anzugreifen, 
wendet  Moissan  sich  an  James  Dewar,  dem  unsere  Wissen- 
schaft damals  schon  so  viele  klassische  Untersuchungen  auf  dem 
Gebiete  der  niedrigsten  Temperaturen  verdankte,  und  im  Jahre 
1897  erscheint  die  erste  Abhandlung  von  Henri  Moissan  und 
James  Dewar  über  die  Verflüssigung  des  Fluors^"). 

Das  zu  diesen  Versuchen  erforderliche  Fluor  wurde  in 
Moissans  zweitem  Apparate^^®)  dargestellt  und  äußerst  sorg- 
fältig von  Fluorwasserstoffdämpfen  befreit.  Zur  Verflüssigung 
diente  zunächst  ein  kleiner,  aus  dünnem  Glase  angefertigter 
Zylinder,  an  dessen  oberes  Ende  eine  Platinröhre  angeschmolzen 
war,  die  in  ihrer  Achse  ein  anderes  kleineres  Rohr  aus 
gleichem  Metall  enthielt.  Der  ganze  Apparat  wurde  so  an  das 
Znleitungsrohr  für  das  Fluor  angelötet,  daß  das  Gas  durch  den 
ringförmigen  Raum  zwischen  den  beiden  Platinröhren  eintreten, 
durch  das  Glasgefäß  hindurchgehen  und  durch  das  innere 
Rohr  entweichen  mußte.  Als  Abkühlungsmittel  wurde  zunächst 
flüssiger  Sauerstoff  angewendet,  den  man  nach  dem  kurz  vor- 
her von  Dewar^*®)  beschriebenen  Verfahren  gewann. 

Sobald  der  Apparat  auf  die  Temperatur  von  ruhig  sieden- 
dem Sauei-stoff  (— 183^)  abgekühlt  worden  war,  wurde  das  Fluor 
hindurchgesandt;  das  Gas  verflüssigte  sich  unter  diesen  Be- 
dingungen zwar  nicht,  büßte  aber  seine  chemische  Reaktions- 
fähigkeit ein,  denn  es  griff  das  Glas  bei  der  niedrigen  Tem- 
peratur nicht  mehr  an.   Wenn  aber  durch  Evakuieren  der  Sauer- 


-    362    - 

Stoff  zum  lebhaften  Siedeu  gebracht  wurde,  begann  das  Flnor 
sich  zu  verdichten,  und  sobald  man  das  Gasableitungsrohr,  am 
die  Luft  abzuhalten,  dann  mit  dem  Finger  verschloß,  f&Ute  sich 
das  Glasgefäß  mit  einer  hellgelb  gefärbten,  äußerst  beweglichen 
Flüssigkeit  an,  deren  Farbe  an  diejenige  von  Fluor  bei  1  m  Dicke 
erinnerte.  Nach  diesem  ersten  Versuche  würde  sich  Fluor  also 
bei  etwa  —185**  verflüssigen  lassen. 

Nahm  man  das  Glasgefäß  aus  dem  flüssigen  Sauerstoff 
heraus,  so  begann  die  gelbgefärbte  Flüssigkeit  zu  sieden,  ood 
entwickelte  große  Mengen  eines  Gases,  das  alle  die  bekannten 
energischen  Reaktionen  von  Fluor  zeigte. 

Zu  den  weiteren  Versuchen  "^)  wenden  Moissan  und  Dewar 
ein  dem  eben  beschriebenen  ähnlichen  Verflüssigungsapparat  an, 
eine  Glaskugel,  an  welche  die  Platinröhren  angeschmolzen  sind; 
letztere  tragen  jetzt  je  einen  Schraubenhahn,  mit  Hilfe  dessen 
man  im  gegebenen  Augenblicke  die  Verbindung  mit  der  atmo- 
sphärischen Luft  oder  mit  dem  Fluor  aufheben  kann.  Der  kleine 
Apparat  wird  in  flüssige  Luft  getaucht,  die  Dewar  selbst 
bereitet,  und  nun,  beim  Siedepunkte  der  Luft  unter  gewöhn- 
lichem Drucke,  verflüssigt  sich  das  Fluor  sofort.  Wieder  ein- 
mal hat  Moissan  sein  Ziel  im  vollsten  Umfange  erreicht! 

In  Gemeinschaft  mit  Dewar  studiert  er  nun  auch  sogleich 
die  Eigenschaften  des  flüssigen  Fluors  ^^^).  Es  wird  gefunden, 
daß  Fluor  nahe  bei  — 187<*  siedet,  sich  aber  bei  —  210*  noch 
nicht  zum  Erstarren  bringen  läßt,  daß  die  Flüssigkeit  kein  Ab- 
sorptionsspektrum liefert,  nicht  magnetisch  ist,  das  spezifische 
Gewicht  von  etwa  1,14  und  eine  geringere  Kapillaritätskonstante 
besitzt  als  flüssiger  Sauerstoff;  besonders  bemerkenswert  ist, 
daß  der  Brechungsexponent  des  flüssigen  Fluors  demjenigen  des 
Bernsteins  (1,55)  sehr  naheliegt,  was  sich  nicht  erwarten  ließ, 
da  die  Atomrefraktion  des  Fluors  in  seinen  Verbindungen  den 
kleinsten  Wert  von  allen  Elementen  aufweist. 

Flüssiges  Fluor  reagiert  bei  —210®  mit  Wasser,  Queck- 
silber und  Jodiden  nicht  mehr,  und  auch  Silicium,  Bor,  Kohlen- 
stoff, Schwefel,  Phosphor  und  fein  verteiltes  reduziertes  Eisen 
können,  falls  man  sie  vorher  in  flüssigem  Sauerstoff  abgekühlt 
hat,  bei  dieser  Temperatur  mit  Fluor  zusammengebracht  werden, 
ohne  zu  erglühen.  Wenn  aber  auch  bei  diesen  mit  Hilfe  von 
flüssiger  Luft  erreichbaren  Temperaturen  die  chemische  Affinität 


-     363 


des  Fluors  bedeutend  abgenommen  hat,  die  Reaktionsfähigkeit 
des  Elementes  ist  doch  noch  nicht  ganz  verschwunden:  flüssiges 
Fluor  vereinigt  sich  noch  bei  —  210<*  vollständig  unter  starker 
Wärmeentwicklung  und  Lichterscheinung  mit  Wasserstoff  und 
wirkt  auf  gefrorenes  und  auf  —210®  abgekühltes  Terpentinöl 
noch  immer  unter  lebhafter  Feuererscheinung  und  Abscheidung 
von  Eohle  explosionsartig  ein. 

Im  Jahre  1899  macht  uns  Moissan^**)  mit  einem  neuen, 
außerordentlich  brauchbaren  Apparate  zur  Darstellung  des  Fluors 
bekannt 

Bisher  hatte  er  ausschließlich  mit  Platinapparaten  gear- 
beitet und  immer  beobachtet,  daß  die  Elektrolyse  erst  regel- 
mäßig vor  sich  ging,  nachdem  das  Material  der  Elektroden  und 
des  Gefäßes  selbst  angegriffen  worden  war  und  eine  gewisse 
Menge  von  Platin  sich  in  der  Flußsäure  gelöst  hatte;  der  sehr 
kostspielige  Apparat  wurde  infolgedessen  ziemlich  rasch  abge- 
nützt und  unbrauchbar.  Da  der  Forscher  sich  ja  nicht  nur  persön- 
lich mit  dem  Studium  des  Fluors  beschäftigte,  sondern  auch  durch 
seine  Schüler  zahlreiche  Untei*suchungen  ausführen  ließ,  suchte  er 
festzustellen,  ob  sich  das  Platin  nicht  vielleicht  durch  ein  anderes 
Metall  ersetzen  ließe.  Seine  Wahl  fiel  auf  Kupfer,  das  von 
allen  Metallen,  die  er  untersuchte,  von  völlig  wasserfreier  Fluß- 
saure am  wenigsten  angegriffen  wird. 

Er  ließ  ein  kupfernes  U-Rohr  von  ungefähr  derselben  Form 
wie  das  Platinrohr  anfertigen  (Fig.  7),  das  ein  etwas  größeres 
Volumen  besaß,  300  ccm  In- 
halt hatte  und  200  ccm  Fluß- 
säure,  die  durch  Zusatz  von 
50  g  Ealiumfluorhydrat  lei- 
tend gemacht  worden  war, 
bequem  der  Elektrolyse  zu 
unterwerfen  gestattete.  Ver- 
schlossen wurde  der  Apparat 
wie  die  früheren  mit  Fluß- 
spatstopfen; die  Elektroden 
aber  erhielten  eine  andere 
Form,  indem  hohle,  aufge- 
spaltene Zylinder  verwendet 
wurden,    die   eine    größere  Fig.  7. 


im,rrn, 


*^ 


^    364    - 

Oberfläche  und  damit  auch  die  Aussicht  auf  eine  größere  Ansbeate 
boten.  Als  Elektrodenmaterial  mußte  Platin  beibehalten  werden; 
Kupfer  zu  verwenden  war  nicht  möglich,  da  es  sofort  bei  Be- 
ginn der  Elektrolyse  gelöst  wird  und  auf  der  Anode  eiDen 
den  Stromdurchgang  hindernden  Überzug  von  Kupferfluorid 
bildet.  Dagegen  geht,  wenn  das  Gemenge  von  Flußsäure  und 
Kaliumfluorhydrat  vollständig  wasserfrei  ist,  die  Elektrolyse 
mit  Platinelektroden  in  einem  kupfernen  Apparate  sehr  gut  von 
statten,  ohne  daß  das  Gefäß  angegriffen  wird;  vermutlich  bildet 
das  Fluor,  welches  nach  kurzer  Zeit  in  der  Flußsäure  gelöst 
enthalten  ist,  an  der  Oberfläche  des  Kupfers  eine  dünne  Schicht 
von  Kupferfluorid,  das,  in  Flußsäure  unlöslich,  die  Metallwand 
gegen  eine  weitere  Einwirkung  des  Elementes  schützt.  Mit 
diesem  neuen  Kupferapparat  lassen  sich  selbst  bei  Versuchen,  die 
mehrere  Stunden  hindurch  fortgesetzt  werden,  sehr  gute  Aus- 
beuten erzielen ;  ein  Strom  von  15  Amp.  und  50  Volt  liefert  in 
der  Stunde  ungefähr  5  Liter,  ein  Strom  von  20  Amp.  und  50  Volt 
sogar  bis  zu  8  Liter  Fluor. 

Moissan  hatte  bereits  im  Jahre  1891  nachgewiesen"^), 
daß  Fluor  durch  Wasser  bei  gewöhnlicher  Temperatur  unter 
Bildung  von  Fluorwasserstoff  und  Entwicklung  von  ozonisieilem 
Sauerstoff  zersetzt  wird;  er  hatte  auch  darauf  aufmerksam  ge- 
macht ^^*),  daß  das  Ozon,  welches  bei  der  Einwirkung  einer 
Spur  Wasser  auf  viel  ,Fluor  entsteht,  so  konzentriert  ist,  daß 
es  eine  schöne  blaue  Farbe  besitzt.  Diese  Versuche  können 
jetzt  wiederholt  und  messend  verfolgt  werden,  da  der  neue 
Kupferapparat  gestattet,  größere  Mengen  von  Fluor  in  kontinuier- 
lichem Betriebe  zu  erzeugen. 

Moissan"*)  leitet  ein  großes  Volumen  Fluor  durch  laine  kleine 
mit  Wasser  von  0^  angefüllte  Waschflasche,  fängt  das  gebildete 
Gas  in  einen  Glasballon  auf  und  konstatiert  durch  Titration,  daß 
der  Ozongehalt  des  Gasgemenges  ziemlich  konstant  14,39  Volum- 
prozente beträgt.  Die  Ozonmenge  ist  also  ziemlich  bedeutend, 
in  Wirklichkeit  aber-  noch  viel  größer,  als  sich  aus  den  Analysen 
ergibt,  weil  die  Verdrängung  der  Luft  aus  dem  Glasballon  ziem- 
lich lange  Zeit  erfordert,  während  welcher  das  konzentrierte 
Ozon  zerfällt.  Von  großem  Einflüsse  auf  den  Ozongehalt  des  ent- 
wickelten Sauerstoffs  ist  andererseits  auch  die  Geschwindigkeit, 
mit  der  das  Fluor  durch  Wasser  geleitet  wird.    Bei  Moissans 


—    365    — 

Versuchen  betrug  sie  drei  Liter  in  der  Stunde.  Je  lebhafter 
der  Fluorstrom  ist,  um  so  reichlicher  bildet  sich  Ozon,  voraus- 
gesetzt, daß  das  Wasser  während  der  ganzen  Dauer  des  Ver- 
suches auf  0**  abgekühlt  bleibt.  Bei  verschiedenen  Verauchen. 
bei  denen  die  Geschwindigkeit  des  Fluorstromes  geringer  war 
als  drei  Liter  in  der  Stunde,  schwankte  der  Ozongehalt  des 
Sauerstoffs  zwischen  10  und  12  Volumprozent,  und  er  wurde 
noch  viel  geringer,  wenn  das  zur  Zersetzung  dienende  Wasser 
nicht  auf  0®  abgekühlt  wurde. 

Die  schon  erwähnte  Beobachtung  ^••),  daß  Fluor  bei  einer 
Temperatur  von  —  187^  Glas  nicht  angreift,  gab  Moissan 
Veranlassung,  eine  interessante,  experimentell  meisterhaft  durch- 
geführte Untersuchung  über  die  Einwirkung  von  Fluorwasser- 
stoff und  von  Fluor  auf  Glas  anzustellen"').  Zunächst  stellt 
er  die  Angaben  von  Louyet"®)  und  von  Gore"'),  daß  wasser- 
freie Flußsäure  Glas  nicht  angreife,  richtig,  und  dann  beweist 
er  durch  zahlreiche  Versuche,  daß  Fluorwasserstoit  unter  allen 
Umständen,  auch  wenn  er  noch  so  sorgfältig  von  den  letzten 
Spuren  Wasser  befreit  ist,  auf  das  Glas  einwirkt.  Dieser 
Punkt  mußte  nun  bei  den  gleichen  mit  Fluor  selbst  angestellten 
Versuchen  gebührend  berücksichtigt  werden,  denn  es  konnte 
wohl  möglich  sein,  daß  das  Gas,  welches  beiMoissans  früheren 
Untersuchungen  stets  auf  Glas  einwirkte,  trotz  aUer  Vor- 
sichtsmaßregeln noch  Spuren  von  Fluorwasserstoff  enthalten 
hatte.  Schon  die  ersten  neuen  Versuche  beweisen,  daß  dies  wirk- 
lich der  Fall  gewesen  war.  Mit  großer  Sorgfalt  wird  das  im 
neuen  Kupferapparate  entwickelte  Fluor,  nachdem  es  dem  be- 
kannten Reinigungsprozesse "®)  unterworfen  worden  war,  auf 
eine  Temperatui*  abgekühlt,  die  weit  niedriger  ist  als  der  Er- 
starrungspunkt von  Fluorwasserstoff,  und  der  Verflüssigungstem- 
peratur des  Fluors  sehr  nahe  liegt.  Moissan  leitet  nämlich 
das  Fluor  in  ein  absolut  trockenes  Glaskngelrohr,  das  von 
flüssiger  Luft  umspült  wird.  Die  mit  Fluor  gefüllten  Glas- 
kugeln werden  an  den  Einschnürungen  mit  Hilfe  einer  Gebläse- 
flamme abgeschmolzen  und  aufbewahrt:  nach  zwei  Wochen  hat 
das  Glas  dieser  Kugeln  noch  denselben  Glanz  wie  vorher. 
Völlig,  reines  Fluor  ist  also  ohne  Wirkung  auf  Glas! 
Bricht  man  die  Spitze  einer  dieser  Glaskugeln  unter  Queck* 
Silber  ab,  so  steigt  ein  wenig  von  dem  flüssigen  Metall  in  die 


-    366     - 

Kapillare  anf;  an  der  Oberfläche  des  Quecksilbers  bildet  sich 
eine  kleine  Schicht  von  Fluorid,  das  dann  die  weitere  Ein- 
wirkung aufhält.  So  kann  reines  Fluor  beliebig  lange  über 
Quecksilber  in  Glasapparaten  aufbewahrt  werden,  vorausgesetzt, 
daß  das  Häutchen  des  Metallfluorids  nicht  zerstört  wird ;  schüttelt 
man  aber  die  Glaskugel,  so  wird  das  reine  Fluor  von  dem 
Metall  nach  und  nach  vollständig  absorbiert,  die  Engel  füllt 
sich  mit  Quecksilber,  das  Glas  aber  bleibt  unversehrt.  Haftet 
dagegen  auch  nur  die  geringste  Spur  von  Feuchtigkeit  oder 
von  organischer  Substanz  an  dem  Glase,  so  wirkt  Fluor  sofort 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  darauf  ein,  denn  dann  bildet  sich 
Fluorwassei*stofi,  der  das  Glas  mehr  oder  weniger  rasch  an* 
greift.  Allzu  lange  Zeit  kann  aber  auch  reines  Fluor  nicht 
in  absolut  trockenen  Glasgefäßen  aufbewahrt  werden,  ohne  daß 
es  sich  verändert;  nach  zwei  Monaten  ungefähr  findet  man  in 
dem  Gase  neben  etwas  Sauerstoff  auch  Spuren  von  Silicinm* 
fluorid.  Der  Sauerstoff  der  Doppelsilikate  wird  also  allmählich 
durch  Fluor  verdrängt. 

Auf  Grund  dieser  Versuche  kann  Moissan  nun  mit 
reinem  Fluor  auf  der  Quecksilberwanne  in  Glasapparaten  ar- 
beiten; er  kann  die  Verbrennung  von  Schwefel,  Jod,  Brom, 
Silicium  und  Kohlenstoff  in  Fluor  auf  andere  Weise,  als  es 
bisher  möglich  gewesen  war,  bewerkstelligen.  Die  bei  diesen 
Reaktionen  entstehenden  gasförmigen  Produkte  werden  so  der 
Untersuchung  leichter  zugänglich.  Wir  werden  bald  sehen, 
welch  schöne,  neue  Ergebnisse  diese  unerwartete  Eigenschaft 
des  Fluors  unter  Moissans  Händen  zeitigen  sollte. 

Kurz  nach  dieser  interessanten  Mitteilung  veröffentlicht 
er  zu  Beginn  des  Jahres  1900  wichtige  Versuche  über  die 
Zusammensetzung  von  Fluorwasserstoff^'^). 

Bekanntlich  hatte  Gore*'^)  ermittelt,  daß  dieser  Verbindung 
bei  100®  die  Molekularformel  HF  zukomme.  Dann  hatte  J.  W. 
Mallet  "*)  die  Dampfdichte  der  wasserfreien  Säure  bei  niedrigeren 
Temperaturen  bestimmt  und  aus  seinen  Vei*suchen  den  Schloß 
gezogen,  daß  das  Molekül  Fluorwasserstoff  bei  30®  der  Formel 
H2F2  entspräche.  Einige  Jahre  später  wiederholten  T.  E.  Thorpe 
und  F.  J.  Hambly*''^)  diese  Bestimmungen  und  konstatierten, 
daß  die  Dampfdichte  mit  steigender  Temperatur  abnimmt; 
während  sie  bei  32®  noch  19,87,  entsprechend  der  Molekular- 


—    367    — 

formel  H^Fj,  beträgt,  erreicht  sie  bei  88,1®  nur  mehr  den 
Wert  10,29. 

Zur  Feststellung  der  Volumenzusammensetzung  des  Fluor- 
wasserstoffs eignet  sich  die  Synthese  der  Verbindung  nicht,  da 
die  Vereinigung  von  Wasserstoff  und  Fluor  allzu  heftig  erfolgt; 
es  muß  also  ein  indirekter  Weg  eingeschlagen  werden.  Moissan 
verfährt  folgendermaßen.  In  dem  Eupferapparate  stellt  er 
Fluor  dar,  fängt  das  an  jedem  Pole  entweichende  6as  in  gra- 
duierten Zylindern  fiber  Wasser  auf,  zerstört  das  bei  der  Ein- 
wirkung von  Fluor  auf  Wasser  gebildete  Ozon  durch  Erhitzen 
der  Glasröhre,  und  vergleicht  nun  das  Volumen  des  Sauerstoffs 
mit  dem  des  gleichzeitig  an  der  Kathode  entwickelten  Wasser- 
stoffs. —  Für  eine  zweite  Versuchsreihe  wird  der  Apparat  ver- 
feinert. Der  Wasserstoff  wird  wieder  direkt  aufgefangen,  das 
entweichende  Fluor  aber  durch  eine  kleine,  innen  paraffinierte 
und  mit  Wasser  gefüllte  Waschflasche  geleitet,  in  der  es  zer- 
setzt wird;  das  entstehende  Gas  passiert  ein  zur  Zerstörung 
des  Ozons  auf  500®  erhitztes  Glasrohr  und  wird  in  einem  gra- 
duierten Zylinder  fiber  Wasser  aufgefangen.  Vor  dem  Vereuche 
werden  die  Waschflasche  und  das  Glasrohr  mit  Stickstoff  ge- 
fallt; im  geeigneten  Augenblicke  wird  der  elektrische  Strom 
unterbrochen  und  das  gesamte,  während  des  Experiments  ent- 
wickelte Fluor  mit  Hilfe  eines  neuen  Stickstofistroms  in  die 
Waschflasche  und  in  die  sich  an  diese  anschließenden  Apparate 
gedrängt.  So  findet  sich  in  der  graduierten  Röhre  nach  Be- 
endigung des  Versuches  ein  Gemenge  von  Stickstoff  und  Sauer- 
stoff vor;  das  Volumen  des  letzteren  wird  durch  Absoi-ption 
mit  alkalischer  PyrogalloUösung  bestimmt  und  kann  nunmehr 
wiederum  mit  dem  des  zu  gleicher  Zeit  entwickelten  Wasser- 
stoffs verglichen  werden.  —  Schließlich  wird  ein  Glasrohr,  in 
dem  ein  bekanntes  Volumen  Fluor  über  Quecksilber  abgesperrt 
ist,  vorsichtig  in  ein  Gefäß  mit  Wasser  gestellt;  das  Queck- 
silber fällt  zu  Boden,  und  das  eindringende  Wasser  wird  durch 
das  Fluor  zersetzt.  Das  Volumen  des  entstehenden  ozonisierten 
Sauerstoffs  wird  gemessen ;  dann  wird  das  Ozon  titriert  und  die 
im  Wasser  gelöste  Flußsäure  mit  größter  Genauigkeit  bestimmt. 

Aus  allen  diesen  Versuchen  ergibt  sich,  daß  Fluorwasser- 
stoff ans  gleichen  Volumina  Fluor  und  Wasserstoff  besteht,  und 
eine  einfache  Rechnung  beweist,   daß  sich  ein  Volumen  Fluor 


—    368    — 

mit  einem  Volumen  Wasserstoff  zu  einem  doppelt  so  großen 
Volumen  gasförmigen  Fluorwasserstoffs  vereinigt.  In  dieser 
Beziehung  entspricht  Fluor  also  vollständig  den  übrigen  Ha- 
logenen. 

Im  Jahre  1900  veröffentlicht  Moissan  noch  weitere  inter- 
essante Untersuchungen  über  Flnorverbindungen;  der  neue 
Kupferapparat,  der  Fluor  in  großen  Mengen  lieferte,  und  die 
schöne  Entdeckung,  daß  man  mit  reinem  Fluor  in  Glasgefäßen 
arbeiten  kann,  boten  dazu  die  Veranlassung. 

Bei  der  Einwirkung  von  Fluor  auf  Mangan  und  auf  Mangano- 
chlorid  beobachtet  Moissan^''*)  die  Bildung  eines  Fluorides, 
das  er  aus  Fluor  und  Manganojodid,  die  lebhaft  miteinander 
reagieren,  rein  darstellen  kann. 

Das  neue  Produkt  bildet  weinrotgefärbte  Kristalle  von 
der  Form  des  Manganojodids,  besitzt  die  Zusammensetzung 
MnFs  ^'^^)  und  erweist  sich  in  allen  seinen  Eigenschaften  als  ein 
Perfluorid.  Es  zerfällt  beim  Erhitzen  für  sich  oder  im  Stick- 
stoffstrome in  Manganofluorid  und  freies  Fluor,  entwickelt  mit 
Wasserstoff  bei  Rotglut  Fluorwasserstoff,  und  wird  durch  Schwefel, 
Phosphor,  Arsen,  Silicium,  Bor  und  Kohlenstoff  beim  Erhitzen 
unter  Bildung  der  entsprechenden  gasförmigen  oder  flüssigen 
Fluoride  zerlegt.  Mit  wenig  Wasser  reagiert  das  Perfluorid 
in  komplizierter  Weise,  indem  sich  sofort  ein  dunkelrotgefärbter 
Niederschlag  abscheidet  und  eine  rotgefärbte  Flüssigkeit  ge- 
bildet wird,  deren  Farbe  bald  in  Rosa  umschlägt;  bei  dieser 
Zersetzung  bilden  sich  ein  niederes  Manganfluorid,  ein  Mangan- 
oxydhydrat und  Flußsäure,  die  nun  ihrerseits  je  nach  dem 
Volumen  der  Flüssigkeit  mehr  oder  wehiger  weitgehend  auf 
das  Hydroxyd  einzuwirken  vermag. 

Das  Manganofluorid,  dessen  Bildung  bei  diesen  Versuchen 
mehrfach  beobachtet  wurde,  war  wohl  schon  vor  langen 
Jahren  von  Berzelius"')  und  von  Brunner"®)  aus  Mangano- 
karbonat  und  Flußsäure  sowie  von  Röder^''*)  durch  Zusammen- 
schmelzen von  Manganochlorid  mit  Natriumfluorid  und  -chlorid 
dargestellt,  aber  auf  seine  Eigenschaften  hin  noch  nicht  untersucht 
worden.  Moissan  unterzieht  sich  dieser  Aufgabe  gemeinschaftlich 
mit  Venturi^®*^).  Äußer  nach  der  Methode  von  Berzelius 
wird  das  Fluorid  durch  Einwirkung  von  gasförmigem  oder 
wässrigem   Fluorwasserstoff  auf  Mangan   und  durch   Erhitzen 


-    369    - 

von  Manganfluorsilicat  im  Flaorwasserstoffstrome  auf  1000^  dar- 
gestellt; besonders  schöne  Kristalle  werden  dadurch  erhalten, 
daß  eine  Schmelze  von  Manganofluorid  und  -chlorid  langsam 
abgekühlt  und  mit  Wasser  und  verdfinnter  Essigsäure  gewaschen 
wird. 

Manganofluorid,  MnF^,  stellt  prächtig  rosagefärbte  Prismen 
dar  und  erweist  sich  chemisch  als  sehr  reaktionsfähig;  es  wird 
durch  Wasserstoff  bei  500^  langsam,  bei  1000^  ziemlich  schnell 
zu  Metall  reduziert,  vereinigt  sich  mit  Fluor  zu  dem  Perfluorid 
MnFj,  wird  durch  Sauerstoff  bei  1000®  vollständig  inMangano- 
manganioxyd  verwandelt  und  bildet  mit  flüssigem  Ammoniak 
die  kristallinische  Verbindung  3  MnF2,2  NH3,  die  sich  schon  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  unter  Abspaltung  von  Ammoniak  wieder 
zersetzt.  Es  wird  durch  Metalle  und  viele  Metalloide  beim 
Erhitzen  reduziert,  durch  Wasser  bei  längerem  Kochen  in  ein 
Oxyfluorid  und  Flußsäure  gespalten,  durch  Wasserdampf  bei 
1200®  bis  1300®  in  Manganooxyd  und  durch  Schwefelwassei-stoff 
bei  derselben  Temperatur  in  kristaHiniscbes,  grüngefärbtes 
Manganosulfid  umgewandelt 

Mit  Paul  Lebeau,  der  seit  1890  als  priparateur  in 
seinem  Laboratorium  wirkte  und  sich  unter  des  Meisters  Lei- 
tung zu  einem  hervorragenden  Forscher  entwickelt  hatte,  stellt 
Moissan^^^)  im  gleichen  Jahre  noch  die  bisher  vollkommen 
unbekannten  Fluorverbindungen  des  Schwefels  dar. 

Bei  der  unter  Feuererscheinung  vor  sich  gehenden  Ein- 
wirkung von  reinem  Fluor  auf  Schwefel  entstehen  zwei  gas- 
förmige Verbindungen,  von  denen  die  eine  von  wässriger  Kali- 
lauge absorbiert,  die  andere  nicht  angegrifien  wird  und  so  beständig 
ist,  daß  sie  nur  durch  siedendes  Natrium  zu  zersetzen  ist.  Es 
zeigt  sich,  daß  dieses  letztere  Gas,  das  so  unerwartete  Eigen- 
schaften besitzt,  in  guter  Ausbeute  erhalten  wird,  wenn  man  einen 
Überschuß  von  Fluor  anwendet  und  die  geringe  Menge  des 
nebenbei  sich  immer  bildenden,  leichter  zersetzlichen  Fluorids 
durch  Kalilauge  entfernt. 

Als  Schwefelperfluorid,  SF,"*),  erweist  sich  das  farblose 
Gas,  das  geruch-  und  geschmacklos  ist,  nicht  brennt  und  bei 
— 55®  zu  einer  weißen  kristallinischen  Masse  erstarrt,  die 
wenig  oberhalb  ihres  Schmelzpunktes  zu  sieden  beginnt.  Es 
ist  eine  sehr  merkwürdige  Verbindung;  ein  Perfluorid,  das  sich 

8itsnngri>6richte  der  phyf.-med.  Sos.  39  (1907).  24 


—    370     - 

in  seinen  Eigenschaften  so  träge  wie  Stickstoff  verhält  und  nicht 
die  geringste  Ähnlichkeit  mit  den  Chloriden  des  Schwefels  besitzt 
Konzentrierte  wässrige  oder  alkoholische  Kalilauge,  schmelzen- 
des Kaliumhydroxyd  und  Bleichromat,  rot.glflhendes  Kupferoxjd 
wirken  nicht  ein.  Wasserstoff,  die  Halogene,  Phosphor,  Arsen, 
Bor,  Silicium,  Kohlenstoff,  Kupfer,  Silber,  Chlorwasserstoff, 
Ammoniak  sind  bei  den  höchsten  erreichbaren  Temperaturen 
nicht  imstande,  das  Gas  zu  verändern.  Es  kann  bis  zur  Tem- 
peratur des  erweichenden  Glases  erhitzt  werden,  ohne  zu  zer- 
faUen  oder  das  Glas  anzugreifen.  Durch  starke  Induktions- 
funken wird  es  nur  teilweise  zersetzt.  Läßt  man  den  Funken 
durch  ein  Gemisch  von  Wasserstoff  und  Schwefelperfluorid 
schlagen,  so  scheidet  sich  auf  dem  Quecksilber  und  auf  den  Ge- 
fäßwandungen ein  hellgefärbtes  Produkt  ab;  bei  dieser  Seak- 
tion  bilden  sich  Schwefel-  und  Fluorwasserstoff,  die  sich  dann 
unter  Mitwirkung  des  Glases  zu  Schwefel,  Kieselsäure  and 
Kieselfluorwasserstoff  zersetzen.  Schwefel-  und  Selendampf 
fuhren  eine  Verminderung  des  Gasvolumens  herbei;  Calcium 
und  Magnesium  reagieren  bei  Rotglut  langsam,  und  allein  darch 
siedendes  Natrium  wird  das  Gas  unter  lebhaftem  Erglfihen  mit 
großer  Geschwindigkeit  absorbiert. 

Wenn  Fluor  und  Schwefel  in  Glasgefäßen  aufeinander 
wirken,  wird  die  Reaktion  komplizierter;  neben  dem  Perfluorid 
entstehen  dann  auch  Schwefeloxyfluoride,  die  Moissan  und 
Lebeau  auf  anderen  Wegen  rein  darstellen  können. 

Thionylfluorid,  SOFg^«^),  dessen  Existenz  Meslans*")  vor- 
ausgesagt hatte,  bildet  sich  im  unreinen  Zustande  bei  der  Ein- 
wirkung von  Fluor  auf  Thionylchlorid  und  wird  dadurch  gewonnen, 
daß  man  Arsentrifluorid  und  Thionylchlorid  in  geschlossenen 
Glasröhren  eine  halbe  Stunde  auf  100®  erhitzt,  die  Röhren  nach 
dem  Erkalten  auf  —80®  abkühlt  und  das  sich  bei  —  35®  ver- 
flüchtigende Fluorid  über  Quecksilber  auffängt  Das  reine  Gas 
ist  farblos,  raucht  schwach  an  der  Luft  und  besitzt  einen  un- 
angenehmen, erstickenden  Geruch  wie  Phosgen;  es  zersetzt  sieb, 
wenn  es  vollständig  trocken  ist,  beim  Erhitzen  in  Glasgefaßen  erst 
gegen  400®  langsam  in  Siliciumfluorid  und  Schwefeldioxyd  und  wird 
durch  den  Induktionsfunken  unvollständig  zerlegt,  indem  etwas 
Fluor  in  Freiheit  gesetzt  wird,  das  sofort  mit  dem  Glase  unter  Bil- 
dung von  Siliciumfluorid  reagiert,  während  gleichzeitig  Schwefel- 


-    371    - 

dioxyd  entsteht.  Wasserstoff  wirkt  nur  auf  Thlonylfluorid,  wenn 
beide  Gase  im  geschlossenen  Rohre  erhitzt  oder  der  Einwirkung 
des  Induktionsfnnkens  ausgesetzt  werden;  bei  dieser  Reaktion 
scheidet  sich  zuerst  Schwefel  ab^  dann  bilden  sich  kleine  Tropfen 
einer  ungefärbten,  sehr  sauren  Flüssigkeit,  und  der  Gasrest  be- 
steht aus  Siliciumfluorid  und  Schwefelwasserstoff.  Natrium  zer- 
setzt das  Gas  in  der  Nähe  seines  Schmelzpunktes  und  absorbiert 
es  dabei  vollständig;  ebenso  verhält  sich  Zinn.  Wasser  zerlegt 
die  Verbindung  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nur  langsam  in 
schweflige  Säure  und  Flußsäure. '  Mit  Ausnahme  der  typischen 
Formel  hat  Thionylfluorid  also  mit  Thionylchlorid  nichts  gemein. 

Das  Sulfurylfluorid,  SO2F2,  endlich  läßt  sich,  wie  Moissan 
und  L eb e au  ^")  zeigen,  auf  verschiedene  Weise  gewinnen.  Man 
kann  Schwefeldioxyd  und  Fluor  dadurch  miteinander  vereinigen, 
daß  man  die  beiden  Gase  bei  Gegenwart  einer  glühenden  Platin- 
spirale zusammentreten  läßt.  Man  kann  Fluor  auf  feuchten 
Schwefelwasserstoff  einwirken  lassen,  in  dem  es  mit  blau- 
gefärbter, sehr  heißer  Flamme  verbrennt;  so  bildet  sich  ein 
Gemenge  von  Schwefelwasserstoff,  Siliciumfluorid,  Schwefelper- 
fluorid,  Thionyl-  und  Sulfurylfluorid,  aus  dem  letzteres  durch 
Behandlung  mit  Wasser  und  Eupfersulfatlösung  und  durch 
darauffolgende  Verflüssigung  isoliert  wird.  Man  kann  schließ- 
lich ein  ebenso  zusammengesetztes  Gasgemenge  erhalten,  wenn 
man  Fluor  in  einem  Glasapparate  auf  trockenen  Schwefelwasser- 
stoff wirken  läßt,  denn  der  notwendige  Sauerstoff  wird  von  dem 
bei  der  Einwirkung  von  Fluorwasserstoff  auf  Glas  entstehendem 
Wasser  geliefert. 

Reines  Sulfurylfluorid  stellt  ein  farbloses  und  geruchloses 
Gas  dar,  das  sich  schon  bei  —  52^  verflüssigen,  aber  erst 
mit  flüssigem  Sauerstoff  zum  Erstarren  bringen  läßt  und  dann 
bei  — 120  *  schmilzt.  Es  wird  durch  WstSser  selbst  im  ge- 
schlossenen Rohre  bei  -{-IbO^  nicht  angegriffen,  langsam  von 
wässriger,  rascher  von  alkoholischer  Kalilauge  unter  Zersetzung 
absorbiert  und  erweist  sich  in  allen  anderen  Reaktionen  als 
äußerst  beständige  Verbindung.  Es  gleicht  in  seinem  Verhalten 
dem  Schwefelperfluorid,  zeigt  aber  mit  Sulfurylchlorid  keinerlei 
Ähnlichkeit. 

Jodpentafluorid,  das  von  Oore"®)  und  später  von  Mac 
Ivor^")  beim  Erhitzen  von  Silberfluorid  mit  Jod  erhalten,  aber 

24* 


—    372    — 

keineswegs   rein  dargestellt  worden  war,  hat  Moissan^^^  im 
Jahre  1902  eingehend  studiert. 

Wenn  Fluor  in  ein  Glasgefäß  zu  Jod  geleitet  wird,  entsteht 
eine  wenig  leuchtende  Flamme,  und  die  Bildung  der  neuen  Ver- 
bindung geht  unter  starker  Wärmeentwicklung  vor  sich. 

Jodpentafluorid,  JF5,  erweist  sich  als  farblose  Flüssigkeit, 
die  an  der  Luft  stark  raucht  und  auf  die  Atmungsorgane  einen 
heftigen  Reiz  ausübt;  es  erstarrt  bei  -f-S^  zu  einer  kampher- 
ähnlichen  Masse,  siedet  bei  -f-^'^^  ^^^^  Zersetzung  und 
wird  erst  bei  etwa  500®  unter  Abscheidung  von  Jod  zerlegt. 
Chemisch  außerordentlich  reaktionsfähig,  wird  das  Pentaflnorid 
durch  Chlor  gelb  gefärbt,  durch  Brom  in  Jodbromid  und 
Bromfluorid,  durch  Schwefel  unter  geringer  Jodabscheidnng  in 
Schwefelperfluorid  und  Schwefeljodid,  durch  roten  Phosphor 
unter  Feuererscheinung,  Abscheidung  von  Jod  und  Bildung  von 
Phosphorpentafluorid  zerlegt,  und  durch  Metalle,  mit  Ausnahme 
von  Magnesium,  Eisen  und  Silber,  leicht  angegriffen.  Alle  Sili- 
ciumverbindungen  reagieren  heftig  und  meist  unter  Feuer- 
erscheinung  mit  dieser  Verbindung;  selbst  sehr  trockenes  Olas 
wird  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nach  und  nach  angegriffen. 
Die  durch  Wasser  bewirkte  Zei*setzung  vollzieht  sich  dagegen 
ruhig,  und  lediglich  unter  geringer  Temperaturerhöhung  bilden 
sich  als  Beaktionsprodukte  Jodsäure  und  Flußsäure. 

Im  Jahre  1898  war  James  De  war"*)  wieder  ein  glänzen- 
des Experiment  gelungen.  Er  hatte  Wasserstoff  in  größeren 
Mengen  verflüssigen  können  und  gefunden,  daß  der  Siedepunkt 
der  farblosen  Flüssigkeit  bei  — 252,5®  liegt.  Man  war  also 
dem  absoluten  Nullpunkt  sehr  nahe  gekommen.  Luft  wurde  in 
flüssigem  Wasserstoff  sofort  fest,  —  sollte  es  mit  dem  Fluor 
nicht  ebenso  bestellt  sein? 

Noch  einmal  vereinigen  sich  Moissan  und  Dewar  zu  ge- 
meinsamer Arbeit"®).  Absolut  reines  und  trockenes  Fluor  wird 
in  eine  Glasröhre  eingeschlossen  und  mit  flüssigem  Wasserstoff 
gekühlt;  fast  sofort  verwandelt  sich  das  Qas  in  eine  Flüssig- 
keit und  schon  nach  wenigen  Augenblicken  in  eine  gelbgefärbte, 
feste  Masse,  die  nach  einiger  Zeit  bei  der  tiefen  Temperatur  eine 
weiße  Farbe  annimmt.  Zahlreiche  weitere  Versuche  zeigen,  daß 
Fluor  bei  —210®  noch  flüssig  bleibt,  und  daß  der  Schmelz- 
punkt des  festen  Fluors  sehr  nahe  bei  — 223®  liegt. 


—    373    — 

Nun  ist  noch  eine  Frage  za  entscheiden:  Ist  festes 
Fluor  imstande,  chemisch  zu  reagieren?  Als  Moissan  und 
De  war  festes  Fluor  bei  —252,5-^  mit  flüssigem  Wasserstoff 
zusammenbringen,  da  erfolgt  eine  heftige  Explosion,  die  von 
einer  derartigen  Wärmeentwicklung  begleitet  ist,  daß  die  ganze 
Masse  erglfiht  und  der  Wasserstoff  sich  entzündet;  von  dem 
Glasrobr,  in  dem  die  Beaktion  vor  sich  ging,  und  von  dem 
doppelwandigen  Gefäß,  in  dem  sich  der  zur  Kühlung  verwandte 
flüssige  Wasserstoff  befand,  blieb  nichts  übrig  als  ein  Pulver. 
So  reagiert  Fluor  bei  —252,5^  d.  h.  20,5®  über  dem  ab- 
solnten  Nullpunkt,  bei  dem  kein  Stoff  mehr  chemische 
Affinität  äußern  soll! 

Im  Anschluß  an  diese  Entdeckung  nehmen  Moissan  und 
Dewar^**)  noch  einmal  das  Studium  der  Reaktionen  des 
flüssigen  Fluors  bei  — 187«^  auf. 

Jod,  Sauerstoff,  Tellur,  Stickstoff,  Antimon,  die  verschie- 
denen Modifikationen  von  Kohlenstoff,  kristallisiertes  Silicium, 
amorphes  Bor,  Kaliumferrocyanid,  Arsentrioxyd,  Kieselsäure, 
Borsäureanhydrid,  Calciumcarbid,  Jodoform,  Zucker,  Mannit, 
Morphin,  sie  alle  reagieren  mit  flüssigem  Fluor  nicht;  aber 
Schwefel  bildet  unter  Feuererscheinung  Schwefelperfluorid,  Selen 
wirkt  unter  heftiger  Explosion  ein,  roter  Phosphor  und  Arsen 
reagieren  unter  Entzündung  und  Bildung  der  Fluoride,  Natrium 
überzieht  sich  bald  mit  einer  dünnen  Schicht  von  Natriumfluorid, 
Kalium  wirkt  anfangs  nicht,  nach  einigen  Sekunden  aber  unter 
lebhafter  Explosion  ein,  Calciumoxyd  gerät  ins  Glühen,  und 
kristallisiertes  Anthracen  bewirkt  eine  heftige  Reaktion,  die 
mit  Explosion  und  Abscheidung  von  Kohle  endet.  Auch  festes 
Methan  reagiert,  wie  Moissan  und  Chavanne"^)  im  Jahre 
1905  noch  zeigen,  mit  flüssigem  Fluor  bei  — 187®  unter  heftiger 
Explosion. 

jfNotis  vayatis  donc,  qu\i  de  tres  basses  temperaturesy  Vafft- 
ivitö  86  maintient  lorsque  Von  s'adresse  ä  des  reactions  aussi 
^ergiques  qtce  Celles  fournies  par  le  fluar  ati  contact  des  corps 
sifnples  ou  compos^^.^ 

Wie  bereits  erwähnt  wurde ^®*),  hatte  Moissan  im  Jahre 
1889  für  die  Dichte  von  Fluor  im  Mittel  den  Wert  1:26  ge- 
fanden, während  sich  aus  der  Dichte  des  Wasserstoffs  und  dem 
Atomgewicht  des  Fluors  die  Zahl  1,316  bezw.  1,314  berechnet. 


-     374    - 

Aas  dieser  Tatsache  und  aus  eigenen  anderen  Versuchen  hatte 
Bohuslav  Brauner"*)  gefolgert,  daß  das  bei  der  Elektrolyse 
entstehende  Fluor  neben  den  Molekülen  F2  eine  gewisse  Anzahl 
freier  Fluoratome  F  enthalte.  Im  Jahre  1904  wiederholt 
Moissan"*)  mit  dem  reinsten  Fluor,  das  ihm  zur  Verfügung 
steht,  seine  früheren  Bestimmungen  mit  Hilfe  eines  neuen 
Apparates  und  erhält  im  Mittel  von  vier,  mit  größter  Sorgfalt 
ausgeführten  Versuchen  die  Zahl  1,31.  Die  Gegenwart  freier 
Atome  im  gasförmigen  Fluor  ist  demnach  ausgeschlossen. 

Dann  stellt  er"*)  im  Jahre  1904  noch  einmal  die  Ver- 
bindungen, mit  denen  er  seine  Studien  über  das  Fluor  be- 
gonnen hatte,  die  Fluoride  von  Phosphor,  Bor  und  Silicium,  im 
reinsten  Zustande  dar  und  ermittelt  ihre  wichtigsten  physika- 
lischen Eigenschaften. 

Über  zwanzig  Jahre  sind  verflossen,  seit  der  Forscher 
diese  Fluoride  zum  ersten  Male  untersucht  hatte.  Wieviel  wert- 
volle neue  Hilfsmittel  sind  in  diesen  zwanzig  Jahren  für  die 
Experimentalchemie  geschaffen  worden,  und  Moissan,  der  selbst 
den  größten  Anteil  an  der  Vervollkommnung  dieser  Hilfsmittel 
hatte,  verwendet  sie  alle  in  eigenartiger,  genialer  Weise. 

Eine  von  ihm  kurz  vorher  entdeckte  neue  Methode"')  zur 
Reindarstellung  von  Oasen  gestattet,  die  gasförmigen  Fluoride 
absolut  rein  und  trocken  Zugewinnen;  verflüssigte  Gase  stehen 
in  beliebiger  Menge  zur  Verfügung,  und  alle  Temperaturen  werden 
auf  thermoelektrischem  Wege  gemessen;  die  Zeiten,  da  MoissaD 
sich  auf  mehr  oder  weniger  zuverlässig  gearbeitete  Thermometer 
verlassen  mußte,  sind  vorbei. 

So  findet  er,  daß  Phosphortrifluorid,  aus  Bleifluorid  und 
Kupferphosphid  bereitet,  bei  — 160^  schmilzt  und  bei  —95' 
siedet,  daß  Phosphorpentafluorid,  gewonnen  aus  Arsentriflaorid 
und  Phosphorpentachlorid,  beim  Abkühlen  zu  einer  weißen, 
flockigen  Masse  erstarrt,  die  bei  —83®  in  eine  farblose,  Glas 
nicht  angreifende  und  bei  —75®  siedende  Flüssigkeit  ver- 
wandelt wird,  und  daß  Phosphoroxyfluorid,  das  er  wieder  aus 
wasserfreiem  Zinkfluorid  und  Phosphoroxychlorid  darstellt,  bei 
tiefen  Temperaturen  eine  weiße,  kristallinisch  aussehende  Masse 
bildet,  die  bei  —68®  in  eine  farblose,  Glas  ebenfalls  nicht 
angreifende  und  bei  — 40  ®  siedende  Flüssigkeit  übergeht. 
Bortrifluorid,  durch  Erhitzen  von  Borsäureanhydrid  und  CalciDffl- 


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fluorid  mit  konzentrierter  Schwefelsäure  oder  direkt  durch 
Einwirkung  von  Fluor  auf  reines^  amorphes  Bor  erhalten, 
schmilzt  bei  — 127  •  und  siedet  bei  — 101  ^  Siliciumtetrafluorid 
endlich,  das  durch  Erhitzen  eines  Gemisches  von  Sand  und 
Galciumduorid  mit  konzentrierter  Schwefelsäure  oder  ebenfalls 
durch  Einwirkung  von  Fluor  auf  kristallisiertes  Silicium  dar- 
gestellt worden  ist,  erstarrt  unter  normalem  Drucke  bei  — 97® 
und  verflachtigt  sich,  ohne  in  den  flttssigen  Zustand  übei-zugehen. 
Unter  einem  Drucke